Читать книгу Vor dem großen Krieg - Ronald G. Asch - Страница 16

II. Zwischen eschatologischer Geschichtsdeutung und transkonfessionellen Ordnungsentwürfen: zum intellektuellen Profil der Epoche 1. Eschatologische Weltdeutungen

Оглавление

Ein Blick auf die Friedensverhandlungen zwischen England und Spanien, aber auch zwischen Den Haag und Madrid respektive Brüssel hat gezeigt, dass das Ringen zwischen „Bellizisten“ und kompromissbereiten Pragmatikern keineswegs ausschließlich von unterschiedlichen Einschätzungen machtpolitischer Interessen geprägt war. Vielmehr standen sich hier rivalisierende politische und gesellschaftliche Ordnungs- und Identitätsentwürfe gegenüber, die auch jenseits der konkreten Auseinandersetzungen um Krieg und Frieden gegeneinander konkurrierten. Die Epoche um 1600 war durch stark gegensätzliche Tendenzen geprägt. Sie lässt sich keineswegs einfach auf den Nenner eines sogenannten Konfessionsfundamentalismus bringen, sondern war auch durch die Suche nach Selbstvergewisserung in einer Zeit geprägt, in der gerade der permanente Konflikt zwischen rivalisierenden theologischen Wahrheitsansprüchen alles in Zweifel zu ziehen drohte. Mit dieser Fragilität jedes Anspruches auf Wahrheit konnte man jedoch sehr unterschiedlich umgehen. Man konnte die konfessionelle Polemik verschärfen, auch um damit die eigenen Zweifel zu betäuben und in der klaren Definition von Freund und Feind doch eine letzte Sicherheit zu gewinnen, oder man konnte nach Normen und Gewissheiten suchen, deren Geltung transkonfessionell war oder doch zumindest durch den Streit zwischen den rivalisierenden Konfessionen nicht fundamental infrage gestellt wurde. Allerdings waren auch solche transkonfessionellen, etwa juristischen Ordnungsentwürfe oft von einem Standpunkt aus formuliert, der seinerseits konfessionell geprägt blieb. Der Charakter der Epoche vor dem Dreißigjährigen Krieg lässt sich nur verstehen, wenn man der Spannung zwischen diesen beiden gegensätzlichen Tendenzen gerecht wird. Die Zeit war durch eine Steigerung der konfessionellen Polemik ebenso gekennzeichnet wie durch die permanente Suche nach einer gemeinsamen Sprache, in der man sich über die tiefen politischen und konfessionellen Gräben hinweg verständigen konnte. Dies konnte die Sprache der humanistischen Gelehrsamkeit sein, jene des Rechtes oder auch einer neuen mathematisch argumentierenden Wissenschaft von der Natur wie im Werk Johannes Keplers oder Galileo Galileis. Auch der Methodenwechsel in den Naturwissenschaften, der durch die Abwendung vom Aristotelismus und die Idee bestimmt war, dass die Gesetze der Natur sich in mathematische Formeln fassen ließen, war von der Suche nach Gewissheit in einer Epoche des Zweifels motiviert.1

Umgekehrt, das wurde bereits angedeutet, diente auch die kontroverse theologische Polemik mit ihren klar umrissenen Feindbildern nicht notwendigerweise primär dem Zweck, die wirkliche Vernichtung des konfessionellen und politischen Gegners zu propagieren. Sie hatte oft auch den Sinn, die Stimmen der skeptischen Kritik, die angesichts des Nebeneinanders unterschiedlicher theologischer Wahrheiten nicht ausbleiben konnten, zum Schweigen zu bringen und sich der eigenen konfessionellen Identität gerade wegen der Bedrohung durch Indifferenz und Skepsis beständig neu zu versichern.2 Besonders deutlich wird dies in dem Versuch, die Gegenwart im Licht der Prophezeiungen der Apokalypse zu deuten, die namentlich auf protestantischer Seite – sehr viel weniger unter Katholiken – ausgeprägt war und aus Anlass des Reformationsjubiläums von 1617 eine besondere Steigerung erfuhr, nachdem sie im Jahrzehnt zwischen 1600 und 1610 eher ein wenig an Bedeutung verloren hatte.3

