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Lernaufgaben

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Der Mensch muss schon früh versuchen, das zu wollen, was möglich ist, damit er auf das, was nicht sein kann (als nicht erstrebenswert), verzichtet und in dem Glauben leben kann, dass er das will, was vom Gesetz und der Notwendigkeit her unvermeidlich ist.

ERIK H. ERIKSON

Es war einmal … eine Plakataktion der Firma Palmers unter dem Schlagwort »Trau dich doch!«. Da ging es darum, der österreichischen Biederfrau Lust auf sogenannte Reizwäsche zu machen – und Mut. Denn damals galt es noch als unmoralisch, andere Materialien als Baumwolle an den durchwegs »vollschlanken« Frauenkörper zu lassen, und auch die industriell gefertigten Spitzen durften höchstens eine Breite aufweisen, wie sie Mädchen im Handarbeitsunterricht zwecks Verschönerung an quadratische Leinenflecke platzieren mussten (und die für den geplanten Einsatz als Taschentücher eigentlich viel zu derb waren). Apropos »Reiz«Wäsche: Wen sollte diese »reizen«? Mollige Wienerinnen oder Hiatamadeln mit »strammen Wadeln« (© Hubert von Goisern), die sich mit überschlanken Models in halbseidenen Posen identifizieren und dazu die passende Umrahmung kaufen sollten? Oder müde Alpinhengste oder Mundl Sackbauers daran erinnern, dass nicht nur Bier den Unterleib aktiviert? Oder ging es einfach nur um das »Sich-trauen«, den Mut, tief schlummernde Sehnsüchte ins Bewusstsein aufsteigen zu lassen, anstatt sie sofort als ungehörig bei sich selbst zu unterdrücken oder bei anderen zu bekämpfen?

Sich »trauen« hat viel mit Vertrauen, Zutrauen und Zutraulichkeit zu tun: Wenn man sich etwas traut, traut man sich die Bewältigung dieses Vorhabens zu – oder man traut sich den Widerstand gegen die jeweilige Auftraggeberschaft nicht zu; dann hat man zu dieser kein Vertrauen, und das macht meist auch Sinn – denn viele setzen listig unerwünschte Vertraulichkeit ein, um Bedenken oder Zweifel zu zerstreuen … Und oft erproben sie mit über-raschenden Vertraulichkeiten, ob sich das Gegenüber traut, sich zur Wehr zu setzen. Das potenzielle Opfer soll gar nicht zum Nachdenken kommen … Mut wird deshalb oft als Abwesenheit von Vernunft bezeichnet.

In der Zeit, in der ich noch Kommunalpolitikerin war (1973–1987), sagte mir einmal ein übergeordneter Kollege »im Vertrauen«, ich wäre vielen Funktionären zu »risikofreudig«, was er dann präzisierte als »ich würde zu oft meine Gedanken offenbaren« und damit die Konservativen – oder wohlwollender formuliert: Vorsichtigen – vor den Kopf stoßen. (Viele dieser meiner »zu progressiven« Gedanken2 wurden Jahre später dennoch verwirklicht – allerdings immer auf den medial verstärkten Druck der Oppositionsparteien hin.)

Wie sinnvoll es ist, Mut nicht als spontanes Draufgängertum hoch zu schätzen, wurde mir erst Jahre später bewusst. Es war Hochsommer, den meine Familie und ich in unserer kleinen Hütte in der Steiermark verbrachten; wir mussten damals über einen Tag kurz mal nach Wien, und als wir abends unser Häuschen erreichten, fiel mir sofort auf, dass ein Fenster offenstand. Dass unser Hund sich zitternd nicht aus dem Auto wagte, fiel mir nicht auf – denn nach der Frage an Mann und Kinder, ob jemand das Fenster schlecht zugemacht oder offenstehen gelassen habe, war ich schon flugs aus dem Auto heraus und über das offene Fenster ins Haus hineingeklettert – es dauerte mir zu lange, drei Schlösser aufzusperren. Den Platsch, den der Einbrecher machte, als er bei einem anderen Fenster hinaus und in den dort von uns für die Kleinen angelegten Spielteich hineinsprang, hörte ich nicht – nur die heftige Kritik meines Ehemannes, dass ich mich unnötig gefährdet hätte: Im Haus befand sich auch ein Gewehr. In den Tagen darauf erfuhren wir, dass der bereits von der Polizei gesuchte Mann in mehrere Hütten eingebrochen war und sich mit Lebensmitteln versorgt hatte – bei uns war der vollgepackte Rucksack am Küchentisch stehen geblieben – und dass er ein ehemaliger Fremdenlegionär und als gefährlich einzustufen war.

An all das hatte ich nicht gedacht. Ich hatte wohl irgendeinem filmischen Vorbild nachgeeifert – und in Filmen laufen die Bilder so schnell ab, dass man während des Zuschauens kaum zum Nachdenken kommt, sondern höchstens zum Mitfühlen – und zwar mit der Person, mit der man sich identifiziert, und das ist meistens die, aus deren Blickwinkel die Kamera geführt wird. Damit »erlernt« man aber auch unbewusst ein Verhaltensrepertoire.

Mut

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