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Fierro, ein stiernackiger, wuchtiger Mann, gehörte zu den Mannschaftsmitgliedern der „San Sebastian“, auf die der Bootsmann ein besonders waches Auge hatte. Fierro hatte stets das große Maul gehabt und immer an diesem oder jenem etwas auszusetzen gehabt. Nie war er mit dem Bordleben zufrieden, immer murrte er über die Arbeit – so sehr, daß er einmal ein paar Hiebe mit der Neunschwänzigen erhalten hatte.

Da die „San Sebastian“ wie die „Almeria“ über keinen Profos verfügte, war es der Bootsmann gewesen, der Fierro auf diese Weise zur Ordnung gerufen hatte. Der Bootsmann nahm auch die Aufgaben des Zuchtmeisters wahr. Er tat es nicht gern, andererseits wußte er jedoch auch, daß es manchmal kein anderes Mittel als die neunschwänzige Katze gab, um sich den erforderlichen Respekt zu verschaffen.

Das galt besonders bei Kerlen wie Fierro, der in Cadiz im Gefängnis gesessen hatte. Menschliche Gefühle waren ihm völlig fremd, er dachte bei allem nur an seinen persönlichen Vorteil. Er hatte bereits einem Kameraden das letzte Stück Brot weggenommen, Münzen gestohlen und sich mit den Fäusten einen der besten Schlafplätze im Logis gesichert. Keiner wagte, gegen ihn aufzubegehren.

Den Bootsmann haßte er wie die Pest. Er hatte sich fest vorgenommen, sich irgendwann für die Peitschenhiebe zu rächen. Die Gelegenheit dazu, das wußte Fierro genau, würde sich früher oder später bieten. Dann aber würde er nicht nur gegen den Bootsmann vorgehen, sondern noch mehr unternehmen.

Meuterei – allein daran dachte er. Was wurde aus ihm, wenn sie Santiago de Cuba erreichten? Der Kapitän würde alles versuchen, um ihn und seinesgleichen loszuwerden. Wahrscheinlich verhalf er ihnen zu einem Posten in den Minen, und sie durften wie die Sklaven schuften. Alles, so sagte sich Fierro immer wieder im stillen, alles, nur das nicht.

Mitten im dicksten Sturm stand er auf der Back und versah seinen Dienst am Fockmast. Die „San Sebastian“ lenzte, die Segel brauchten also nicht bedient zu werden, doch immer wieder mußten die sich lösenden Fallen dichtgeholt und neu belegt werden. Das tat Fierro, und er fluchte und brüllte kräftig dabei.

Niemand hörte es, das Tosen des Sturmes war lauter. Aber Fierro war sicher, daß es den anderen kaum anders als ihm erging. Sie waren völlig genervt, zumal auch die bisherige Überfahrt, die zwei Monate gedauert hatte, alles andere als ein Zuckerlecken gewesen war.

Eng war es an Bord, nicht nur in den Laderäumen, sondern auch im Logis. Man stolperte über die Beine der anderen, man rempelte sich gegenseitig an, und oftmals gab es schon wegen der geringsten Anlässe Streit. Dazu trug auch die Tatsache bei, daß die Nahrung und das Trinkwasser rationiert worden waren. Hungrig, übermüdet, abgezehrt und gereizt waren sie alle, eine Situation, die nach einem Aufstand zu schreien schien.

Hinzu kam jetzt der Sturm, der der Mannschaft das Letzte an Kraft abverlangte. Sie schufteten und fluchten, waren bis auf die Haut durchnäßt und riskierten, bei jeder überkommenden See außenbords gerissen zu werden.

Fierro spielte mit dem Gedanken, den Bootsmann über Bord zu stoßen. Aber der Mann hielt sich auf Distanz – wohlweislich. Die Fronten waren abgesteckt, etwas würde sich zwischen ihnen ereignen, das wußten sie beide. Nur wann es passieren würde, war die Frage.

Nicht selten geschah es an Bord eines Segelschiffes, daß ein Mann unerwartet über Bord flog und nie mehr gesehen wurde. In den meisten Fällen handelte es sich jedoch um Racheakte Menschenschindern gegenüber, die der Mannschaft das Leben zur Hölle machten. Das war sowohl auf der „San Sebastian“ als auch auf der „Almeria“ anders: Gomez Rascón und Juan Alentejo behandelten ihre Leute den Umständen entsprechend gut. Nur wurden sie von Kerlen wie Fierro gründlich verkannt.

