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Die Anerkennung als Heldentum ist immer von der nachträglichen Genehmigung durch »obere Instanzen« – Männer! – abhängig. Alltagsfrauen dürfen nur Kinder loben. Erst wenn eine die Spitze einer Hierarchie erklommen hat, gilt ihr Wort richtungweisend – aber das auch nicht immer, denn alle, die ihre Position selbst bekleiden wollen (oder für »Besserwisserei« bezahlt werden wie Lohnschreiber), werden auf Ansatzmöglichkeiten für Kritik lauern und gegebenenfalls zur Attacke schreiten. Jemanden aus der Masse hervorzuheben – eben etwa durch die Bezeichnung als Held oder gar Heldin –, suggeriert nicht nur besondere Hochachtung, sondern auch Nachahmungsaufforderung für das ausgezeichnete Verhalten, und das nicht nur in der Hochkultur, sondern auch in den jeweiligen Subkulturen.

Auszeichnung besitzt Doppelsinn: Man kann jemanden positiv oder negativ »markieren« – so wie es auch von alters her Tätowierungen als Königs- oder als Sträflings-Marker gab. Manchmal kann diese Usance aber durcheinandergebracht werden. Ich kann mich noch gut erinnern, wie beeindruckt ich war, als ich als Kind in dem dänischen Familienmagazin Hjemmet (zu Deutsch »Heim«, vergleichbar etwa mit Frau im Spiegel oder Die ganze Woche) eine Rückenansicht des damaligen Königs Frederik, des Vaters der gegenwärtigen Königin Margarethe, sah, denn da gab es nicht nur die eine oder andere abgegrenzte Tätowierung, sondern er hatte sich als Marineoffizier gleich die ganze Rückenfläche voll bebildern lassen.

Belobigungsinstanzen waren früher die staatliche oder kirchliche Obrigkeit, heute sind dies vor allem die Medien. Ihr Lob lässt Nachahmung wachsen – und als Lob gilt vielen bereits, in Bild oder Text aufzuscheinen, egal ob positiv oder negativ. Deswegen sollten sozial unerwünschte Handlungen nicht explizit beschrieben werden. Als ich im Jahr 2010 für die Katholische Medienakademie ein Seminar zum Thema »Wie schreiben über sexuellen Missbrauch?« abhielt, plädierte ich aus den soeben genannten Gründen dafür, so unemotional wie möglich zu formulieren – ich wusste aus meiner beratenden und therapeutischen Praxis, dass gerade pädophil veranlagte Männer solche Zeitungsberichte sammelten und gleichsam als Pornoliteratur »genossen«. »Aber wir haben doch gelernt, möglichst emotional zu texten!«, protestierte die Seminarteilnehmerschaft. »Ja, schon – bei all den Themen, die zur Nachahmung herausfordern dürfen!«, konterte ich und erklärte: Beim Lesen von Sexualstraftaten werden bei manchen Menschen spontan sexuelle Phantasien ausgelöst, und viele registrieren dies auch unangenehm berührt und distanzieren sich von der »Quelle« – aber gar nicht so wenige bekommen die dadurch ausgelösten Gefühle nicht weg, sondern tragen sie als Zwangsgedanken tagelang mit sich herum (wie wir das von sogenannten Ohrwürmern kennen), und manche glauben, einzig durch Ausagieren ihrer Phantasien sich von diesen befreien zu können – so wie es Oscar Wilde im Bildnis des Dorian Gray formulierte: »Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist ihr nachzugeben.«

Unabhängig davon, ob es sich um Berichterstattung über Selbsttötungen handelt oder Gewalt (egal ob triviale, familiäre oder sexuelle), werden durch Worte geistige Bilder geschaffen; wenn es zu diesen keine Gegenbilder gibt, besteht die Gefahr (oder Chance), dass in entsprechenden Situationen das jeweils entsprechende »Vor-Bild« nachgespielt wird.

Wir alle lernen an Vorbildern, durch Einübung und durch »Lob«. Wenn wir für unser Verhalten Anerkennung – »Anerkennungsenergie« – bekommen, neigen wir zu Wiederholungen, und je öfter man etwas wiederholt, desto stärker ist es in unserem Verhaltensrepertoire verankert. »Semantisches Gedächtnis« heißt dies in der Fachsprache – im Gegensatz zum »episodalen« Gedächtnis, das durch schockierende oder ekstatische Erlebnisse gespeist wird; dabei ist zu bedenken, dass solch eine traumatisierende oder euphorisierende »Episode« durch Wiederholungen vom episodalen ins semantische Gedächtnis wandern kann. Damit lassen sich manche zwanghafte strafbare oder andere sozial problematische Verhaltensweisen erklären.

So hat eine meiner StudentInnen in dem von mir konzipierten und geleiteten Masterstudium PROvokativpädagogik an der Donau-Universität Krems ihre Masterarbeit dem Thema Heldentum gewidmet und dazu mit OberstufenschülerInnen nach Geschlecht getrennt jeweils einen Kurzfilm konzipieren und realisieren lassen und diese Prozesse begleitet, kommentiert und dokumentiert. Bei den Burschen kam eine Art Action-Movie mit all den traditionellen Männlichkeitsklischees heraus, bei den Mädchen eine Lovestory mit einem Retter für die ungerecht behandelte Heldin. Beides bewahrheitete neuerlich die Erfahrung, dass lieber Altgewohntes multipliziert wird, anstatt etwas Ungewohntes zu wagen.

Mut

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