Читать книгу Seewölfe Paket 20 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 29

2.

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Von Stolz erfüllt harrte Old Donegal Daniel O’Flynn den ganzen Nachmittag auf dem Achterdeck der „Empress“ aus.

Er besaß nun alles, was ein Mann sich nur wünschen konnte. In Freiheit lebte er mit seinen Freunden auf der Schlangen-Insel. Er hatte seine lange geplante Schenke eröffnet, und er verfügte über sein eigenes Schiff. Nicht zuletzt war da Mary, geborene Snugglemouse, die mit beiden Beinen fest auf der Erde stand. Ein besseres Weib gab es nach Old Donegals Maßstäben nicht.

Auch Martin Correa, Steuermann und Bootsmann der „Empress“ in einer Person, zählte zu den positiven Errungenschaften, die der alte O’Flynn an diesem Nachmittag des 25. April in seiner gedanklichen Bestandsaufnahme zusammenreihte.

Correa leistete die harte Arbeit an der Pinne der „Empress“ ohne die geringsten Anzeichen von Erschöpfung. Er war ein kräftig gebauter Mann, seine grauen Augen und das kantige Gesicht spiegelten Zähigkeit und Tapferkeit. Als ehemals zweiter Steuermann der spanischen Galeone „San Nicolas“ hatte er bereits zweimal die Karibik bereist, und seine Fähigkeiten als Seemann und hervorragender Navigator hatte er unter dem Kommando des alten O’Flynn bereits hinreichend unter Beweis gestellt.

Batuti, der herkulisch gebaute Gambianeger, und Bob Grey, der drahtige blonde Engländer, hatten mit der Decksarbeit auf der „Empress“ keine Schwierigkeiten. Das Lateinerrigg der dreimastigen kleinen Karavelle war von Hesekiel Ramsgate so ausgelegt worden, daß eine geringe Mannschaftsstärke ausreichte.

Auf nordöstlichem Kurs lag das vierzig Fuß lange schlanke Schiff hart am Wind und bewies seine hervorragenden Segeleigenschaften. Für Zubringer- und Nachrichtendienste, so stellte Old O’Flynn abermals fest, was seine „Empress“ eben unübertroffen. Keine der großen Galeonen des Bundes der Korsaren hätte die dreißig Seemeilen von der Schlangen-Insel bis zur nordöstlich gelegenen Korallen-Insel in weniger als fünf Stunden bewältigt. Selbst mit der „Isabella“ wäre ein zeitraubendes Aufkreuzen notwendig gewesen.

Der Abwärtsweg der Sonne näherte sich bereits ihrem Ende, als die Umrisse von Coral Island über der nordöstlichen Kimm auftauchten. Mit hoch schäumender Bugwelle rauschte die „Empress“ auf ihr Ziel zu, und sehr bald zeichneten sich die Einzelheiten immer deutlicher ab. Da war der Gischtkranz zu sehen, der von den mächtigen Korallenbänken verursacht wurde, welche die Insel als schützender Ring umgaben. Und da war die üppige tropische Vegetation, die das Eiland als leuchtend grünes Kleinod in der Weite der Karibischen See erscheinen ließ.

„Ein herrliches Stück Erde“, sagte Martin Correa, dem der Anblick von Coral Island weniger geläufig war als den übrigen Männern aus dem Bund der Korsaren. „Nichts gegen die Schlangen-Insel, aber die Timucuas dürften hier wie im Paradies leben.“ Er kannte die Geschichte des Indianerstammes aus Florida, der mit Hilfe des Seewolfs seine zweite Heimat auf Coral Island gefunden hatte.

Old Donegal wandte sich um und legte sein verwittertes Gesicht in Falten.

„Alles schön und gut, aber mir wäre lieber gewesen, wenn sie uns auch noch das Geheimnis des Jungbrunnens verraten hätten.“

„Wahrscheinlich wissen sie es selber nicht“, entgegnete der Steuermann. „Sonst würden sie das doch schon aus Dankbarkeit preisgeben.“ Wie kein zweiter verstand es Martin Correa, auf die Schrullen des Alten einzugehen. Wenn den Arwenacks und ihren Gefährten längst der Geduldsfaden riß, hörte Martin den Erzählungen Old Donegals immer noch geduldig und interessiert zu. Daß es sich dabei stets um übersinnliche Dinge handelte, störte ihn nicht im mindesten. Auch die Geschichte mit dem Jungbrunnen, der sich irgendwo im südlichen Florida befinden sollte, kannte der Steuermann der „Empress“ längst auswendig.

