Читать книгу Seewölfe Paket 29 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 11

7.

Оглавление

„Der Hafenkapitän hat gerade seine Kommandantur betreten!“ meldete Gary Andrews, der als Posten auf dem Steg aufgezogen war.

„Danke, Gary!“ rief Hasard. „Sonst was Auffälliges?“

„Nein, Sir, alles ruhig.“

„Alles ruhig, alles ruhig“, murmelte Hasard. Er marschierte auf dem Achterdeck hin und her und blieb vor Ben Brighton und Big Old Shane stehen, die am Schanzkleid lehnten. „Jetzt fehlen elf Mann! Seit der Kutscher mit seinem Trupp losgezogen ist, sind über fünf Stunden vergangen. Fünf Stunden, um Proviant einzukaufen! Das gibt’s doch gar nicht.“

„War das vor einer halben Stunde ein Pistolenschuß, oder war das keiner?“ fragte Ben Brighton.

„Und danach flatterte Sir John an Bord und führte sich ziemlich verrückt auf“, sagte Big Old Shane.

„Beides kann einen Zusammenhang haben, muß aber nicht“, sagte Hasard. „Und was den Schuß betrifft – der klang ziemlich verzerrt und undeutlich. Vielleicht war’s gar kein Schuß.“

„Sondern?“ fragte Ben Brighton.

„Da kann irgendwo ein Kistendeckel zugekracht sein.“ Hasard nahm seinen Marsch wieder auf.

„Wenn aber kein Kistendeckel zugekracht ist, dann war’s ein Schuß“, sagte Big Old Shane hinter ihm her.

Hasard drehte sich um und rammte die Fäuste in die Hosentaschen. Dann schaukelte er auf den Fußballen.

„Gut, dann war’s ein Schuß“, sagte er. „Und weiter? Hat der Schuß was zu bedeuten?“

„Du stellst Fragen, die keiner von uns beantworten kann“, sagte Ben Brighton: „Du auch nicht.“

„Soll das ein Vorwurf sein?“

„Nein, aber allmählich werde ich nervös.“

„Ausgerechnet du“, sagte Hasard.

Er wandte den Kopf, denn das Holzbein pochte über die Planken. Old Donegal erschien. Hasard schaute ihn kurz an, zog die Hände aus den Hosentaschen und nahm erneut seine Wanderung auf, das heißt, er kehrte seinem Schwiegervater schlicht den Rücken zu.

Old Donegal verzog keine Miene. Als Hasard zurückkehrte, sagte der Alte gelassen: „Vielleicht sollten wir Plymmie mit zwei, drei Mann an Land schicken.“

Hasard hatte an ihm vorbeigehen wollen, blieb jetzt aber stehen, blickte ihn an und sagte knapp: „Nein!“

„Und warum nicht?“

„Weil ich jetzt zum Hafenkapitän gehe“, erwiderte Hasard, „darum.“

„Davon rate ich dir ab“, sagte Old Donegal.

„Ach ja? Hast du wieder deinen schwarzen Rappen gesehen?“

„Daß Rappen schwarz sind, habe ich inzwischen kapiert“, erwiderte Old Donegal mit stoischer Ruhe, „und daß Ochsen stur sein sollen, hat sich auch herumgesprochen. Stur wie ein Ochse, sagt man dazu.“

Hasards Augen waren schmal geworden. „Zu was sagt man das?“

Old Donegal zuckte mit keiner Wimper. „Es soll Kapitäne geben, die stur wie Ochsen sind.“

„Danke!“ schnappte Hasard.

„Keine Ursache“, sagte Old Donegal. „Ich bin nur der Ansicht, daß das Verschwinden von elf Männern dieser Crew allmählich reicht. Daß diese elf Männer nicht irgendwo spazierengehen oder ihren Auftrag, Proviant einzukaufen, vergessen haben oder in einem Bums mit Weibern herumturteln, das dürfte inzwischen ja wohl klar sein. Was dann? Wer zwei und zwei zusammenzählen kann, der weiß, daß etwas passiert sein muß. Wenn sich jetzt der Kapitän dieser Crew zu jenem Mann begibt, der aller Wahrscheinlichkeit nach für das Verschwinden der elf Männer verantwortlich ist, dann kann man diesen Kapitän nur als sturen Ochsen bezeichnen, Mister Killigrew, Sir!“

Das war starker Tabak.

