Читать книгу Seewölfe Paket 22 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 29
5.
ОглавлениеSiri-Tong wandte sich erneut den Engländern zu. Diesmal sprach sie direkt Charles Stewart an, der mit verbissenem Gesicht auf die Planken stierte.
„Was haben Sie mit Ihrem Überfall auf das Schiff des Seewolfs bezweckt, Mister Stewart?“
Stewart hob den Kopf und grinste spöttisch.
„Das ist – mit Verlaub gesagt – eine dämliche Frage, Madam“, erwiderte er geradezu provozierend. „Denn erstens einmal haben wir von Ihrer Majestät, der Königin, den Auftrag gehabt, einen Betrüger, Spion und Verräter namens Philip Hasard Killigrew zu fangen und nach England zu bringen. Zweitens hätte sich durch den Überfall für uns die Möglichkeit ergeben, uns in den Besitz von zwei Schiffen zu bringen, da die eigenen, die ‚Orion‘ und die ‚Dragon‘, ja bekanntlich von Ihnen versenkt wurden. Im übrigen, Madam, bin ich es als Offizier gewohnt, die Befehle Ihrer Majestät auszuführen. Ich sehe deshalb überhaupt nichts Verbrecherisches an meiner Handlungsweise, im Gegenteil – es wäre ein Akt des Ungehorsams gegen die Königin gewesen, wenn ich nicht so gehandelt hätte, wie ich es getan habe.“
Marc Corbett fuhr empört dazwischen.
„Was dieser Kerl hier behauptet, ist ungeheuerlich, Madam. Er dreht und wendet den Spieß, wie es ihm in den Kram paßt und findet sogar noch Entschuldigungen für seine niederträchtige Verhaltensweise. Außerdem stimmt es nicht, daß ein Befehl Ihrer Majestät, der Königin, vorliegt. Er kann keinen Beweis dafür erbringen, denn ein schriftlicher Befehl oder Auftrag der Königin für die Gefangennahme Sir Hasards existiert höchstwahrscheinlich nicht. Mein Kommandant, Sir Edward“, er deutete mit einer Kopfbewegung auf ihn, „hat jedenfalls weder von der Königin noch vom Lordadmiral einen solchen Befehl erhalten.“
„Das ist sehr interessant, Mister Corbett“, sagte Siri-Tong. „Auf welche Tatsachen stützen Sie Ihre Behauptungen?“
„Nun, ich sagte ja bereits, daß der ‚Orion‘ kein schriftlicher Befehl vorlag. Außerdem haben bereits die Kapitäne Rooke und Wavell, die Kommandanten der ‚Centurion‘ und der ‚Eagle‘, von Sir Henry Battingham verlangt, einen solchen Auftrag einsehen zu dürfen, aber Sir Henry hat das abgelehnt und sich damit herausgeredet, Sir Andrew Clifford sei im Besitz dieser königlichen Order.“
„Wurde das jemals überprüft?“
„Nein, Madam, denn Sir Andrew war zu diesem Zeitpunkt bereits Geisel des John Killigrew und konnte demzufolge nicht befragt werden. Deshalb nahmen wir zunächst an, daß Ihre Majestät Sir Henry oder Sir Andrew vielleicht nur eine mündliche Order erteilt hat und darauf vertraute, daß diese sich bei den Kommandanten der vier Kriegsgaleonen durchsetzen würden.“
„Das ist eine sehr schwache Vermutung“, bemerkte Siri-Tong, „wenn nicht sogar eine sehr haltlose, mit der man lediglich versucht hat, seine Handlungsweise moralisch zu rechtfertigen. Immerhin aber führen die Spuren immer wieder zu diesem Mister Clifford und Mister Battingham, die ich eingangs als die Urheber der ganzen Intrigen bezeichnet habe.“
„Das mag durchaus sein, Madam, aber uns fehlte eben immer der Beweis für unsere Vermutungen, und solange wir nicht das Gegenteil beweisen konnten, mußten wir uns dem vermeintlichen Willen der Königin unterordnen …“
Siri-Tong sah Marc Corbett scharf an.
„Mußten Sie das wirklich, Mister Corbett?“
Der Erste Offizier der früheren „Orion“ senkte für einen Augenblick den Kopf.
„Nun ja, Madam, einige haben auch anders gehandelt. Die Kapitäne Rooke und Wavell zum Beispiel zogen aus dem Fehlen einer schriftlichen Order die Konsequenzen und verließen den Verband – das sei um der Wahrheit willen gesagt.“
Die Rote Korsarin richtete jetzt ihren Blick auf Sir Edward Tottenham, den Kommandanten der „Orion“.