„Bei den Indianern kann man nie ganz sicher sein“, sagte Old Donegal. „Manches verraten sie selbst ihren besten Freunden nicht. In der Beziehung sind sie verdammt merkwürdig, wenn sie sonst auch feine Kerle sind.“

Im nächsten Moment wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt, und das Thema Jungbrunnen war damit beendet.

Denn die „Empress“ rauschte jetzt auf die Ostküste der Insel zu. Die Einfahrt zur Ankerbucht zeichnete sich in Sichtweite ab. Über den schroffen Formationen der Korallenbänke erhoben sich jedoch nicht nur die Masten der „San Donato“. Auch der Schwarze Segler lag dort in der Bucht. Thorfin Njal hatte also die Patrouillenfahrt zu einem kurzen Besuch bei den Timucuas genutzt.

Old Donegal dachte nicht daran, auch nur einen Fetzen Tuch wegnehmen zu lassen. Eine fieberhafte Besessenheit packte ihn, die freudige Nachricht so schnell wie möglich zu überbringen. Martin Correa und die beiden Männer von der „Isabella“ hatten nichts einzuwenden. Sie kannten die prächtigen Eigenschaften der „Empress“, und es gab in der Tat kein übermäßiges Risiko.

Auf Anweisung von Old O’Flynn legte Correa die Karavelle auf Kurs Ost-Nord-Ost. Als sie mit sechs Kabellängen Abstand an der Passage zur Bucht vorbeijagten, ertönte von dort bereits Begrüßungsgebrüll. Der alte O’Flynn grinste bis zu den Ohren, denn er malte sich aus, wie es ihnen gleich die Sprache verschlagen würde, wenn sie die Neuigkeit erfuhren. Dann folgte eine Wende nach Backbord. Willig drehte die „Empress“ ihren Bug durch den Wind und rauschte bei halbem Wind mit Direktkurs auf die Einfahrt zu.

Es zeigte sich, daß der schwarze Viermaster nicht nutzlos in der Bucht lag. Der Wikinger beschränkte sich keineswegs darauf, den Timucuas „Guten Tag“ zu sagen. Auch an die Versorgung der Schlangen-Insel dachte er bei dieser Gelegenheit. In der Bucht und am Ufer herrschte reger Betrieb. Timucuas brachten große Körbe mit Früchten und Gemüse aus dem Inneren der Insel und reihten sie am Strand auf. Beiboote dienten für den Pendelverkehr zwischen dem Schwarzen Segler und dem Ufer. Als Gegenleistung erhielten die Bewohner von Coral Island Werkzeuge, Baumaterialien, Stoffe und Gerätschaften, die samt und sonders aus Beutezügen des Bundes der Korsaren stammten.

Die Idee, Coral Island als Versorgungsinsel für die Schlangen-Insel auszubauen, begann sich zu verwirklichen. In der kurzen Zeit ihres Aufenthalts auf dem Korallen-Eiland hatten die Timucuas bereits Beträchtliches geleistet. Plantagen waren angelegt worden, und ihr Arbeitseifer wurde durch eine stattliche Ernte belohnt.

Thorfin Njal, der auf seinem Sesselchen auf dem Achterdeck des Viermasters thronte, hob erstaunt den behelmten Kopf, als der alte O’Flynn wie ein Irrer mit der „Empress“ in die Bucht brauste.

Die Arbeiten wurden indessen nicht unterbrochen. Ein Beiboot der „San Donato“ lag längsseits. An der nach Backbord ausgeschwenkten Besan-Gaffelrute des Schwarzen Seglers war eine Talje angeschlagen, die dazu diente, die Körbe aus dem Beiboot an Bord zu hieven.

Mit killenden Segeln schoß die „Empress“ nahe bei „Eiliger Drache“ an Steuerbord in den Wind. Breitbeinig stand der alte O’Flynn auf dem Achterdeck seiner Kleinkaravelle. Mit beiden Händen formte er einen Trichter vor dem Mund und brüllte seine Nachricht zu dem großen Viermaster hinauf, wo die ersten neugierigen Gesichter an der Verschanzung erschienen.

„He, Thorfin, du verdammter Glückspilz! Du bist Vater geworden! Und das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal! Gotlinde hat dir ein Pärchen beschert! Heute mittag war das, seitdem krähen die beiden Kleinen auf der Schlangen-Insel um die Wette!“

Einen Augenblick herrschte auf dem Schwarzen Segler die Stille der Überraschung.

