Читать книгу Seewölfe Paket 20 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 23
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ОглавлениеDas wüste Gelage, das die Schnapphähne von der „Caribian Queen“ in dem winzigen Fischerdorf feierten, tobte jetzt schon die dritte Nacht. Den wenigen männlichen Bewohnern, die den brutalen Überfall überlebt hatten, und den gepeinigten Frauen saß immer noch die Angst im Nacken. Es blieb ihnen nur die Hoffnung, daß bald die letzte Ziege geschlachtet und die letzte Flasche Rum geleert war. Wenn es absolut nichts mehr zu holen gab, würden die Kerle vielleicht verschwinden – ein verwüstetes Dorf und geschändete Frauen und Mädchen in völliger Armut zurücklassend.
Bis jetzt dachten die Piraten aber noch nicht daran, das Freß- und Saufgelage zu beenden. Noch immer herrschten Angst und Grauen zwischen den armseligen Lehmhütten.
Casco, der bullige Kreole, griff nach einer riesigen Hammelkeule und biß hinein, daß ihm das Fett vom Kinn tropfte. Während des Kauens nickte er dem verlotterten Gesindel zu, das sich um die Feuer geschart hatte.
Einige der Kerle versuchten zu tanzen, obwohl ihnen das nur torkelnd gelang, andere trieben derbe Scherze und brüllten dazu vor Begeisterung. Die meisten soffen alles in sich hinein, was sie ergattern konnten und johlten und sangen hinterher.
Die Frauen, von denen die meisten während des Überfalls Angehörige verloren hatten, wurden immer wieder gezwungen, an den Tänzen teilzunehmen. Dazwischen mußten sie sich um die Feuerstellen, das Fleisch und die Getränke kümmern. Wenn sie sich weigerten, wurden sie brutal geschlagen.
Als Casco die Hammelkeule vertilgt hatte, warf er die Knochen einfach ins Feuer. Dann nahm er einen irdenen Krug und goß sich Rotwein in die Kehle.
Nachdem er sich die fettigen Lippen mit dem Handrücken abgewischt hatte, griff er nach Pepita, dem dunkelhäutigen Mädchen mit den großen Rehaugen. Sie war schlank, hatte langes, pechschwarzes Haar und war höchstens zwanzig Jahre alt.
„Jetzt bist du wieder an der Reihe, Schätzchen“, sagte er, „sonst beschwerst du dich am Ende noch und meinst, ich hätte dich vernachlässigt. Komm nur her, du Katze!“
Mit einem anzüglichen Grinsen zog er das zitternde Mädchen zu sich heran. Daß ihr dabei ein halbvoller Weinkrug, den sie für ihn zur Verfügung halten mußte, aus der Hand fiel und zerbrach, störte ihn nicht im geringsten.
„Laß mich los, du Scheusal!“ rief Pepita und schlug ihm in ihrer Verzweiflung beide Hände ins Gesicht.
Doch Casco lachte nur roh. Erst als ihm Pepita mit aller Kraft die Fingernägel durch das Gesicht zog, stieß er sie mit einem wilden Fluch von sich und befühlte seine Wangen. Als er Blut an seinen Händen sah, stemmte er sich vom Boden hoch, um dem davoneilenden Mädchen nachzujagen.
„Warte, du elende Hure!“ brüllte er. „Das wirst du mir büßen!“
Casco hatte jedoch noch keine zehn Schritte unter dem Gelächter seiner Kumpane zurückgelegt, da brach völlig überraschend und unerwartet die Hölle über die Piratenbande herein.
Plötzlich krachten Schüsse durch die Dunkelheit, und einige der Schnapphähne brachen tot zusammen. Auch Casco hätte es um ein Haar erwischt, wenn er sich nicht geistesgegenwärtig auf den Boden geworfen hätte.
Eine ganze Anzahl der betrunkenen Piraten begriff trotz der Schüsse noch nicht, was geschah. Die Kerle grölten einfach weiter, während andere plötzlich stocknüchtern wurden und zu ihren Waffen griffen.
