Читать книгу Seewölfe Paket 23 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 17
3.
ОглавлениеDie Strapazen steigerten sich. Die Männer wurden bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit geprüft.
Als sie den Tacora-Paß endlich überquert hatten, war es Nachmittag.
Der Himmel war von grauweißer Farbe, der Wind blies so eisig, daß sie die Kapuzen tief in die Gesichter gezogen hatten. Jeder trug unter der Kapuze noch eine Wollmütze. Ihre Hände steckten in den dicken Handschuhen, die sie vom Tacna-Kloster hatten. Die gefütterten Pelzjacken hielten die eisige Kälte ab, und im stillen schickte jeder der Männer einen Gruß an den alten Will Thorne. So eisigkalt und frostig hatten sie sich diese Regionen doch nicht vorgestellt.
Pater Aloysius fand, daß es immer noch nach Schnee roch, nach einem Schneesturm vielleicht, obwohl die hier relativ selten waren. Aber er hatte ein Gespür dafür entwickelt.
Selbst die Männer, die diese Regionen nicht gewöhnt waren, spürten, daß etwas in der Luft lag. Der Himmel hatte sich verändert. Aus dem Grauweiß war eine undefinierbare Farbe geworden, die an kalten Haferbrei erinnerte.
Nicht lange danach tanzten ein paar feine Schneeflocken durch die Luft. Der orgelnde Wind packte sie und trieb sie waagerecht auf den Trupp zu. Es wurden immer mehr Flocken, schließlich betrug die Sicht bestenfalls noch fünfzig, sechzig Yards. Wie scharfe Eiskristalle fegten die Schneeflocken heran.
Genau das hatte Pater Aloysius befürchtet. Wenn es hier einen Schneesturm gab, würde er die umliegende Bergwelt in eine brüllende Hölle verwandeln.
Er überlegte, ob sie zurück aufs Plateau sollten, aber der Weg erschien ihm zu weit. Es war besser, wenn sie sich beeilten, denn weiter vorn gab es ein paar Höhlen in einem Felszug. Außerdem befand sich bei den Höhlen eine Pukara, eine noch ganz gut erhaltene Festungshütte der alten Inka.
Als er diesmal sprach, hörten die Männer den besorgten Unterton deutlich heraus. Der kalte Wind wehte ihm fast die Worte von den Lippen, und er mußte laut brüllen.
„Es wird noch schlimmer werden, Männer! Schneestürme sind hier zwar selten, aber wir haben eben das Pech. Seilt euch jetzt hintereinander an und überprüft die Seilhalterungen, damit keiner verloren geht. Und dann Beeilung! Weiter voraus gibt es ein paar Felshöhlen. Die müssen wir erreichen, bevor die Schneeverwehungen den Pfad total versperren und unpassierbar werden lassen.“
Hasard begann schon mit dem Anseilen. Der Pfad war hier zwar etwas breiter, aber rechts von ihnen befand sich immer noch eine tiefe Schlucht, die jetzt kaum zu sehen war, als der Schnee immer dichter heranfegte.
Wenn das noch stärker wird, überlegte er, dann wird der Pfad schon allein durch die immer höher werdende Schneedecke unpassierbar. Der Pater hatte recht, wenn er jetzt zur Eile antrieb.
Aloysius schob sich an den Männern vorbei, um die Spitze zu übernehmen.
Inzwischen seilten sich auch die anderen jeweils am Vordermann an.
Das Heulen und Tosen wurde stärker. Es jaulte in schrillen Tönen, pfiff und orgelte, daß die Männer fast umgeblasen wurden. Eine Verständigung war nur noch laut schreiend möglich.
Der Schnee fiel jetzt so dicht und wurde so scharf herangeblasen, daß die Sicht nicht mal mehr auf den Vordermann reichte. Schritt um Schritt bewegten sie sich neben den Maultieren vorwärts. Pater Aloysius legte ein Tempo vor, daß selbst den abgebrühtesten Männern angst und bange wurde.