Dann brach das Gebrüll los.

Was sich allerdings dort oben an Backbord abspielte, konnte Old Donegal vom Achterdeck seiner „Empress“ aus nicht sehen.

Thorfin Njal, der Klotz von einem Kerl, fuhr jäh von seinem „Sesselchen“ hoch, als hätte ihn der wilde Affe gebissen. Er warf die Arme hoch, und ein urgewaltiger Schrei entrang sich seinem mächtigen, von Fellen bedeckten Brustkasten.

Wie ein Röhren klang es, überall auf den Decks des Viermasters pflanzte es sich fort und vereinte sich zu einem vielstimmigen „Hurra“ aus den heiseren Stimmen der Crew.

Immer noch röhrte der Wikinger, und für einen Moment schien es, als wolle er sich vor lauter Freude den Helm vom Kopf reißen, um ihn in der Luft zu schwenken. Im Taumel seiner Vatergefühle achtete er nicht auf den schweren Korb, den der Stör an der Talje soeben hochgehievt hatte.

Bedächtig schwenkte der Nordmann mit dem langen Gesicht die Gaffelrute binnenbords. Mit der ihm eigenen Verzögerung begriff er erst jetzt, was sich abspielte. Sein Blick fiel auf den röhrenden Wikinger, und das Gegröl der übrigen Männer hallte in seinen Ohren nach.

„Hurra!“ brüllte der Stör und warf die Arme hoch, wie es Thorfin tat, den er so gern nachahmte.

Daß er dabei die holende Part losließ, bemerkte er erst, als sie wie eine Schlange durch die Talje züngelte. Doch das verhängnisvolle Geschehen war nicht mehr aufzuhalten.

Der schwere Gemüsekorb raste abwärts.

Dem Stör stockte der Atem, und sein Freudengebrüll versiegte schlagartig.

Denn haargenau unter dem fallenden Korb befand sich der Wikinger. Und dem Stör blieb keine Zeit, zu reagieren.

Mit einem dumpfen Laut knallte der Korbboden auf den Kupferhelm und platzte auf. Für einen Sekundenbruchteil waren noch Thorfins erschrockene Augen zu sehen. Dann erstickte sein Freudenröhren in der Gemüseladung, die ihn weich und saftig einschloß.

Vergeblich ruderte er mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Doch der Korb gab seinen Kopf mitsamt Helm nicht frei.

Der Stör wich entsetzt beiseite, als der Wikinger ins Taumeln geriet – ein Berg von Muskeln, gekrönt von einem riesigen Flechtkorb, aus dem leuchten rote Früchte purzelten. Tomaten!

Drei, vier davon zerplatzten auf den Achterdecksplanken.

Die Männer auf der Kuhl und auf der Back stellten ihr Gegröl ein, als sie das Geschehen erfaßten. Für einen Moment waren sie versucht, in Gelächter auszubrechen. Der fellbekleidete Riese, der statt eines Kopfes einen Korb trug, sah in der Tat aus wie ein urkomisches Wesen aus einer noch unentdeckten Welt.

Aber fleischige Tomateröte behinderte sein Sehvermögen und raubte ihm das Gleichgewichtsgefühl.

Bevor einer aus der Crew eingreifen konnte, taumelte Thorfin ausgerechnet auf den Steuerbordniedergang zu. Der Stör, der nahe genug gewesen wäre, um noch zuzupacken, war vor Entsetzen wie gelähmt.

Der Wikinger kriegte Übergewicht. Der schwere Korb zog ihn buchstäblich nach unten. Ein dumpfes Gurgeln drang durch die Tomaten, als er einen letzten Schritt versuchte. Doch der führte nur ins Leere. Sein linker Fuß verfing sich in den obersten Stufen, und dadurch verlor er endgültig den Halt.

Kopfüber – oder besser „korbüber“ – segelte er auf die Planken der Kuhl. Tomaten kullerten nach allen Seiten. Unter den Fußsohlen der herbeieilenden Männer wurden die Früchte zu rotem Brei zermatscht.

Auf der „Empress“, die mittlerweile bereits in einiger Entfernung vor Anker lag, brachen die vier Männer in schallendes Gelächter aus. Old Donegals Lachen klang wie das Meckern eines Ziegenbocks.