Für viele Geistliche war das Jubiläum ein Anlass, die Abgrenzung vom konfessionellen Gegner in besonders drastischer Weise zu betonen. An vorderster Front stand bei diesem Versuch im Heiligen Römischen Reich der kursächsische Oberhofprediger Matthias Hoë von Hoënegg. In seiner Schrift Jubilaeum Evangelicum, Christliche und aus Gottes Wort genommene Anleitung/wie das anstehende Evangelische Jubelfest/recht und nützlich solle begangen werden4 verwandte er große Energie vor allem auf den Nachweis, dass der Papst nicht irgendein Gegner der wahren Religion, sondern der leibhaftige Antichrist – also der endzeitliche, teuflische Widersacher Christi – sei. Das teuflische Wirken des Papstes zeige sich vor allem in seinem Bestreben, alle weltlichen Obrigkeiten zu seinen Dienern, seinen „Stallbuben und Steggreiffhaltern“ zu machen.5 Hoë stützte sich dabei nicht nur auf die Offenbarung des Johannes, sondern auch auf das Buch Daniel, das mit seiner Prophezeiung der vier Weltreiche auch einen direkten Bezug auf die politische Ordnung des Heiligen Römischen Reiches – das ja zu Beginn des 17. Jahrhunderts von vielen Zeitgenossen noch als das letzte der Weltreiche überhaupt verstanden wurde – zu besitzen schien. Hier heißt es in Kapitel 11 (Vers 36): „Und der König wird schalten seinem Belieben; er wird sich überheben und groß tun wider jeden Gott, und wider den höchsten Gott wird er unerhörte Reden führen nach seiner Willkür, wird tun, was er will, und wird sich überheben und großtun gegen jeden Gott. Und er wird Erfolg haben, bis das Ende des Zornes gekommen ist. Denn was beschlossen ist, wird ausgeführt“ (Züricher Bibel).

Diese Prophezeiung eines endzeitlichen Tyrannen bezog Hoë von Hoënegg unmittelbar auf das Papsttum. Dass eine derartige eschatologische Weltsicht ein leidlich friedliches Nebeneinander von Protestanten und Katholiken nicht unbedingt erleichterte, lässt sich leicht vorstellen und in der Forschung sind die Reformationsfeiern von 1617 daher auch oft als Vorspiel des eigentlichen Krieges gedeutet worden, der ein Jahr später ausbrach.6 Die Predigten gegen das römische Babylon und gegen den Papst machten den späteren Waffengang, so könnte es zumindest scheinen, fast unvermeidbar.

Gerade das Beispiel des sächsischen Oberhofpredigers Hoë von Hoënegg zeigt allerdings, dass die Dinge eben doch deutlich komplizierter waren, als es auf den ersten Blick scheint: Denn so sehr Hoë auch das Papsttum hasste, noch mehr hasste er die Calvinisten, die noch Anfang der 1590er Jahre in Kursachsen unter Kurfürst Christian I. (1560–1591) auf dem Weg gewesen waren – so schien es zumindest –, die Hochburg der reinen lutherischen Lehre zu erobern. Für Hoë gab es nicht einfach einen Antichristen, sondern zwei, den Papst und den „orientalischen“ Antichristen, den Sultan zu Konstantinopel oder das Osmanische Reich an sich. Mit dieser Einschätzung stand er nicht vollständig allein; in England vertraten anticalvinistische Theologen wie der spätere Bischof Richard Montagu im frühen 17. Jahrhundert ähnliche Positionen.7 Montagu ging es nicht allein darum, auf die Bedrohung durch das Osmanische Reich hinzuweisen, die für England auf der rein machtpolitischen Ebene viel weniger relevant war als für ein deutsches Territorium, das der Habsburgermonarchie unmittelbar benachbart war, sondern er verfolgte noch ein anderes Ziel.8 Indem dem päpstlichen Antichristen ein zweiter, vielleicht auch gefährlicherer Widersacher Christi zur Seite gestellt wurde, relativierte sich der Gegensatz zwischen einer protestantischen Kirche wie der Church of England und Rom.


Abb. 5: Flugblatt aus Anlass des 100. Jahrestags von Martin Luthers Thesenanschlag, 1617.

Hoë von Hoënegg ging in Sachsen sogar noch weiter. Aus seiner Sicht besaß der „orientalische Antichrist“ auch innerhalb der Christenheit, ja innerhalb des Lagers der Protestanten seine Anhänger und das waren die Calvinisten. Der gemeinsame Nenner zwischen Muslimen und Calvinisten war aus der Sicht des Dresdner Geistlichen die offene oder im Fall der Reformierten versteckte Ablehnung der Trinitätslehre und die Neigung zu einem theologischen Arianismus.9 In der Tendenz des Calvinismus zu einer stärker rationalistischen Theologie und in seiner Ablehnung der Realpräsenz Christi im Sakrament des Abendmahls konnte man – mit etwas Mühe – gewisse Ähnlichkeiten sehen, die den Calvinismus mit dem besonders strengen Monotheismus des Islam verbanden.10 Im Übrigen gab es unter Calvinisten an der Wende zum 17. Jahrhundert durchaus gewisse Tendenzen, auf einen Sieg der Osmanen gegen das Haus Habsburg zu setzen; nur so schien es möglich, den römischen Antichristen zu besiegen. Längerfristig hoffte man dann entweder auf eine massenhafte Bekehrung der Muslime zum reformierten Glauben oder sogar auf ein harmonisches Zusammenleben zwischen Muslimen und Calvinisten in einer endzeitlichen Friedensordnung.11 Allerdings warfen reformierte Theologen ihrerseits den Katholiken vor, für Dogmen und religiöse Praktiken einzutreten, die denen der Muslime verwandt seien. Dazu war etwa die Austreibung von Dämonen durch einen Exorzismus zu rechnen oder das Verbot, Heilige Schriften in eine Volkssprache (aus dem Lateinischen respektive im Islam aus dem Arabischen) zu übersetzen, wie manche reformierte Theologen meinten.12