Hasard starrte auf die Planken. Dann drehte er sich um und sagte zu Ben Brighton: „Übernimm das Kommando, Ben. Ich gehe zu Güngör und nehme ihn ins Gebet.“

Hinter ihm höhnte Old Donegal: „Klar, du sprichst ja auch fließend türkisch, nicht wahr?“

Hasard holte tief Luft – und atmete wieder aus. Er nickte Ben zu. „Alles klar?“

„Nein.“

Hasard zog die rechte Augenbraue hoch. „Wieso nicht?“

„Was ist, wenn dir was passiert oder du nicht zurückkehrst?“

„Dann macht ihr gefechtsklar und laßt ein paar Brandsätze los. Ich schätze, die reichen, um die Leute zu Verhandlungen zu zwingen. Ich muß diesen letzten Versuch unternehmen, um Klarheit zu erhalten.“ Er grinste hart. „Auch als sturer Ochse will mir nicht in den Kopf, daß hier dunkle Mächte am Werk sind. Außerdem halte ich den Hafenkapitän für einen anständigen Mann – im Gegensatz zu den Orakeln des Mister O’Flynn.“

Hinter ihm sagte Old Donegal: „Ich schließe mit dir eine Wette ab, Mister Killigrew, Sir. Ich wette, daß der Hafenkapitän dich vereinnahmt.“

Hasard drehte sich langsam zu ihm um. „Warum sollte er?“

„Weil er dich für Igor Samoilow hält!“

Hasard schob den Kopf etwas vor, als habe er sich verhört. „Wie bitte? Ich soll Igor Samoilow sein?“

„Richtig. Und wir, sind dessen Rabauken. Warum sind wir es? Weil wir deren Dubas segeln. Das erkannten bereits die Fischer draußen vor Burgas.“

„Könnte hinhauen“, sagte Ben Brighton.

„Das muß es sein“, ließ sich Old Shane vernehmen.

Hasard grinste. „Wenn dem so ist, habe ich noch mehr Grund, den Hafenkapitän mit meinem Besuch zu beehren. Danke für den Tip, Mister O’Flynn.“

„Keine Ursache“, sagte Old Donegal ein zweites Mal. „Was ist mit der Wette?“

„Die verlierst du!“

„Also wetten wir?“

„Ja. Güngör wird mich nicht vereinnahmen.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, sagte Old Donegal. „Um was wetten wir?“

„Wir haben vier Fässer Wodka an Bord“, sagte Hasard. „Wer gewinnt, erhält eins dieser Fässer. Einverstanden?“

Da grinste Old Donegal geradezu teuflisch. „Zur eigenen Verfügung?“

„Natürlich“, erwiderte Hasard, „allerdings werde ich mein Faß mit der Crew teilen.“

„Mal sehen“, sagte Old Donegal vage. „Jedenfalls bin ich einverstanden. Wenn das der Profos und Mac wüßten!“

„Ihr seid beide verrückt“, sagte Ben Brighton wütend, denn er dachte daran, was sein würde, wenn er die Brandsätze losjagen mußte, weil der Kapitän nicht zurückkehrte. Und die wetteten um ein verdammtes Wodkafaß! In dieser Situation!

Hasard lachte nur, als er von Bord ging.

Später lachte er nicht mehr, doch er nahm es gelassen.

Die Falle war perfekt aufgebaut, als habe Güngör alles vorausgesehen.

Der Milizsoldat, der vor der Hafenkommandantur Wache ging, grinste freundlich, als Hasard nach „Güngör“ fragte. Dazu nickte der Posten und bedeutete dem großen Mann, er möge ihm folgen. Sie betraten die Kommandantur. Der Posten stellte seine Muskete in einen Gewehrständer, wo nach andere Musketen aufgereiht waren, und geleitete Hasard zu einem hinteren Raum, der mit bequemen Möbeln ausgestattet war.

Hier empfängt der Hafenkapitän offenbar Besuche, dachte Hasard und ließ sich auf einem Polster nieder. Interessiert betrachtete er ein Wandbild, auf dem eine Nymphe dargestellt war. Sie ritt auf einem Delphin durch die Wogen. Ihr Busen wogte auch. Es war ein recht erotisches Bild.