Zwischen dem Krachen der Pistolenschüsse dröhnte jetzt ein vielstimmiges „Ar-we-nack!“ durch das Dorf.
Casco war der erste, der begriff, mit wem er es zu tun hatte, und diese Erkenntnis ließ ihn in der Tat Pepita augenblicklich vergessen.
„Zu den Waffen!“ brüllte er, daß sich seine Stimme überschlug. „Das sind die verdammten Kerle von der Schlangen-Insel! Los, zeigt’s den Hunden!“
Er selber riß seine Steinschloßpistole aus dem Gürtel, spannte den Hahn und feuerte sie ziellos auf einen Schatten in der Dunkelheit ab. Doch der erwartete Aufschrei blieb aus, und Casco schleuderte die nun wertlos gewordene Waffe auf die Erde, um nach seinem Säbel zu greifen.
Ja, innerhalb von Sekundenschnelle war tatsächlich der Teufel los. Dan O’Flynn und Ferris Tucker waren sofort nach der Rückkehr der großen Jolle mit zwanzig Männern aufgebrochen, um den Beutegeiern von der „Caribian Queen“ kräftig einzuheizen, und zwar ohne jegliches Pardon – wie der Seewolf aufgetragen hatte.
Keiner der Piraten hatte bemerkt, daß ein Stück oberhalb des Dorfes und noch weit außerhalb des Feuerscheins, der schwerbewaffnete Trupp an Land gegangen war. Der Lärm, den sie veranstalteten, hatte sich für die Arwenacks und Kolberger als äußerst nützlich erwiesen. Sie hatten sich unbemerkt zwischen den Lehmhütten verteilt, um das Kommando Dan O’Flynns abzuwarten.
Bevor er jedoch das Zeichen zum Angriff gegeben hatte, hatte Dan mit seinen scharfen Augen nach der Black Queen und Caligula Ausschau gehalten. Er konnte sie jedoch nirgends entdecken. Er vermutete deshalb, daß Caligula nach seiner Flucht aus dem Stadtgefängnis von Havanna noch nicht hier aufgetaucht war. Nur das Fehlen der Black Queen blieb ein Rätsel für ihn.
Dennoch – ein Zurück gab es nicht mehr, die üble Mörderbande mußte aufgerieben werden.
Auf Dans Zeichen hin hatte der Angriff begonnen. Wie die Männer vom Bund der Korsaren schon zu Beginn mit Genugtuung festgestellt hatten, war der Überraschungseffekt voll auf ihrer Seite. Genaugenommen hatten sie das auch nötig, denn trotz der vielen Betrunkenen waren die Piraten beträchtlich in der Überzahl.
Die Arwenacks und Kolberger fuhren wie ein Gewitter mitten hinein in das wilde Gelage. Nach dem Abfeuern ihrer Pistolen war für manchen Piraten das Fest zu Ende. Die Frauen, die von diesem Überraschungsangriff genauso überrascht worden waren wie die Schnapphähne, ließen fallen, was sie gerade in der Hand hatten, und suchten schreiend Schutz in den Hütten oder hinter den dicken Stämmen der Palmen und Farnbäume. Vielleicht fürchteten sie sogar, eine neue Piratenbande sei gelandet, um das schlimme Treiben der anderen fortzusetzen.
Im Handumdrehen wogte ein harter Kampf durch das Fischerdorf – gespenstisch beleuchtet von den lodernden Flammen der Feuer.
Die Männer von der Schlangen-Insel hatten der üblen Bande wahrhaftig genug Ärger und Schwierigkeiten zu verdanken, deshalb zögerte auch keiner von ihnen, kräftig zuzulangen.
Die Kolberger droschen drauf wie germanische Recken, nachdem sie ihre Pistolen leer geschossen hatten, und die Arwenacks standen ihnen in nichts nach. Sie alle waren nicht nur hervorragende Schützen, sondern verstanden auch, mit Blankwaffen aller Art zu kämpfen. Wie die Vergangenheit gezeigt hatte, genügten ihnen manchmal sogar die nackten Fäuste.