Diese Vorwürfe zielten jeweils darauf ab, einen gefährlichen Konkurrenten innerhalb des christlichen Lagers zu diskreditieren, bei Hoë von Hoënegg ebenso wie bei den reformierten Autoren. Der sächsische Hofprediger sah die Gefahr eines Zusammengehens mit den Calvinisten jedoch vor allem darin, dass diese den reinen Glauben der wahren Lutheraner untergraben könnten; eine solche Gefahr drohe bei Zweckbündnissen mit den Papisten nicht, denn diese seien eben auf das rein Politische begrenzt, das Theologische werde hier ausgegrenzt. Der gemeinsame Nenner zwischen Katholiken und Lutheranern sei in Deutschland aber das Bekenntnis zur Autorität des Kaisers und zur Rechtsordnung des Reiches, die überkonfessionell sei, wie der Religionsfrieden von 1555 zeige.13 Die extreme Zuspitzung des Gegensatzes zu den Calvinisten und die Legitimation des sächsischen Bündnisses mit Ferdinand II. nach Ausbruch des Krieges 1618/19, wie Hoë von Hoënegg sie vertrat, stellte selbst unter konservativen Lutheranern eine Extremposition dar, die nicht nur außerhalb der kursächsischen Grenzen, sondern auch in Sachsen selbst wie etwa an der Universität Wittenberg ihre Kritiker besaß.14 Allerdings, dies hat Thomas Kaufmann zu Recht hervorgehoben, war bei aller Betonung des Gegensatzes zum Papsttum zumindest zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges die Neigung, den Konflikt als Religionskrieg zu sehen, unter den Lutheranern eher begrenzt. Der Sieg über das römische Babylon war eine Sache des Wortes, nicht des Schwertes; zu einem politischen Aktionismus führt die eschatologische Geschichtsdeutung gerade nicht.15


Abb. 6: Matthias Hoë von Hoënegg, Kupferstich von Sebastian Furck 1650.

Hier spielte auch der Umstand eine gewisse Rolle, dass man dem Heiligen Römischen Reich im Anschluss an die Danielsprophezeiung aus dem Alten Testament eine heilsgeschichtliche Bedeutung zumaß, die durch die katholische Konfession des Kaisers nicht infrage gestellt wurde. Diese „vierdte Römische Monarchy“ werde „biß auff Christi zukunfft […] bleiben“, dessen war man sich sicher.16 Noch nach Ausbruch der Kampfhandlungen in Böhmen beharrten lutherische Theologen in Wittenberg und Jena darauf, dass ein Krieg gegen den Kaiser die letzte der großen Weltmonarchien zu zerstören drohe. Was dann komme, sei das endzeitliche Chaos, in dem alles untergehen werde.17

Im Übrigen übernahmen die lutherischen Juristen die eschatologische Weltsicht der Theologen ohnehin in aller Regel nicht.18 In protestantischen Territorien und Staaten besaß die Jurisprudenz schon um 1600 eine starke Tendenz, sich von der Bevormundung durch die Theologie zu emanzipieren, wie zu Recht betont worden ist.19 Dazu gab es auf katholischer Seite keine wirkliche Parallele, da an katholischen Universitäten in der Regel doch die Theologie die dominierende Disziplin blieb, wenn nicht sogar juristische Fragen als Teil der allgemeinen Moraltheologie behandelt wurden.20

