Читать книгу Seewölfe Paket 20 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 14

9.

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Eine Stunde nach Mitternacht wurde Don Antonio de Quintanilla auf höchst brutale Weise aus dem Schlaf gerissen. Jemand hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür seines Gemaches. Entsetzt fuhr er hoch und rief mit schriller Stimme: „Wer da? Wache! Was ist los?“

„Ich bin die Wache, Señor!“ rief der Posten, der draußen stand.

„Was fällt dir ein?“ schrie Don Antonio. „Ich werde dich auspeitschen lassen, du Hund! Nichts kann so wichtig sein, daß man mich deswegen aus dem Schlaf reißt!“

„Doch, Señor! Befehl vom Stadtkommandanten – ich soll Sie alarmieren! Der Gefangene ist geflohen!“

„Was?“ Mit einem Satz war Don Antonio auf den Beinen – eine erstaunliche Leistung für einen Mann seiner Körperfülle. In Windeseile kleidete er sich an, ohne seine Lakaien zu rufen, denn das wäre nur ein Zeitverlust gewesen.

Dann eilte er hinaus. Er verzichtete auf seine Kutsche und hastete in Begleitung von vier Soldaten zu Fuß zum Stadtgefängnis. Nie hatte er sich derart verausgabt.

Don Ruiz de Retortilla, der seinerseits vom Kerkerkommandanten benachrichtigt worden war, war ebenfalls zur Stelle. Fassungslos verfolgten sie, wie die Toten geborgen wurden.

„Sechs Tote“, sagte der Kerkerkommandant mit erbitterter Miene. „Der Sargento hat sie gefunden, als er zufällig aufstand und nach dem Rechten sah. Irgendwie muß er so was wie eine Ahnung gehabt haben. Er hat auch die Zelle leer vorgefunden.“

„Wie konnte das geschehen?“ fragte Don Antonio.

„Er hat die Kette aus der Mauer gebrochen“, antwortete der Kommandant.

Jetzt brauste Don Antonio auf. „Was? Nicht einmal das Stadtgefängnis ist sicher? Das ist Ihre Schuld, Señor! Dafür sind Sie verantwortlich!“

„Sie vergessen, über welche enormen Kräfte diese Bestie verfügt, Don Antonio“, sagte Don Ruiz.

Ja – Caligula war ein wilder Riese, der Eisen mit den bloßen Händen zu biegen vermochte. Don Antonio geriet ins Schwitzen. Er blickte zu den Toten, und in seinen Gedanken sah er den Schwarzen, wie er sich in der Residenz versteckte und auf ihn wartete. Caligula würde sich an ihm rächen, das war sicher.

„Wir müssen ihn wieder einfangen!“ stieß er keuchend hervor. „Riegelt sofort die ganze Stadt ab! Er darf nicht entwischen!“

„Das ist bereits geschehen“, sagte Don Ruiz.

In der Tat – die Stadtgarde rückte an. Schritte trappelten durch die Gassen von Havanna, die ganze Stadt wurde wach. Jedes Haus wurde durchsucht, bis eine Meldung eintraf, daß Caligula doch entwischt war. So blieb die Faktorei Arne von Manteuffels verschont.

Ein Trupp Soldaten war am südlichen Stadtrand auf eine Gestalt gestoßen, die sich im Dickicht des bis hart an die Mauern der Häuser reichenden Waldes bewegte.

„Halt!“ brüllte der Führer des Trupps. „Da ist er! Legt an! Knallt ihn nieder, wenn er Widerstand leistet!“

„Nicht schießen“, sagte eine Stimme im Gebüsch. „Ich bin nicht der, den ihr sucht.“

Eine bärtige Gestalt trat mit erhobenen Händen aus dem Gestrüpp.

„Nehmt die Waffen runter“, sagte der Führer. „Ich kenne den Kerl. Er ist Luiso Muscas, einer der Stadtstreicher, die sich hier rumtreiben. Luiso, was hast du hier zu suchen?“

„Nichts. Ich habe nur geschlafen.“

„Und woher weißt du, daß wir jemanden suchen?“

„Ich habe einen Kerl gesehen und mir einiges zusammengereimt.“

„Wie sah er aus?“

„Groß, schwarz, bärtig – und nackt. Er hat Ketten mit sich rumgeschleppt, soviel habe ich im Mondlicht erkannt.“

„Das ist er!“ stieß der Führer des Trupps hervor. „Los, einer läuft sofort zurück in die Stadt und meldet das dem Gouverneur!“

„Jawohl, Señor“, sagte einer der Soldaten. Im Eilschritt kehrte er zum Gefängnis zurück, wo Don Antonio einen provisorischen Kommandoposten eingerichtet hatte und den Oberbefehl über die Aktion führte.