Die Tür schlug zu und wurde verschlossen.

Hasard blieb auf dem bequemen Polster und widmete sich weiter der Nymphe. Was sollte er sonst tun? Old Donegal hatte die Wette gewonnen.

Da war ein Fenster, aber das hatte man von außen verschalkt. Schreien und Brüllen? Aber nicht doch, dachte Hasard, immer die Form wahren. Ein Kapitän hatte Würde zu zeigen, auch in einer solchen Situation. Außerdem war das Spiel noch nicht beendet.

Also wartete er und vertiefte sich in das Nymphenbild. Und er seufzte ein bißchen. Gwendolyn Bernice O’Flynn, die Mutter der Zwillinge, war ein ferner, ferner Traum, der Traum bleiben würde, weil es aus dem Reich der Toten keine Rückkehr gab. Siri-Tong?

Hasard lehnte sich zurück und schloß die Augen.

Er mußte wohl eingeschlafen sein, denn er schreckte etwas auf, als die Tür geöffnet wurde. Zwei Milizsoldaten sprangen in den Raum und nach links und rechts. Sie hatten Pistolen in den Fäusten.

Dann erschien der Hafenkapitän – und mit ihm ein dicklicher Mensch mit einer Knubbelnase und wachsamen Augen, die ihn aufmerksam musterten.

Hasard blieb sitzen und verschränkte die Arme vor der Brust. Und er lächelte freundlich, obwohl er sich ärgerte. Was sollte dieses ganze Theater! Er war unbewaffnet wie die elf nicht zurückgekehrten Männer, und eigentlich sollten diese Gentlemen begreifen, daß sie die falschen Fische gefangen hatten – wenn Old Donegals Theorie stimmte.

„Sie sind Señor Killigrew“, sagte der dickliche Mensch auf spanisch.

Aha, ein Dolmetscher!

Hasard nickte. „Der bin ich. Und wer sind Sie?“

„Mehmed Kymet.“

„Der Kaufmann, bei dem meine Leute einkaufen wollten“, sagte Hasard. „Soso! Und Ihr Hafenkapitän ist der Ansicht, wir seien keine Engländer, sondern Igor Samoilows wilde Horde, nur weil wir dessen Dubas segeln.“

Der Dicke blickte ihn überrascht an. „Woher wissen Sie das?“

„Ich habe einen klugen Mann an Bord“, erwiderte Hasard, „der begann zu kombinieren, als unsere Provianteinkäufer nicht zurückkehrten.“ Und Hasards Stimme wurde scharf. „Was ist mit meinen Männern?“

„Sie befinden sich wohlbehalten in einem Gewölbe meiner Faktorei“, sagte Mehmed Kymet hastig.

Da war dieser Blick, von dem Selim Güngör gesagt hatte, dabei sei ihm das Blut in den Adern zu Eis gefroren. Es stimmte.

„Ihr Allah möge Ihnen gnädig sein, wenn einem meiner Männer auch nur ein Härchen gekrümmt wurde“, sagte Hasard. „Und jetzt teilen Sie dem Hafenkapitän mit, daß meine Männer an Bord die Hölle loslassen, wenn ich nicht zurückkehre. Wir haben chinesische Brandsätze aus Ostasien mitgebracht. Da reichen zwei, um Burgas in Schutt und Asche zu legen. Außerdem verlange ich die Freigabe meiner Männer. Wir sind keine Banditen, sondern englische Seefahrer. Aber wenn jemand meint, uns auf der Nase herumtanzen zu können – wie zum Beispiel dieser Strolch Samoilow –, dann rate ich ihm, vorher sein Testament zu machen. Übersetzen Sie da? Ihrem Hafenkapitän. Und sagen Sie ihm, noch seien wir friedlich. Aber jetzt reicht’s!“

