Читать книгу Seewölfe Paket 8 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 17
2.
ОглавлениеStärker als zuvor wünschte sich Philip Hasard Killigrew mit der „Isabella“ weit weg von Cadiz, weit weg von diesem unsinnigen Draufloshämmern, weit weg von einem Admiral, der – wie auch sein Schiffsvolk – seine Aufmerksamkeit auf die Hafenstadt konzentrierte und nicht zu bemerken schien, was sich von Riemenschlag zu Riemenschlag näher auf seine Backbordseite zuschob.
Ja, der Mann, der diese Kriegsgaleere kommandierte, gab noch nicht auf. Nun war eine Galeere kein Segelschiff wie eine Galeone, bei der ein Verlust des Ruderblatts verheerende Folgen haben konnte. Zwar ließ sich der Kurs einer Galeone auch ohne Ruder mittels der Segel stabilisieren. Man konnte auch durch Trimmen der Segel Kursveränderungen vornehmen, das heißt, steuern. Aber das war weiter nichts als eine Notlösung, ganz zu schweigen von der Abdrift oder dem Unvermögen, einen schnellen Kurswechsel durchzuführen. In einem Gefecht wirkte sich das katastrophal aus.
Die Galeere hingegen blieb manövrierfähig – wenn auch nicht mehr ganz so wendig. Sie konnte mit den Riemen gesteuert werden. Sie konnte sogar auf der Stelle drehen, wenn auf der einen Bordseite an- und auf der anderen Bordseite gegengerudert wurde.
Alles das schoß Hasard durch den Kopf, während er gleichzeitig Kurs und Geschwindigkeit des Gegners schätzte und dann feststellte, daß die Galeere in der Peilung nicht auswanderte. Das bedeutete, daß die Galeere und die „Isabella“ auf Kollisionskurs lagen. Sie liefen in einem spitzen Winkel aufeinander zu.
Am Ende des gedachten Winkels aber lag das Flaggschiff Admiral Drakes, die „Elizabeth Bonaventura“.
Hasard begann zu schwitzen. Da bahnte sich eine Situation an, die ihm gar nicht gefiel. Die Gesamtsituation war sowieso verfahren genug. Fest stand, daß dieser wahnwitzige Galeerenkommandant stur wie ein andalusischer Kampfstier zum Rammstoß entschlossen war. Aller Wahrscheinlichkeit nach beruhte das auf der Erkenntnis, daß man spanischerseits die „Elizabeth Bonaventura“ als das Flaggschiff des englischen Verbandes erkannt hatte.
Da lohnte sich dieser selbstmörderische Einsatz. Er würde sich noch mehr lohnen und dem Kampf geschehen einen völlig anderen Verlauf geben, wenn es gelang, nach dem Rammstoß zu entern und sich den englischen Admiral zu schnappen. Vielleicht wußten die Spanier sogar, daß der englische Admiral der verhaßte „El Draque“ war.
Wenn diese Überlegungen stimmten, dann würde der spanische Galeerenkommandant tatsächlich auf Biegen und Brechen seinen Angriff auf das Flaggschiff fortsetzen. Vielleicht war er noch dazu einer von diesen ehrgeizigen Hunden, die sich selbst und ihrer Umwelt immer wieder beweisen mußten, was sie doch für tüchtige Kerle wären.
Wie dem auch sei, es mußte etwas geschehen, um diesen Angriff zu stoppen, bevor er unmittelbar an das Flaggschiff herangetragen wurde.
Das bedeutete aber auch, nunmehr von der Rücksichtnahme auf die Galeerensträflinge abgehen zu müssen. Immerhin konnten sie versuchen, ihre Schüsse so zu plazieren, daß sie armen Kerle nicht unmittelbar betroffen wurden.
Hasard wandte sich zu Al Conroy, dem Stückmeister, um und sagte: „Übernimm die Drehbassen vorn auf der Back, Al. Ich will, daß du versuchst, diesem verdammten Don den elend langen Rammsporn wegzuschießen. Wenn du das geschafft hast, konzentriere dein Feuer auf das Bug- und das Achterkastell sowie auf die Brustwehr vor dem Laufgang, hinter der die Drehbassen und Relingsbüchsen aufgestellt sind. Beeil dich!“
„Aye, Sir.“ Al Conroy flankte über die Schmuckbalustrade und lief nach vorn.