Der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker ließ seine riesige Axt kreisen. Die drei Kerle, die ihn zähnefletschend und mit Entermessern in der Hand belagerten, gelangten nicht an ihn heran. Als schließlich doch einer von ihnen versuchte, unter der wuchtigen Axt wegzutauchen, um Ferris das Messer in die Brust zu jagen, änderte dieser blitzschnell den Kurs seiner Waffe. Der Schnapphahn ging mit einem lauten Aufschrei zu Boden. Niemand in der Karibik hatte jemals noch etwas von ihm zu befürchten.
Der zweite erlitt das gleiche Schicksal, als er versuchte, Ferris von hinten anzugreifen. Dem dritten verpaßte der rothaarige Riese einen so gewaltigen Fußtritt, daß er jaulend in einem der Lagerfeuer landete.
Dan O’Flynn lieferte einem baumlangen Neger einen erbitterten Degenkampf, auf den sich dieser am besten nicht eingelassen hätte, und Pete Ballie setzte einem heimtückischen Burschen, der sich von hinten an Dan heranschleichen wollte, seine geballte Pranken aufs Haupt.
Al Conroy, Matt Davies und all die anderen mußten sich verbissen mit jeweils mehreren Gegnern auseinandersetzen, auch wenn die Zahl der Schnapphähne schon wesentlich kleiner geworden war.
Luke Morgan, ein gefürchteter Messerkämpfer, kriegte mit, wie einer der Kerle ein Mädchen, das sich hinter dem Stamm einer Palme versteckt hatte, hervorziehen wollte. Offenbar wollte er die Kleine als Schild benutzen. Doch er schaffte es nicht mehr, denn das Messer Lukes’ zischte durch die Luft und bohrte sich in seine Rippen. Das halbwüchsige Mädchen kehrte weinend und zitternd hinter den Stamm zurück.
Auch Edwin Carberry war in seinem Element. Wo der Profos hinhieb, wuchs kein Gras mehr. Nachdem er eine Messerattacke erfolgreich abgewehrt hatte, geriet er an Casco. Der Kreole stand geduckt wie ein sprungbereiter Löwe vor ihm, fletschte die Zähne und hielt in jeder Hand ein Messer.
„Wo haben sie dich denn losgelassen?“ rief der Profos mit Donnerstimme. Seine Blicke hefteten sich auf die plattgeschlagene Nase Cascos. „Dir hat der Teufel wohl persönlich das Gesicht aufgebügelt, wie?“
Casco schnaubte vor Wut wie ein wilder Stier.
„Stirb, du Bastard!“ stieß er keuchend hervor und schleuderte dem Profos, der eigentlich einen direkten Angriff erwartet hatte, eines der beiden Messer entgegen.
Da Ed damit nicht gerechnet hatte, konnte er nur noch wenig tun, um der plötzlichen Attacke auszuweichen. So riß ihm das Messer das Hemd an der linken Schulter in Fetzen und hinterließ eine kleine Fleischwunde.
Den Profos erschütterte ein solcher Kratzer jedoch nicht. Er nahm seinen Degen blitzschnell in die linke Hand, bückte sich ebenso schnell und riß ein langes Holzscheit, das aus der Glut ragte, an sich.
Casco wollte die kurze Ablenkung nutzen, um sich mit dem anderen Messer auf den bulligen Mann mit dem Rammkinn zu stürzen, doch der hielt ihm einerseits die Degenklinge entgegen und mit der anderen Hand hieb er ihm das glühende Holzscheit über den Schädel. Die Funken stoben in alle Richtungen, das durchgekohlte Ende löste sich in tausend glühende Bröckchen auf.
Die Wucht des Hiebes ließ Casco zurücktaumeln, und um ein Haar wären ihm die Knie eingeknickt. Er heulte wie ein getretener Hund, und wäre er nicht ohnehin von schwarzer Hautfarbe gewesen, hätte man jetzt sein verrußtes Gesicht bewundern können.
