Читать книгу Seewölfe Paket 29 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 15
2.
ОглавлениеMißtrauisch blickten der Seewolf und seine Mannen zu dem sich nähernden Einmaster. Sie hatten allen Grund, argwöhnisch zu sein. Es geschah selten, daß man Fremden begegnete, die einem freundlich gesonnen waren. In der letzten Zeit hatten die Arwenacks immer wieder die übelsten Überraschungen erlebt – nicht nur in Batumi, auch anderswo.
Dan beobachtete den Einmaster durch den Kieker.
„An Deck befinden sich fünf Mann“, sagte er. „Vielleicht Fischer.“
„Der Kahn ist nicht armiert?“ wollte der Seewolf wissen.
„Sieht nicht so aus.“ Dan reichte seinem Kapitän das Rohr, und Hasard spähte selbst hindurch.
Nun konnte er die Männer an Bord des Einmasters erkennen. Die Kerle hatten pechschwarzes Haar und Schnauzbärte und waren bunt gekleidet. Grinsend blickten sie der Dubas entgegen.
„Wir preien sie an“, sagte der Seewolf.
Kurz darauf, als die beiden Schiffe nur noch etwa eine Viertel Kabellänge voneinander entfernt waren, rief Ben Brighton zu dem Einmaster hinüber! „Welches Schiff, welcher Kapitän?“
Die fünf Kerle grinsten immer noch, gestikulierten aber nur. Allem Anschein nach verstanden sie kein Wort. Hasard gab seinen Söhnen ein Zeichen. Jetzt waren sie an der Reihe.
Philip junior schrie etwas auf türkisch zu den Kerlen hinüber. Das wirkte. Plötzlich lachten die fünf. Einer von ihnen erwiderte etwas, was die Arwenacks ihrerseits nicht verstanden.
Philip junior rief noch ein paar Worte, und die Kerle antworteten erneut mit einem grölenden Gelächter. Sie schienen sich prächtig zu amüsieren.
„Sie sind Türken“, erklärte Hasard junior seinem Vater und den anderen Mannen. „Und wir befinden uns hier in der Türkei.“
„Was?“ Hasard konnte sein Erstaunen nicht verbergen. „Nach der langen Irrfahrt wieder in der Türkei?“
„Das ist wirklich ein starkes Stück“, sagte Shane.
„Hört denn diese Türkei nie auf?“ brummte Ferris Tucker.
„Um welche Meerenge handelt es sich?“ fragte der Seewolf.
„Um den Bosporus“, entgegnete Hasard junior.
„Na, das hört sich ja doch gar nicht so schlecht an“, sagte Ben. „Auf diese Weise gelangen wir nach Istanbul, wie uns das der gute Güngör erklärt hat.“
„Richtig“, pflichtete Hasard ihm bei. „Und von dort aus geht’s hinüber ins Mittelmeer.“
„Dann nichts wie klüsen“, sagte der Profos. „Wenn wir erst im Mittelmeer sind, gibt’s bestimmt wieder Schweinefleisch und guten Schnaps.“
„Wünsche hat der Mensch“, sagte der Kutscher mit schwachem Grinsen. Aber er selbst träumte auch von halbwegs heimatlichen Gaumenfreuden.
Der Einmaster glitt inzwischen an Backbord der Dubas vorbei. Die fünf Kerle johlten und pfiffen. Sie lachten wieder, besonders, als sie den Schimpansen Arwenack, den Papagei Sir John und Plymmie, die Wolfshündin, an Bord des Zweimasters erblickten. Auch Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, erregte ihre Aufmerksamkeit.
Die Mannen winkten zum Gruß, dann waren die Segler aneinander vorbei, und der Einmaster lief nach Norden ab. Die Dubas setzte ihren Kurs nach Süden fort.