Auf katholischer Seite war allerdings die Tendenz geringer, die Gegenwart überhaupt in einer eschatologischen Perspektive zu deuten. Es gab spezifische Krisenzeiten wie bestimmte Phasen der französischen Religionskriege ab den 1560er Jahren, in denen sich auch auf katholischer Seite eine eschatologische Interpretation politischer Ereignisse der Gegenwart verdichten konnte. Die Bartholomäusnacht oder die Konflikte zwischen der Heiligen Liga und Heinrich III. in den Jahren 1587–1589 wurden von militanten Katholiken wohl in einer eschatologischen Perspektive gesehen, wie Denis Crouzet betont hat. Die Vernichtung der protestantischen „Ketzer“ 1572 und die Beseitigung Heinrichs III. durch einen Attentäter wurden von nicht wenigen als Zeichen eines göttlichen Eingreifens in die Geschichte am Ende der Zeiten gedeutet.21 Eine solche Geschichtsdeutung war jedoch nicht die Norm. Dazu war man sich unter Katholiken meist zu sicher, dass die eigene Kirche in jedem Fall überleben werde, selbst wenn es nicht gelang, den Protestantismus oder den Islam vollständig zu besiegen. Insbesondere eine eschatologische Naherwartung, die nach einem Zusammenbruch der gegenwärtigen Ordnung ein Tausendjähriges Reich als Herrschaft Christi auf Erden heraufziehen sah, war unter Katholiken recht ungewöhnlich.22 Unter den Vorzeichen einer Verfolgung des Katholizismus war es wohl möglich, in der Reformation selbst, im Abfall von Rom, ein Vorzeichen des Endes der Zeiten zu sehen, aber man ging in der Regel nicht so weit, einzelne Reformatoren oder den Protestantismus an sich mit dem Antichristen oder dem Babylon der Apokalypse zu identifizieren.23 Um 1600 gab es auf katholischer Seite eher die Vorstellung, dass das große Jubel- und Epochenjahr im Kampf gegen die Gegner der Kirche eine entscheidende Wende zum Besseren bringen könne. Manche erwarteten sogar die Herrschaft des im Mittelalter bereits geweissagten „Engelspapstes“, der die ganze Christenheit unter seiner Führung wieder vereinen und auch die Türken zurückdrängen würde, für die nahe Zukunft.24

Die Zurückhaltung der Katholiken im Hinblick auf eine tagespolitische Aktualisierung der Offenbarung des Johannes hieß nicht, dass nicht auch auf katholischer Seite einzelne Herrscher oder ganze Dynastien für sich oder ihr Reich eine messianische Rolle im Kampf gegen die Feinde der Kirche beanspruchten, wie das in Spanien unter den Habsburgern zeitweilig der Fall war.25 Aber das Szenarium eines apokalyptischen Endkampfes, in dem gegen einen teuflischen Feind die letzten Kräfte aufgeboten werden mussten, war doch für die römische Kirche kein dominantes.26 So waren sich auch die spanischen Hoftheologen Ende des 16. Jahrhunderts eigentlich darin einig, dass der König keine religiöse Pflicht habe, Ketzer außerhalb seines eigenen Reiches zu bekämpfen. Der Kampf gegen die Osmanen und die muslimischen Mächte insgesamt stellte noch einmal ein anderes Problem dar, weil von ihnen eine unmittelbare Bedrohung für Spanien und die ganze Christenheit ausging, aber auch hier stand eine eschatologische Deutung der Gegenwart meist nicht im Vordergrund.27

Papst Clemens VIII. räumte dem Kampf gegen das Osmanische Reich während seines Pontifikates (1592–1605) allerdings eine hohe Priorität ein und hoffte, die gesamte katholische Christenheit unter dem Banner eines neuen Kreuzzuges, eines heiligen Krieges, vereinen zu können. Vollständig unrealistisch schien eine solche Hoffnung in den 1590er Jahren nicht zu sein, denn mit der Konversion Heinrichs IV. 1593 und dem Friedensschluss zwischen Spanien und Frankreich fünf Jahre später schien in der Tat eine gewisse Chance für eine Einigung der katholischen Christenheit zu bestehen. Für den Papst war der Kampf gegen die Osmanen immer auch ein Appell an die göttliche Vorsehung. Er glaubte, dass besondere Anstrengungen auf christlicher Seite Gott zum Eingreifen in den Kampf bewegen könnten, sodass er den Christen auch gegen jede Wahrscheinlichkeit einen entscheidenden Sieg verleihen würde.28 Genauso schien aber eine katastrophale Niederlage denkbar, wenn die Christen sich als uneinig und allzu sündhaft in ihrem Tun erwiesen. Nicht zuletzt sah man in Rom an der Wende zum 17. Jahrhundert den Kampf gegen die Ketzer in einer ähnlichen Perspektive wie den Krieg gegen den Sultan, wie der irische Historiker Tadhg Ó hAnnracháin betont hat. Aufgrund der metaphorischen und konzeptionellen Vorstellungen, mit deren Hilfe Häresie definiert und gedeutet wurde, schien durch Gottes Fügung doch unter Umständen ein vollständiger Wandel in der Konfessionslandschaft Europas denkbar – sei es im Sinne eines Sieges der römischen Kirche oder sei es im Sinne eines Zusammenbruchs scheinbar unerschütterlicher eigener Machtpositionen.29