Die Brandwunden, die den noch frischen Kratzern Pepitas hinzugefügt worden waren, ließen den Oberschnapphahn einige Luftsprünge vollführen. Dabei geriet er unversehens in das „Revier“ von Matt Davies, dem eine spitzgeschliffene Hakenprothese die fehlende rechte Hand ersetzte.
Casco mußte sich wohl oder übel diesem neuen Gegner zuwenden, auch wenn er von irrsinnigen Schmerzen gepeinigt wurde. Seine Gesichtshaut brannte höllisch, hinzu gesellten sich noch die unbändige Wut und sein zügelloser Haß. Er konnte trotzdem nicht verhindern, daß ihm der scharfe Haken Matts einen Teil der Hose vom Leib fetzte und eine blutige Spur auf dem rechten Oberschenkel hinterließ.
Der Kampf tobte erbittert hin und her, manchmal sah es sogar danach aus, als würden die Männer von der Schlangen-Insel ein Stück zurückgedrängt werden, weil die Übermacht der Piraten immer noch gegeben war. Doch die Arwenacks und Kolberger gaben nicht auf, auch wenn der eine oder andere schon eine kleinere Verwundung davongetragen hatte. Sie waren sich darüber im klaren, daß es hier um Leben und Tod ging.
Die Piraten, die bereits die männliche Bevölkerung dieses Küstendorfes nahezu ausgerottet hatten und nicht einmal vor wehrlosen Frauen zurückschreckten, kannten kein Pardon. Man mußte ihnen deshalb mit der gleichen Einstellung begegnen, anders konnte diesen Schurken niemals das Handwerk gelegt werden. Dans Mannen bedauerten nur lebhaft, daß ihre „Königin“, die schwarze Piratin, nirgends zu entdecken war.
Die Entscheidung ließ nicht mehr lange auf sich warten, denn ganz plötzlich geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte: Die Frauen des Dorfes griffen in den Kampf ein – jene Frauen, die von den Piraten lange genug gepeinigt worden waren. Viele von ihnen waren durch den brutalen Überfall dieser Halunken zu Witwen und Waisen geworden. Sie hatten offensichtlich begriffen, daß vom Ausgang dieses Kampfes auch ihr weiteres Schicksal abhing. Ja, jetzt zeigte sich, daß auch Frauen kämpfen konnten.
Der erste, der dies erfahren mußte, war der säbelbeinige Silo. Der heimtückische Kerl, der auf kriecherische Weise versucht hatte, sich bei Casco anzuschmeicheln, schlich sich von hinten an Luke Morgan heran, um ihm sein Messer in den Rücken zu stoßen. Er hatte dazu die besten Erfolgsaussichten, denn Luke hatte es vollauf mit einem Burschen zu tun, dem er ein Degenduell lieferte.
Da stürzte plötzlich das Mädchen, dem Luke zuvor geholfen hatte, hinter dem Baumstamm hervor und hieb Silo kraftvoll einen riesigen Wasserkrug auf den Kopf. Der säbelbeinige Bursche brach lautlos zusammen, die Scherben des zersplitterten Krugs flogen durch die Gegend.
Einige Frauen stürzten mit Töpfen, Pfannen und Knüppeln aus den Hütten und versuchten, den Männern tatkräftig zur Hand zu gehen.
Vor allem die schwarzhaarige Pepita raste wie eine Furie zwischen die kämpfenden Parteien. Zu ihrem Leidwesen entdeckte sie in dem Getümmel Casco nicht, deshalb mußte ein anderer Schnapphahn seinen Schädel als Zielscheibe für ihre gußeiserne Bratpfanne zur Verfügung stellen.
Bevor Sancho, der ohnehin schon eine prächtige Beule auf der Stirn hatte, merkte, daß ihm von der dunkelhäutigen Schönen Gefahr drohte, gab es auch schon einen dumpfen Laut, und der Kerl stürzte seitwärts ins Feuer. Da er bei dieser Gelegenheit einen Dreifuß umriß, an dem ein dampfender Kessel hing, blieb das nicht ohne bittere Folgen für ihn.