„Sie sind tatsächlich Fischer“, sagte Philip junior. „Sicher habt ihr die Netze gesehen, die auf dem Deck liegen. Sie segeln ins Schwarze Meer, um Barsche und Makrelen zu fangen. Sie kommen aus Beylerbey, das ist ein nördlicher Vorort von Üsküdar auf der östlichen Seite des Bosporus. Dort könne man preiswert einkaufen, haben sie gesagt. Und es lohne sich, den Ort anzuschauen.“
„Die scheinen ja mächtig stolz auf ihr Nest zu sein“, sagte Carberry. „Was, zur Hölle, sollen wir dort? Proviant, Wasser und Wein haben wir genug, und Rum kriegen wir da bestimmt nicht.“
„Mal sehen“, sagte der Seewolf. „Vielleicht legen wir eine kurze Pause ein.“
„Damit irgendwelche Galgenstricke uns mit ihren Messern an die Gurgeln gehen?“ zischte Old O’Flynn. „Nun, da bin ich nicht mit von der Partie. Ich rate dir davon ab, Sir.“
„Wie wär’s, wenn wir ein wenig türkischen Honig kaufen?“ fragte Mac Pellew. „Das Zeug schmeckt verdammt gut.“
Die Mannen starrten ihn an, als sei er nicht mehr ganz richtig im Kopf.
Carberry stieß einen üblen Fluch aus.
„Sag mal, spinnst du?“ fragte Higgy. „Türkischer Honig, pfui Teufel! Das ist doch was für Weiber!“
„Du hast überhaupt keine Ahnung“, erwiderte Mac mit einer Miene, als habe er soeben eine Pütz voll Essig ausgetrunken.
„Das stimmt“, sagte der Kutscher. „Die Türken sind berühmt für ihre Süßigkeiten. Sie sind auch ausgezeichnete Kuchenbäcker.“
„Klar“, sagte Philip junior grinsend. „Die ganze türkische Küche ist ausgezeichnet.“
„Also, müssen wir uns hier jetzt einen Vortrag über Fresserei anhören?“ polterte der Profos. „He, Mac, du stieläugiger Rochen, sieh lieber nach, ob euer Kombüsenfeuer noch brennt. Und ihr anderen Rübenschweine, was steht ihr hier eigentlich rum und haltet Maulaffen feil? Was ist das überhaupt für ein Schlendrian? Bewegt euch, ihr Affenärsche, schwenkt eure lahmen Knochen! Es gibt genug zu tun! Mister O’Higgins, du irischer Rotbarsch, wenn du nicht aufpaßt, stolperst du gleich über das Tau hinter dir, das nicht richtig aufgeschlossen ist! Ja, pennt ihr denn heute alle, ihr Kanalratten?“
Die Männer bezogen ihre Stationen. Es hatte keinen Sinn, sich mit Carberry anzulegen. Wenn der seinen „Rappel“ kriegte, hielt man am besten den Mund. Außerdem war es schon einige Zeit her, daß der Profos mal wieder richtig vom Leder zog.
Sein Fluchen und Poltern gehörte bei den Arwenacks mit zur Seemannschaft. Das war der springende Punkt: Wenn der Profos nicht brüllte, war er nicht gesund. Jetzt aber schien er aufzuleben. Bald war das Mittelmeer erreicht! Wenn das keine gute Nachricht war!
Hasard, Ben und die anderen Männer der Schiffsführung versammelten sich auf dem Achterdeck. Sie beratschlagten, was sie in den nächsten Stunden unternehmen sollten – ob sie Istanbul überhaupt anliefen oder nicht.
Sicherlich – das wußte Hasard schon jetzt – würde es nicht ganz einfach sein, Istanbul völlig unbehelligt zu passieren. Hundert Schwierigkeiten konnten dort auf sie warten.
„Aber Probleme sind dazu da, in Angriff genommen zu werden“, sagte Don Juan de Alcazar.
