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Das Erdlingsgehirn
ОглавлениеDie anderen sahen ihn noch immer skeptisch an. "Und was für eine Katastrophe soll das ein?" wollte eine ihm gegenüber sitzende Kollegin wissen.
"Nun, ich hatte da an einen Unfall in einem Atomkraftwerk gedacht", erwiderte der Expeditionsleiter.
"Aber die Atomkraft ist doch völlig unschädlich", wandte jemand ein.
"Für uns schon", räumte der Expeditionsleiter ein. "Wir sind ja auch immun gegen die dabei entstehende Strahlung. Für die Erdlinge stellt sie jedoch eine tödliche Bedrohung dar. Und weil diese Bedrohung unsichtbar ist und zudem auch noch Jahrhunderte nach der Nutzung des entsprechenden Materials fortbesteht, haftet ihr etwas ausgesprochen Unheimliches an. Wir müssen hier also nur ein ohnehin schon vorhandenes Bedrohungsgefühl aktivieren und verstärken, um unsere Ziele zu erreichen."
Die Kollegin ihm gegenüber schüttelte den Kopf: "Das verstehe ich nicht. Warum sollten die Erdlinge denn eine ineffektive Form der Energiegewinnung gutheißen, nur weil sie eine andere als für sie schädlich erkannt haben? Wir haben das Modell ja auch durch einen kurzen Blick auf unseren Simulator verworfen."
"Echte Simulatoren kennen die Erdlinge nicht", belehrte sie der Expeditionsleiter. "Stattdessen stellen sie umständliche Modellrechnungen an, die oft zu widersprüchlichen Ergebnissen führen und zudem leicht manipulierbar sind. Hinzu kommt, dass die Erdlinge das Denken als anstrengend empfinden – ihre Gehirne sind wohl einfach noch nicht so weit entwickelt wie unsere. Daher übernehmen sie lieber die Meinungen anderer, als ihre eigenen Schlüsse aus den Fakten zu ziehen. Dies kommt uns insofern entgegen, als wir nur die wichtigsten Meinungsführer auf unsere Seite ziehen müssen, um die Erdlinge in die von uns gewünschte Richtung zu lenken."
"Gibt es denn schon hinreichende Informationen zu diesen Meinungsführern?" erkundigte sich einer.
Der Expeditionsleiter nickte: "Ich denke, wir sollten uns vor allem auf die Repräsentanten der Umweltschutzbewegung stützen."
Da er die verständnislosen Blicke der anderen auf sich gerichtet sah, ergänzte er: "Die Erdlinge begreifen sich nicht als Teil eines Ganzen, sondern als etwas, das dem übrigen Existierenden auf ihrem Planeten gegenübersteht. Deshalb bezeichnen sie alles, was sie nicht als unmittelbaren Teil ihrer eigenen Welt – der Erdlingswelt im engeren Sinne – empfinden, als 'Umwelt'. Diese hat für sie in erster Linie dienende Funktion und wird von ihnen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse ausgebeutet. Wer sich als 'Umweltschützer' versteht, tritt für einen schonenderen Umgang mit dieser Umwelt ein – sei es, weil er ihr einen stärkeren Eigenwert zuerkennt als andere Erdlinge, sei es, weil er andernfalls gesundheitliche Gefahren für seine eigene Spezies befürchtet. Wenn es uns gelingt, in dieser Gruppe Anhänger für unser fiktives Projekt zu finden, verleihen wir diesem folglich einen sauberen Anstrich und erhöhen so allgemein dessen Glaubwürdigkeitspotenzial."
"Und wie soll das gehen?" meldete sich ein Kommissionsmitglied zu Wort, das schon die ganze Zeit über besonders auffällig die Stirn gerunzelt hatte. "Unser Simulator hat doch gerade auch für das, was die Erdlinge als 'Umwelt' bezeichnen, negative Auswirkungen vorhergesagt – speziell für Lebewesen, die sich durch die Luft bewegen."
"Ich sagte ja bereits – das Denken der Erdlinge erfolgt nicht unabhängig von ihren Gefühlen", wiederholte der Expeditionsleiter. "Wenn die Katastrophe, von der ich gesprochen habe, stark genug ist und so die gewünschten Emotionen freisetzt, wird das alle Bedenken gegen unsere Windstromgeschichte beiseitefegen."