Fierro war fest davon überzeugt, daß er mißhandelt und ausgebeutet wurde. Er wollte frei sein. In der Karibik, so hatte er vernommen, konnte man als Küstenhai und Freibeuter ein herrliches Leben führen. Es gab Inseln in Hülle und Fülle, auf denen man sich verkriechen konnte, eingeborene Frauen, Nahrung reichlich und viele vorbeisegelnde Schiffe, vor allem Spanier und Portugiesen, die man überfallen konnte.

Auch er wollte diese Art von Dasein wählen und Pirat sein. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, sich von der „Knechtschaft“ auf der „San Sebastian“ zu befreien, und nichts konnte ihn von diesem Plan abbringen. Nur der Tod – und der war in dieser Nacht vom 27. auf den 28. April sehr, sehr nah.

Wie durch ein Wunder blieben die „San Sebastian“ und die „Almeria“ vom größten Wüten des Wetters nahezu verschont. Kleinere Lecks und Schäden, die durch die Wucht der Brecher hervorgerufen wurden, konnten in recht kurzer Zeit wieder behoben werden. Jetzt, da die Schiffe standhielten, wußte Kapitän Gomez Rascón genau, was er wollte: Er versuchte, das Cabo Cruz zu erreichen, das im Süden von Kuba nach Südwesten hervorstach. Nur dort konnten sie Deckung finden.

Denn der Sturm dauerte auch den ganzen 28. April über mit kaum verminderter Härte an. Wieder brach eine Nacht der Schrecken über die Besatzungen beider Galeonen herein. Weder an Deck noch in den Laderäumen tat auch nur ein Mensch ein Auge zu. Die Frauen und Kinder weinten jetzt ununterbrochen. Sie waren total zermürbt, die Angst quälte sie wie eine Geißel.

Dann aber, am Vormittag des 29. April, ließ der Sturm unverhofft ein wenig nach. Rascón zögerte keinen Augenblick, er befand sich auf der richtigen Position, wie er anhand der Karten und einiger groben Berechnungen feststellte.

Auf seinen Befehl hin drehten die „San Sebastian“ und die „Almeria“ nach Norden hoch. Jetzt durften sie es wagen, ohne ein Zerschellen auf den Klippen zu riskieren. Schon nach kurzer Zeit tauchte ein grauer Streifen Land aus der Sturmsee auf. Und immer, wenn die Galeonen über den Kamm eines Wellenberges taumelten, war Kuba in aller Deutlichkeit zu erkennen. Dann wieder, im Hinabtauchen in die dunklen Schluchten, verschwand die Insel all ihrer Hoffnungen, als sei sie nur ein Trugbild gewesen.

Rascón ließ sich nicht beirren, er konnte nach wie vor klar genug denken. Das Kap de Cruz bot in seiner Situation eine hervorragende Abschirmung und Schutz gegen den Sturm aus Osten. Rascón dirigierte sein Schiff unter Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen um die Landspitze herum in jenen Bereich der See, der in den Golf von Guacanayabo überging – und dann, endlich, war es geschafft.

Die „Almeria“ folgte ihrem Führungsschiff und gelangte ebenfalls an den geschützten Platz, ohne auf eine Korallenbank oder auf Klippen zu laufen, die hier wie fast überall um Kuba herum als tückische Schiffsfallen versteckt lagen.

Die Schiffe verholten ein paar Meilen nördlich der Kapspitze. Hier ließen Rascón und Alentejo die Anker werfen.

Solares, der Erste Offizier der „San Sebastian“, wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Señor“, sagte er auf dem Achterdeck zu seinem Kapitän. „Das wurde aber auch höchste Zeit. Ein paar Luken sind in den letzten Stunden nämlich doch undicht geworden.“

„Hat es weitere Beschädigungen gegeben?“ fragte Rascón.

„Das Leckwasser steht bereits in den unteren Laderäumen.“

„Lassen Sie sofort die Pumpen einsetzen.“

Solares gab die Anweisung an den Bootsmann weiter, dessen Aufgabe es nun war, die unteren Schiffsräume leerzulenzen.

Vor der unmittelbaren Wucht des Sturmes war man jetzt sicher, aber neues Unheil bahnte sich an, und zwar fast gleichzeitig an Bord beider Galeonen. Die Spreu hatte sich vom Weizen gesondert, zwei Parteien hatten sich gebildet. Besonders traten jene hervor, die vom Stadtgefängnis in Cadiz an Bord der Schiffe „abgestellt“ worden waren. Sie lungerten auf den Decks herum, obwohl es noch alle Hände voll zu tun gab.