„Stimmt“, erwiderte der Seewolf. „Wir könnten allerdings auch bei Nacht am Hafen von Istanbul vorbeilaufen.“
„Das findet sich schon“, sagte Ben. „Laß uns doch erst mal dort sein.“
„Denkt an meinen Beinstumpf“, knurrte Old O’Flynn. „Der zwackt immer noch. Wir kriegen Verdruß.“
„Wann?“ fragte Shane trocken.
„Wenn ich das wüßte!“
„Wir halten weiterhin Augen und Ohren offen“, sagte der Seewolf. „Sollten wir von Schnapphähnen angegriffen werden, wissen wir uns unserer Haut zu wehren.“
Vorsichtshalber ließ er gefechtsklar machen. Die sechs Drehbassen der Dubas waren bereits geladen. Kupferbecken mit Holzkohlenglut zum Entfachen der Lunten wurden bereitgestellt. Und die Arwenacks hielten auch ihre Musketen und Tromblons griffbereit.
Wer immer sie angreifen sollte, er würde nichts zu lachen haben.
In ihrer Panik kletterte Salome auf einen Baum. Sie schrammte sich die Knie auf, rutsche ab und dachte, sie würde es nicht mehr schaffen, aber dann erreichte sie doch einen größeren Ast, richtete sich auf und hielt sich zitternd am Stamm fest.
Unten sprangen die Hunde am Stamm hoch und schnappten nach den Beinen des Mädchens. Sie knurrten und geiferten. Salome konnte hören, wie ihre Zähne zusammenschlugen.
Und nun trafen auch die Reiter ein. Allen voran Dario Porceddu. Hart zügelten die Kerle ihre Pferde. Darios Tier stieg mit den Vorderhufen auf und schnaubte wild.
Salome versuchte sich zu verbergen. Vergebens. Die Kerle hatten sie schon entdeckt. Sie grölten und lachten.
„Komm herunter!“ schrie Dario.
Salome antwortete nicht. Sie bebte am ganzen Leib. Ihre Knie wurden weich und drohten nachzugeben.
„Komm her!“ brüllte der Anführer. „Oder ich hole dich!“
„Nein!“ schrie sie.
„Ich dachte schon, sie wäre stumm!“ brüllte einer der Banditen, und die anderen lachten wie verrückt.
„Mach nicht alles noch schlimmer!“ schrie Dario. „Noch hast du eine Chance! Ergib dich, und es passiert dir nichts! Oder willst du, daß ich dir mein Messer zwischen die Rippen stoße?“
„Nein!“
„Dann komm!“
„Die Hunde!“ jammerte das Mädchen.
Dario Porceddu glitt vom Sattel seines Pferdes. Er grinste hart, hob eine Peitsche und prügelte damit auf die Hunde ein. Die Tiere winselten und kniffen die Schwänze ein. Sie duckten sich und blickten aus triefenden Augen zu ihrem Herrn auf.
„Zurück!“ befahl Dario. Tatsächlich wichen die Hunde von dem Baum zurück. Dario gab seinen Kerlen einen Wink. „Festbinden, die Biester! Als Hundefutter ist mir die kleine Hure doch zu schade.“
Die Kerle lachten und kicherten, als habe ihr Anführer den großartigsten Witz der Welt gerissen. Ja, dieser Dario war wirklich ein Teufel! Ein Satansbraten erster Kategorie! Und sein Bruder Silvestro war noch wilder und brutaler. Doch von dessen Existenz wußte das Mädchen Salome nichts. Sie hatte bislang nur Dario gesehen.
Glucksend vor Vergnügen nahmen die Banditen die Hunde an die Leine. Ein großer, bärenstarker Kerl mit pechschwarzem Bart hielt die Tiere fest. Er hieß Brodzu.
Dario schaute zu Salome hoch. Seine Augen fixierten das Mädchen. Sie zitterte nach wie vor heftig. Das Grauen und die Panik schnürten ihr die Kehle zu.
„Alles in Ordnung, Dario“, sagte Brodzu.