„Und welche Meinung vertreten Sie, Mister Tottenham?“ fragte sie mit etwas Spott in der Stimme. Sie hatte längst erkannt, daß dieser Mann nicht nur sehr zurückhaltend, sondern auch ein Zögerer war und froh sein konnte, einen so tüchtigen und geradlinigen Kerl wie seinen Ersten Offizier zur Seite zu haben.
Sir Edward gab sich einen Ruck und bemühte sich, der Frau auf dem Achterdeck in die Augen zu sehen.
„Ich muß meinem Ersten Offizier beipflichten, Madam. Es gibt höchstwahrscheinlich keine schriftliche Order Ihrer Majestät, der Königin. Infolgedessen hatte ich mich inzwischen entschlossen, auch eine mögliche mündliche Order zu ignorieren, da sie ja als solche für mich nicht verbindlich ist. Sollte ich je nach England zurückkehren, werde ich einen ausführlichen Bericht über den Verlauf des unseligen Unternehmens anfertigen und den Lordadmiral darauf hinweisen, daß es ein grober Fehler war, vier Kriegsgaleonen Ihrer Majestät ohne einen verantwortlichen Befehlshaber und ohne eine klare Order in See gehen zu lassen, noch dazu in der stillen Erwartung, die vier Kommandanten würden sich einer Gruppe von Höflingen unterordnen, die weder von der Seefahrt noch von der entsprechenden Kriegführung eine Ahnung haben.“
Marc Corbett bedachte seinen Kapitän mit einem überraschten Blick. Donnerwetter, sagte er sich, mir scheint, der Alte hat inzwischen einiges dazugelernt. Aber es sollte noch besser kommen, denn Sir Edward Tottenham redete weiter – mit knarrender, erbitterter Stimme.
„Leider habe ich viel zu spät erkannt, daß es den Höflingen bei einer Gefangennahme Philip Hasard Killigrews nur darum gegangen wäre, sich dessen angebliche Schatzbeute anzueignen. Seine eigentliche Person wäre für diese Männer nur das Mittel zum Zweck gewesen. So ungeheuerlich diese Behauptung auch klingen mag – sie entspricht der Wahrheit. Das Versprechen, diese Schatzbeute später der Königin abzuliefern, war nichts anderes als reine Heuchelei, denn diese ehrlosen Burschen hätten genau das Gegenteil davon getan. Das gleiche muß ich leider auch in bezug auf Mister Stewart sagen, der meines Erachtens vor ein Kriegsgericht gehört …“
Charles Stewart, der Sir Edward haßerfüllt ansah, begann augenblicklich zu toben.
„Das ist eine Unverschämtheit!“ brüllte er. „Dieser Mann lügt, ich werde ihm das Maul stopfen, jawohl!“ Dann versuchte er, sich trotz seiner Handfesseln auf Tottenham zu stürzen und ihm die Fäuste ins Gesicht zu schlagen.
Aber der hünenhafte Barba war bereits beim ersten Wort Stewarts den Niedergang hinuntergesprungen. Er hatte mit dieser unbeherrschten Reaktion des vierschrötigen Mannes gerechnet und kriegte ihn, noch bevor er sein Vorhaben ausführen konnte, am Kragen zu packen.
Sir Edward war einige Schritte zurückgewichen, sein Gesicht drückte Abscheu und Verachtung aus.
Der riesige Barba hielt Stewart mit beiden Pranken am Kragen fest und zog ihn ein Stück zu sich hoch.
„Geh schön artig auf deinen Platz zurück, du schmieriger Strolch“, sagte er mit gefährlich klingender Stimme. „Und achte ein wenig auf das, was du hier redest, sonst könnte es passieren, daß dir plötzlich ein paar Zähne fehlen.“
Mit Schwung stieß er den ehemaligen Kapitän der „Dragon“ auf seinen Platz zurück. Stewart wäre dabei beinahe gestrauchelt und gestürzt. Er stieß einen leisen Fluch hervor und preßte dann die Lippen zu schmalen Strichen zusammen. Barbas muskulöse Gestalt hatte ihn wohl doch davon überzeugt, daß es besser war, zunächst einmal etwas zurückhaltender zu sein. Außerdem verspürte er nicht die geringste Lust, sich vor den Augen der Offiziere und der Mannschaften eine Tracht Prügel einzuhandeln.
Auch Sir Edward nahm wieder seinen alten Platz ein.
„Ich danke Ihnen“, sagte er kurz zu Barba. Und zu Siri-Tong gewandt, fügte er hinzu: „Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe, Madam. Es handelt sich weder um Lügen noch um Verleumdungen. Ich verbürge mich dafür.“
Siri-Tong nickte.