„Wer ist denn der Kerl?“ fragte Luiso die Soldaten.

„Caligula. Dieser Neger, der in Havanna schon fast ein Dutzend Menschen umgebracht hat“, erwiderte der Führer.

„Der?“ Erst jetzt begriff Luiso, welcher Gefahr er ausgesetzt gewesen war. Er geriet ins Taumeln. „Mann, hab’ ich ein Glück gehabt:“

„Das kannst du sagen“, erwiderte einer der Männer der Garde. „Er tötet nämlich jeden, der sich ihm in den Weg stellt oder ihm einfach nur in die Finger gerät. Dir hätte er auch das Genick gebrochen.“

Don Antonio tobte, als er erfuhr, daß Caligula Havanna bereits verlassen hätte. Er hieb mit beiden Fäusten auf die Tischplatte im Raum des Kerkerkommandanten.

„Verdammte Schweinerei!“ brüllte er. „Ihm nach! Setzt alles in Bewegung! Reiter müssen her! Sofort! Beeilung!“

„Die Reiter treffen gleich ein“, sagte Don Ruiz. „Ich habe sämtliche Patrouillen in Bewegung gesetzt, die wir haben. Und sie sollen auch Hunde mitnehmen.“

Don Antonio fuhr zu ihm herum. Es zuckte in seinem Gesicht. „Sehr gut. Bluthunde?“

„Ja. Sehr weit kann der Schwarze zu Fuß ja nicht gelangen. Die Reiter und die Hunde holen ihn ein.“

„Ausgezeichnet.“

„Jetzt ist nur noch die Frage zu klären, ob Sie ihn lebend oder tot haben wollen, Señor“, sagte der Kerkerkommandant.

Don Antonio überlegte nur kurz.

„Tot“, sagte er dann. „Die Hunde sollen ihn zerfetzen.“ Er mußte eben auf die Schätze der englischen Piraten verzichten. Caligula war eine zu große Gefahr, er hatte schon zu viele Menschen auf dem Gewissen. Ehe er nicht selbst vernichtet war, bangte Don Antonio um seine eigene Existenz. Der Preis für die Schätze war zu hoch. Caligula mußte sterben.

Lauf, Neger, lauf – Caligula hetzte durch den nächtlichen Wald, entlang der südwestlichen Bucht von Havanna. Die Schmerzen setzten ihm wieder zu, aber er legte keine Rast ein. Er hatte beschlossen, bis zur Südküste von Kuba zu laufen und zur Insel zu schwimmen, wenn es nötig war. Nichts konnte ihn mehr stoppen.

Natürlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, in den Palast des Gouverneurs einzudringen. Doch das Unternehmen war zu riskant. Die Residenz war zu gut bewacht, er konnte niemals bis zu Don Antonio vordringen.

Dabei wäre es das ideale gewesen, den fetten Kerl als Geisel gefangenzunehmen. Mit ihm als Faustpfand hätte Caligula öffentlich und mit erhobenem Haupt Havanna verlassen können. Keiner hätte gewagt, ihn zu behelligen. Und er hätte auch die Schätze, über die Don Antonio mit Sicherheit in seiner Residenz verfügte, mitgehen lassen.

Die Black Queen hätte gestaunt, wenn er ihr den Dickwanst vor die Füße gestoßen hätte. Größer hätte Caligulas Triumph nicht sein können. Wie Don Antonio sterben sollte, hätte er sich in aller Ruhe ausgedacht. Vielleicht ließ er ihn kielholen? Nein. Spießrutenlaufen war besser.

Wenn und hätte. Es hatte ja nicht sein sollen. Aber er würde nach Havanna zurückkehren, das nahm Caligula sich vor. Heimlich, er kannte sich ja jetzt gut genug aus. Er würde Don Antonio irgendwo überraschen und töten.

Jetzt aber war es das wichtigste, sich von Havanna abzusetzen. Er konnte sich leicht ausmalen, daß die Soldaten in der Zwischenzeit ihre toten Kameraden gefunden hatten. Ganz Havanna befand sich im Aufruhr, alle verfügbaren Kräfte wurden mobilisiert. Natürlich wurde überall nach dem entlaufenen Gefangenen gesucht.

Lauf, Neger, lauf – Caligula stolperte über eine Baumwurzel und stürzte. Er fiel auf die Ketten, wand sich und fluchte. Stöhnend rappelte er sich wieder auf und hetzte weiter. Sein Atem ging schnell und stoßweise, sein Herz schlug ihm bis zum Hals hinauf.