„Gut.“ Dario Porceddus Augen verengten sich. „Also, zum letztenmal. Komm her, Salome.“
„Ich – habe Angst!“
„Die Hunde werden dir nichts tun.“
„Du willst – mich töten!“ stammelte das Mädchen.
„Ich könnte dich erschießen, mit meinem Gewehr“, sagte Dario mühsam beherrscht. „Aber ich tue es nicht. Du weißt, warum.“
„Nein! Nein!“
„Ich will dich lebend“, erklärte Dario. „Den Grund dafür kennst du.“
„Niemals!“ stieß Salome entsetzt hervor. Dann schrie sie: „Hilfe! Hilfe!“
„Schrei, soviel du willst“, sagte Dario unbeeindruckt. „Es wird dir keiner helfen. Hier in der Nähe befindet sich kein einziges Gehöft. Wir sind die einzigen Menschen weit und breit. Wie findest du das?“
„Du – Teufel!“ schrie sie.
„Mir reicht’s jetzt“, knurrte Dario.
„He“, sagte Brodzu. „Schüttel doch einfach den Baum, Dario. Dann fällt sie runter wie eine reife Olive.“
Dario trat mit dem Fuß gegen den Baum. Salome stieß einen klagenden Laut aus. Der Bandenführer trat noch einmal zu, und sie begann zu weinen. Die Kerle lachten und hieben sich mit den Händen auf die Schenkel. Die Hunde hechelten und winselten.
Salome klammerte sich verzweifelt fest. Aber es nützte ihr nichts. Die Panik gewann vollends die Oberhand über sie. Ihre Knie knickten ein. Mit einem spitzen Schrei kippte das Mädchen von dem Ast, auf dem sie stand.
Sie fiel, aber Dario fing sie unten auf. Sein Atem schlug ihr entgegen und traf ihre Wange.
„Endlich halten wir uns wieder in den Armen“, sagte er rauh. „Es wäre doch schade gewesen, wenn wir uns nie wiedergesehen hätten.“
Brodzu stieß einen Pfiff aus. „Hoppla, was ist das? ’ne Liebeserklärung?“
Die anderen johlten dazu.
Dario versetzte dem Mädchen einen Stoß. Sie stürzte auf den Boden. Sein Gesicht verzerrte sich zu eine Fratze des Hasses. Plötzlich hieb er mit der Peitsche auf sie ein. Salome stöhnte und schützte ihr Gesicht mit den Händen. Sie schrie und wimmerte, als der Lederriemen immer wieder ihre nackte Haut traf.
Dario ließ die Peitsche sinken. „Das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was dich noch erwartet!“ zischte er. „Niemand überlistet mich ungestraft!“
Langsam wandte sich das Mädchen zu ihm um.
„Dann töte mich“, sagte sie.
„Das könnte dir so passen.“
„Es ist mir lieber, wenn deine Hunde mich zerreißen“, sagte sie.
„Ach, rede doch keinen Blödsinn.“ Er trat zu ihr und wollte sie packen. Aber sie kroch vor ihm davon – ins Dickicht.
Dario war mit einem langen Satz bei ihr, griff nach ihrem Arm und zerrte sie vom Boden hoch.
„Spiel doch nicht die Heldin“, sagte er verächtlich. „Das liegt dir nicht.“
Er riß sie mit sich und stieß sie zu seinem Pferd. Brodzu reichte ihm grinsend einen schwarzen Stoffetzen, und der Anführer band dem Mädchen damit die Augen zu.
„Auf geht’s“, sagte er. „Wir haben schon genug Zeit verloren.“
Er hievte Salome auf den Rücken seines Pferdes. Als sie zu zappeln begann, verpaßte er ihr wieder zwei Peitschenhiebe. Dann ließ er sie von seinen Kerlen am Sattel festbinden, damit sie nicht hinunterfallen konnte.