Dagegen ist ein solches Hoffen auf ein unmittelbares Eingreifen Gottes in irdische Konflikte zu unterscheiden von einer eschatologischen Naherwartung, die auf katholischer Seite, wie schon betont, die Ausnahme blieb. Daher bleibt gerade mit Blick auf den Kampf gegen die protestantischen „Ketzer“ die Feststellung richtig, dass man diesen Kampf eher als Kreuzzug deutete und nicht als eine Auseinandersetzung mit dem endzeitlichen Gegenspieler Christi, dem Antichristen. Zum Teil erklärte sich dies daraus, dass man, wie Matthias Pohlig es formuliert hat, auf katholischer Seite die „heilsgeschichtliche Rolle der Reformation“ eher „relativieren“ wollte. Den Protestanten einen – wenn auch negativen – prominenten Platz in der Heilsgeschichte zuzuweisen, hätte sie, so zumindest sah man das in Rom, unnötig aufgewertet, zumal chiliastische Spekulationen sich im Mittelalter oft als papstkritisch und subversiv erwiesen hatten. Dort, wo Katholiken sich mit einer Verfolgung oder zumindest massiven Marginalisierung oder einem Angriff auf ihre bisherige dominante Machtposition konfrontiert sahen wie in England nach 1570 oder zeitweise auch in den Niederlanden respektive in Frankreich während bestimmter Phasen der Religionskriege, mochte das anders aussehen, aber das war niemals die offizielle römische Position.30

Ganz anders stellten sich die Dinge dar, wenn wir auf die dritte große konfessionelle Gruppierung blicken, auf die Calvinisten. Hier erwies es sich als wichtiger Faktor, dass sie nur in relativ wenigen Ländern einen wirklich gesicherten Status besaßen. Im Reich sicherte der Religionsfrieden die Rechte der Lutheraner ab, ob er auch für die Reformierten galt, blieb ungewiss und wurde sowohl von katholischer wie auch gelegentlich von lutherischer Seite bestritten. In Frankreich hatten die Hugenotten lange um ihre Existenz kämpfen müssen. Das Edikt von Nantes sicherte ihnen zwar eine Duldung und gewisse Privilegien zu, aber ob man sich auf diese Zugeständnisse dauerhaft würde verlassen können, blieb ungewiss; vieles sprach zunächst dagegen. In den Niederlanden war um 1600 die Erinnerung an die spanischen Versuche, den Protestantismus mit Stumpf und Stiel auszurotten, noch recht lebendig. Jenseits des Kanals in England lagen die marianischen Verfolgungen der 1550er Jahre länger zurück, aber viele militante Protestanten, die von ihren Gegnern meist als Puritaner bezeichnet wurden, sahen die Church of England als eine Kirche, die auf halbem Weg zwischen der Verderbnis des Papsttums und einer wirklichen Erneuerung stehen geblieben war. Die Gefahr eines Rückfalls in den „Papismus“ schien auch deshalb omnipräsent zu sein. Es war auch diese Perspektive, die es nahelegte, in der Gegenwart, an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, eine Zeit der Krise zu sehen, in der sich entscheiden musste, ob die Mächte des Lichts oder der Finsternis siegen würden und in welchem Maß Gott die Gläubigen durch Erfolge ihrer Widersacher auf die Probe stellen würde. Reformierte Theologen lasen auch deshalb das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, immer wieder, um in den Worten dieses Buches einen Hinweis auf die Ereignisse der Gegenwart zu finden.

Wie man die Apokalypse auslegte, zeigt ein Kommentar, der in England im Jahr 1617, also im selben Jahr, in dem Hoë von Hoënegg seine Predigten zum Reformationsjubiläum in Deutschland hielt, erschien: Richard Bernards A Key of Knowledge for the Opening of the Secret Mysteries of St. Johns Mysticall Revelation.31 Richard Bernard war unter denjenigen Theologen, die sich in England zu Anfang des 17. Jahrhunderts mit der Offenbarung beschäftigten, nicht untypisch; geboren 1568, kann er im weitesten Sinne des Wortes zu den Puritanern innerhalb der Church of England gerechnet werden und hatte zeitweilig sogar erwogen, die etablierte Kirche ganz zu verlassen. Er fand jedoch in einer Reihe von einflussreichen Geistlichen und Bischöfen der Kirche Jakobs I., die ja durchaus calvinistisch geprägt war, Gesprächspartner, die ihn davon überzeugten, seinen Frieden mit der offiziellen kirchlichen Ordnung zu machen. Er geriet erst nach 1630 wieder unter Druck, als auch gemäßigte Puritaner zunehmend marginalisiert und ausgeschlossen wurden und der Glaube an die eschatologische Bedrohung durch Rom nicht mehr wirklich als einigendes Band der Church of England fungierte. Um 1615 gehörte Bernard aber durchaus zum „Mainstream“ der englischen Kirche.32