Doch Sekunden später, als sich der Wikinger noch immer nicht rührte, wurde es auch auf der kleinen Karavelle still.

Arne und Olig waren als erste auf den reglosen Thorfin Njal zugeeilt, ihnen folgte der Boston-Mann. Gemeinsam beugten sie sich voller Besorgnis über den Reglosen und zogen behutsam den Korb beiseite. Was sich ihren Blicken darbot, reizte erneut zur Heiterkeit.

Der Helm lag mitten in der Tomatenbrühe, und Thorfins Haarpracht mitsamt Bart war dunkelrot von Tomatensaft.

Doch das Lachen blieb den anderen im Hals stecken, als sie ihn stöhnen hörten. Seine Gesichtshaut war grau vor Schmerzen – an den wenigen Stellen, die die rote Brühe nicht erreichte. Mühsam schaffte es der Wikinger, den Oberkörper aufzurichten.

So hatte ihn noch keiner erlebt. Und sie brauchten keine besondere Erklärung, um die Ursache zu erkennen.

Der linke Fuß des Wikingers stand auf erschreckende Weise schief. Unter den Riemen der Sandale war der Knöchel bereits unförmig angeschwollen.

Auf dem Achterdeck ließ der Stör die noch immer zum Freudenschrei erhobenen Arme sinken. Sein Mund stand offen, sein starrer Blick war auf den schiefen Fuß seines Kapitäns gerichtet. Dann sah er, wie die Zornesadern unter der Tomatenröte des Wikingers anschwollen.

Fluchtartig hastete der Stör los – hinüber zum Backbordniedergang, um nur schnellstens größtmögliche Distanz zwischen sich und den saftbesudelten frischgebackenen Vater zu bringen. Mit einem wilden Satz landete der langgesichtige Nordmann auf den Planken der Kuhl. Die Donnerstimme Thorfins Njals erreichte ihn noch, als er auf die offene Grätingsluke zurannte und sich unter Deck in Sicherheit brachte.

„Verdammter hirnrissiger Torfkopp! Du dreimal verfluchtes Mondkalb hast nichts als Schlick im Schädel! Aber diesmal kriegst du, was dir zusteht, verlaß dich drauf! Du sollst im hintersten Höllenwinkel gebraten werden, bis du kohlrabenschwarz bist. Aber vorher ziehe ich dir an der Großrah den Hals lang, daß du als Ausguck nicht mal mehr in den Mars rauf mußt!“

Eike, der in der Nähe der Luke stand, stieß zur Bestätigung ein grimmiges Knurren aus. Mit einem Satz folgte er dem Fliehenden in den Unterdecksraum. Diesmal war das Maß für den Stör voll. Genug, um den Männern an Bord den Kragen platzen zu lassen.

Nur sekundenlang waren dumpfe Schritte aus der Luke zu hören. Dann ein erschrockener Laut, gefolgt von einem trockenen Schlag. Im nächsten Moment tauchte Eike wieder auf und rieb sich grimmig die Knöchel der rechten Hand.

„Dieser Hohlkopf richtet fürs erste keinen Schaden mehr an“, sagte er grollend.

Thorfin Njal nickte zufrieden, verzog aber schmerzerfüllt das Gesicht, als er versuchte, das linke Bein zu bewegen.

„Bei Odins Raben“, sagte er ächzend, „jetzt fehlt mir bloß noch, daß der Flunken gebrochen ist.“

„Sieht ganz danach aus“, entgegnete Arne und kniete sich vor ihm auf die Planken. „Halt mal still.“ Er begann, den geschwollenen Knöchel zu betasten.

Schon bei der ersten Berührung brüllte der Wikinger vor Schmerzen. Arne zuckte zurück und wechselte einen betroffenen Blick mit Olig und dem Boston-Mann. Auch die übrigen Crewmitglieder betrachteten ihren auf den Planken liegenden Kapitän voller Mitgefühl. Vergessen war die frohe Botschaft, die Old Donegal Daniel O’Flynn überbracht hatte.

Der Stör hatte es mit seiner Dämlichkeit geschafft, das Vaterglück vorerst weit in den Hintergrund zu schieben. Folglich gab es auch kein Freudenfest an Bord. Alles zusammen war Grund genug, eine Mordswut auf den Trottel zu entwickeln. Die Gedanken der Männer unterschieden sich deshalb nicht sehr voneinander.