Wirbelnder, eisiger Schnee, scharf wie Millionen spitzer Dolche bohrte sich in die Kleidung, fand seinen Weg durch die kleinsten Schlitze in der Kleidung und drang schmerzhaft in die Haut. Schon bald waren die Augenbrauen weißverkrustet, die Wimpern fast gefroren und die Bärte voller Schnee.
Sie tappten mehr, als sie gingen, blindlings ins Ungewisse, jeden Augenblick daran denkend, daß ein Fehltritt den sicheren Tod bedeuten konnte. Die Schneebrillen konnten sie jetzt nicht aufsetzen, denn sonst sahen sie gar nichts mehr. Stenmark versuchte es einmal, doch er gab es gleich wieder auf, als sich der Schnee darauf festsetzte.
Aus den Kapuzen sahen nur noch schmale Schlitze hervor. Die Augen dahinter waren zu einem winzigen Spalt verkniffen. Trotz der warmen Kleidung begann die Kälte durchzudringen und sich festzusetzen.
Unter ihren Stiefeln knirschte und krachte der Schnee, als würden sie ständig über zersplittertes Glas laufen. Der Wind heulte noch stärker und trieb ihnen Unmengen Schnee entgegen.
Hasard folgte dem Pater wie blind. Es war ihm schleierhaft und unbegreiflich, wie dieser Mann zielstrebig durch die weiße Hölle aus Eis, Schnee und brüllendem Sturm den Weg fand. Zudem zog der Padre wie ein Ackergaul an dem Seil und riß die anderen mit. Hasard gab vor sich selbst zu, daß er längst die Orientierung verloren hatte. Er sah nichts mehr, nicht einmal mehr den Pfad, auf dem die Schneedecke immer höher wurde. Und doch rannte der Mann vor ihm fast. Dabei ging er elastisch, leicht federnd und doch so zielsicher, als liege heller Sonnenschein auf dem Weg und als gäbe es nicht die geringste Sichtbehinderung.
Die Schneedecke wurde höher. Sie wuchs beängstigend schnell. Dazu war der Schnee trocken wie Schießpulver. Sie marschierten durch ein brüllendes, tosendes Inferno und mußten sich nach vorn beugen, um nicht umgeweht zu werden.
Hin und wieder sah Hasard dicht vor sich einen Schatten, der auf und niederschwebte wie ein unwirklicher grauer Schemen. Der Schatten hatte es immer eiliger. Er kannte keine Müdigkeit, keine Erschöpfung. Er zog und zog, als hätte er den ganzen Trupp im Schlepp.
Sie selbst waren gegen diesen bergerfahrenen harten Tiroler Mönch bestenfalls „Flachland-Tiroler“, die das Tempo kaum mithalten konnten.
Der Schatten brüllte etwas, das Hasard nicht verstand. Aber es klang so ähnlich, daß sie es bis zum Abend vermutlich geschafft haben würden, falls sie das Tempo beibehielten.
Bis zum Abend! Schon jetzt war es fast dunkel. Der beißende Höllensturm war wie eine Wand, gegen die sie immer wieder anrannten und die nur mit Mühe und Kraft zu durchdringen war.
Hinter Hasard ging Pater David, der riesenhafte Mann, der selbst den Seewolf und Carberry noch überragte. Auch er hatte zu kämpfen und war schon außer Puste. Dem Profos erging es nicht anders.
Verdammt, dachte er, wenn dieser mistige Pfad wenigstens eben wäre, aber es ging immer noch bergauf, als wollten sie den Himmel stürmen.
Und ein Ende dieser eisigen Tortur war vorerst noch nicht abzusehen. Jetzt konnte man schon die Männer auf der „Estrella de Málaga“ und die der „San Lorenzo“ beneiden. Die hockten geschützt an Bord, tranken kühles Bier und klönten. In diesen Höhen wäre ihnen das Bier sicher schnell gefroren. Hier half ein „Wässerchen“ wesentlich mehr und wirkte wahre Wunder.
Carberry wäre gern einmal stehengeblieben, um an jeden Mann einen wärmenden Schluck zu verteilen. Doch an der Spitze schien ein ausgewachsener Elefant zu traben, der mühelos alles hinter sich herzog und ein Tempo vorlegte, daß einem die Luft wegblieb.