„Ben, übernimm die Culverinen“, sagte Hasard zu seinem Ersten. „Für euch gilt das gleiche wie für Al, klar?“
„Klar.“
„Dann los. Ihr habt Feuer frei!“
Ben Brighton sprang zur Kuhl hinunter.
„Shane, Batuti“, sagte Hasard, „heizt ihm mit Brandpfeilen ein, nehmt die Pfeile mit den Pulverladungen. Schießt auf die Kastelle und Kampfplattformen. Postiert euch vorn bei Al auf der Back. Ab mit euch!“
Der Gambianeger und Big Old Shane, ein schwarzer und ein weißer, grauhaariger Riese, nickten knapp und verschwanden nach vorn. Sie waren – neidlos von allen anerkannt – die besten Bogenschützen an Bord der „Isabella“. Natürlich benutzten sie Langbogen. Die Präzision ihrer Weitschüsse war unübertrefflich, ihre Schußfloge atemberaubend.
Eine knappe halbe Minute war nach Hasards Befehlen vergangen, da verwandelte sich die „Isabella“ auf ihrer Backbordseite in ein fauchendes, flammenspuckendes Ungeheuer. Ein Eisenhagel raste hinüber zu der Galeere. Kometengleich, mit einem schmalen Rauchschweif versehen, flitzten Pfeile zum Bug- und Heckkastell.
Hasard wedelte die Rauchschwaden weg, die ihm die Sicht versperrten, und spähte zu dem Rammsporn der Galeere. Ein Grinsen glitt über sein tiefbraunes, scharfgeschnittenes Gesicht. Von dem Ding war nur noch ein Stummelchen übrig, das keinem mehr wehtun würde. Wieder einmal hatte Al Conroy seine einzigartige Schießkunst unter Beweis gestellt.
Die Sorge, daß die „Elizabeth Bonaventura“ von einem Rammsporn aufgespießt wurde, war also behoben.
Im übrigen hatte die Kanonade der anderen Seewölfe ebenfalls ihr Ziel erreicht. Am übelsten schien es das Vorkastell erwischt zu haben – das war nur noch ein Trümmerhaufen, auf dem einzig der Fockpfahlmast noch stand, wenn auch schief und von einem Wirrwarr umgestürzter Lafetten, in die Luft ragender Bronzerohre verschiedenen Kalibers und zerfetzter Holzteile umgeben.
Hasards Blick wanderte weiter. Die Brustwehr war ziemlich zerhackt, aus dem Achterkastell schlugen Flammen. Gerade zerplatzte die protzige vergoldete Hecklaterne mit einem scharfen Knall und vergoß ringsum brennendes Öl. Bei den Dons dort auf dem Achterkastell brach das aus, was die Seewölfe mit „Zustand“ bezeichneten.
Hasard schüttelte den Kopf. Wieder einmal fragte er sich, wann die Spanier eigentlich begriffen, wie gefährlich diese ungeschützten, riesigen Lampen auf Schiffen waren. Eine Musketenkugel genügte, um diese Dinger explodieren zu lassen.
Genau dort, wo die Schiffsführung sich aufhielt, um den Überblick bei Manövern oder Gefechten zu haben, wurde sie durch diese idiotischen Hecklaternen gefährdet.
Am achteren Flaggenstock hinter der zerplatzten Hecklaterne lohte die Flagge Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, in einer Flamme auf und wölbte sich bizarr, als lebe sie und leide unter den Schmerzen des Verbrennungstodes. Das Bild in der Mitte der Flagge mit den Wappenzeichen von Kastilien und Leon, Aragon, Sizilien, Granada und Portugal sowie dem gestickten Orden vom Goldenen Vlies samt der Königskrone zerfloß und wurde ein Fraß der gierigen Flammen.
Das war nur die Flagge.
Aber das herumspritzende, brennende Öl hatte auch Menschen getroffen. Sie schlugen um sich und rissen sich die Kleidung vom Körper. Zwei Männer – das sah Hasard – stürzten sich kopfüber von der Achterdecksplattform ins Wasser.