„Einen Moment bitte, Señor Killigrew“, sagte der Dicke, und jetzt stand ihm wieder der Schweiß auf der Stirn. Und er mußte seine Handflächen an der Hose abwischen, weil die ebenfalls feucht geworden waren. „Ich bin inzwischen auch überzeugt, daß eine Verwechslung vorliegt, und ich bitte schon jetzt vielmals um Entschuldigung. Mir ist das alles sehr peinlich. Leider hat sich mein Freund Selim Güngör in die Idee verrannt, daß Sie mit Igor Samoilow identisch seien. Ich habe versucht, ihm das auszureden, aber vergeblich. Immerhin habe ich eins erreichen können: Er hat vor etwa einer halben Stunde seinen besten Reiter mit einem ausdauernden Pferd nach Varna geschickt. Dort soll sich der Mann beim Hafenkapitän erkundigen, ob Ihre Darstellung den Tatsachen entspricht – woran ich nicht mehr zweifele. Mir ist daran gelegen, diese dumme Sache friedlich zu regeln, bevor ein Unglück passiert. Daher erlaube ich mir, Ihnen einen Kompromiß vorzuschlagen: Warten Sie bitte ab, bis der Reiter zurückkehrt!“

„Hm.“ Hasard überlegte und nickte dann. „Warum nicht! Wir haben keinen Dreck am Stecken. Wie lange braucht der Mann bis Varna und zurück?“

„Zehn bis zwölf Stunden, Señor Killigrew.“

„Gut, ich bin einverstanden“, sagte Hasard.

Der Dicke atmete auf und übersetzte seinem Freund Selim Güngör, was er mit dem „Señor Killigrew“ vereinbart hatte. Hasard lauschte der türkischen Sprache und beneidete seine beiden Söhne, die sie perfekt beherrschten. Müßte ich auch mal lernen, dachte er. Nur – wann brauchte er sie? In der Karibik bestimmt nicht.

Jetzt antwortete der Hafenkapitän auf das, was ihm der Dicke vorgetragen hatte. Hasard beobachtete, daß das Gesicht des zuhörenden Mehmed Kymet zunehmend wütender wurde und er mehrmals den Kopf schüttelte. Ja, er stampfte sogar mit dem Fuß auf, der Dicke.

Hasard schaute amüsiert zu. Offenbar konnten sich die beiden nicht einigen.

„Gibt’s Ärger?“ fragte er dazwischen.

Mehmed Kymet schnaufte erbittert. „Dieser Idiot will Sie und Ihre ganze Crew in Haft nehmen, bis der Reiter zurück ist! Ich habe ihm gesagt, daß Sie ein solches Ansinnen strikt zurückweisen würden …“

„Tu ich aber nicht“, unterbrach ihn Hasard grinsend. „Was soll’s! Der beste Beweis, daß wir nicht diejenigen sind, für die er uns hält, ist der, daß wir uns in Haft nehmen lassen. Sagen wir – in eine Art Schutzhaft, das klingt angenehmer. Ihr vernagelter Hafenkapitän möchte sich unbedingt blamieren, und das gönne ich ihm aus vollem Herzen. Vielleicht lernt er daraus, nicht wahr? Und wir haben Gelegenheit, ihn herzlich auszulachen!“

Der Dicke hatte verblüfft zugehört. Und dann glitt ein breites Grinsen über sein Vollmondgesicht.

„Sehr gut, Mister Killigrew!“ rief er und klatschte in die Patschhändchen. „Genial! Sie sind ein ausgezeichneter Diplomat, meine Hochachtung! Da fällt mein guter Selim aber echt auf den Bauch!“

„Der ist auch dick genug, daß es nicht schmerzt“, sagte Hasard trocken.

Der Dicke kicherte, und Selim Güngör schaute verwirrt drein. Was es hier zu kichern gab, war ihm ein Rätsel.

„Allerdings stelle ich eine Bedingung“, sagte Hasard, „nämlich die, daß unsere Crew zusammengeführt und gemeinsam untergebracht wird. Außerdem gehört es sich, daß man Schutzhäftlinge mit allem versorgt und sie nicht darben läßt. Ich erinnere daran, daß wir hier Proviant einkaufen wollten, weil wir kaum noch etwas an Bord hatten – auch so ein Nachteil, wenn man von Strolchen ein Schiff übernimmt, von dem man nicht weiß, was seine Proviantlast enthält. Ich erwarte also, daß man uns entsprechend behandelt und verköstigt. Wir haben seit heute mittag nicht mehr gegessen. Bitte sagen Sie das Ihrem Freund.“

Der Dicke nickte eifrig und übersetzte dem Hafenkapitän Hasards Antworten und Forderungen. Dieses Mal war Selim Güngör einverstanden.

