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7.

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Sven Nyberg, der um Mitternacht den Seeausguck an der Küste bezogen hatte, richtete sich gegen zwei Uhr plötzlich kerzengerade auf. Er vernahm deutlich die beiden Musketenschüsse, die in relativ kurzen Zeitabständen abgegeben wurden. Die kamen von der Bucht, daran gab es keinen Zweifel. Auf welchem Schiff waren sie abgefeuert worden? Egal. Tatsache war, daß es Verdruß gab.

Die See war leer, soweit er sie überblicken konnte. Die ganze Zeit über hatte er sie aufmerksam beobachtet. Es war ausgeschlossen, daß sich jemand mit einem Schiff oder auch nur mit einem Boot in die Bucht gepirscht hatte. Er hätte es bemerken müssen.

Folglich mußten diese beiden Schüsse mit Luis Carrero zusammenhängen. Einen anderen Grund konnte Sven sich nicht vorstellen. Hatte Carrero einen Fluchtversuch unternommen? Kaum vorstellbar, aber der Kerl war gerissen und gefährlich wie ein Sack voll Schlangen. Theoretisch konnte er aus der Vorpiek der Karavelle nicht entweichen. Aber vielleicht hatte er es fertiggebracht, den Posten zu überrumpeln.

Sven ließ seinen Blick erneut über die See wandern. Nichts – keine Bewegung. Es konnte also nicht sein, daß Spanier, Küstenhaie oder Eingeborene in die Bucht eingedrungen waren. Außerdem wären dann wahrscheinlich nicht nur zwei Schüsse gefallen.

Diese Schüsse – was hatten sie zu bedeuten? War Carrero auf der Flucht erschossen worden? Oder war er entwischt. Sven entschloß sich, zur Bucht zurückzukehren, um sich Gewißheit zu verschaffen.

Der Weg über die Felsen und durch das Gestrüpp war beschwerlich genug, aber Sven kümmerte sich nicht um die Kratzer, die er sich wegholte, als er sich ein wenig zu hastig durch ein Dornengesträuch zwängte. Es kam ihm jetzt auf Schnelligkeit an. Er mußte wissen, was da los war. Vielleicht konnte er, wenn Carrero tatsächlich auf der Flucht sein sollte, sogar etwas unternehmen, um den Mann zu stoppen.

Gut eine Viertelstunde mochte verstrichen sein, vielleicht auch eine halbe Stunde – da registrierte Sven rechts vor sich eine Bewegung. Sofort duckte er sich.

Das Gelände, das sich vor ihm erstreckte, war ziemlich unübersichtlich – wegen der vielen zerklüfteten und bizarren Gesteinsformationen und auch wegen des Gestrüpps, das allen Regeln der Natur zum Trotz direkt aus dem Fels zu wachsen schien. Dennoch: Sven erkannte im fahlen Mondlicht die Gestalt eines Mannes, die südwärts auf die Küste zuhastete. Der Mann schien Waffen bei sich zu tragen, eine Muskete war in seinen Fäusten zu sehen.

Sven erkannte, daß es sich um Luis Carrero handelte, und die Gewißheit durchzuckte und alarmierte ihn. Also doch – der Hund hatte es geschafft!

Sven legte mit der Muskete auf ihn an und schrie: „Carrero!“

Luis Carrero zuckte zusammen, als habe man mit einer Peitsche auf ihn eingeschlagen. Er wirbelte herum, riß die Muskete hoch und schoß, dann warf er sich in Deckung.

Irgendwie rechnete Sven nicht damit, daß Carrero ihn in der Dunkelheit wirklich treffen würde. Er hatte sich aufgerichtet, um richtig auf den Kerl zielen zu können, und dabei gab er sich zwangsläufig eine Blöße. Er wollte ebenfalls abdrücken, sah den Mündungsblitz von Carreros Waffe und dachte: Schieß genau hinein!

Aber etwas sprang ihn aus dem Dunkel an und grub sich siedendheiß in seine linke Schulter. Die Kugel! dachte er entsetzt – dann wurde er von der Wucht des Anpralls umgestoßen. Er stöhnte auf und biß die Zähne zusammen. Der Schmerz fraß sich von der Schulter durch seinen Oberkörper und schien ihn zu lähmen.

Carrero grinste triumphierend. Der Kerl, der ihn angerufen hatte, war zwischen den Felsen zusammengebrochen. War er tot – oder nur verletzt? Carrero rappelte sich wieder auf. Es spielte keine Rolle. Wichtig war nur, daß ihm der Mann nicht mehr gefährlich werden konnte.

Nichts rührte sich. Gut so, dachte Carrero. Er hatte keine Zeit, sich um den Gegner zu kümmern, sonst hätte er ihn mit einem zweiten Schuß in den Kopf endgültig niedergestreckt. Er durfte sich jetzt nicht aufhalten lassen. Wenn das Engländer-Pack ihm auf den Fersen war, dann hatte es den Schuß natürlich gehört und wußte, in welche Richtung es sich zu wenden hatte.

Carrero lief weiter. Die Muskete lud er nicht nach. Keine Zeit, dachte er, das erledige ich später. Er rannte durch die Dunkelheit und dachte an das, was er unternehmen würde, wenn er Arica erreichte. Boten mußten unverzüglich nach Potosi aufbrechen, damit der Provinzgouverneur Don Ramón de Cubillo gewarnt wurde.

Ein Landtrupp Soldaten sollte sich zu der Felsenbucht in Bewegung setzen, und alle verfügbaren Schiffe mußten auslaufen und Kurs auf den Rio Tacna nehmen. So wurde den Bastarden jede Fluchtmöglichkeit abgeschnitten. In einer kurzen Schlacht würde er, Carrero, sie vernichten.