Der Profos fluchte verhalten, doch der fauchende und brüllende Schneesturm riß ihm die Worte von den Lippen. Nicht mal der Hintermann verstand andeutungsweise, daß er fluchte. Die Luft wurde immer knapper, der Wind noch eisiger, und der brüllende Schneesturm nahm noch an Heftigkeit zu.
Zu sehen war nichts mehr, absolut nichts. Nicht mal die eigene Hand sah man mehr vor den Augen. Der peitschende Schnee hüllte alles ein, deckte alles zu, webte ein riesiges Leichentuch über die Berge und Pfade und ließ es vereisen.
Da schmerzten die Beine, stachen die Lungen, jagte das Herz, da drohte der Schädel zu zerspringen, und da war die eisige Kälte, die sich immer tiefer in die Knochen fraß. Hinzu kam das heftige Prickeln der Schnee- und Eispartikel, die immer wie nadelspitze Dolche heranfegten und alles durchbohrten.
Diese brüllende und eisige Hölle schien nie mehr ein Ende zu nehmen. Mechanisch setzten sie Fuß vor Fuß und folgten dem jeweiligen Vordermann, mit dem sie durch das Seil verbunden waren. Ohne dieses Seil passierte es, daß ein Mann strauchelte. Sobald es dann einen Ruck gab, stemmten die anderen die Beine fest in den Schnee.
Jeder fragte sich beklommen, ob es diesen fürchterlichen Abgrund neben ihnen noch gab, der jetzt durch das Schneetreiben nicht mehr zu sehen war. Befanden sie sich noch auf dem Pfad, oder war der längst breiter geworden?
Außer Aloysius konnte keiner diese Frage beantworten. Sie folgten ihm blind und mußten sich auf ihn verlassen. Um die Führung beneidete ihn niemand. Die konnte nur ein Mann halten, der diese kalten Regionen der Tierra helada wie seine Hosentasche kannte. Aloysius schien selbst durch dicke Schneewände noch sehen zu können.
Der Profos streckte einmal die Hand nach links aus. Sie stieß an harten Fels. Dann bückte er sich im Gehen und tastete weiter nach rechts hinüber.
Da war nichts, wie er entsetzt feststellte. Also befanden sie sich noch auf diesem lebensgefährlichen Ziegenpfad, den er beinahe für immer verlassen hätte.
Von vorn erklang lautes Brüllen. Aloysius ließ das Seil etwas durchhängen, damit Hasard merkte, daß er anhielt, und er nicht auf ihn aufprallte. Das hätte den ganzen Trupp ins Schleudern gebracht. So blieb einer nach dem anderen stehen.
Der Pater drehte sich um und legte die Hände trichterförmig an die Lippen: „Der Steilpfad ist hier zu Ende! Wir bewegen uns jetzt gleich über ein riesiges Hochplateau! Dort erreichen wir einen Felszug und damit die Höhlen in den Bergen! Bitte weitersagen!“
Hasard brüllte die eben gehörten Worte weiter nach achtern. Der letzte Mann verstand immer noch nichts, und so gingen die Worte wie ein Lauffeuer von Mann zu Mann, bis sie endlich auch den letzten erreichten.
Die zweite Anordnung lautete, daß jeder am Seil bleiben und keiner es lösen sollte, weil das Hochplateau ebenfalls seine ganz besonderen Tücken hätte.
„Mich kann nichts mehr erschüttern!“ brüllte der Profos. „Viel mehr Tücken als dieser Mistpfad kann es auch nicht haben!“
Niemand verstand, was er sagte, aber mehr oder weniger dachten doch alle das gleiche. Sie brauchten nicht mehr so dicht am Abgrund zu gehen, und das war schon eine Erleichterung.
Das Plateau erwies sich jedoch ebenfalls als recht tückisch. Über die gewaltige Hochfläche pfiff der Wind noch stärker. Hier konnte er ungebrochen seine volle Kraft entfalten, und das tat er auch mit einer geradezu bestialischen Wut. Er pfiff, röhrte und orgelte wie auf hoher See, wenn ein wilder Orkan losbrach. Ganze Schneewände trieb ihnen der Wind gegen die erschöpften Körper. Dazu ging es wieder leicht bergan auf einem tückischen Untergrund, der stark vereist war.