So geschah es, daß Hasard unter der Bewachung von vier Milizsoldaten und im Beisein des Hafenkapitäns und des dicken Kaufmanns auf den Steg zurückkehrte. Die Mannen auf der Dubas starrten teils verblüfft zu ihrem Kapitän, teils finster zu den Wachsoldaten.

Hasard baute sich auf dem Steg auf.

„Hat der Dünger dich vereinnahmt?“ platzte Old Donegal heraus. Dünger? Ach so, ja, so nannte Old Donegal den Hafenkommandanten. Hasard lächelte.

„Du hast ein Wodkafaß gewonnen, Donegal“, sagte er. „Dein Dünger hat mich vereinnahmt, wenn man das so nennen will.“

„Ha!“ frohlockte Old Donegal und klopfte sich auf die Brust. „Dann können wir ja gleich einen zwitschern, Leute!“

Das war Donegal Daniel O’Flynn, der Ältere! Manchmal scharfsinnig – wie im Fall des Igor Samoilow – und dann wieder bar jedes realen Sinnes wie jetzt.

„Daraus wird nichts, Donegal“, sagte Hasard, „jedenfalls nicht gleich. Wir sind nämlich alle vereinnahmt. Das heißt, wir dürfen uns als Schutzhäftlinge betrachten …“

Bei den Mannen an Bord entstand erbostes Gemurmel.

„Gemach, Freunde!“ rief Hasard. „Laßt mich doch erst mal ausreden, bevor ihr zu motzen anfangt. Man hält uns tatsächlich für die Samoilowbande. Aber der Hafenkommandant hat einen berittenen Boten nach Varna geschickt, der feststellen soll, ob wir dort mit den russischen Rabauken aneinandergeraten sind und deren Dubas beschlagnahmt haben. Wir wissen, daß dem so ist. Infolgedessen können wir uns getrost in Schutzhaft begeben, bis der Reiter zurückgekehrt ist und unsere Aussage bestätigt. Wir haben nicht verloren, aber eine Menge gewonnen, denn dann steht der Hafenkapitän in unserer Schuld, die ich dahin ausnutzen will, daß er mir einige Tips geben muß, wie wir ins Mittelmeer gelangen. Er muß es wissen, denn die Türkei grenzt ans Mittelmeer. Im übrigen werde ich ihn ein bißchen zwiebeln, weil er unsere Proviantübernahme verhindert hat. Ich denke, daß ich ihn für die Verwechslung zur Kasse bitten werde. So, das wär’s. Ach ja, euch knurrt sicherlich der Magen wie mir. Man hat mir versichert, daß es uns in Schutzhaft an nichts mangeln soll. Ich bitte euch also darum, nunmehr die Dubas zu verlassen und mir zu folgen. Vergeßt unser Bordgetier nicht. Waffen bleiben zurück, in der Zeit unserer Abwesenheit wird die Dubas von der Miliz bewacht.“

Die Mannen grinsten und stießen sich an. Das war mal wieder typisch der „Sir“. Er hatte diese verrückte Geschichte friedlich geregelt, und dabei sprang noch etwas heraus.

So gingen sie einer nach dem anderen von Bord. Batuti führte Arwenack, Old Donegal hatte Plymmie an einer Leine.

Und Sir John?

Der brasselte auf der angetoppten Rahrute des Großmastes herum und äugte mißtrauisch nach unten.

„Sir John!“ rief Pete Ballie nach oben. „Komm runter, wir ziehen aus und um! Na, los doch, du Geier!“

Sie starrten alle hoch.

„Quatschkopp!“ schrie Sir John. Es klang ziemlich höhnisch, aber wahrscheinlich bildete man sich das ein.

„Jetzt geht das Theater wieder los!“ schimpfte Pete. „Dieses Mistvieh!“

„Steig doch rauf und hol ihn einfach“, schlug Nils Larsen vor.

„Steig du doch hoch!“ sagte Pete wütend. „Bin ich vielleicht das Kindermädchen von diesem Papageienarsch?“

Da enterte Blacky auf, bevor das wieder in Streit ausartete, wer Sir John holen sollte.