Natürlich hatte auch Kapitän Juan Alentejo an Bord der „Almeria“ den Befehl gegeben, unverzüglich das eingedrungene Wasser aus den Laderäumen zu pumpen – eine völlig selbstverständliche Maßnahme, an der sich jeder Mann reihum zu beteiligen hatte. Doch Ärger drohte von Marcela Buarcos. Sie stand – wie alle anderen Passagiere – bis zu den Knöcheln im Leckwasser und stieß die unflätigsten und gemeinsten Verwünschungen aus. Als das erste Lenzkommando mit einer Pumpe auftauchte, baute sie sich breitbeinig vor den Kerlen auf und begann höhnisch zu lachen.

Zum offenen Bruch zwischen der Schiffsführung und dem Schiffsvolk kam es jedoch zuerst an Bord der „San Sebastian“.

Der Bootsmann trat auf die am Schanzkleid herumlungernden Kerle zu und sagte: „Vorwärts, an die Pumpen, Männer. Wir dürfen jetzt nicht schlappmachen. Es gibt noch genug zu tun, das wißt ihr.“

Der willige Teil der Mannschaft – das registrierte er in diesem Augenblick – hatte bereits mit dem Ausmessen der Sturmschäden unter der Aufsicht des Schiffszimmermanns begonnen. Vorbildlich verhielten sich diese Männer, obwohl auch sie am Ende ihrer Kräfte waren. In ihnen überwog der echte Geist der Kameradschaft und die Sorge um das Wohl der ganzen Besatzung.

Hier aber, den Galgenstricken gegenüber, sah die Lage anders aus. Der Bootsmann zuckte unwillkürlich zusammen, als sie sich untereinander anstießen und verächtlich zu grinsen begannen.

Fierro hatte seine große Stunde. Er trat einen Schritt vor, stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte den Bootsmann frech an. „Wir, hast du gesagt? Gut, dann geh du doch an die verdammte Pumpe. Ich habe die Schnauze voll, und zwar gestrichen. Einen Dreck werde ich tun. Du kannst mich mal! Jetzt ist Schluß.“

Der Bootsmann zuckte noch einmal zusammen, kaum merklich diesmal. Er wußte genug über Fierro – daß er im Gefängnis von Cadiz gesessen hatte, weil er ein notorischer Raufbold und Streithammel war, daß er längst am Galgen gehangen hätte, wenn auch seine Mordtaten bekannt geworden wären. Doch war das ein Grund, vor diesem Kerl zurückzuschrecken?

Der Bootsmann fühlte sich in seiner Autorität angegriffen. Er mußte handeln – sofort. Es war seine Pflicht, ein Exempel zu statuieren, sonst hatte er für alle Zeiten vor der Mannschaft verspielt. Das konnte er sich nicht leisten.

Schon sprang er vor – direkt auf Fierro zu. Er packte ihn und riß die Faust hoch, sie war auf Fierros Kinn gezielt. Mit einem einzigen Hieb gedachte er, den Kerl zu fällen. Dann wollte er ihn vor der versammelten Mannschaft mit der Neunschwänzigen züchtigen. Der Angriff, so meinte er, erfolge viel zu überraschend für Fierro.

Aber er hatte sich in Fierro getäuscht. Der hatte auf den wütenden Ausfall nur gewartet. Absichtlich hatte er den Bootsmann provoziert, denn anders war die Meuterei nicht herbeizuführen. Jetzt war der Funke ins Pulverfaß geflogen, und das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Fierro reagierte geistesgegenwärtig. Sein Kopf ruckte nur ein wenig zur Seite – und der Fausthieb des Bootsmannes ging fehl. Fierro versetzte ihm einen Stoß gegen die Brust, daß er ins Taumeln geriet, folgte seiner Rückwärtsbewegung und schlug selbst mit voller Wucht zu.

Er traf – der Bootsmann flog zurück und rutschte auf dem Deck aus. Die Kerle johlten schadenfroh. Auf dem Achterdeck sprangen der Erste Offizier, der Steuermann und der Rudergänger an die Querbalustrade, um nachzusehen, was geschah, doch aufhalten konnten sie den Lauf der Dinge auch nicht mehr.

Der Bootsmann prallte rücklings gegen die Nagelbank des Großmastes. Sein Kopf und sein Nacken gerieten mitten zwischen die Köpfe der Koffeynägel, ein häßliches Geräusch war zu vernehmen. Dann sank er schlaff zu Boden und rührte sich nicht mehr.