„Sehr gut, Miß!“ brüllte Edwin Carberry begeistert. „Hau diesen Affenärschen nur die Rübe ein!“ Fast zur selben Zeit verpaßte er Puso, der mit seinem zugeschwollenen Auge sowieso nur die halbe Welt sah, einen fürchterlichen Tritt gegen den Achtersteven. Puso segelte mit einem lauten Schrei durch die Gegend und riß einen seiner Kumpane mit zu Boden. Noch bevor er sich wieder aufrappeln konnte, zerschellte eine irdene Schüssel auf seinem Haupt.
Das Blatt wendete sich gründlich. Casco, der immer noch wie ein Berserker kämpfte, obwohl er schon reichlich lädiert aussah, erkannte das relativ früh. Aber da halfen auch seine wilden Flüche und Verwünschungen nicht. Schließlich rief er seine Kerle wutschnaubend zum Rückzug.
„Alle Mann zurück zum Schiff!“ brüllte er.
Die meisten seiner Schnapphähne hörten nichts lieber als das. Sofort stürmte die kleine Schar, die ihm verblieben war, zu dem Steg, an dem man das Beiboot vertäut hatte. Doch jetzt erst bemerkten sie, daß es gar nicht vorhanden war. Die Wachablösung hatte offenbar nicht funktioniert.
Laut fluchend stürzten die Piraten deshalb zu den kleinen Fischerbooten. Doch einige erreichten sie nicht mehr, denn die Männer von der Schlangen-Insel waren nicht gewillt, das üble Gesindel entwischen zu lassen.
Trotzdem schafften es einige, mit drei Booten abzulegen. Unter ihnen befand sich Casco.
„Pullt, ihr lahmen Hunde!“ brüllte er. „Wir werden ihnen von unserem Schiff aus mit den Kanonen einheizen! Die ganze verdammte Küste werden wir in Klump schießen!“
Es waren höchstens zehn Kerle, die den Kampf bis jetzt überlebt hatten. Sie pullten, was das Zeug hielt, obwohl auch sie schon teilweise angeschlagen waren. Außerdem warfen sie, soweit sie nüchtern waren, Casco wütend vor, daß er nicht genug Wachen hatte aufstellen lassen, die die Ankunft der englischen Bastarde bemerkt hätten.
Doch die Vorwürfe nutzten jetzt nichts mehr, denn die Handvoll Schnapphähne in den drei Fischerbooten gelangten nicht weit. Als sie sich dem Zweidecker näherten, brach auch über sie das Inferno herein.
Mit weit aufgerissenen Augen registrierten sie, daß ihnen die Drehbassen auf ihrem eigenen Schiff urplötzlich gehacktes Eisen und Blei entgegenspien – mit verheerender Wucht und enormer Streuwirkung. Keiner von ihnen konnte dieser Hölle entrinnen.
Auch Casco nicht.
Gleich seinen Kumpanen kippte er tödlich getroffen über Bord. Die winzigen Boote waren zerfetzt worden. Aus war der Traum vom „Bürgermeister“ und von künftigen Untaten als Piratenkapitän. Seine kurze und blutige Laufbahn war schlagartig zu Ende.
Für die gesamte Schar der Meuterer würde die Sonne nicht mehr scheinen. Die üble Bande, die zuerst unter der Black Queen und dann unter dem Regiment Cascos Angst und Schrecken, Tod und Verderben verbreitet hatte, gab es nicht mehr.
Nur der Aufenthaltsort der Black Queen blieb den Arwenacks und Kolbergern vorerst ein Rätsel. Dan O’Flynn, der in dem Küstendorf Bilanz zog, hielt das für wichtig genug, um es dem Seewolf sofort zu melden.
Mit acht Männern begab er sich zum Anlegeplatz der großen Jolle und pullte mit ihnen zur „Caribian Queen“. Die übrigen Mannen blieben im Dorf. Zum Glück hatte niemand schwere Verletzungen davongetragen. Die leichten Verwundungen, die einige abgekriegt hatten, würde der Kutscher, der selbst zum Einsatztrupp gehörte, wieder in Ordnung bringen. Er und die Frauen kümmerten sich bereits darum.