Er hatte keinen Erfolg. Als er die Hand ausstreckte und dabei ein bißchen schnalzte und lockte, flog Sir John zur Rahrute des Fockmastes hinüber und stieß Schnatterlaute aus.

„Scheiße!“ grollte Blacky.

Nils Larsen grinste breit und sagte: „Eigentlich brauchte man die Rah nur abzufieren!“

„Sag das doch gleich, du Affe!“ fauchte Pete Ballie.

„Ist mir aber eben erst eingefallen.“

Hasard wandte sich an den Dicken. „Bitte lassen Sie die elf Männer holen, darunter auch den Profos, zu dem dieser Papagei gehört. Mein Erster Offizier wird Sie begleiten, damit alles seine Ordnung hat und die Männer nicht rebellieren, was durchaus möglich wäre.“

Der Dicke nickte, sprach sich mit dem Hafenkapitän ab und zog mit zwei Soldaten und Ben Brighton los.

Inzwischen versuchten weitere Arwenacks ihr Glück mit Sir John. Sie fierten die vordere Rahrute ab. Als Al Conroy nach dem zeternden Schreihals langen wollte, flatterte der wieder auf die Rahrute vom Großmast. Auch diese wurde abgefiert.

Sir John regte sich fürchterlich auf und zeigte sich von seiner ordinärsten Seite. Blackys Zugriff entging er durch die Flucht zum Fockmasttopp. Dort stimmte er ein wüstes Gelächter an, mischte es allerdings mit der Aufforderung, „Küüßchen“ zu geben.

„Dir geb ich was anderes!“ schrie Pete Ballie hoch, legte die klüsengroßen Pranken um den Fockmast und begann ihn wild zu schütteln.

Oben schwankte Sir John wie auf der Spitze einer sturmgepeitschten Tanne, aber er krallte sich fest, bis ihm die Schaukelei zu bunt wurde. Er flog hinüber zum Topp des Großmastes und krakeelte dort weiter.

Der Hafenkapitän schaute fasziniert zu, ebenso die Posten. Daß die Kerle, die sich dort an Bord mit dem Papagei beschäftigten, in einer ihnen fremden Sprache – und bestimmt nicht der russischen – herumfluchten, wurde ihnen nicht bewußt. Ebenso nicht, daß der Papagei in derselben Sprache zurückfluchte.

Als flotter Flieger krönte Sir John seine Überlegenheit damit, daß er Blacky, der nunmehr den Großmast schüttelte, einen grauweißen Haufen aufs Haupt setzte. Gewiß ein Zufallstreffer, aber immerhin.

„Hopp auf!“ schrie Sir John. „Pickelhering, verlauster!“

Blacky drohte mit der Faust nach oben und kündigte dem Krakeeler an, daß er ihm den Hals umdrehen werden, was Sir John wieder mit seinem fürchterlichen Gelächter quittierte.

„Vielleicht solltet ihr die beiden Masten umlegen“, schlug jetzt Nils Larsen vor, der sich wie die meisten Arwenacks köstlich amüsierte und natürlich ordentlich stichelte, um die Sir-John-Jäger noch mehr in Rage zu bringen.

Prompt reagierte auch Pete Ballie.

„Jaja!“ fuhr er ihn an. „Kannst du noch was anderes, als dumm herumzustehen, blöd zu grinsen und dämlich zu quatschen?“

„Muß mal nachdenken“, sagte Nils Larsen, „ob ich noch was anderes kann. Ja, da fällt mir was ein: ihr könntet versuchen, Sir John mit der Wurfleine einzufangen! Soll ich eine holen?“

Zum Glück erschienen die elf Mannen aus der Faktorei mit Ben Brighton, dem dicken Kymet und den Milizsoldaten. Carberry war bereits informiert und hatte listigerweise eine Tüte mit Erdnüßchen mitgebracht. Nach solchen hatte er bei dem Dicken gefragt und war auch prompt bedient worden. Er hatte die Erdnüßchen bezahlen wollen. Aber nichts da, das gehöre zur „Wiedergutmachung“, hatte der Dicke erklärt.