Dario Porceddu saß auf. Er gab seinen Begleitern ein Handzeichen, und die Meute setzte sich wieder in Bewegung. Im Galopp ging es zurück zum Schlupfwinkel. Die Hunde rannten kläffend neben den Reitern her.
Etwa anderthalb Stunden später erreichten die Kerle ihr Versteck, ein altes, burgähnliches Gemäuer in den Bergen. Früher hatten hier einmal türkische Wegelagerer gehaust. Die Pest hatte sie dezimiert, bis keiner von ihnen mehr am Leben gewesen war. Seit dem wurde das Gebäude von den Einheimischen gemieden.
Dario Porceddu, sein Bruder Silvestro und die Meute der Gesetzlosen, die auf ihr Kommando hörten, lebten schon seit einigen Jahren hier. Sie hatten sich so gut eingerichtet, wie es ging, und sie fühlten sich in dem düsteren, finsteren Gemäuer sicher und wohl. Etwas Besseres, darin waren sie sich einig, hätten sie für ihre verbrecherischen Zwecke gar nicht finden können.
Die Porceddu-Brüder und ihre Kerle stammten aus Sardinien. Dort wurden sie wegen Mordes, Raubes und Totschlags gesucht. Fing man sie, würde man sie auf der Stelle erschießen.
Diesem Risiko hatte sich die Bande nicht aussetzen wollen. Eines Nachts hatten die Kerle in einem Fischernest bei Cagliari eine größere Schaluppe entwendet und waren mit ihr auf und davon gesegelt.
Damals hatten sie zunächst einen Abstecher nach Sizilien unternommen. Eigentlich hatten sie sich dort niederlassen wollen. Aber die sizilianischen Banditen waren schlimmer als sie. Sie duldeten keine Sarden auf ihrer Insel. Bei einem Überfall, den die Gegner geführt hatten, hatten die Porceddus und ihre Kerle Federn lassen müssen. Dann war ihnen wieder nur die Flucht geblieben.
Dario und Silvestro gelangten zu der Erkenntnis, daß es wahrscheinlich keinen Sinn hatte, in italienischen Gefilden zu bleiben. Sie setzten mit der Schaluppe nach Tunesien über. Von dort aus ging es weiter nach Tripolis, dann zum Hochland von Barka.
Im Anschluß daran segelten die Kerle nach Kreta. Hier gefiel es ihnen aber auch nicht – es gab nichts zu holen. Sie suchten die Ägäis auf und stießen in die Dardanellen vor. Einem Zufall war es zu verdanken, daß sie ins Marmarameer gelangten und an der Küste der Türkei landeten.
Als erstes überfielen sie einen Kaufmann und plünderten ihn aus. Seine Leiche warfen sie ins Meer. Das Opfer hatte Gold- und Silbermünzen bei sich gehabt.
Das gefiel den Porceddus, und auch ihre Kumpane waren begeistert. In diesem Land mußte es noch mehr solcher Münzen geben. Hier sollte man also tunlichst die Zelte aufschlagen.
Irgendwie gelang es den Kerlen, die Schaluppe zu verkaufen. Sie besorgten sich Pferde und wagten sich immer tiefer ins Landesinnere vor. Mal überfielen sie ein Gehöft, dann wieder lauerten sie Handelsreisenden auf.
Sie drangen in einen Harem ein und entführten Frauen. Sie verschleppten alles, was ihnen in die Finger geriet, in die Berge. Und hier stießen sie dann auf das Gemäuer.
Die Burg des Scheitans, so nannten die Einheimischen das unheimliche Gebäude. Angeblich lastete ein schlimmer Fluch darauf. Aber all das konnte die Sarden nicht beeindrucken. Sie waren nicht sonderlich abergläubisch.
Dario und Silvestro verstanden es, ihren Spießgesellen alle Bedenken wegen des auserwählten Schlupfwinkels auszureden. Die Türken waren allesamt Narren, einem Moslem durfte man nicht trauen. Außerdem waren sie Memmen und Waschweiber. Ein richtiger Kerl fürchtete sich auch vor dem Teufel nicht.
