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Zivilcourage

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Wenn also immer wieder der Ruf nach mehr Zivilcourage laut wird, so braucht dies alltagstaugliche Vorbilder, und diese könnten durchaus auch die audiovisuellen Medien liefern – anstatt immer nur Negativbeispiele von altmodischem Heldentum bestehend aus Kampfszenen (und List und Tücke). Denn bei aller Wertschätzung gegenüber dem Mann und der jungen Frau, die sich beide in Deutschland in Raufereien eingeschaltet hatten und dabei zu Tode kamen und in »Nachrufen« in den Medien wegen ihrer Zivilcourage belobigt wurden – die Öffentlichkeit hat nur erfahren, was im Fall des Mannes die Kamera am Bahnhof aufgezeichnet hat bzw. was in beiden Fällen in der Tagesberichterstattung publiziert wurde, nicht aber, was konkret gesprochen wurde. Genau das – Sprache – aber ist der Angelpunkt, ob eine »Kommunikation« gelingt oder misslingt.

Sprache ist der Angelpunkt, ob eine »Kommunikation« gelingt oder misslingt.

Da Resümee meiner jahrzehntelangen Forschungen zu Gewalt gegen andere wie auch gegen sich selbst lautet: Sie wurzelt immer in einem – meist unbewussten – Vergleich. Entweder man vergleicht sich mit jemand anderem und fühlt sich unterlegen – dann versucht man den anderen oder die andere klein oder zu Nichts zu machen, also als bedrohliche Gefahr zu »vernichten«; oder man vergleicht sich in der augenblicklichen Situation mit dem eigenen Idealbild (das kann auch von einer Autorität vorgegeben und verinnerlicht worden sein) und versucht, das eigene Negativbild wegzubekommen. Zu dieser Entschlüsselung zählt auch die Identifikation mit jemand anderem, dem oder der Unrecht geschieht: Auch in diesem Fall folgt man einem Vorbild, mit dem man sich vergleicht, und ist dementsprechend entweder zurückhaltend oder vorpreschend, aber kaum »besonnen«. Die Augenblicksdynamik läuft so schnell ab, dass man kaum mit dem Denken nachkommt … Außer man hat dies »erlernt«, was bedeutet: wiederholt eingeübt und damit neuronal verfestigt.

In Krisenberufen, wo es darum geht, einem minutiösen Zeitplan zu folgen (wie beispielsweise in der Chirurgie, bei Feuerwehr, Militär, Polizei, aber auch in den »darstellenden« Berufen, ganze Orchester mitgemeint), werden die einzelnen Verhaltensschritte immer wieder eingeübt. Alle anderen Menschen kennen meist nur den Probe-Feueralarm aus ihrer Schulzeit: in Zweierreihen anstellen und eine bestimmte Wegstrecke diszipliniert, d.h. ohne zu drängen, und nach Anweisung gehen. Heute, wo der internationale Terrorismus zunimmt, braucht es aber für uns alle ein situationsgemäßes Verhaltensrepertoire. Die »Dornröschen-Strategie« – alle Spindeln verbieten, Dornröschen könnte sich ja stechen und den Fluch der bösen Fee erfüllen – nützt nicht, es kann ja immer jemand heimlich eine neue Spindel basteln. Es hilft nur umfassende Aufklärung und Bewältigungsmethoden einzuüben. Deswegen bin ich auch dafür, dass Landesverteidigung nicht mehr nur darin bestehen darf, körperlich für Notfallszenarien vorzubereiten, sondern Männer wie Frauen gleichermaßen umfassend auf Achtsamkeit und kreative Problemlösungen für jedwede Gefährdung unserer Sicherheit – Strom- und Wasserleitungen mitbedacht, aber auch psychotische Reaktionen traumatisierter Menschen berücksichtigend – zu trainieren.

Es gibt für alles immer noch eine zweite, dritte oder sonstwie andere Methodik; eine findet man in den sogenannten östlichen Kampftechniken: sich in die Gefahr – und die Gefahrenquelle – einfühlen und sie »von innen her« verstehen. So wie der Zen-Bogenschütze mit seinem Ziel »blind«, d.h. ohne einseitig »technischen« Denk-Akt, verschmilzt und daher auch im Dunkeln treffen kann, kann man auch mit jedem anderen Gegenüber »eins werden«. Der japanisch-amerikanische Professor der Buddhistischen Philosophie Daisetz Teitaro Suzuki schreibt im Vorwort zu Eugen Herrigels Zen in der Kunst des Borgenschießens: »Um wirklich Meister des Bogenschießens zu sein, genügen technische Kenntnisse nicht. Die Technik muss überschritten werden, so dass das Können zu einer ›nicht gekonnten Kunst‹ wird, die aus dem Unbewussten erwächst.« Schütze und Scheibe sind dann nicht mehr zwei entgegengesetzte Dinge, sondern eine einzige Wirklichkeit. Im Christentum nennen wir das »lieben«. In diesem Sinne könnte man daher auch formulieren: Mut besteht darin, der jeweiligen Angst liebend zu begegnen.

Mut

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