Hier mußten sie sich regelrecht vorwärtskämpfen, mit aller Kraft, die sie noch hatten. Sie krochen fast über den Boden, sonst hätte der wildjaulende Sturm sie umgeblasen.
Es mußte jetzt gegen Abend sein, wie sie vermuteten. Zu sehen war immer noch nichts. Sie hatten nicht einmal eine ungefähre Vorstellung von der Fläche, über die sie sich bewegten. Ihre Dimensionen blieben vorerst unbekannt. Sie hatten nur gehört, daß es ein gewaltiges Hochplateau wäre. Aber hier war alles gewaltig, hier war alles Superlativ, gigantisch, unermeßlich hoch oder unauslotbar tief.
Einmal schlug Dan O’Flynn der Länge nach hin. Er rutschte auf der glatten Fläche ein Stück zur Seite, bis ihn die anderen abfingen. Dann glitt Gary Andrews fluchend aus, etwas später erging es dem Seewolf und Ribault ebenso.
Und immer noch pfiff und heulte der Sturm sein nicht endenwollendes eisiges Lied. Mit Urgewalten orgelte er heran, hob die Schneemassen hoch und schleuderte sie ihnen entgegen.
Die eisigen Regionen prüften die Eindringlinge auf Herz und Nieren, und wer ihnen nicht standhielt, den brachten sie gnadenlos um oder warfen ihn in klaffende Abgründe und ließen ihn einfach liegen. Der eisige Schnee wob sein Laken darum.
Man konnte sehr schnell aufgeben in dieser gnadenlosen Bergwelt der eisigen Tausender. Wer einmal vom Weg abkam, war verloren, er würde im peitschenden Schneesturm nicht lange überleben.
Das wußten sie alle, sie erfuhren es mit jedem Augenblick, daß die Berggiganten kein Erbarmen kannten, und so kämpften sie sich mit letzter Kraft weiter.
Ewigkeiten vergingen im Geheul des Sturmes, Minuten zogen sich endlos in die Länge und wurden zur körperlichen Qual.
Dann ließ der heftige Sturm unvermittelt etwas nach. Auch das Schneetreiben war nicht mehr so dicht.
Pater Aloysius blieb stehen. Die Umrisse seines Körpers waren wieder einigermaßen erkennbar.
„Wir sind gleich da!“ rief er. „Links von uns befindet sich der Felszug mit den Höhlen! Nur ein paar Minuten noch!“
Den Männern klang es wie liebliche Musik in den Ohren. Sie waren total ausgelaugt, erschöpft, erledigt, durchgefroren und kaum in der Lage, ein Bein vor das andere zu setzen. Den Rest der Strecke stolperten sie mehr, als sie gingen.
Aber sie bewunderten insgeheim den Padre, dem man nichts von den Strapazen ansah. Der kletterte immer noch leichtfüßig wie eine Gemse bergan und schien frisch und munter zu sein.
Der Schnee wehte jetzt in größerer Höhe über sie hinweg. Hoch über ihren Köpfen heulte und jaulte es in schrecklichen Tönen.
Dann tauchte der im Windschatten liegende Bergzug vor ihnen auf.
Carberry zuckte zusammen, als sein Diego unvermittelt einen trompetenähnlichen Ton ausstieß.
„Klar, du freust dich auch auf die Höhlen“, sagte er, aber er kannte seinen Diego offenbar doch noch nicht richtig, denn der drückte keineswegs seine Freude aus. Es war nur ein Schrei der Angst, und ein Schrei, der die anderen warnen sollte.
Noch ehe jemand richtig begriff, was geschah, schoß aus einer der kleineren Höhlen im Fels ein langgestreckter grauer Schatten. Der blitzschnell durch die Luft jagende Schemen stieß ein wildes Fauchen aus und brüllte laut auf.
Dann sprang der Schatten eins der erbärmlich schreienden Maultiere an und riß es mit einem Satz zu Boden.
