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Helfer Angst

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Nun sagt man zwar, Mut erwachse aus der Überwindung von Angst, aber eigentlich ist solch ein »Sieg« nicht wirklich Mut, sondern nur ein Schritt weiter von dem Hängenbleiben in der Angst hin zu ihrer Integration. Diese beinhaltet immer auch Vernunft und Selbstfürsorge. Andernfalls würde es sich um Risikoblindheit handeln.

Das Wort Angst stammt von dem lateinischen angustus, »eng«. Wenn man Angst bekommt, pflegt man unwillkürlich den Atem anzuhalten – der Feind soll einen ja nicht hören und orten können – und die Schultern hoch und nach vorne zu ziehen – es soll ja einerseits die Halsschlagader, andererseits Herz, Lunge und Gedärm geschützt werden. Überhaupt werden die Angriffsflächen des Körpers verkleinert. Dass der Herzschlag stockt und Adrenalin ausgeschüttet wird, gehört auch zu diesem Totstellreflex – er soll die augenblicklich unnütze Reizwahrnehmung ausblenden, damit man die Gefahrensignale besser hören und spüren kann. Kurz darauf fällt dann die Entscheidung, ob man flüchten will oder sich der Gefahr stellen – und diese Wahl hängt davon ab, was man »gelernt«, d. h. welche neuronalen Muster man im Nervengeflecht für solche Herausforderungen »verankert« hat. Wer keine derartigen Erfahrungen besitzt, pflegt sich urtümlich wie ein Tier zu verhalten: Dann kämpft oder flüchtet man nicht, sondern »stellt sich tot«: Man ist in »Schockstarre« gelähmt.

Viele kennen das aus Prüfungssituationen: Da haben die einen das Gefühl, der Herzschlag sei gestockt und der Kopf mit Beton ausgefüllt, während die anderen mit Herzrasen und Schwindel reagieren. Dann liegt es an der Sensibilität und Humanität der Prüfenden, durch winzige Fragen in die angepeilte Richtung der dissoziierten – ohne Fachausdruck: »weg getretenen« – Person zu helfen, »wieder zu sich zu kommen«.

Mut besteht darin, der jeweiligen Angst liebend zu begegnen.

Mut ist keine militärisch oder quasimilitärisch eintrainierte Eigenschaft (wie uns vielfach weisgemacht wird) – das wäre nur gedankenlose Befehlstreue –, sondern ein Prozess. Mut beginnt mit der Wahrnehmung, dass etwas nicht »stimmt« – dass unsere innere Stimme uns sagt, dass etwas nicht so sein sollte wie es sich augenblicklich darstellt, und dass es geändert gehört. Wie, ist in diesem Moment noch nicht klar. Das Warum ist jeweils auch kritisch zu hinterfragen – es könnte ja bloß in eigenen Dominanzbedürfnissen wurzeln. Beides zu erkennen, braucht Zeit – aber diese verkürzt sich, je öfter man sich mit dieser Thematik problemlösend beschäftigt. Ich sage meinen Klientinnen oft, wenn sie meinen, schnelle Mut-Entscheidungen treffen zu sollen: »Der Graf von Monte Christo hat auch 14 Jahre für seine Flucht aus dem Château d’If gebraucht.«

Um Mut zu entwickeln – so wie ein Schmetterling sich aus seiner Verpuppung befreit –, braucht es nicht nur Eigenzeit und Eigeninitiative, sondern auch günstige Umstände. Die Notwendigkeit von Vorbildern wurde als Beispiel dafür bereits angeführt; sie sind wichtig nicht nur als Modell zum Abschauen, sondern auch für das Bewusstsein, nicht der oder die Einzige zu sein, die sich so oder so verhält. Die meisten dieser »Verhaltensentwürfe« sind allerdings nicht zur Nachahmung zu empfehlen: Papa Mundl Sackbauer (aus der Fernsehserie »Ein echter Wiener geht nicht unter«) traut sich zwar in der Familie herumzubrüllen, aber sonst schon gar nichts, und den Outlaws in den Westernfilmen bleibt oft nichts anderes übrig, als wild gegen Gesetz und Gesellschaft draufloszuagieren, das besagt ja schon diese Bezeichnung: Wer sich in der Gemeinschaft weder wertgeschätzt noch aufgehoben fühlt, erlebt sie logischerweise als Feind.

Zählt man die wöchentlichen Angebote an Kriminalfilmen allein im deutschsprachigen Fernsehen, drängt sich die Vermutung auf, Otto Normalverbraucher sollte einem Mentaltraining zum Kleinkriminellen unterzogen werden – denn er wird kaum Jurisprudenz studieren um Rechts- oder Staatsanwalt zu werden. Darüber hinaus besteht umgekehrt die Gefahr, dass sich Angst vor Gewalttätern immer und überall ausbreitet – denn Angst, die nicht bearbeitet wird, bleibt als geistiges Gift im Unbewussten und lähmt. Mich hat einmal der autosuggestive Satz eines Klienten sehr beeindruckt, der sich mit »Dort, wo die Angst ist, liegt der Weg!« selbst Mut machte. Darin liegt nämlich tiefe Wahrheit: Dort, wo man spürt, dass man zögert, liegt der nächste Entwicklungsschritt.

Mut

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