Während die Jolle auf den Zweidecker zulief, veranlaßte Dan seine Rudergasten zu einem lauten „Ar-we-nack!“
„Sind die verrückt geworden?“ fragte Smoky. „Wollen sie uns etwa auch noch angreifen? Die müssen doch kapiert haben, daß wir hier an Bord sind.“
„Das haben sie auch“, sagte Hasard. „Wahrscheinlich wollen sie mit dem Ruf nur auf sich hinweisen, damit wir ihnen nicht aus Versehen auch noch eine Ladung verpassen.“
„Ach so“, sagte Smoky kleinlaut. „Das kann natürlich sein, aber wir sind ja schließlich auch keine blinden Hühner, daß wir unsere eigenen Leute abschießen.“
Wenig später enterte Dan mit sechs Männern an Bord, zwei blieben als Wache in der Jolle zurück. Man wollte von vornherein kein Risiko eingehen, obwohl zur Zeit keine direkte Gefahr mehr drohte.
Der Seewolf, Smoky, Gary, Stenmark und Blacky hieben ihren Kameraden begeistert auf die Schultern.
„Ihr habt euch wacker geschlagen“, lobte Hasard. „Die Bande sind wir ein für allemal los.“
Dan winkte verlegen ab.
„Das hättet ihr genauso geschafft“, sagte er. „Außerdem habt ihr ja auch euren Teil dazu beigetragen. Das gezielte Drehbassenfeuer in der Dunkelheit war auch nicht gerade von schlechten Eltern. Aber nun zum Grund unseres Kommens: Weder die Black Queen noch Caligula sind dort drüben. Wir konnten beide nicht entdecken.“
Der Seewolf legte die Stirn in Falten.
„Ich habe das fast schon erwartet“, sagte er, „zumal uns hier an Bord auch schon einige Dinge recht merkwürdig erschienen sind. Nun, Caligula mag sich noch nicht bis zum Schlupfwinkel durchgeschlagen haben, aber wo die Queen steckt, das ist rätselhaft.“
„Vielleicht ist sie in ihrem eigentlichen Schlupfwinkel geblieben“, sagte Dan. „Das Dorf da drüben ist nämlich kein Piratenschlupfwinkel. Die Kerle haben vorgestern die armen Fischer überfallen und alle, die sich zur Wehr setzten, niedergemetzelt. Dann haben sie sich dort eingenistet und mit dem Gelage begonnen. Einer von ihnen, ein Kreole, hat sich sogar zum Bürgermeister aufgeschwungen. Von einer schwarzen Frau wußten die Dorfbewohner allerdings nichts, demnach war die Queen von Anfang an nicht dabei.“
Hasard schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
„O Lord“, sagte er, „jetzt geht mir langsam ein Licht auf.“
„Was meinst du damit, Sir?“ Die Augen der Männer hingen plötzlich wie gebannt an seinen Lippen.
„Meuterei!“ sagte Hasard. „Es ist zwar unvorstellbar, aber es kann gar nicht anders sein. Nur so kann ich mir erklären, warum die Queen weder bei dem Überfall dabei war noch sich auf dem Schiff aufgehalten hat. Außerdem sieht es hier an Bord, auch in ihrer Kammer, so aus, wie man das nie von ihr erwartet hätte.“
Für einen Augenblick waren die Arwenacks sprachlos. Der Gedanke, daß die Kerle der Black Queen gemeutert haben könnten, war ihnen genauso unvorstellbar wie zuvor dem Seewolf.
„Das kann doch gar nicht sein“, meinte Gary Andrews schließlich.