Ein Puma! Und er schien sehr hungrig zu sein, so hungrig, daß er sich an den Männern nicht störte.
Hasard und seine Männer reagierten nicht einmal halb so schnell wie Pater Aloysius. Sie begriffen im ersten Augenblick auch gar nicht, was hier passierte. Sie sahen nur den langgestreckten Schatten, der das Maultier umgerissen hatte und jetzt fauchend und brüllend nach dem Tier hieb.
Pater Aloysius fuhr blitzschnell herum. Noch während er den fauchenden und brüllenden Puma fixierte, riß er einen scharfgeschliffenen Dolch aus dem Gürtel, eine Art Hirschfänger, der jedoch ganz spitz zulief.
Der Puma schlug mit der Pranke nach dem Muli, das am Boden lag und wild mit den Hufen um sich keilte. Die anderen Mulis waren verängstigt ein paar Schritte auf die Höhle zugelaufen. Ihre Flanken zitterten vor Angst.
Da war der Padre mit ein paar mächtigen Sätzen heran. Er rannte direkt auf die sich wie wild gebärdende Raubkatze zu, in der Rechten das lange Messer, die Linke abwehrend von sich gestreckt.
Der Puma fuhr fauchend herum, als er den Mann sah. Aber er wollte auch seine Beute nicht loslassen. Die rechte Pranke fuhr rasend schnell durch die Luft, als wolle sie den Mann hinwegfegen.
Pater Aloysius warf sich auf die fauchende Bestie. Mensch und Tier bildeten für Augenblicke ein wildes Knäuel.
Ein Prankenhieb streifte den Padre an der linken Schulter. Die Raubkatze versuchte zu beißen, doch Aloysius schob den Arm wie eine gewaltige Ramme vor und stach mit aller Kraft zu. Sofort danach stach er noch einmal zu.
Ein wildes heiseres Fauchen erklang. Der Puma bäumte sich auf, fiel auf den Rücken und schlug mit den Pranken um sich. Dann begannen die Pranken wild zu zucken. Die Muskeln erschlafften, das Tier rollte auf die Seite, zuckte noch einmal und lag dann still.
Das Muli erhob sich und rannte wie verrückt in die große Höhle.
„Dort geht es hinein“, sagte Aloysius und zeigte auf den dunklen Eingang der Höhle. „Dort sind wir vorerst in Sicherheit. Den Puma werde ich später aus dem Fell schlagen.“
Die Männer starrten ihn an wie einen Geist. Der Pater schien über nie versiegende Kraftreserven zu verfügen. So ganz nebenbei erledigte er auch noch eine fauchende und hungrige Wildkatze.
„Alle Achtung“, sagte Hasard erschöpft. „So schnell hätte von uns keiner mehr reagiert.“
„Man gewöhnt sich an alles“, erwiderte Aloysius trocken. „Ich konnte doch nicht zulassen, daß er das Maultier niederreißt. Schließlich haben wir ja nur diese acht.“
Vier Höhlen gab es insgesamt, und weiter oben befand sich eine Pukara, direkt an den Hang gebaut. Aber in die ehemalige Festungshütte der Inkas wehte der Schnee. Außerdem war sie teilweise verfallen.
In einer der kleinen Höhlen hatte der Puma gelauert Aloysius verspürte noch jetzt deutlich den Geruch der Raubkatze, als er die Höhle vorsichtig untersuchte und ableuchtete. Es war ja möglich, daß der Puma nicht allein war. Es gab jedoch keine weiteren Raubtiere in den Höhlen.
Die Maultiere wurden „gelöscht“, wie Carberry sagte. Er lud seinem braven Diego die Klamotten ab und packte sie auf den Boden. Die große Höhle war so geräumig, daß im angrenzenden Teil alle Mulis bequem Platz hatten.
Dann wollte er Diego den Hals kraulen, aber das Maultier war diesmal nicht sehr begeistert darüber. Der Schreck über den Puma steckte ihm noch in den Knochen. Und das andere Maultier, das der Puma fast gerissen hätte, stand verloren und verstört ganz im Hintergrund und scharrte mit den Hufen.