„Der steht so schnell nicht wieder auf!“ brüllte Fierro. „Recht so! Geht nicht an die Pumpen, Amigos! Laßt den Kapitän die Lausearbeit verrichten! Der tut den ganzen Tag über sowieso nichts!“

Gomez Rascón befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Kapitänskammer, war aber ebenfalls durch den auf der Kuhl entstehenden Lärm alarmiert. Soeben blickte er von seinen Kurskarten auf, ließ sie auf dem Pult liegen und schritt zur Tür, die halb offenstand. Er tastete instinktiv zur Pistole und zum Degen und vergewisserte sich, daß er sie wie üblich bei sich trug.

Solares, der Erste Offizier, hatte seine Radschloßpistole bereits in der Hand. Er spannte den Hahn. Das metallische Geräusch war bis zu Fierro und den anderen Kerlen zu vernehmen. Sie standen mitten auf der Kuhl. Fierro hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte herausfordernd zum Achterdeck hoch.

Solares verließ das Achterdeck auf dem Weg über den Backbordniedergang.

„Vorsicht“, sagte Steuermann Elcevira hinter seinem Rücken. „Mit den Kerlen ist nicht zu spaßen.“

„Mit mir auch nicht“, sagte Solares wütend. Er näherte sich der Nagelbank, blieb stehen, bückte sich nach dem immer noch bewegungslos daliegenden Bootsmann und untersuchte ihn flüchtig, ließ die Kerle dabei aber kaum aus den Augen.

„Mein Gott“, murmelte er dann und richtete sich langsam wieder auf. Seine Stimme hatte sich verändert, sie klang etwas brüchig. „Er steht nie wieder auf“, sagte er. „Er ist tot. Es hat ihm das Genick gebrochen.“

„Gut“, sagte Fierro kalt. „Das Schwein hat’s verdient.“

Solares hob die Pistole und zielte genau auf Fierros Stirn. Hinter dessen Rücken traten die Aufrührer näher heran, als wollten sie ihn schützen. Fierro stand in unveränderter Haltung da. Er schien nicht die geringste Angst zu haben.

„Dafür bezahlst du“, sagte Solares grimmig.

„Señor“, sagte Fierro. „Überleg dir genau, was du tust. Du bist nicht der Kapitän und nicht das Bordgericht. Du weißt, daß du mich nicht abknallen kannst wie irgendeinen Hund.“

„Doch“, sagte Solares kaum verständlich. „Wie einen Hund.“

Kapitän Gomez Rascón trat in diesem Moment aus dem Schott, das den Mittelgang des Achterkastells abschloß.

„Solares!“ rief er. „Um Himmels willen, was tun Sie da?“

Solares antwortete nicht, aber Elcevira, der über Rascón an der Schmuckbalustrade stand, entgegnete: „Die Kerle haben unseren Bootsmann umgebracht, Señor.“

Solares schien durch das Auftauchen des Kapitäns irritiert zu sein. Fierro nutzte die Chance. Er war mit einem Satz bei dem Ersten und versuchte, sich auf ihn zu stürzen und ihm die Pistole zu entreißen. Doch Solares handelte gedankenschnell. Er wich zurück und drückte ab. Krachend brach der Schuß, eine Wolke Pulverqualm puffte in den Morgenhimmel hoch. Fierro ließ sich blitzschnell fallen und rollte zur Nagelbank hin ab. Die Kugel traf einen anderen Kerl, der sich ebenfalls auf den Ersten werfen wollte. Röchelnd brach er zusammen.

Jetzt gab es für die anderen keinen Halt mehr. Brüllend stürmten sie vor und bewaffneten sich mit Koffeynägeln, die Fierro aus der Nagelbank riß und ihnen zuwarf.

Ein Belegnagel flog haarscharf an Solares’ Kopf vorbei. Er wollte den Säbel zücken und sich den Angreifern entgegenwerfen, doch hinter ihm schrie der Kapitän: „Solares! Zurück!“

„Auf sie!“ brüllte Fierro und griff nach einer herumliegenden Zimmermannsaxt, die er gerade entdeckt hatte. „Schlagt sie nieder! Stürmt das Achterdeck! Der Kahn ist unser!“

„Aufruhr“, stöhnte Gomez Rascón. „Die Kerle haben Morgenluft gewittert.“ Er riß die Pistole aus dem Gurt und feuerte einen Warnschuß in die Luft ab. „Zurück!“ schrie er.

Solares war neben ihm, er hielt den Säbel jetzt in der Hand.

„Señor, die bringen uns alle um!“ stieß er hervor. „Wir müssen schießen, wir haben keine andere Chance mehr!“

„Vorwärts!“ brüllte Fierro. Er war auf den Beinen und schwang drohend die Zimmermannsaxt. Schon hatte er den Kapitän fixiert und versuchte, ihn zu erreichen. Die Horde setzte nach, und wieder flogen ein paar Koffeynägel. Elcevira konnte gerade noch rechtzeitig genug den Kopf einziehen. Der Rudergänger wurde getroffen und sank stöhnend auf die Planken des Achterdecks.