Die Galeere wurde von den Rudersklaven weiter vorangetrieben. Nichts schien sie aufhalten zu können – weder die schweren Treffer im Vor- und Achterkastell noch die um sich greifenden Flammen.
Ein eisiger Schreck durchfuhr Hasard.
Die Kriegsgaleere war zum Brander geworden – und er hatte sie mit seinem Beschuß dazu werden lassen! Wenn sie voll brennend das Flaggschiff erreichte und es schaffen sollte, sich dort zu vertäuen, dann war die Hölle los!
Seine Stimme fuhr wie Peitschenschlag über die Decks: „Sofort Feuer einstellen!“
Verwundert wandten die Männer ihm ihre rauchgeschwärzten Gesichter zu.
„Ed!“ schrie Hasard. „Holt dicht die Schoten! Wir gehen so hoch an den Wind wie irgend möglich! Wir müssen der Galeere den Weg abschneiden, bevor sie sich brennend an Drakes Flaggschiff legt! Kapiert!“
„Aye, aye, Sir!“ brüllte Carberry zurück.
„Pete, höher ’ran!“ befahl Hasard. „So hoch wie möglich, aber nicht kneifen!“
„Aye, aye, Sir“, sagte Pete Ballie und legte behutsam Ruder.
Hasard spähte zu der Galeere hinüber. Dort war der Ruderschlag erhöht worden. Der Kommandant – wenn er noch lebte – hatte begriffen, daß nur noch diese schlanke Dreimast-Galeone zwischen ihm und dem Flaggschiff stand. Wenn er seine Geschwindigkeit ausspielte, konnte es durchaus sein, daß er das Flaggschiff unangefochten erreichte. Der Lohn würde ein brennendes Inferno für die Engländer sein.
Hasard knirschte unbewußt mit den Zähnen. Jetzt ging es um jeden Yard, um jeden Zoll. Wenn der Wind raumte, also achterlicher einfiel, würde die gewonnene Höhe ausreichen, um der Galeere den Weg zu verlegen. Schralte der Wind, fiel also vorlicher ein, dann konnte Pete Ballie diesen Kurs nicht mehr halten und mußte abfallen. Die Galeere würde ihnen davonlaufen.
Dann blieb als letztes Mittel nur noch, ihre Steuerbordseite in Höhe der Wasserlinie zu perforieren, damit sie schnell vollief und absoff.
Das aber war das Todesurteil für die Rudersklaven.
Fluchend hieb Hasard die rechte Faust auf die Schmuckbalustrade. Die Peilung zu der Galeere wanderte langsam aus – sie war schneller als die „Isabella“. Wie viele Yards hatte sie noch bis zur „Elizabeth Bonaventura“? Zweihundert Yards etwa. Zweihundert Yards bis zur Ewigkeit!
Das anfeuernde Brüllen der peitschenschwingenden Antreiber und Aufseher schallte zur „Isabella“ herüber. Diese Bastarde! Sichtbar waren sie nicht, die Galeere war in Rauch und Qualm gehüllt, dazwischen zuckte und züngelte das Orangegelb und Rot der Flammen. Nur achtern sah Hasard undeutlich Gestalten, die sich bemühten, das Feuer zu dämpfen.
Natürlich – dort befand sich die hohe Schiffsführung, die etwas dagegen hatte, Verbrennungen hinzunehmen. Von dort ging der unbarmherzige Wille aus, das tödliche Brander-Instrument an den Feind zu bringen, mochte das niedere Schiffsvolk samt der ehr- und rechtlosen Rudersklaven dabei die Höllenqualen des Feuertodes erleiden. Was kümmerte das Kommandant und Offiziere!
Für einen kurzen Augenblick erwog Hasard die Möglichkeit, die Riemen auf der Steuerbordseite der Galeere mit gezieltem Beschuß zu zerstören.
Aber als er das dachte, spürte er den Wind, der ihn von Luv plötzlich anwehte.
Der Wind raumte!