Bernards Schrift gehörte zu einer Flut von Auslegungen der Apokalypse, die sich auf den Nachweis konzentrierten, dass Rom Babylon sei. Eine Schätzung geht davon aus, dass in England zwischen 1588 und 1628 etwa 100 Schriften dieser Art, die sich um eine systematisch begründete theologische Position bemühten, also nicht nur Alltagspamphlete waren, erschienen.33 Dazu gehörte auch die Abhandlung von Bernard, die freilich durch eine besonders große Fülle an Vorreden auffällt. So wandte sich Bernard an den Bischof von Bath and Wells, an die Richter der Londoner Gerichtshöfe, an die Friedensrichter, an die Soldaten, die er „our worthies of our David“ nannte, und – weniger überraschend – ganz allgemein an den christlichen Leser. Für Bernard standen Richter und Friedensrichter ebenso wie die englischen Soldaten oder martial men alle gleichermaßen im Heiligen Krieg gegen die Bestie aus der Offenbarung. Die einen fochten mit den Waffen des Rechtes, die anderen mit dem Schwert.

Bezeichnend war, dass Bernard den Vers 16 aus dem 17. Kapitel der Apokalypse – „Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, und das Tier, die werden die Buhlerin hassen und sie vereinsamt und nackt machen und ihr Fleisch verzehren und sie mit Feuer verbrennen“34 – nicht bloß als Prophezeiung deutete, sondern als ein Gebot, das die Könige der Welt – denn sie waren mit den zehn Hörnern gemeint – dazu aufforderte, sich von Babylon, dem sie gedient hatten, abzuwenden und es zu vernichten. Wie dieser Endkampf aussehen würde, daran ließ Bernard keinen Zweifel, denn an Elisabeth I., die für ihn die große Heldin des Heiligen Krieges war, hob er hervor, dass sie den Vers 16 aus Kapitel 16 der Offenbarung erfüllt habe: „und Blut hast du ihnen zu trinken gegeben“, indem sie in England alle katholischen Priester und Jesuiten habe hinrichten lassen – für Bernard ein wahrhaft gottgefälliges Werk.35

Aber ähnlich wie für viele andere Autoren, die sich von der Offenbarung inspirieren ließen, war der Kampf gegen die „Hure Babylon“ für Bernard immer auch ein Kampf gegen die fünfte Kolonne in den eigenen Reihen. Denn, wie er den Friedensrichtern, die für die Durchsetzung der antikatholischen Gesetzgebung auf der lokalen Ebene zuständig waren, darlegte, waren die church papists, also diejenigen Katholiken, die sich äußerlich anpassten und so taten, als seien sie Protestanten, viel schlimmer als die offenen Anhänger Roms. So schrieb er: „And assuredly if the times should turne, (which God forbid) wee should finde the Church-Papist and the politicke conformable Pseudo-Catholicke, more mercilesse and blood-thirstie against us, then the Recusant. Though the best of theme, no doubt at that day, would bee […] sharper then a thornie hedge, nay even as a woolfe in the evening.“36 Hier wird erneut sehr deutlich, dass die Angst vor der „fünften Kolonne“ in den eigenen Reihen, das tiefe Misstrauen gegenüber allen konfessionellen Kompromissen, das Denken der Menschen mindestens ebenso prägte wie die Furcht vor einer direkten Konfrontation mit dem konfessionellen Feind.

Eschatologische Deutungen der Gegenwart waren immer auch Stellungnahmen zu den konfessionellen Konflikten der eigenen Epoche, einschließlich der Konflikte innerhalb des protestantischen Lagers. Das wird auch an einer anderen einflussreichen Interpretation der Offenbarung des Johannes deutlich, an Thomas Brightmans Revelation of the Revelation, die 1609 in Frankfurt am Main als Apocalypsis Apocalypseos in Latein und 1615 in Amsterdam auf Englisch erschien. Brightman, der 1607 starb, war ein scharfer Kritiker der gegenwärtigen Verfassung der englischen Kirche, die er als unzureichend reformiert ansah. Auch nach 1590, als dies immer schwieriger wurde, hielt er an einer presbyterianischen Glaubensauffassung fest. Seine monumentale Auslegung der Offenbarung entstand gegen Ende der elisabethanischen Zeit, auch wenn sie erst einige Jahre später veröffentlicht wurde. Sie gehörte noch in den 1640er und 1650er Jahren zu den am häufigsten zitierten Kommentaren der Apokalypse. Brightman ist vor allem aus zwei Gründen wichtig: Erstens sagte er eine unmittelbare Herrschaft der Heiligen auf Erden nach dem Endkampf gegen das Papsttum – aber vor dem Jüngsten Gericht – voraus.37 Auch wenn für ihn die 1000 Jahre der Bindung des Satans, von denen die Apokalypse sprach, um 300 begonnen und um 1300 geendet hatten, also in der Vergangenheit lagen, bekannte er sich damit zumindest implizit zu einer Auffassung, die mit der Hoffnung auf eine Herrschaft Christi auf Erden verbunden war. Damit wurde er zusammen mit anderen Autoren wie Joseph Mede, dessen Clavis Apocalyptica 1627 auf Latein publiziert wurde, zur Inspiration für die „Fifth Monarchy Men“, die eben diese politische Vision in den 1650er Jahren in die Tat umsetzen wollten.38