Rascón und Solares sahen sich schon umzingelt und niedergemetzelt, da geschah etwas Unerwartetes. Bislang hatte die reguläre Besatzung der „San Sebastian“ ziemlich fassungslos und irritiert verfolgt, was sich abgespielt hatte. Doch jetzt ergriff der Zimmermann die Initiative und sprang von der Back auf die Kuhl.

„Mir nach!“ schrie er. „Das lassen wir nicht zu!“

Tatsächlich zögerten die Seeleute nicht. Sie schlossen sich ihm an, fielen den Meuterern in den Rücken und in die Seite und entfesselten ein erbittertes Handgemenge. Ein mörderischer Kampf entbrannte auf der Kuhl. Rascón und Solares griffen aktiv mit ein, und auch die anderen Achterdecksmannen waren mit Waffen zur Hand. Sie wollten über die Niedergänge ebenfalls auf das Hauptdeck stürmen, aber Rascón hielt sie durch einen Zuruf zurück.

„Bleibt oben!“ schrie er. „Wir müssen das Achterdeck halten!“

„Schlagt die Hunde zusammen!“ brüllte der Zimmermann. „Fesselt sie! Sperrt sie ein!“

„Vorwärts!“ brüllte Fierro. „Nieder mit dem Kapitän!“

„Ich warte auf dich!“ schrie Rascón ihm zu. Er fühlte sich innerlich bestätigt und angespornt durch die Tatsache, daß der alte Teil seiner Mannschaft loyal zu ihm stand. Jetzt zahlte sich aus, daß er sie immer ehrlich und anständig behandelt hatte.

Der Kampf tobte hin und her. Fierro und die Meuterer setzten sich wie Raubtiere zur Wehr und droschen mit allem um sich, was ihnen in die Hände geriet.

Unter Deck war der Lärm natürlich auch nicht ungehört geblieben. Die Passagiere der „San Sebastian“ kauerten an den Schotten und unter den Luken und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten.

„Jetzt geht es uns an den Kragen“, sagte einer der Siedler mit entsetztem Gesicht.

„Nein“, begann eine Frau zu jammern. „Ich will nicht sterben. Lieber tue ich alles, was sie von mir verlangen.“

Die Kinder fingen wieder zu weinen an, und viele von ihnen zuckten unter jedem Schuß, der oben fiel, und jedem Fluch wie unter Peitschenhieben zusammen. Alle bangten um ihr Leben – nur die Abenteurer und die Huren unter ihnen nicht.

„Seid still“, sagte einer von ihnen, ein dunkelhaariger, gefährlich wirkender Mann namens Vitaliano. „Ihr wißt doch noch gar nicht, was wird. Vielleicht ist es unser aller Glück, daß die Männer da oben meutern. Ich kenne ihren Anführer. Er heißt Fierro. Der weiß, was er will.“

Die rothaarige Hure, die sich an seine Seite gedrückt hatte, lachte heiser. „Ja, er ist ein toller Kerl, nicht wahr? Einer, auf den man sich verlassen kann.“ Sie hieß Rosaria.

Vitaliano musterte sie von der Seite. Er konnte genau in ihren großzügigen, üppig gefüllten Ausschnitt blicken.

„Das ist jetzt eine Sache der Entscheidung, Muchacha“, brummte er. „Man muß wissen, auf welcher Seite man steht.“

„Ja“, sagte der Glücksritter, der hinter ihm stand. „Ich bin wie du für Fierro, und mit mir noch zwei oder drei andere. Was die anderen tun, ist mir scheißegal.“

„Warum gehen wir nicht rauf und unterstützen Fierro?“ fragte Vitaliano.

„Eine gute Idee!“ rief Rosaria und lachte. „Ich hab’ mich auch entschlossen! Ich bin mit dabei! Du gefällst mir, und ich glaube, wir können zusammen einiges auf die Beine stellen!“ Sie quietschte vor Vergnügen, als Vitaliano ihr grinsend in den Ausschnitt griff.

„Auf was warten wir noch?“ schrie ein anderer Abenteurer. „Los, wir verlieren hier nur kostbare Zeit! Das Schiff gehört uns!“

Sie stürmten aus dem Laderaum zum nächsten Niedergang, Vitaliano und Rosaria allen voran. Sie hatten Pistolen, und kaum langten sie auf der Kuhl an, feuerten sie die Waffen ab. An Bord war der Teufel los, es gab Tote und Verletzte.

Seewölfe Paket 20

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