Plötzlich vernahm er Geräusche hinter seinem Rücken. Ein dumpfes Trommeln auf dem Untergrund – Pferdehufe. Aber viel schlimmer war das Bellen und Winseln der Hunde. Jetzt wußte er, woran er war. Eine Reiterpatrouille mit Hunden, dachte er, das sieht Don Antonio ähnlich. Er will mich zerfleischen lassen.

Sollte er sich auf einen Baum retten? Unmöglich – die Hunde würden ihn auch dort aufspüren. Umzingelten sie ihn, war er geliefert. Dann mußte er sich den Soldaten ergeben. Oder aber sie schossen ihn ab wie ein Stück Flugwild. Was bildete er sich denn ein? Daß Don Antonio ihn jetzt noch verschonte? Nach allem, was geschehen war? Nein, er verzichtete lieber auf die Schätze der Engländer. Wie die Dinge standen, war es besser, wenn er Caligula töten ließ. Er konnte gar nicht anders, die Lage schrie nach Vergeltung.

Laufen – das war die einzige Rettung. Vielleicht verloren die Hunde im Urwald die Spur. Oder sie fanden sie erst gar nicht. Caligula gab die Hoffnung nicht auf. In dem wilden Bestreben, sich nicht wieder einfangen zu lassen, hetzte er weiter.

Das Trommeln der Hufe und das Bellen der Hunde näherten sich. Bald waren sie dicht hinter ihm. Caligula gab sich keinen Illusionen hin – er mußte sich dem Kampf stellen.

Die Reiter waren noch etwas entfernt, das Rudel Hunde stob vor ihnen her. Caligula verharrte, drehte sich um und sah sie aus dem Dickicht brechen: große, wilde Tiere mit gefletschten Zähnen und triefenden Lefzen. Knurrend stürzten sie sich auf ihn.

Fünf Hunde waren es. Im Nu hatten sie ihn umzingelt und schnappten nach seinen Beinen. Einer versuchte, an ihm hochzuspringen und seine Kehle zu packen. Caligula setzte sich mit der Kette zur Wehr.

Es gab keine andere Möglichkeit. Er hielt sie mit beiden Händen und ließ sie wirbeln. Der erste Hund brach blutend zusammen. Caligula schöpfte Hoffnung und drosch wie ein Verrückter mit der Kette auf die übrigen Tiere ein. Auf die Köpfe, gegen die Kiefer, ins Rückgrat – er schlug sie, wo er sie treffen konnte.

Winselnd gingen wieder zwei Bluthunde zu Boden. Jetzt hatte Caligula nur noch zwei gegen sich. Sie sprangen um ihn herum, knurrten und schnappten erneut nach seinen Waden.

Die Kette surrte durch die Luft. Caligulas Gesicht war verzerrt. Er mußte sie treffen, immer wieder treffen, sonst war er verloren. Schon schienen die Reiter heranzusein. Er hörte das Hufgetrappel überlaut, es schien in seinen Ohren zu dröhnen, und er konnte auch die Stimmen der Männer vernehmen.

Der vierte Hund blieb, von der Kette getroffen, auf der Strecke. Doch jetzt passierte Caligula ein Mißgeschick. Er wich zurück, um dem Biß des fünften Hundes zu entgehen, strauchelte dabei aber über die Luftwurzel eines Mangrovenbaumes. Er fiel – und mit einem Satz war der Hund über ihm.

Caligula stöhnte. Um ein Haar hätte er sich den Hinterkopf an dem Baumstamm gestoßen. Doch er hatte noch einmal Glück. Und nur Schnelligkeit konnte jetzt entscheiden, denn der große, schwere Hund schnappte mit den spitzen Zähnen nach seinem Hals.

Mit den Ketten konnte Caligula nichts mehr gegen ihn ausrichten. Er stieß den Hund mit der linken Hand zurück, mit der rechten riß er eins der Messer aus dem Gurt. Bevor die messerscharfen Zähne seinen Hals trafen, stach er zu.

Mit einem verhaltenen, jammernden Laut sank das Tier zusammen. Caligula schob es von sich fort, sprang auf und zückte eine Pistole. Es prasselte im Dickicht – der erste Reiter stürmte daraus hervor und hielt auf ihn zu.

Caligula sprang nach links, duckte sich etwas und legte, die Pistole mit beiden Händen haltend, auf den Reiter an. Der Schuß krachte, ein Feuerblitz stach als grellrote Zunge durch die Nacht. Er traf. Der Soldat warf die Arme hoch und kippte aus dem Sattel, ehe er selbst mit seiner Muskete auf Caligula anlegen konnte.

Der Soldat landete auf dem Waldboden und regte sich nicht mehr. Sein Pferd stieg auf, schlug mit den Vorderläufen und wieherte. Dann setzte es sich wieder in Bewegung und wollte davongaloppieren.