Noch im Aufatmen zischte Hasard: „Höher ’ran, Pete, nutz den Drücker aus!“
„Aye, aye, Sir!“
Der Bug der „Isabella“ schwang um ein paar Grad nach Backbord – nicht zuviel und nicht zuwenig, genau richtig. Die Segel standen prall, etwas neigte sich die „Isabella“ nach Lee und jagte schäumend durchs Wasser.
Durch das Höherlaufen verkürzte sich der Weg zu der Galeere. Gebannt starrte Hasard hinüber. Ja, jetzt war die „Isabella“ wieder schneller – Windkraft gegen Muskelkraft! Segel gegen Riemen! Drüben bei der Galeere war eine Steigerung der Geschwindigkeit nicht mehr möglich. Die Grenze menschlicher Kraftleistung war erreicht – durch rücksichtslose Ausbeutung. Jetzt konnte auch der Zusammenbruch sehr schnell erfolgen, das jähe Absinken der Leistung, der Punkt totaler Erschöpfung.
Der Wind raumte noch stärker. Hasard brauchte nichts mehr zu befehlen. Pete Ballie luvte bereits an – vorsichtig, einfühlsam, aber doch auch lauernd, um noch mehr Höhe zu gewinnen.
„Fein, Pete“, sagte Hasard.
Der grauäugige, blonde, stämmige Rudergänger mit den Fäusten, die so groß wie Ankerklüsen waren, grinste zu seinem Kapitän hinüber, nur für einen Augenblick, dann wurde sein Gesicht wieder ernst und konzentriert.
„Pete“, sagte Hasard, „wenn wir diesen Kurs durchhalten und die Galeere nicht abschwenkt, rammen wir sie genau in Höhe des Vorkastells – was wir aber nicht tun werden, um uns nicht die Schnauze zu verbiegen. Etwa zehn Yards vor ihr – ich sag dir, wenn’s soweit ist – legst du Ruder, so daß wir in den Wind gehen und an der Galeere vorbeischurren. Ich will ihr die Riemen auf ihrer Steuerbordseite abrasieren. Alles klar?“
„Alles klar, Sir.“ Pete Ballie nickte. „Und dann entern?“
„Du sagst es.“ Hasard grinste wie ein Wolf, wandte sich zur Schmuckbalustrade und rief zur Kuhl hinunter: „Ben, alles klarmachen zum Entern!“
Ben Brighton zeigte verstanden, und dann begann auch er zu grinsen. Dieses Grinsen setzte sich auf den Gesichtern der Seewölfe fort. Hasard sah, wie Ed Carberry sich bückte, die Kettenkugel aufhob, die den Vormars getroffen hatte, und prüfend in der Hand wog. Offensichtlich plante er, sie den Dons um die Ohren zu schlagen.
Hasard drehte sich zu Ferris Tukker, dem rothaarigen, riesigen Schiffszimmermann der „Isabella“ um, der die achteren Drehbassen übernommen hatte. Ferris Tucker hatte bereits seine Axt in den Fäusten und starrte lüstern auf die Galeere.
„Daraus wird nichts, Ferris“, sagte Hasard sanft, „einer muß ja schließlich unsere alte Tante bewachen, oder?“
„Ist das ein Befehl?“
„Ja.“
Ferris Tucker nickte. „Geht in Ordnung, aber du kannst mir ruhig ein paar Philipps aufs Achterdeck schicken, damit ich nicht einschlafe. Ich könnte inzwischen auch den verdammten Vormars reparieren.“
„Danach, Ferris, danach.“ Hasard lächelte.
Aus dem Vordeck humpelte Old O’Flynn mit seinen Krücken heran, überquerte die Kuhl, warf einen kurzen Blick zu der Galeere hinüber, grinste zufrieden und enterte den Niedergang zum Achterdeck hoch.
„Na?“ fragte Hasardd.