„Es gibt keine andere Erklärung“, erwiderte der Seewolf. „Wenn die Queen, wie wir erfahren haben, ihre schwere Verwundung überlebt hat, ist sie wahrscheinlich noch ziemlich geschwächt. Caligula aber ist nach Havanna aufgebrochen, und diesen Umstand könnten die Kerle ausgenutzt haben. Bitte – ich kann mich auch irren, aber eine Meuterei würde alles erklären, was uns bis jetzt noch unverständlich war.“
So langsam gewöhnten sich die Arwenacks an diesen Gedanken.
„Zum Teufel, ich kann’s immer noch nicht recht glauben“, murmelte Smoky, „aber du mußt recht haben, Sir. Der Gedanke bietet sich regelrecht an.“
„Verschaffen wir uns doch gleich einmal Gewißheit“, schlug der Seewolf vor. „Für was haben wir denn drei ehrenwerte Mitglieder der noblen Bande an Bord? Wecken wir ruhig einen von ihnen auf, die Kerle pennen ohnehin schon lange genug.“
„Nehmen wir doch den Dürren, den wir auf der Back gefunden haben“, forderte Smoky, „der pennt schon am längsten.“ Schon verschwand er hinter der Nagelbank, packte den Kerl und schleifte ihn vor den Seewolf. Dann zog er ihm mit spitzen Fingern den Knebel aus dem Mund.
„Zuerst brauchen wir eine Pütz Wasser“, sagte Hasard, „damit er frisch und munter wird.“
Wenig später ergoß sich der Inhalt einer Schlagpütz über den Kopf des besinnungslosen Piraten. Er schlug die Augen auf, hustete und blinzelte in den Schein der Laterne, die man inzwischen entzündet hatte.
Hasard lächelte spöttisch, als ihn der Kerl dumm anglotzte.
„Ich wünsche, wohl geruht zu haben“, sagte er. „Leider haben wir dich wecken müssen, weil wir dringend etwas mit dir zu besprechen haben.“
„Wa-was ist los?“ stammelte der Kerl und wollte sich aufrichten. Doch jetzt bemerkte er, daß er gefesselt war und sank sofort auf die Planken zurück. „Wer – wer seid ihr? Und was wollt ihr?“
„Oh, das ist schnell erklärt, mein Freund“, fuhr der Seewolf fort. „Wir, das heißt, meine Kameraden und ich, gehören zu den Männern von der Schlangen-Insel. Wir möchten nur eine ganz simple Auskunft von dir haben. Was ist mit der Black Queen geschehen?“
Die Augen des Kerls weiteten sich. Ein gehöriger Schrecken fuhr ihm durch alle Glieder. Doch er gewann seine Fassung schnell zurück.
„Was soll die dämliche Frage?“ stieß er hervor. „Ich sage kein Wort. Wie kommt ihr überhaupt auf dieses Schiff?“
„Mit deiner freundlichen Hilfe“, erwiderte Hasard.
„Blödsinn! Ich habe niemandem geholfen!“
Hasard lächelte verbindlich. „Doch, mein Freund. Statt Ankerwache zu gehen, hast du selig geschnarcht. Also – reden wir nicht um den Brei herum. Die ‚Caribian Queen‘ ist fest in unserer Hand. Deine Kumpane, die dort drüben in dem Fischerdorf wie die Wahnsinnigen gehaust haben, gibt es – dem Himmel sei Dank – nicht mehr. Du und zwei Saufeulen, die dich ablösen wollten, seid die einzigen, die von eurem Haufen übriggeblieben sind. Wenn du jetzt nicht hübsch das Maul auf tust und mir klipp und klar sagst, was ich wissen will, werden nur noch zwei übrigbleiben. Doch zu denen wirst du nicht gehören.“
Der Kerl schluckte hart. Zuerst konnte er nicht fassen, was der Engländer da sagte. Casco und all die anderen sollten tot sein? Das war unfaßbar! Man mußte sie in der Dunkelheit überfallen haben. In der Tat – es war kein Gegröle mehr zu hören. Wahrscheinlich sagte der Engländer doch die Wahrheit.
„Ich – ich …“, stotterte der Schnapphahn. Ein kalter Schauer rieselte ihm über den Rücken.