Gebrüll ertönte im Urwald, die anderen Soldaten hielten, durch den Schuß alarmiert, auf den Kampfplatz zu. Caligula lief neben dem Pferd her, packte seine Zügel und hielt es fest.

Das Pferd schnaubte vor Angst, es schien die Gefahr zu spüren, die von dem schwarzen Riesen ausging. Doch Caligula gab nicht auf. Er zerrte es an den Zügeln zu sich heran. Er wußte, daß es falsch war, das Tier zu schlagen, und brachte es – trotz der prekären Lage – fertig, ein paar besänftigende Worte zu murmeln. Tatsächlich beruhigte sich das Tier.

Flüche und Rufe ertönten, Pferde wurden gezügelt. Die Soldaten hatten ihren toten Kameraden und die toten Bluthunde gefunden.

„Er muß hier irgendwo sein!“ schrie jemand. „Ganz in der Nähe! Er ist bewaffnet! Nehmt euch in acht!“

Caligula überlegte, ob er sie aus dem Hinterhalt angreifen sollte. Nein, auch das war falsch. Er wußte nicht, wie viele Soldaten es waren. Er hatte nur noch die eine Pistole zur Verfügung und hatte gewiß keine Zeit zum Nachladen. Nein – er mußte die Flucht fortsetzen.

Er stieg in den Sattel des Pferdes, schnalzte mit der Zunge und murmelte wieder ein paar Worte. Dann drückte er ihm die Hacken in die Weichen. Das Pferd gehorchte seinem Willen und trabte an. Caligula mußte höllisch auf Hindernisse achten. Schon eine Luftwurzel konnte zum Verhängnis werden.

Hinter ihm nahmen die Soldaten wieder die Verfolgung auf. Sie schienen das Hufgeräusch des Pferdes gehört zu haben und orientierten sich daran.

Caligula beschleunigte das Tempo etwas, als er einigermaßen sicher im Sattel saß. Tief über die Mähne gebeugt, ritt er weiter und versuchte, das Pferd von seinem Gewicht zu entlasten. Das Pferd hatte sich ebenfalls auf ihn eingestellt. Wir beide geben ein gutes Gespann ab, dachte Caligula. Hilf mir, von hier zu flüchten, du wirst es nicht bereuen.

Kurze Zeit darauf stieß er auf einen Bachlauf und lenkte, ohne zu zögern, das Pferd hinein. Eine Weile ritt er im Wasser und ließ das Tier in einen leichten Galopp fallen, dann wandte er sich erneut nach Süden und verschwand im Dschungel.

Die Soldaten trafen am Bach ein und suchten die ganze Umgebung nach dem schwarzen Mann ab. Doch sie entdeckten nichts, es gab keine Spur. Sie hörten ihn auch nicht mehr. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Ohne die Bluthunde konnten die Soldaten die Fährte nicht mehr aufnehmen. Sie hatten sie verloren, jeder weitere Versuch, in der Dunkelheit doch noch auf die Fährte zu stoßen, schien sinnlos zu sein.

Dennoch fahndeten sie die ganze Nacht über nach dem Flüchtigen. Ohne Erfolg. Bis in die frühen Morgenstunden dauerte die Suche, und Don Antonio fand keinen Schlaf mehr.

Er hockte in seinem Raum und dachte mit verkniffener Miene darüber nach, was geschehen würde, wenn Caligula wirklich nicht gefunden wurde. Würde der Kerl nicht auf Rache sinnen und mit Verstärkung nach Havanna zurückkehren?

Diesen Verdacht wurde Don Antonio de Quintanilla nicht mehr los. Er hatte allen Grund, besorgt zu sein.

Caligula ritt durch den Urwald, seine Gedanken waren jetzt schon bei der Black Queen. Er hatte in Havanna nicht erfahren, ob Don Juan de Alcazar, der mit Cariba zur Schlangen-Insel unterwegs war, Erfolg gehabt hatte. Aber auch das würde sich noch herausstellen. Wichtig war jetzt, an Bord des Zweideckers zurückzukehren, ihr Bericht zu erstatten und zu beraten, wie man weiter verfahren sollte.

Außerdem war es ratsam, an Bord der „Caribian Queen“ nach dem Rechten zu sehen. Ganz richtig war sein eigenmächtiges Handeln doch nicht gewesen. Er konnte nur hoffen, daß die Kerle nicht aufsässig geworden waren. Sollte dies der Fall sein, würde er ihnen die Peitsche zu kosten geben – Kerlen wie Casco beispielsweise, die dauernd etwas zu meckern und zu murren hatten.

Caligulas Flucht, zumindest aus Havanna, war gelungen …

ENDE

Seewölfe Paket 20

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