„Ich hab ihnen den Hintern versohlt, daß das Tauende nur so geraucht hat“, erwiderte Old O’Flynn grimmig. „Meinst du, die haben einen Mucks getan? Nichts davon. Am liebsten hätten sie mir die Krücken geklaut, diese Lümmel.“
Hasard hatte Mühe, ernst zu bleiben. „Und wo stecken sie jetzt?“
„In der Vorpiek. Strafe muß sein.“ Ein Funkeln trat in Old O’Flynns Augen. „Sie müssen stehen, auf ihrem Hintern können sie ’ne ganze Weile nicht sitzen.“
„Gut so“, sagte Hasard. „Danke, Donegal.“
„Die nächste Tracht kannst du ihnen verpassen“, sagte Old O’Flynn verbissen. „Ich mußte immer an Gwen denken.“
Gwendolyn Bernice Killigrew, geborene O’Flynn, ertrunken in einem Sturm vor der Küste Englands …
Hasard preßte die Lippen zusammen. Old O’Flynn hatte eine unnachahmliche Art, ihn jetzt daran zu erinnern. Er wischte die Gedanken an Gwen beiseite.
Old O’Flynn stampfte zum Besanmast und löste dort von einer Klampe den Bootstaljenläufer, der zur Besansaling hochlief und den sie häufig benutzten, wenn sie achtern ein Beiboot einsetzten oder an Deck hieven wollten.
„Was soll das denn?“ fragte Hasard.
Old O’Flynn schlang einen dicken Knoten in das Läuferende, nahm das Ende zwischen die Beine, so daß der dicke Knoten an seinem Hintern anlag, klemmte sich eine Krücke unter die Arme, umfaßte den Taljenläufer und brummte: „Hiev mich hoch, Mister Killigrew, Sir. Oder soll ich beim Entern vielleicht zuschauen?“
Das war’s wohl. Hasard konnte schon wieder lächeln. Zusammen mit Ferris Tucker hievte er Old Donegal Daniel O’Flynn am Besanmast hoch bis zur Saling. Dort schaukelte der Alte und spähte mit grimmiger Miene hinüber zur Galeere.
Noch fünfzig Yards.
Hasard trat zum Ruderhaus. „Aufpassen, Pete, gleich geht’s los.
Pete Ballie nickte schweigend.
„Ben!“ rief Hasard. „Seht zu, das Vorkastell zu besetzen. Ich möchte nicht, daß die Kerle unter Umständen das Flaggschiff entern, falls wir zu dicht dort herantreiben!“
„Aye, aye, Sir!“
Noch zwanzig Yards!
Entsetzte Gesichter starrten von der Galeere her auf die heranrauschende „Isabella“. Männer brüllten Befehle. Ein paar Musketen blafften und hieben ihr Blei in die Bordwand der „Isabella“. Das waren noch nicht einmal Mückenstiche. Die Schiffshaut der Galeone bestand aus solidem eisenhartem Eichenholz. Die Seewölfe hatten sich längst hinter das Schanzkleid geduckt.
„Jetzt, Pete!“ zischte Hasard.
Pete Ballie legte Ruder, die „Isabella“ schwang nach Backbord in den Wind. Tausendfach geübt wurden die Segel sofort aufgegeit, die Rahen schwangen in Längsschiffsrichtung. Der Winddruck auf die Segel war weg, aber die „Isabella“ mit der Masse ihres Schiffskörpers hatte auch ohne den Windantrieb noch genügend Fahrt drauf, um das auszuführen, was Hasard geplant hatte.
Es begann bei den Steuerbordbugriemen der Galeere. Zwei Yards von deren Bordwand entfernt wurden die schweren Riemen wie dürre, ausgetrocknete Hölzer weggeknickt, zersplittert, aus den Duchten geprellt.
Der Bug der „Isabella“ schnitt durch die riemenstarrende Front der Galeere und zerbrach sie. Nichts, gar nichts vermochte ihre auslaufende Fahrt zu bremsen, erst die eigene Trägheit.
Da flogen bereits von der „Isabella“ die Enterhaken zu der Galeere hinüber und verkrallten sich dort, wo sie Widerstand fanden. Die „Isabella“ rutschte mit ihrer vollen Steuerbordbreitseite krachend gegen die Bordwand der niedrigeren Galeere. Flinke Hände holten die Lose der Entertaue durch und belegten sie.
Und schon gellte der Kampfschrei der Seewölfe über den Hafen und steigerte sich zum rhythmischen, abgehackten Ruf.
„Ar-we-nack! Ar-we-nack! Ar-we-nack!“
Und Hasards Stimme peitschte wie ein Trompetensignal über die Decks.