Der alte O’Flynn war mittlerweile per Beiboot herübergepullt und über die Jakobsleiter aufgeentert. Er stelzte auf den angeknacksten Wikinger zu und schüttelte den Kopf.

„Mann o Mann. Mußt du gleich so aus dem Häuschen geraten, daß du dir die Gräten brichst? Dabei braucht Gotlinde gerade jetzt deinen männlichen Beistand.“

Der Gedanke daran war fast zuviel für Thorfin. Er verdrehte die Augen und seufzte so herzerweichend, wie es die Männer nie zuvor von ihm gehört hatten.

„Dafür werde ich diesen Blödhammel eigenhändig kielholen“, sagte er keuchend. „Und anschließend wird er geteert und gefedert und auf einer unbewohnten Insel ausgesetzt. Da kann er für den Rest seines Lebens als Sumpfhuhn durch die Gegend hüpfen.“

Die Männer konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Erst mal halblang“, sagte Old O’Flynn beschwichtigend. „Ich denke, wir benachrichtigen Shawano. Sein Medizinmann wird sich um die Geschichte kümmern.“ Er deutete auf Thorfins geschwollenen Knöchel und den schief stehenden Fuß.

Der Wikinger hatte nichts dagegen einzuwenden. Und alle wußten, was es bedeutete, diesen eisenharten Mann so still und widerspruchslos zu erleben. Jeder einzelne aus der Crew konnte sich nur zu gut in seine Lage versetzen. Denn während der vergangenen Monate hatten sie sich mit ihm über seinen bevorstehenden Vaterstolz gefreut. Nun flachliegen zu müssen, noch dazu wegen eines so lächerlichen Grundes – das hatte er bestimmt nicht verdient.

Die Timucuas, die am Strand beschäftigt waren, hatten bereits mitgekriegt, was sich an Bord des Schwarzen Seglers abgespielt hatte. So dauerte es nicht lange, bis Häuptling Shawano und der Medizinmann des Stammes in einem Beiboot herübergepullt wurden.

Ohne Umschweife begann der Medizinmann, den geschwollenen Fuß des Wikingers zu untersuchen. Thorfins anfängliches Mißtrauen wich, als er sah, wie behutsam der Indianer dabei zu Werke ging. Dann hob dieser den Kopf und wechselte wenige Worte in der Timucua-Sprache mit dem Häuptling.

Shawano nickte und, wandte sich an den Wikinger. Die Sprache des weißen Mannes beherrschte er bereits fließend, wenn auch noch mit deutlichem Akzent.

„Der Knöchel ist gebrochen. Du wirst jetzt Schmerzen haben, denn der Fuß muß gerichtet und geschient werden. Es dauert aber nur einen kurzen Augenblick.“

„Dann mal los“, sagte der Wikinger matt. „Was ich hinter mir habe, kann ich vergessen.“

Shawano nickte und und gab dem Medizinmann entsprechende Anweisung.

Blitzschnell und bevor Thorfin es richtig begreifen konnte, packte der Indianer zu. Mit einem kurzen, kraftvollen Ruck bewies er, daß er etwas von Knochenbrüchen verstand.

Der Wikinger brüllte auf wie ein Stier. Doch nur einen Atemzug lang. Dann sank er zurück und streckte alle viere von sich. Die Bewußtlosigkeit erlöste ihn von dem grausamen Schmerz.

Die Männer preßten die Lippen aufeinander. Nur zu gut konnten sie sich vorstellen, welche Höllenqualen Thorfin beim Richten des Bruches hatte leiden müssen. Denn die meisten von ihnen hatten ähnliche Erfahrungen hinter sich – Verstauchungen, Verrenkungen und auch Brüche gab es in einer kampferprobten Crew mehr als genug.

Seine weitere Arbeit erledigte der Medizinmann mit schnellen, geübten Handgriffen. Der Boston-Mann teilte ein halbes Dutzend Männer ein, die zunächst Holzstäbe zum Schienen des Bruches herbeischafften und dann eine behelfsmäßige Trage anfertigten. Währenddessen legte der Medizinmann dem Bewußtlosen einen fachgerechten Verband an.

Anschließend wurde er auf die Trage gebettet, in die Kapitänskammer gebracht und dort in seine Koje gepackt. Daß der Blessierte jedoch nicht so zahm bleiben würde wie im bewußtlosen Zustand, darüber waren sich der Boston-Mann und alle anderen im klaren.

Seewölfe Paket 20

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