Sven Nyberg gab sich keinen Illusionen hin. Er hatte zuviel Erfahrung und wußte genau, daß ihn die Kugel aus Carreros Muskete nicht nur gestreift hatte. Sie hatte, wie er vermutete, seine Schulter glatt durchschlagen. Wenn es so war, konnte er noch von Glück reden, daß keiner der Knochen verletzt war oder die Kugel im Fleisch steckte.

Aber die Schmerzen waren höllisch. Unendlich langsam richtete er sich halb wieder auf. Es flirrte vor seinen Augen. Eine Welle von Übelkeit stieg in ihm auf und setzte ihm zu. Er mußte sich übergeben. Ihm war hundeelend zumute. Alles drehte sich um ihn herum, und das zunehmende Schwindelgefühl drohte ihn umzureißen und erneut zu Boden zu werfen.

Aber er kämpfte dagegen an. Er bezwang die Übelkeit und biß die Zähne zusammen, daß sie knirschten. Er hob die Muskete, die ihm aus den Fingern zu gleiten drohte, drückte den Kolben gegen die Schulter und zielte noch einmal auf den Spanier, der sich über die Felsen entfernte.

Sven brach der kalte Schweiß aus. Du mußt es schaffen, hämmerte er sich ein, gib nicht auf. Wankend stand er auf den Beinen. Aber er vermochte sich zu halten.

Sein rechter Zeigefinger schien gelähmt zu sein. Warum gelang es ihm nicht, ihn zu krümmen? Schließlich klappte es doch. Aber Luis Carrero war schon weit entfernt, seine Gestalt schrumpfte im Licht des Mondes allmählich zusammen. Er drohte zwischen den Felsen zu verschwinden.

Sven taumelte, seine Hände und Arme zitterten. Er bebte am ganzen Körper, und die Kälte legte sich wie ein eisiger Panzer um ihn. Schwindelgefühle, Schmerzen, Schwäche und Übelkeit drohten ihn zu übermannen. Er stieß einen leisen Fluch aus und betätigte den Abzug der Muskete.

Es krachte dumpf, eine weiße Wolke Pulverqualm puffte hoch. Der Rückstoß fuhr hart in Svens Schulter. Er torkelte zurück, konnte sich aber doch noch fangen.

Carreros Lachen drang an seine Ohren. Wirkungslos war die Musketenkugel in der Nacht verpufft. Fehlschuß, dachte Sven, und er war sich seiner Ohnmacht bewußt.

Der Bastard lief weiter und tauchte unter. Die Nacht war sein Verbündeter. Gleich war er ganz weg – keine Aussicht mehr, ihn zu stellen.

Sven dachte an Hasard und die Kameraden, die nach Potosi unterwegs waren. Nein – ihr Unternehmen durfte nicht scheitern! Nicht durch Carrero. Carrero wollte nach Arica, das lag auf der Hand. Dort fand er alle Hilfe und Unterstützung, die er brauchte. Von dort aus organisierte er einen Gegenschlag – der sich vernichtend auswirken würde, denn damit saßen der Seewolf und sein Trupp in einer höllischen Falle.

Diese Gedanken trieben Sven voran. Wie durch ein Wunder hielt er sich noch auf den Beinen. Er stolperte, drohte in den Knien einzuknicken, raffte sich wieder auf und wankte weiter.

Die leergeschossene Muskete ließ er einfach fallen. Sie war ihm eine Last, und er konnte sie im Laufen nicht nachladen. Er griff zur Pistole. Die Pistole hatte nicht die Reichweite der Muskete, er mußte näher an Carrero heran, um ihn zu erwischen. Dieser Schuß durfte nicht fehlgehen!

Carrero warf einen Blick über die Schulter zurück und fragte sich, ob er dem Verfolger zwischen den Felsen auflauern sollte. Aber nein – der Hund torkelte wie ein Betrunkener. Er war angeschossen und konnte sich nicht mehr lange auf den Beinen halten.

Grinsend lief der Spanier weiter. Nicht mehr lange, und der andere würde zusammenbrechen. Wieder hatte er es einem von ihnen gegeben und etwas von dem heimgezahlt, was sie ihm angetan hatten. Vielleicht konnte er noch ein paar von ihnen abschießen. Sie würden auch den Verletzten finden und durch ihn aufgehalten werden.

Sein Vorsprung wuchs, dessen war er sicher. Seine Füße taten ein bißchen weh, aber das nahm er in Kauf. In Arica würde er sich neue Stiefel besorgen – handgearbeitete, weiche Langschäfter. Das war kein Problem. Er mußte nur den Hafen erreichen, dann fand alles seine Lösung.

Hart und scharf waren die Felsen, und jeder Schritt begann zur Plage zu werden. Aber das war ein Preis, den Carrero gern zahlte. Er hätte auch noch mehr Opfer gebracht. Nur fort – fort aus der Gefangenschaft, die den sicheren Tod für ihn bedeutete. Sie warteten nur darauf, ihn an der Rah hochzuziehen, sie bereiteten sich einen Spaß daraus, ihn zu quälen. Aber jetzt hatte er ihnen alles verdorben!

Sven tat noch ein paar Schritte, dann blieb er stehen.

„O mein Gott“, murmelte er.

Die Pistole entglitt seinen schlaff werdenden Fingern. Alles drehte sich, schneller als vorher. Die Schmerzen waren glühende Zangen, die in seine linke Schulter bissen.

Er tat noch einen einzigen Schritt, dann wurde es ihm schwarz vor Augen. Er stürzte auf die Felsen, aber den Aufprall spürte er schon nicht mehr, denn er war bewußtlos, als sein Körper den Boden berührte.

Seewölfe Paket 23

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