„Entert sie! Drauf, Männer der ‚Isabella‘! Es lebe die Königin!“
„Es lebe die Königin!“ brüllten die Seewölfe und sprangen hinter ihrem Kapitän hinunter auf die Galeere.
Und ein Mann stieß sich von der Saling des Besanmastes ab, sitzend auf einem Tau, das Holzbein vorgestreckt.
Old Donegal Daniel O’Flynn!
Wie ein riesiger, lebender Pendel schwang er über das Vorkastell der Galeere, das Holzbein pflügte über drei behelmte Spanier und stieß sie wie Puppen außenbords. Und die Krücke, die er wie ein Ritter beim Lanzenturnier unter den rechten Arm geklemmt hatte, fegte zwei andere Spanier von den Füßen.
Ferris Tucker, der einzige, der an Bord der „Isabella“ zurückgeblieben war und den Flug des Alten verfolgt hatte, riß die Augen auf – und dann lachte der Riese. Er lachte derart, daß er sich den Bauch halten mußte. Die schwere Axt fiel ihm auf die Zehe, und da hüpfte er.
Der gellende Kampfruf ließ Francis Drake zusammenzucken. Sein Kopf fuhr herum, und sein Blick traf auf Kapitän Thomas Fenner, seinen Stabschef. Bei dem stand der Mund offen, als habe er die Absicht, einen ganzen Kloß in seine Futterluke zu schieben.
Sieht der dämlich aus, dachte Drake und knurrte: „Was war das, Fenner?“
Fenner stürzte vom Steuerbordschanzkleid auf dem Achterdeck der „Elizabeth Bonaventura“ hinüber zum Backbordschanzkleid.
Drake rührte sich nicht von der Stelle, seine Finger trommelten einen Marsch auf das Holz des Schanzkleides, sein Blick war wieder auf Cadiz gerichtet.
Kapitän Fenner, ziemlich blaß, tauchte wieder neben ihm auf.
„Die – die Seewölfe!“ stieß er hervor.
Der Admiral runzelte die Stirn. „Wer, bitte, Mister Fenner?“
„Äh, Kapitän Killigrews ‚Isabella‘, Sir.“
„Müssen die so brüllen?“
„Sie entern eine spanische Kriegsgaleere.“
„Wie bitte?“
Kapitän Fenner trampelte sich vor Aufregung auf die Füße. „Sie – sie entern eine spanische Kriegsgaleere, Sir“, wiederholte er. „Entschuldigung, Sir, ich vermute fast, Killigrew hat sie noch rechtzeitig geschnappt, bevor sie uns mit ihrem Rammsporn …“
Der Admiral hörte schon nicht mehr zu. Mit drei Sätzen war er am Backbordschanzkleid.
„… aufspießen konnte“, vollendete Kapitän Fenner und schüttelte den Kopf.
Der Admiral indessen stierte mit fassungslosen Augen auf das chaotische Geschehen, das sich etwa dreißig Yards von der „Elizabeth Bonaventura“ entfernt abspielte.
Und da wurde auch der sehr ehrenwerte und tapfere Admiral blaß um die Nasenspitze.
Er sah den zerschossenen Stummel von Rammsporn, er sah das zerfetzte und zertrümmerte Vorkastell, er sah die Brände an Bord der Galeere – und er sah die wilden Kämpfer der „Isabella“, pulvergeschwärzt im Gesicht, aus dem grell das Weiß der Augen und Zähne herausleuchtete, er sah ihre Fäuste fliegen, mit denen sie Schlag um Schlag die Galeere von Spaniern leerräumten, er sah die Spanier ins Wasser fliegen wie Putzlumpen, er sah den verrückten Alten, der an einem Tampen über der Galeere hin und her schwang und mit seinem Holzbein die Spanier gleich reihenweise von den Füßen holte.
Das alles sah der Admiral.
Und erschüttert murmelte er: „Mein Gott – und sie kämpfen alle nur mit den Fäusten, bis auf den Alten und den verdammten Carberry, der mit einer Kettenkugel zuschlägt.“
Und dann zuckte er wieder zusammen, weil die röhrende Stimme von Ferris Tucker, dem so ausgezeichneten Schiffszimmermann der „Isabella“, auch zu ihm herüberdrang.
