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Zum Geleit

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Der, den Gott nicht mit seiner gewaltigen Hand zum Ritter schlägt, ist und bleibt in tiefster Seele feig, wenn nicht aus einem anderen Grund, dann, weil er zu stolz war, den Ritterschlag auszuhalten, da er wie jeder Ritterschlag das Bekenntnis der eigenen Unwürdigkeit fordert.

SÖREN KIERKEGAARD

Ein Mut-Buch zu schreiben erfordert Mut.

Jedes Buchvorhaben braucht schon einiges an Mut, werden nun wohl manche einwenden, ebenso Reden vor großem Publikum zu halten oder überhaupt in einer ungewohnten Rolle vor ein Publikum zu treten. Sogar erfahrene Schauspieler gestehen immer wieder, dass sie von Lampenfieber ergriffen werden, ehe sie die Bühne betreten ... Aber dann! Dann verfliegen diese fieberartigen Zustände, man wird ganz ruhig und man »funktioniert«: Man übt seine Funktion aus.

Ich nenne diese energetische Aufladung gerne »bräutliche Erregung«: Man hat eine Vorstellung davon, was nun geschehen soll, und ahnt doch auch, dass vieles schiefgehen kann – daher bringt man sich in einen kraftvolleren Zustand, um besser gegensteuern bzw. improvisieren zu können. Nach dieser besonderen Befindlichkeit kann man süchtig werden: Man sucht dann den Adrenalinstoß durch geplante Inszenierungen (und nicht alle davon sind »jugendfrei«). Aber was ist, wenn Unvorhergesehenes, Unplanbares über einen hereinbricht?

Wenn man sich mit einem bestimmten Thema befasst, kann man sehr häufig beobachten, wie themengleiche Situationen entstehen, gleichsam wie von Zauberhand inszeniert, in denen man viel Mut braucht.

Bevor ich diese Zeilen zu schreiben begonnen habe – außer Atem und mit einem zum Zerspringen klopfenden Herzen, und mich andauernd vertippend –, musste ich gerade zwei kämpfende Hunde trennen, meine sanfte Laika und die hochaggressive Cora, die vorübergehend bei uns in Kost ist, weil ihr Besitzer in Vorarlberg einen Film dreht. Wir wissen, dass Cora nicht mit anderen Hunden zusammentreffen darf: Sie nennt Pitbull-Gene ihr Eigen und hat ihren Besitzer schon viel Geld gekostet, wenn er Tierarztrechnungen zahlen musste. Nun hatte mein Mitarbeiter etwas Schweres aus dem Haus getragen, dabei die Haustür weiter und länger offen gehalten als üblich, und vergessen, dass Cora im Garten war – und Laika dachte wohl, jetzt kommt ihr gewohnter Abendspaziergang, und ist an ihm vorbeigehuscht und Cora hat sich voll Kampflust auf sie gestürzt – und dann haben wir zwei Erwachsenen in den Kampf eingegriffen und versucht, die beiden Hunde zu trennen.

In solchen Augenblicken reagiert man spontan – aber eben auch ohne viel vorauszudenken. Während meiner Aktion schoss mir schon durch den Kopf: Was ist, wenn ich jetzt schwer verletzt würde? Ich habe am nächsten Tag wichtige Termine in über 100 km Entfernung – ich muss Auto fahren können ... Und werde ich jetzt zum Tierarzt fahren müssen? Mit welchem Hund zuerst? (Allerdings war die Angreiferin, wie sich nach der Trennung gezeigt hat, überhaupt nicht blessiert – im Gegensatz zu meiner Hündin und meinem Mitarbeiter.) Jedenfalls habe ich eine Entscheidung getroffen: Cora darf nicht mehr ohne Beißkorb in den Garten und muss auch dort im Zwinger (einem abgeteilten großen Gartenstück) bleiben, wenn man sie nicht im Auge behalten kann. Immerhin kann sie in etwa drei Meter hoch springen … So süß sie auch anzusehen ist, so gefährlich ist sie. Ich werde ihr zur allgemeinen Warnung ein gelbes Halstuch verpassen.

Laika liegt nun erschöpft auf ihrem weichen Platz und leckt ihren linken Vorderlauf. Ich konnte keine Blutspuren entdecken1 – nur die meines unachtsamen Mitarbeiters, und den habe ich gleich verarztet.

Mein Pulsschlag hat sich wieder normalisiert. Ich kann daher dort ansetzen, wo ich unterbrechen musste.