Hoch über ihnen orgelte der Schneesturm. Er stürmte aus voller Kraft, aber sie befanden sich gewissermaßen in Lee, denn diese Stelle konnte der brüllende Sturm nicht erreichen. Die Felsen boten hervorragenden Schutz.
Der Profos tastete sich mit einer Fackel hinaus und suchte im Windschatten der Felswände nach Krüppelholz, das der Wind zusammengeblasen hatte. Auch von dem trockenen Gras fand sich eine ganze Menge. Etwas später half ihm Matt dabei. Sie sammelten eine Menge zusammen, breiteten Decken aus und entzündeten in der Nähe des Eingangs ein Feuer. Dann wärmten sie sich erst einmal die erstarrten Hände.
Carberry kramte die Kiste hervor und brachte „Wässerchen“ zum Aufwärmen. Die wärmten von innen und taten es noch schneller als das Feuer. Sie explodierten fast im Magen. Wohlige Wärme breitete sich aus.
Auch die beiden Padres hielten mit.
„Nachher gibt’s noch was Feines“, verkündete Dan O’Flynn. „Wir bereiten heißen Wein und gießen ein Schnäpschen hinein. Das vertreibt dann endgültig die Kälte aus den Knochen.“
Zunächst aber wurden zwei Kessel über das Feuer gehängt. Es gab Bohnen mit Speck und indianisches Maisbrot. Die Männer, immer noch ausgelaugt und müde, langten kräftig zu.
„Jetzt ist es richtig gemütlich hier“, sagte von Hutten. „Da draußen hätte ich es keine zwei Stunden mehr ausgehalten. Das gebe ich ganz ehrlich zu. Es ist eine einzige Strapaze.“
„So ein Schneesturm kann mitunter ganz unangenehm sein“, sagte auch Aloysius. Er hatte auf einer Decke Platz genommen und sah so aus, als sei er frisch und ausgeruht. Seine gefütterte Jacke hatte er ausgezogen. Jetzt langte er kräftig in die Bohnen mit Speck.
Auch die Mulis waren inzwischen versorgt worden. Die Männer hatten den einen Kessel mit Schnee gefüllt und ihn über dem Feuer geschmolzen. Das Wasser, das die Mulis dann soffen, war lauwarm. Sie schlürften es mit sichtlichem Behagen und fraßen Mais dazu.
Als Dan O’Flynn sein heißes Weingebräu ansetzte, sah er, daß Fred Finley, Gary Andrews und Mel Ferrow schon schliefen. Sie hatten sich an die Felswand gelehnt, die Decken ins Kreuz gesteckt und pennten einen weg.
Kein Wunder, auch die anderen waren hundemüde, aber auf das heiße Gesöff wollten sie dennoch nicht verzichten.
Inzwischen ging Aloysius hinaus und kehrte kurz darauf mit dem erlegten Puma zurück, den er einfach hinter sich herzog.
„Bist du nicht müde, Padre?“ fragte Hasard erstaunt.
„Nun, ich möchte mir das duftende Gebräu auch nicht entgehen lassen, und ehe ich herumsitze und die Hände in den Schoß lege, kann ich ja den Puma aus dem Fell schlagen. Es ist ein herrliches Fell.“
Draußen kreischte, tobte und heulte es, als stünde der Weltuntergang unmittelbar bevor. Hier drin war es richtig anheimelnd. Da brannte das Feuer, da blubberte der heiße würzige Wein in dem Kessel, und da hockte Aloysius am Boden und zog der Katze das Fell über die Ohren. Den Kadaver warf er nach draußen in den Schnee, denn das Fleisch der Raubkatzen schmeckte nicht, wie er sagte.
Der Profos lehnte an der Wand und grinste vor sich hin, während er vorsichtig an dem heißen Wein nippte. Jetzt müßte Paddy Rogers hier sein, dachte er, der hätte sich um das Fell des Pumas den Teufel gekümmert, aber nicht um das Fleisch. Der hätte vermutlich die ganze Raubkatze über dem Feuer geröstet und auch allein gefressen, so hungrig wie er immer war.