„Was ist?“ hakte Hasard ein. „Sprich nur aus, was dir auf dem Herzen liegt. Warum ist die Black Queen nicht auf diesem Schiff. Wo steckt sie?“ Er packte den Kerl an seinem schmuddeligen Hemdkragen und zog ihn ein Stück näher zu sich heran. Gleichzeitig zog er sein Messer aus dem Gürtel.
„Ich – ich sage ja alles!“ In den Augen des dürren Mannes war deutlich die Angst zu erkennen. Gerade vor den Engländern, die der „Caribian Queen“ in den vergangenen Monaten manch harte Schlacht geliefert hatten, empfand er höllischen Respekt.
„Dann heraus mit der Sprache!“ herrschte ihn der Seewolf an.
„Die – die Queen ist nicht mehr unser Kapitän.“
„Das haben wir bereits bemerkt“, meinte Hasard sarkastisch. „Warum sagst du nicht, daß ihr gemeutert habt?“
Jetzt begann der Schnapphahn zu jammern.
„Ich kann nichts dafür, glaubt mir! Casco hat die Führung an sich gerissen, ich konnte nichts dagegen tun.“
„Hör auf, den Jammerlappen zu spielen“, sagte der Seewolf kalt und setzte ihm gleichzeitig das Messer an die Kehle. „Ich will jetzt die ganze Geschichte hören, und zwar lückenlos!“
Von jetzt an redete der Kerl wie ein Buch. Er erzählte alles über die Meuterei, über den Auftrag Caligulas und berichtete auch haarklein über das, was mit der siechen Black Queen geschehen war. So erfuhren die Seewölfe, daß sie jetzt einsam und verlassen mit vier Getreuen auf einem Eiland der Islas de Mangles saß.
Als er alles ausgeplaudert hatte, ließ ihn Hasard einfach auf die Planken zurückfallen.
„Jetzt wissen wir, was gespielt wird“, sagte er. „Mit dir allerdings sind wir noch nicht zu Ende. Du wirst uns als Lotse zu dieser Insel bringen.“
Der Kerl erklärte sich dazu zitternd bereit.
Die Arwenacks brauchten eine Weile, bis sie die Geschichte verdaut hatten. Die mächtige Queen siech und auf einer einsamen Insel ausgesetzt – wenn das keine Neuigkeit war!
Doch die allgemeine Verblüffung dauerte nicht lange. Es gab schließlich einiges zu tun. Jetzt, nachdem sie schon die ganze Bande aufgerieben hatten, wollten sie auch die Black Queen und Caligula, ihren Geliebten, nicht entwischen lassen.
Hasard setzte mit Dan und einigen anderen Männern zu dem geplünderten Fischerdorf über und besah sich die ganze Bescherung. Der Kutscher hatte sich bereits um alle Verwundeten gekümmert, auch um diejenigen Dorfbewohner, die bei dem Piratenüberfall verletzt worden waren.
Der Seewolf übergab den gepeinigten Frauen als Trost, und in gewissem Sinne auch als Entschädigung, einen erklecklichen Teil aus der Schatzbeute des Zweideckers, auch wenn das keine toten Ehemänner, Väter oder Brüder ersetzte. Zumindest war den überlebenden Dorfbewohnern damit ein neuer Anfang möglich.
Als sich die Arwenacks und Kolberger schließlich wieder an Bord der „Caribian Queen“ begaben, die Anker hievten und die Segel setzten, um mit dem erbeuteten Zweidecker zur „Pommern“ zu segeln, standen die Frauen am Ufer und winkten im Schein der immer noch brennenden Feuer mit bunten Tüchern.
„Wie es scheint, haben wir da drüben gerade im richtigen Moment zugeschlagen“, sagte Dan zufrieden.
Der Seewolf nickte.
„Nicht auszudenken, was sonst aus den Frauen geworden wäre.“
Noch in derselben ereignisreichen Nacht brachen die beiden Schiffe, die „Pommern“ und die „Caribian Queen“, zu den Islas de Mangles auf.