So lebten die Sarden seit Jahren in dem alten Gemäuer. Sie hatten ihre Frauen und ihre Freuden. Einige der Haremsdamen hatten es vorgezogen, bei den Banditen zu bleiben, statt ins Frauenhaus zurückzukehren. Andere wurden dazu gezwungen, den Kerlen als Unterhaltung und Zeitvertreib zu dienen.
Nachts feierten die Sarden die wüstesten Orgien. Tagsüber ritten sie auf Raubzug aus. Es gab Wochen, da kundschafteten sie einfach nur neue Unternehmungen aus.
Dann aber schlugen sie zu. Wo sie hinlangten, zeichneten Leichen ihren Weg. Nur ganz selten brachten sie keine Beute in ihr Versteck.
Dario führte seinen Trupp in den Hof des Gemäuers. Die Hufe der Pferde klapperten auf dem Kopfsteinpflaster. Die Kerle saßen ab. Dario warf sich das Mädchen über die Schulter.
Sie war unterwegs ohnmächtig geworden. Als er aber die schwere Tür zu ihrem Verlies aufstieß und sie auf den Boden warf, erlangte sie das Bewußtsein wieder.
„Ich habe jetzt keine Zeit und keine Lust, mich mit dir zu beschäftigen“, sagte er schleppend. „Aber wir sprechen uns noch.“
Salome schlug die Hände vors Gesicht. Sie schluchzte. Wenn ich doch tot wäre, dachte sie verzweifelt. Die Tür krachte zu, Darios Schritte entfernten sich.
Dario Porceddu betrat den Raum, in dem sein Bruder sein Allerheiligstes eingerichtet hatte. Grinsend erwartete ihn Silvestro. Er verpaßte der dicken Frau, die auf seinem Schoß hockte, einen derben Klaps. Sie kicherte und eilte davon. Ihre Brüste und ihr Hinterteil wackelten.
„Na?“ fragte Silvestro. „Hast du deinen Liebling wiedergefunden?“
„Allerdings.“
„Und sie lebt noch?“
„Ja“, erwiderte Dario. „Du weißt, so schnell gebe ich mich nicht geschlagen. Ich kriege sie schon noch weich.“
„Ich an deiner Stelle würde sie zwingen“, sagte Silvestro ohne sichtbare Regung.
Im Gegensatz zu seinem schlanken Bruder war er untersetzt und hatte einen Schnauzbart, dessen Enden ihm sichelförmig über die Mundwinkel hingen. Darios Gesicht war glatt, spitz und verkniffen.
„Ich will, daß sie mitspielt“, entgegnete Dario. „Das finde ich besser. Darüber brauchst du dir aber nicht den Kopf zu zerbrechen.“
„Jeder hat eben seinen ganz persönlichen Geschmack“, sagte Silvestro höhnisch.
„Bist du fertig?“
„Ja“, sagte Silvestro. Seine Stimme wurde kalt und nüchtern. „Reden wir über das Wichtigere. Heute nachmittag geht es los, klar?“
„Wie besprochen.“
Silvestro faltete die Hände vor dem Bauch, gab einen grunzenden Laut von sich und sagte: „Dann sollten wir noch etwas essen und ein wenig ruhen. Vor der Arbeit ist es immer richtig, sich zu stärken und frische Kräfte zu schöpfen. Schließlich ist es heute nacht ja wieder sehr spät geworden.“
Dario grinste. „Weil du das Saufen und Huren nicht lassen kannst.“
„Was gibt es denn Schöneres im Leben?“
„Nichts“, erwiderte Dario. „Solange uns niemand an den Kragen will, führen wir hier ein herrliches Leben.“
„Dabei wird es bleiben“, sagte Silvestro Porceddu, und er glaubte wirklich fest an seine Worte.