„So ähnlich verfahre ich auch immer“, sagte er schläfrig. „Aber bei mir ist das schwieriger.“
„Wovon redest du, Bruder?“
„Davon, daß ich hin und wieder manchen Rübenschweinen die Haut in Streifen von ihren Affenärschen abziehe. Bei einem Puma habe ich das noch nicht versucht.“
Der Padre lachte verhalten, dann drehte er sich zu Ed um. Aber der lehnte bereits an der Wand und schlief. Auch die anderen nickten schnell ein. Selbst der Seewolf vermochte kaum noch die Augen offen zu halten.
Pater Aloysius hatte dafür volles Verständnis. Diese Höhen schafften selbst die härtesten Kerle. Er ging zu jedem einzelnen Mann hinüber, nahm eine Decke und hüllte ihn darin ein. Er selbst legte sich erst dann schlafen, als er das Pumafell restlos gesäubert hatte.
Sie schliefen den Schlaf der Erschöpfung bis weit in den Morgen hinein.
„Wir werden heute noch hier bleiben müssen“, sagte der Pater. „Der Schneesturm hat sich zwar gelegt, aber es weht immer noch Schnee heran. Es ist auch besser, wenn sich alle noch einmal gründlich ausruhen. Man gewöhnt sich dann besser an die Höhenunterschiede.“
Hasard sah das natürlich ein, denn immer noch waren einige von ihnen von Kopfschmerzen geplagt.
„Wie du meinst, Padre. Dann brechen wir morgen auf. Das wäre dann der elfte Dezember, wenn ich richtig gerechnet habe.“
„Richtig. Morgen ziehen wir dann weiter.“
„Wenn ich hier ständig leben müßte“, sagte Hasard, „dann wäre ich nur noch ein halber Mensch. Wie halten die Indios das eigentlich aus?“
„Sie sind der dünnen Luft angepaßt, genau wie auch die Tierwelt. Die Quechua-Indianer haben beispielsweise einen sehr breiten Brustkorb. Ihr Herz ist wesentlich größer als das unsere und pumpt dementsprechend auch mehr Blut durch den Körper als ein normales Herz. Wir haben in der Puna einmal ein totes Vicuña gefunden. Das Tier ist ganz besonders flink und schnell, und so haben wir es aus Neugier aufgeschnitten. Wir fanden ein übergroßes Herz und eine ungewöhnlich große Lunge in seinem Körper, viel größer als die der normalen Tiere. Der Herr da oben hat das wunderbar durchdacht.“
„Ja, das hat er.“
Carberry linste zu dem Pater hinüber und grinste schief.
„Eins hat der Herr aber vergessen“, sagte er.
„Fang aber nicht wieder mit dem Öl des heiligen Vaters an“, warnte Aloysius.
Der Profos schüttelte den Kopf und strich über seinen Bart. Sie alle hatten tagealte Bärte und ließen sie wachsen.
„Man müßte sich mal gründlich waschen können“, sagte Ed. „Ich fühle mich bereits wie ein Rübenschwein, ein ungewaschenes. Da hätte der Herr doch schon mal in der Nähe ein Bächlein fließen lassen können, damit sich seine Schäfchen den Dreck abspülen können.“
Aloysius verschränkte die Arme über der breiten Brust. Sein Lächeln war diesmal unergründlich.
„Vielleicht läßt er eins fließen, Bruder. Du weißt ja, der Herr hat ein Ohr für alle Wünsche.“
„Und du hast einen besonders guten Kontakt zum Herrn, Bruder. Vielleicht kannst du ihn daraufhin mal ansprechen.“
„Mal sehen“, erwiderte Aloysius trocken. „In einer stillen Stunde werde ich mit ihm reden.“ Er lächelte immer noch so unergründlich. Ed musterte ihn, aber er konnte das Lächeln nicht deuten. Fast erschien es ihm etwas schlitzohrig. Aber er wollte dem guten Padre um Himmelswillen nichts unterstellen.
Den Tag verbrachten sie in oder vor der Höhle. Der Sturm heulte immer noch und trieb den Schnee über die Berghänge. Das Schlimmste war jedoch vorüber.