„Die Ereignisse der letzten Tage bestätigen Ihre Worte nur zu deutlich. Ich habe deshalb allen Grund, Ihnen Glauben zu schenken.“
Nach dem Gespräch mit Sir Edward sorgte die Rote Korsarin für eine weitere Überraschung.
„Holt diesen O’Leary herüber!“ befahl sie. „Wir werden auch ihn noch hören, bevor er mit den Spaniern zur Insel übersetzt.“
Der Boston-Mann, ein großer, hagerer Engländer, der im linken Ohr einen goldenen Ring trug und zu den zuverlässigsten Leuten auf Siri-Tongs Schiff gehörte, übernahm die Aufgabe, den Bootsmann auf die „Caribian Queen“ zu holen.
Barba nahm wenig später den klotzigen Mann am Schanzkleid in Empfang und brachte ihn zu den anderen Männern auf der Kuhl.
O’Leary stutzte einen Moment, als er die ihm wohlbekannten Offiziere sah. Dann pendelten seine Blicke zwischen ihnen und der Frau auf dem Achterdeck hin und her. Plötzlich zog ein verächtliches Grinsen über sein Gesicht, und er spuckte laut und vernehmlich auf die Planken.
Das hätte er besser nicht tun sollen, denn schon eine Sekunde später fegte ihn eine gewaltige Maulschelle Barbas regelrecht von den Füßen. Er torkelte ein Stück über die Kuhl, dann krachte sein Körper auf die Planken. Aus seinen Mundwinkeln sickerte Blut.
Dennoch war O’Leary überraschend schnell wieder auf den Beinen.
„Das tust du kein zweites Mal mit mir, du Bastard!“ rief er keuchend und warf sich Barba mit geschwungenen Fäusten entgegen.
„Das wird sich gleich zeigen, du Großmaul!“ knurrte Barba. Dann zuckten seine Fäuste abermals blitzschnell vor.
O’Leary wurde mit elementarer Gewalt über die Kuhl gefegt, als habe eine Kanonenkugel seine Brust getroffen. Bevor er sich versah, lag er erneut auf den Planken. Diesmal stöhnte er mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und brauchte etwas länger, um sich aufzurappeln.
Barba packte auch ihn am Kragen und beförderte ihn zu seinem ursprünglichen Platz zurück.
„Zunächst einmal wischst du säuberlich deine Spucke weg!“ befahl er mit drohendem Unterton. „Auf unserem Schiff herrscht nämlich Ordnung, Dreckschweine werden hier nicht geduldet.“
O’Leary starrte ihn entgeistert an, sein linkes Auge schwoll langsam zu. Sein Zögern wurde jedoch nicht geduldet.
„Was ist?“ fuhr Barba ihn an. „Soll ich dich als Putzlappen benutzen und die Planken mit dir aufwischen?“
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, packte er O’Leary und zwang ihn kraftvoll in die Knie. Vor den Augen aller mußte er die Spucke wieder aufwischen. Viele Mannen aus der Crew und sogar die englischen Offiziere wandten sich angeekelt ab.
„So“, sagte Barba, nachdem die „Arbeit“ beendet war. „Jetzt kannst du dir überlegen, ob es sich auszahlt, hier herumzuspucken. Und eins merke dir noch: Leuten wie mir spuckt man nicht ungestraft vor die Füße.“
„Das hat nicht dir gegolten“, beteuerte O’Leary und deutete mit einem Kopfnicken auf seinen Nebenmann, „sondern diesem Hurensohn namens Stewart.“
In Stewarts Gesicht begann es zu zucken, aber er hielt sich eisern zurück, obwohl er sich jetzt am liebsten auf O’Leary gestürzt hätte. Doch er wollte es tunlichst vermeiden, sich schon wieder mit Barba anzulegen. Zumindest hatte er es als Genugtuung empfunden, daß O’Leary seine Spucke wieder aufwischen mußte. Deshalb schwieg er jetzt verbissen und behandelte den Bootsmann wie Luft.
Den anderen Männern entging das gespannte Verhältnis der beiden Engländer nicht. Sie konnten sich inzwischen auch zusammenreimen, was die Ursache dafür war.
Die scharfe Stimme Siri-Tongs glättete zunächst die Wogen.
„Ich hoffe, Sie haben begriffen, wie man sich an Bord unseres Schiffes zu benehmen hat, Mister O’Leary“, sagte sie. „Spucker mögen wir hier nämlich genausowenig wie Lügner. Demnach erwarte ich von Ihnen, daß Sie mir wahrheitsgemäß eine Frage beantworten. Was, zum Beispiel, bezweckte Ihr spezieller Freund, Charles Stewart, mit dem Überfall auf die ‚Isabella‘, das Schiff des Seewolfs?“
Jetzt wurde O’Leary erstaunlicherweise gesprächig – offenbar genauso gesprächig wie beim Verhör durch die Spanier. Jedenfalls dachte er nicht im geringsten daran, Charles Stewart in Schutz zu nehmen.