In der psychoanalytischen Sozialtherapie sprechen wir von Parallelprozessen, wenn sich im Unterricht oder Training zwischen Menschen genau das abspielt, was das Thema des Lehrinhalts ist. So habe ich des Öfteren erlebt, dass sich Männer und Frauen in zwei einander befehdende Gruppen gespaltet haben, wenn es um das Thema Konkurrenz ging, oder dass eine Nachzüglerin bei Themen wie Eifersucht, Neid oder Exklusion und Solidarität große Schwierigkeiten erlebte, sich in die gerade erst gebildete Gemeinschaft einzufügen.

Für mich stellt auch das Verfassen dieses Buches eine große Herausforderung dar: Zuerst bin ich von der Verlegerin gebeten worden, möglichst auf lange Zitate und Fußnoten zu verzichten und viele Alltagsbeispiele zu beschreiben – und das bedeutet für mich nicht nur Abstand von meinem gewohnten Schreibstil nehmen (den ich ohnedies für sehr leserfreundlich halte, denn selbst Hochgebildete wollen sich am Abend entspannt fortbilden und nicht erst in Normalsprache übersetzen müssen), sondern auch damit rechnen zu müssen, dass Personen, deren Ego verlangt, sich anderen »überheben« zu wollen, nicht meinen Gedanken folgen, sondern nur auf Gelegenheiten lauern werden, mir eins auszuwischen (eine Lebenserfahrung von mir – und nicht nur von mir!).

Wir nehmen Menschen meist in ihren sozialen Rollen wahr – als ExpertInnen in Landwirtschaft, im Gewerbe, in Wissenschaft und Kunst, in Politik und Wirtschaft oder als Menschen mit Familie. Oder als solche, die sich »am Rand der Gesellschaft« befinden – wohin wir alle auch geraten können. Aber egal, in welche Schublade oder Rangordnung wir jemanden (oder uns selbst) einordnen – wir sind immer auch »nur« Menschen, im Jenseits alle gleich, und im Diesseits vielfach Sklaven unserer Wünsche und Ängste, Stärken und Schwächen. Wir werden mit Bewertungen eingeordnet: Das, was gesellschaftlich erwünscht ist, wird hoch bewertet, was unerwünscht ist, wird verachtet, geächtet und oft auch sanktioniert. Dazu dienen Vorbilder, und die kommen vielfach aus den Medien (und dabei die traditionellen wie Ansprachen, Lieder, Gedichte und Druckwerke insgesamt mitgemeint).

In meiner vierzigjährigen Ehe mit einem Journalisten und PRBerater habe ich immer wieder erlebt, wie anders Angehörige seiner Berufswelt – Verlegerschaft inklusive – denken als meine Kollegenschaft. »A G’schicht«, dozierte er oft, ist nur etwas, das das erste oder letzte Mal geschieht, oder ein Wunder oder ein Skandal. Und Skandale kann man herbeischreiben ... Vor welcher Zielgruppe sich hüten – und welcher sich beim Verfassen eines Mut-Buches anschließen? Meiner psychotherapeutischen Kollegenschaft, der Zuhörerschaft meiner Vorträge und Seminare, den Erwartungen potenziell übelwollender Rezensenten oder meiner Verlegerin und meinen LeserInnen? Da ich mich aber nicht nur für mutig halte, sondern auch für grundsätzlich kooperativ, entscheide ich mich für Letztere und bereite mich darauf vor, dass andere von mir den Mut zum Widersprechen einfordern werden, den sie selbst nicht aufbringen.

Aber wie der Vorarlberger Rundfunkjournalist Dr. Franz Köb als Moderator einer Podiumsdiskussion bei den Goldegger Dialogen aufzeigte: Jeder Mensch ist eine gefährliche Gelegenheit – und eine gelegentliche Gefahr … Ich wage also den Weg in die soziale Gefahrenzone.


Mut wird meist als Tapferkeit vor dem Feinde – wer auch immer das sei – verstanden. Bedenkt man aber, in wie vielen Wortkombinationen Mut steckt, merkt man, dass er eigentlich nur eine der vielen Formen von Gemüt darstellt. Auch wird Mut meist positiv bewertet – aber auch das ist nur die eine, die lichte Seite – es gibt auch eine dunkle.

Zu Beginn sollen dazu einige Fragen aufgeworfen und beantwortet werden wie etwa die, was genau unter dem Wort Mut verstanden wird, wer als mutig gilt und in welchen Situationen – und ob es da einen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt. Später folgen dann ausführliche Überlegungen, wie sich Mut aber auch Mutlosigkeit im Laufe der Lebensphasen entwickeln können – und wie man Gemüt und Mut selbstbestimmt fördern kann.

Deswegen soll aufgezeigt werden, dass man Mut – oder ebenso Mutlosigkeit – »lernt« und auch, wie jegliches Lernen konkret vor sich geht.

Mut

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