Zweitens identifizierte er als Erster die englische Kirche mit einer der sieben Gemeinden aus Kapitel 2 und 3 der Offenbarung, und zwar mit Laodicea, während die deutschen Lutheraner der Gemeinde von Sardis entsprachen. Diese Deutung wurde in späteren Auslegungen – wie etwa auch bei Bernard – in unterschiedlichen Schriften immer wieder diskutiert und war überaus einflussreich.39 Von Laodicea heißt es: „Ich weiß deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist!“ (Offenbarung Kap. 3, Vers 15)

In der Tat war England für Brightman „lauwarm“, weil es sich nicht von den Traditionen des Papismus zu trennen bereit war. Seine Kirche war gekennzeichnet durch einen „mingle-mangle of the Popish Governement with pure doctrine“.40

Auf der anderen Seite – auch daran ließ Brightman eigentlich kaum einen Zweifel – war England eigentlich eine besondere Rolle im Endkampf zugedacht, denn die letzte Phase im Kampf gegen Babylon, der um 1690 mit der Zerstörung von Papsttum und Osmanenreich enden sollte, hatte 1558 mit der Thronbesteigung Elisabeth I. von England begonnen, die für ihn trotz ihrer zurückhaltenden konfessionellen Politik das Idealbild des gottesfürchtigen Herrschers schlechthin war und immer wieder durch Gottes unmittelbares Eingreifen vor den Angriffen der Papisten gerettet worden sei.41 Diese zentrale Rolle im Kampf gegen Rom würde England aber nur wahrnehmen können, wenn es seine eigene Kirche von dem Einfluss der Prälaten und der church papists reinigte. Am Ende freilich überwog eigentlich doch die Hoffnung gegenüber der Furcht vor einem Sieg der Mächte der Finsternis, so wie auch bei einem Zeitgenossen von Brightman, Arthur Dent, einem Pastor in Essex, der 1603 seine Auslegung der Offenbarung, The Ruine of Rome, veröffentlichte. Hier hieß es zwar einerseits: „God has a just controversie against us, as sometimes he had against Israel“, aber Dent sagte auch: „Popery shall never bee established againe in this kingdome“, denn wie könne das geschehen, „if the true faith were not to survive in England how could Rome be ruined […] how shall fire come down from heaven and devour both Gog and Magog?“42

In solchen Äußerungen fand eine Heilsgewissheit ihren Ausdruck, eine Hoffnung auf einen Sieg über die Kräfte der Finsternis noch im Hier und Jetzt, die für den Calvinismus sehr viel typischer war als für das Luthertum, das die Endzeit eher als Zeit geduldig zu ertragender Prüfungen sah.43 Auf dem Kontinent publizierte Johannes Piscator (1546–1625), der an der reformierten Hochschule in Herborn lehrte, 1613 eine große Auslegung der Offenbarung. Piscator war kein unbedeutender Theologe, denn er hatte zehn Jahre zuvor eine eigene reformierte Bibelübersetzung vorgelegt, die sich deutlich von der Lutherbibel unterschied – und von den Lutheranern entsprechend vehement abgelehnt wurde – und später zur gültigen Version der Bibel im reformierten Kanton Bern in der Schweiz werden sollte. Für die Auslegung der Offenbarung des Johannes war jedoch von entscheidender Bedeutung, dass Piscator die 1000 Jahre, in denen nach Off. Joh. Kap. 20 der Satan vor dem finalen Endgericht gebunden sein sollte, sodass Christus selbst über die Welt herrschen könne, in die Zukunft verlegte.44 An die Stelle des eher pessimistischen Blickes der Lutheraner auf die herannahende Endzeit trat hier eine potenziell optimistische, chiliastische Perspektive, ähnlich wie das etwa gleichzeitig bei Brightman in England der Fall war.