Und dieser Tucker brüllte: „He, Arwenacks! Der sehr ehrenwerte Admiral sieht euch jetzt zu! Zeigt’s ihm, wie wir Arwenacks zu kämpfen pflegen, wenn es gilt, ein Flaggschiff, auf dem alles pennt, davor zu bewahren, von einem Philipp gerammt und geentert zu werden. Zeigt’s ihm und den anderen Pennern, damit sie begreifen, daß wir sie wieder mal mitten aus der Scheiße holen!“
Francis Drake wurde käseweiß, Sekunden später lief sein Gesicht puterrot an.
Das war doch die Höhe der Dreistigkeit!
Und das Johlen und das Gelächter erst, das diese „Arwenacks“ von der Galeere zu ihm herüberschickten, während sie ihre Fäuste sogar auf die Helme der spanischen Seesoldaten droschen. Ja, wie kämpften die überhaupt! Erst jetzt fiel es dem Admiral auf. Das war ja völlig verrückt. Mit den Handkanten schlugen sie auch zu. Und plötzlich hebelten sie einen Spanier an, als sei der eine Feder – und schon flog der Kerl in hohem Bogen ins Wasser. Einfach so, als seien die spanischen Panzer aus Watte.
Natürlich konnte der sehr ehrenwerte Admiral nicht wissen, daß die Seewölfe diese Kampfesweise von den Mönchen auf Formosa gelernt hatten. Er schluckte und starrte, und dann schluckte er wieder.
Denn die Galeere war von Spaniern leergeräumt und Kapitän Killigrews scharfe Stimme ertönte.
„Löscht das Feuer! Zerbrecht die Ketten der Rudersklaven!“
Erst dann wandte sich der riesige, schwarzhaarige Mann langsam um und blickte zu dem Admiral am Backbordschanzkleid der „Elizabeth Bonaventura“ hinüber. Auf der Kuhl des Flaggschiffs und auf der Back tauchten immer Männer auf, traten ebenfalls ans Backbordschanzkleid und reckten die Hälse. Da war wohl keiner, der nicht begriff, was sich in Feuerlee des Flaggschiffs abgespielt haben mußte, ohne daß sie es bemerkt hätten.
Der Admiral sah es aus den Augenwinkeln und fluchte insgeheim.
Diese Blamage!
Die Kanonen waren verstummt. Die Pulverschwaden trieben im Südwest über die Reede dem Land zu.
„Sir!“ rief die helle Stimme Kapitän Killigrews, die wie klirrendes Eisen klang, zum Flaggschiff hinüber. „Es war uns eine Ehre, Sie, Ihre Männer und Ihr Schiff noch rechtzeitig vor dem Rammstoß dieser Kriegsgaleere und dem Kampf Mann gegen Mann bewahrt zu haben! Ich frage mich allerdings, ob es in der englischen Marine üblich geworden ist, während eines Gefechts auf den Rundum-Ausguck zu verzichten! Oder fahren die Schiffe Ihrer königlichen Majestät von England jetzt mit Schlafmützen zur See?“
Das saß! Oh, und wie das saß!
Und dazu das Grinsen dieser verdammten „Arwenacks“!
Der Admiral holte tief Luft, um diesen unverschämten Kapitän Killigrew mit der gehörigen Lautstärke zusammendonnern zu können.
„Ich verbitte mir …“ Weiter gelangte er nicht.
Wie ein Messer schnitt Hasards Stimme dazwischen. „Sie haben sich gar nichts zu verbitten, Sir, allenfalls dürfen Sie sich bei den Männern der ‚Isabella‘ dafür bedanken, daß sie unter Einsatz des eigenen Lebens Ihr verdammtes Flaggschiff vor einer Katastrophe bewahrten. Aber das ist wohl zuviel verlangt! Sie haben sich deshalb nichts zu verbitten, weil wir Männer der ‚Isabella‘ nicht unter Ihrer Befehlsgewalt stehen – und wir werden uns hüten, das je zu tun, solange Starrsinn, Selbstherrlichkeit, Holzhackermethoden, mangelnde Strategie und Taktik sowie Ignoranz zu Ihren Führungsprinzipien gehören! Lassen Sie es sich gesagt sein, Sir, Ihr Unternehmen auf Cadiz, wie es sich bisher präsentiert hat, ist eine Schande für England und für Ihre Majestät, die Königin!“
Ja, das war der Rebell Philip Hasard Killigrew, und er lachte nur, als der Admiral brüllte, er verlange Satisfaktion für diese unerhörten Beleidigungen.