„Dem Herrn sei Lob und Dank“, murmelte Pete Ballie, als der Profos an Bord sprang. „Dein Pieper ist völlig aus dem Häuschen und will nicht von Bord, Ed.“

„Kleine Fische“, verkündete der Profos. „Ihr versteht eben nicht, wie man ein solches Vögelchen behandeln muß, das ein empfindsames Gemüt hat.“

„Aha“, sagte Pete Ballie ein bißchen perplex, denn davon, daß das „Vögelchen“ namens Sir John ein empfindsames Gemüt haben sollte, hatte er noch nie etwas bemerkt. Im Gegenteil, bisher hatte sich das „Vögelchen“ stets nur als rabiater Krachmacher dargestellt – und als ziemlich aggressiv. Da brauchte man nur an das Hühnervolk zu denken, das sie an Bord gehabt hatten. Mein Gott, was sich da alles schon abgespielt hatte!

Eine neue Vorstellung begann.

Carberry stand unten am Großmast, spähte zu seinem Liebling hoch und flötete: „Sir Jöhnchen! Komm zum lieben Edwin, mein Schätzchen!“

Die Mannen begannen zu glucksen. Carberry runzelte die Stirn und brummte: „Ich bitte mir absolute Ruhe aus! Sonst kann sich Sir John nicht konzentrieren!“

Die Mannen hätten am liebsten laut losgeprustet.

Carberry holte ein Erdnüßchen aus der Tüte, legte es auf die geöffnete rechte Hand und lockte: „Hier hab’ ich was für meinen Sir Jöhnchen! Ein Erdnüßchen, ein leckeres, ei-ei! Ob sich das mein kleiner Mann holt? Schau doch mal!“

Sir John schaute mit schiefem Kopf und verkündete: „Kreuz-Brassen-Affenarsch!“

Carberry zuckte zusammen und donnerte: „Komm sofort runter, du Lümmel!“

Der Lümmel pfiff ihm was. Er flog hinüber zum Fockmasttopp, plusterte sich dort auf und begann mit Gebrabbel, sein Gefieder zu putzen. Das bedeutete: Rutsch mir doch den Buckel runter, mein lieber Edwin. Carberry hätte die Erdnüßchentüte am liebsten auf die Planken gepfeffert.

Jetzt war es Pete Ballie, der beim Grinsen beinahe seine Ohrläppchen abbiß.

„Hat wirklich ein empfindsames Gemüt, das Vögelchen“, lästerte er.

Der Profos setzte zur passenden Antwort an, da rief Hasard von der Pier her: „Wir lassen Sir John an Bord, Ed! Er will eben nicht, und das sollten wir respektieren. Vielleicht überlegt er sich’s anders, wenn wir abmarschieren.“

„Aye, Sir“, murmelte der Profos, warf einen grimmigen Blick zu seinem Liebling hoch und stieg von Bord. In einer Kolonne zogen die Arwenacks ab, um in den Zellen der Kommandantur Quartier zu nehmen. Carberry bildete das Schlußlicht und drehte sich immer wieder um. Er war ziemlich erschüttert. Sein Sir Jöhnchen dachte nicht daran, vom Topp abzuheben und auf die breite Profos-Schulter zu fliegen, wo er gern seinen Stammplatz einnahm.

In den Zellen, die offen blieben – nur die Gittertür zu dem Trakt wurde später verschlossen –, erwartete die Arwenacks ein fürstliches Mahl, das Mehmed Kymet hatte zubereiten lassen: Brathähnchen mit diversen Beigaben, dazu der herbe Rotwein vom Faß!

Da war der Profos wieder obenauf.

„Von mir aus“, verkündete er, „kann der Reiter ein paar Tage in Varna bleiben oder zu Fuß zurückmarschieren. Geht’s uns wieder gut, Leute?“

„Ich war aber mit der schönen Zlatina verabredet“, nölte Mac Pellew.

„Davon kann überhaupt keine Rede sein!“ fuhr ihn der Kutscher an.

„Du verstehst eben nichts von der Sinnlichkeit der Augensprache“, entgegnete Mac verdrießlich, „sonst hättest du bemerkt, wie sie von meinem Blick dahinschmolz.“

„So ein Quatsch!“ sagte der Kutscher erbittert.

Es war wieder sehr lustig bei den Arwenacks, auch wenn sie in einem Zellentrakt einsaßen.

Seewölfe Paket 29

Подняться наверх