Piscator hatte einen erheblichen Einfluss auf einen weiteren reformierten Theologen, der ebenfalls vor 1618 in Herborn lehrte: Johann Heinrich Alsted (1588–1638). Alsted war auch mit hermetischen Geschichtsspekulationen vertraut, wie sie ihren Ausdruck etwa in der Fama Fraternitatis, die auf eine imaginäre Bruderschaft der Rosenkreuzer verwies und vom württembergischen Theologen Johann Valentin Andreae zusammen mit gleichgesinnten Gelehrten der Universität Tübingen verfasst worden war, gefunden hatten.45 Andreae und seine Mitstreiter, sämtlich Lutheraner, hatten in den Rosenkreuzer-Manifesten – neben der Fama (publiziert 1614) gehörten dazu auch die Confessio Fraternitas von 1615 und die Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreutz von 1616 – die Hoffnung auf eine grundsätzliche Erneuerung, eine Generalreformation, der Welt geweckt, deren treibende Kraft nicht zuletzt ein esoterisch-hermetisches Wissen um die innersten Zusammenhänge der kosmischen Ordnung sein sollte.46

Offiziell bekannten sich zwar die Autoren der Manifeste zur bestehenden weltlichen Ordnung und damit auch zur legitimen Autorität von Reich und Kaiser, deuteten aber doch an, dass in der nahen Endzeit der Adler – das Tier, das die Macht des Kaisers symbolisierte – vom Löwen bekämpft und besiegt werden würde. Diese Prophezeihung von einem endzeitlichen Löwen fand um 1600 eine stärkere Verbreitung, nicht zuletzt durch Schriften, die behaupteten, auf Paracelsus zurückzugehen, und zwar inspiriert von einem apokryphen Buch des Alten Testamentes, das sogenannte Vierte Buch Esra, in dem ein solcher Löwe als Widersacher des Adlers auftrat.47 In der Rezeption der Rosenkreuzer-Schriften, die zum Teil schon vor dem Druck der Fama über die Verbreitung handschriftlicher Kopien einsetzte, fanden die Hinweise auf einen „Löwen aus Mitternacht“, der das Haus Habsburg vernichten und damit auch das Papsttum stürzen werde, frühzeitig eine besonders starke Beachtung.48

Von solchen eschatologischen Spekulationen war auch Alsted beeinflusst. Er wurde für die reformierte Auslegung der Offenbarung, aber auch der Prophezeiungen des Alten Testamentes, besonders des Buches Daniel, nicht nur durch seinen im Lauf der Jahre immer expliziter werdenden Chiliasmus wichtig, sondern auch, weil er die Lehre von den vier Weltreichen deutlich anders interpretierte, als es der lutherischen Tradition entprach. Zwar fand Alsteds Neuinterpretation erst nach 1620 in entsprechenden Publikationen einen klaren Ausdruck, aber offenbar hatte er schon in den Jahren vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges eine Reihe von Schriften rezipiert, die die vier Weltmonarchien den Himmelsrichtungen oder Weltgegenden zuordneten und daher im Römischen Reich nicht die vierte, sondern die dritte, südliche Monarchie sahen, eine Auffassung, der sich Alsted selbst später explizit anschließen sollte.

Hier ist freilich zu berücksichtigen, dass die Identifikation der vierten Weltmonarchie mit dem römisch-deutschen Reich von reformierten, calvinistischen Autoren von jeher tendenziell abgelehnt wurde.49 Neu war jedoch nun der Gedanke, dass auf die dritte, südliche Weltmonarchie – so deutete es Alsted selbst in den 1620er Jahren an – eine vierte folgen würde, die ihren Ausgangspunkt im Norden Europas haben würde und an deren Spitze ein großer Eroberer stehen würde. Das war der auf das Vierte Buch Esra zurückgehende und schon in der Confessio Fraternitatis präsente „Löwe aus Mitternacht“ – eine Prophezeiung, die nach 1630 auf Gustav Adolph von Schweden bezogen wurde. Aber auch Friedrich V. von der Pfalz war um 1620 als König von Böhmen und Widersacher des Kaisers bereits von manchen radikalen Anhängern als ein solcher Löwe gesehen worden, der das römische Babylon zu Fall bringen würde.50 Entscheidend war überdies, dass unter deutschen Reformierten schon in den Jahren vor Ausbruch des Krieges der sakrale Status des Heiligen Römischen Reiches infrage gestellt wurde. Wenn das Reich nicht die letzte der großen Weltmonarchien war, wie die Lutheraner annahmen, dann erschien es denkbar, dass die politische Ordnung des Reiches noch in der Gegenwart durch eine neue, eindeutig protestantische Monarchie ersetzt werden würde. Solche Hoffnungen hatten auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf das politische Handeln der Reformierten im Reich in den entscheidenden Jahren 1618–1620.

Vor dem großen Krieg

Подняться наверх