Dieses Lachen brachte den sehr ehrenwerten Admiral vollends zur Raserei.
„Sie werden sich mir zum Duell stellen, Killigrew!“ schrie er mit überschnappender Stimme.
„Aber Sir!“ rief Hasard zurück. „Ich duelliere mich nur mit einem gleichwertigen Gegner – bei allem Respekt, ich will doch nicht zum Mörder werden!
„Sie …“ Der Admiral brach ab und ruckte den Kopf vor. Sein Blick war nicht mehr auf den verdammten Kapitän Killigrew gerichtet, sondern mehr nach links.
Hasard wandte den Kopf.
„Daß mich doch der Schlag trifft“, hörte er die Stimme Old Donegal Daniel O’Flynns, der am Besanmast der „Isabella“ gerade von Ferris Tucker von seinem Höhensitz abgefiert worden war. Und dann weiteten sich auch seine Augen.
Hände in den Hosentaschen, die kleinen, geraden Näschen in die Luft gereckt, so verließen Hasard Killigrew Junior und Philip Killigrew Junior das Schott zum Vordeck und stelzten steif wie Bohnenstangen zum Achterdecksschott. Sie würdigten niemanden eines Blickes und zeigten Mienen, die ihre ganze Verachtung für diese Welt ausdrückten. Sie marschierten hintereinander – Hasard Junior als der Erstgeborene voran. Er hatte sogar die Lippen gespitzt und flötete eine unbekannte Melodie in den Himmel. Im Gänsemarsch verschwanden sie im Achterdecksschott.
Ein paar Sekunden herrschte totales Schweigen auf beiden Seiten.
Es wurde von dem Räuspern des Admirals unterbrochen.
„Wer – wer ist das denn?“ fragte er verdattert.
„Meine Söhne, Sir“, erwiderte Hasard verbiestert und warf Old O’Flynn einen wilden Blick zu.
„Ihre – was?“
„Meine Söhne, Zwillinge Hasard und Philip Killigrew.“ Jetzt mußte sich Hasard auch räuspern.
„Wo haben Sie die denn her?“
„Geklaut“, sagte Hasard lakonisch.
„O Gott“, sagte der Admiral erschüttert, „o Gott, noch zwei von diesen Teufelsbraten aus Ihrem Geschlecht! Hört das denn nie auf? Geklaut, sagten Sie? Das versteh ich nicht.“
„Ich auch nicht“, sagte Hasard ruppig, „ich versteh überhaupt nichts mehr.“
„Hm – äh – ja“, erneutes Räuspern des Admirals, „ich – also – es hat mich sehr gefreut …“ Der Admiral wischte sich über die Stirn. „Was wollte ich sagen? Ach ja, Sie haben gut gekämpft, Kapitän Killigrew! Sie und Ihre Männer! Ausgezeichnet! Das Flaggschiff wurde vor Schaden bewahrt, äh, sehr gut, sehr gut.“
„Danke, Sir.“ Hasard verbeugte sich leicht und starrte verstohlen zum Achterdecksschott der „Isabella“.
„Äh, ja“, sagte der Admiral, räusperte sich wieder und wischte sich über die Stirn, „ich – ich habe das eben nicht so gemeint, nicht wahr? Sie sind aber auch der sturste Bock, der mir jemals begegnet ist, Kapitän Killigrew. Und frech sind Sie auch. Was sie gesagt haben, hat mir noch keiner gewagt, zu sagen.“
Philip Hasard Killigrew grinste. „Einmal ist immer das erste Mal, Sir, das hängt mit den Jungfrauen zusammen!“
Brüllendes Gelächter brandete auf.
Und der Bann war gebrochen.