„Stewart?“ fragte er und begann spöttisch zu grinsen. „Der war nur scharf auf die Goldladung der ‚Lady Anne‘.“
„Und was hatte das mit dem Überfall zu tun?“
„Nun ja, er wollte den Seewolf als Geisel nehmen und dann mit der ‚Isabella‘ hinter der ‚Lady Anne‘ hersegeln“, berichtete O’Leary. „Dieses Schiff aber“, er deutete auf die Planken der „Caribian Queen“, „hätte er natürlich vorher versenkt und alle über die Klinge springen lassen, was denn sonst!“
„Verdammter Lügner!“ brüllte Stewart entgegen seinen bisherigen Vorsätzen. Sein Gesicht war rot vor Wut geworden. Wäre Barba nicht abermals dazwischengefahren, hätte er sich mit seinen gefesselten Händen auch auf O’Leary geworfen.
Barba warf Siri-Tong einen ungeduldigen Blick zu.
„Was tun wir mit diesen Rübenschweinen, Madam?“ fragte er. „Die beiden Halunken sind schwieriger zu hüten als ein Sack voll Flöhe.“
Siri-Tong traf ihre Entscheidung.
„Wir brauchen O’Leary nicht mehr“, erwiderte sie. „Ein Verräter wie er, der seine eigenen Landsleute bei den Dons in die Pfanne haut, gehört zwar an die Rah, aber das wäre für einen Kerl seiner Sorte wahrscheinlich zu milde. Er ist meiner Meinung nach in den Händen der Spanier besser aufgehoben. Also, bringt ihn zu den Dons zurück. Von mir aus kann er ihnen künftig die Stiefel polieren oder in einem Bergwerk nach Gold graben. Es ist nicht meine Sache, ihn abzuurteilen.“
„Das ist eine kluge Entscheidung, Madam“, entgegnete Barba grinsend. „Machen wir ihn also dem spanischen Capitán zum Abschiedsgeschenk. Er scheint sich ja bisher ganz prächtig mit ihm verstanden zu haben.“
Siri-Tongs Anordnungen wurden durchgeführt. O’Leary wurde auf die spanische Galeone zurückgebracht und sollte dort zusammen mit seinen Kumpanen und den Spaniern zur Insel verfrachtet werden.
„Meinetwegen soll sich de la Cuesta mit diesen Ratten herumärgern“, sagte sie. „Vermutlich werden sie in Zukunft wenigstens nützliche Arbeit verrichten. Ob sie der spanischen Gefangenschaft widerstehen, bleibt ihrer eigenen Härte überlassen.“
Die Entscheidung der Roten Korsarin war kompromißlos. Jeder wußte, daß die üble Bande kein anderes Schicksal verdient hatte, es sei denn ein schlimmeres.
Nur Charles Stewart war zunächst etwas anderes zugedacht. Er durfte Duke Henry of Battingham in der Vorpiek der „Caribian Queen“ Gesellschaft leisten.
Die englischen Offiziere verfolgten das konsequente „Großreinemachen“ der vermeintlichen Piratin mit Verblüffung und gaben ihr im stillen völlig recht. Dennoch hing immer noch die bange Frage, was mit ihnen selber geschehen wurde, wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen.
Wieder war es Barba, der die entscheidende Frage an die Rote Korsarin richtete.
„Was geschieht mit diesen Gentlemen, Madam?“
Siri-Tong ließ sich mit der Beantwortung einen Moment Zeit. Dann aber huschte ein Lächeln über ihre Züge.
„Wir hatten eine ziemlich offene Aussprache miteinander“, sagte sie dann. „Und ich habe das Gefühl, daß wir die Fronten klar abgesteckt und Licht in die Ereignisse gebracht haben.“ Zu Sir Edward gewandt, fügte sie hinzu: „Ich überlasse Ihnen die spanische Kriegsgaleone, Sir Edward – jedoch nur unter der Bedingung, daß Sie sich zunächst mir unterstellen, und zwar solange, bis Sir Hasard in der Lage sein wird, eine Entscheidung über das Schicksal John Killigrews, Henry Battinghams und Charles Stewarts zu treffen.“
Marc Corbetts Gesicht entspannte sich zusehends, und schon öffnete er den Mund, um der Roten Korsarin für diese Entscheidung zu danken.
Doch diesmal war Sir Edward entschlußfreudiger.
„Einverstanden, Madam“, sagte er knapp. Dann atmete er im Verein mit seinen Offizieren erleichtert auf.