Читать книгу Seewölfe Paket 8 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 20
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Оглавление„‚Dreadnought‘ läßt ein schweres Beiboot zu Wasser!“ schrie Bill vom Hauptmars hinunter. „An Bord zwanzig Seesoldaten!“
Hasard zeigte verstanden. Er hatte es selbst bereits gesehen.
„Die wollen entern“, sagte Ben Brighton neben Hasard. Das hätte eine Feststellung sein können, aber wie es Ben sagte, klang es erbittert und empört. Und er hatte ja völlig recht. Sie enterten ein sterbendes Schiff. Es war so unsinnig wie alles, was an diesem Tage geschehen war.
„Die Suppe versalz ich diesem Perückengockel“, knurrte Hasard, und es war wie eine Befreiung für ihn, als er seinen Entschluß faßte. Und dieses Mal pfiff er auf die Folgen.
„Na endlich“, murmelte Ben Brighton wie erlöst. Aus seinem Gesicht verschwand der verkniffene Zug, den es angenommen hatte, seit der Genuese zusammengeschossen wurde. „Der Perückengockel persönlich führt das Enterkommando“, fügte er hinzu, und das wiederum klang, als freue sich Ben Brighton darauf, an diesem Abend ein am Spieß gebratenes Spanferkel verspeisen zu können.
„Du bleibst an Bord, Ben“, sagte Hasard, und dann hagelten seine Befehle, die schlagartig alles in Bewegung brachten.
Waren Minuten vergangen? Fast schien es so.
Jedenfalls schob sich plötzlich die „Isabella“ zwischen die „Dreadnought“ und das genuesische Wrack, während ein Beiboot der „Isabella“ von kräftigen Armen gepullt heranschoß und der Pinaß des Kapitäns Seymour den Kurs auf den Siebenhundert-Tonner verlegte – wie zufällig sah das aus.
In diesem Beiboot der „Isabella“ befanden sich nur acht Männer: Philip Hasard Killiggew, Edwin Carberry, Big Old Shane, Batuti, Smoky, Stenmark, Matt Davies und Dan O’Flynn.
Die Besatzung an Bord der „Dreadnought“ riß die Augen auf, als sie in die gähnenden Rohrmündungen der Steuerbordbreitseite der „Isabella“ starrte. Und sie sah, daß die Kerle hinter den Stücken die Lunten am Brennen hatten.
Eine kühle Stimme auf dem Achterdeck der „Isabella“ rief: „Laßt die Pfoten von den Waffen, oder wir jagen euer Schiff in die Luft!“
„Verstanden!“ rief Cummings auf dem Achterdeck der „Dreadnought“, und Ben Brighton sah, daß dieser Offizier über das ganze Gesicht grinste.
„Ich glaub fast, dem haben wir einen Gefallen getan“, sagte Ferris Tucker, der neben Ben Brighton stand und das Grinsen gesehen hatte.
„Glaub ich auch“, erwiderte Ben Brighton trocken. „Und weißt du, was ich noch glaube?“
„Na?“
„Der freut sich, wenn wir seinem Kapitän den Marsch blasen und er ist verhindert, dem Gockel zu helfen, weil wir ihm gewissermaßen die Pistole vorhalten.“
„Sag ich doch“, brummte Ferris Tucker. „Die müßten uns noch dafür bezahlen, daß wir ihnen einen Gefallen tun.“ Er blickte hinüber zu der Pinaß und dem Beiboot der „Isabella“, die auf Kollisionskurs lagen, das heißt, auf Hasards Beiboot wurde nicht mehr gepullt, weil sie bereits ihr Ziel als schwimmende Barrikade erreicht hatten, während die Pinaß wie ein wütender Schwan heranschnaubte. „Da tut sich gleich was“, sagte Ferris Tucker.
Und ob sich was tat!
„Aus dem Weg!“ brüllte Kapitän Seymour. „Aus dem Weg, Sie verfluchter Bastard!“ Er stand aufrecht vor der Heckducht und fuchtelte wieder mit seinem Degen durch die Luft, als gelte es, weitere Hüte aufzuspießen. „Gleich ramme ich Sie!“
Hasard lachte schallend, ließ plötzlich anrudern, und als die Pinaß am Heck des Beibootes vorbeischoß, warf er fast lässig ein Entertau mit einem Haken zu der Pinaß hinüber. Der Wurf saß, denn Hasard brauchte nur etwa knapp zwei Yards zu überbrücken.
Der Haken verkrallte sich hinter dem Heckdollbord. Blitzschnell belegte Hasard das Ende, das er noch in der Hand hielt, an einer Klampe seiner Heckducht.
„Rudert an, Arwenacks!“ peitschte seine Stimme.
Und die Seewölfe ruderten an!
Während sie sich vorwarfen, flogen die Riemen zurück, stießen ins Wasser, wurden mit berstender Kraft durchgeholt, daß es in den Rundsein nur so krachte, aus dem Wasser gerissen, und der neue Schlag begann.
„Hool weg!“ brüllte Ed Carberry, Schlagmann auf der Backbordseite. „Hool weg!“
Neben ihm saß Big Old Shane. Und diese beiden Brocken von Mannsbildern mit ihren Bärenkräften reichten schon aus, dem Beiboot auf Anhieb und mit dem ersten Schlag einen wüsten Pull vorwärts zu geben.
Das passierte alles innerhalb von Sekunden, noch bevor die Rudergasten Kapitän Seymours begriffen, was sich hier abspielte. Kapitän Seymour selbst begriff überhaupt nichts. Mit seinem Degen hätte er das Entertau nur mit einem einzigen Hieb zu kappen brauchen – und dann wäre das Spiel anders gelaufen.
Aber Kapitän Seymour gehörte eben nicht zu den Männern, die auf unerwartete Situationen blitzschnell und instinktsicher reagierten.
Er glotzte mit blöden Augen auf das Entertau, das seine Pinaß mit dem Beiboot des verdammten Killigrew verband, sah, wie das Tau steifkam, aus dem Wasser schnellte – und dann holte ihn bereits dieser furchtbare Ruck von den Beinen.
In der Pinaß flog alles durcheinander – Seesoldaten, Rudergasten, Bootssteurer, Kapitän, Waffen, eine Kiste mit Pistolenmunition, Pulverfässer, Fußbretter, Tauwerk.
Kapitän Seymour prallte vor und zurück und bohrte seinen Degen neben der rechten Hand des Bootssteurers durch die Bodenbeplankung der Pinaß. Der Degen rutschte bis zum Korb durch – und dann sprudelte dort das Wasser und benäßte die rechte Hand des Kapitäns, die den Degengriff eisern umklammerte.
„Hool weg!“ dröhnte Carberrys Stimme. „Hool weg!“
Und das Beiboot der „Isabella“ zog die Pinaß der „Dreadnought“ – Heck zu Heck einander zugekehrt – hinter sich her, als sei die Pinaß ein Korken oder ein leichtes Stück Balsaholz und nicht ein Fahrzeug, das mit zwanzig schwerbewaffneten Seesoldaten, acht Rudergasten, einem Kapitän und einem Bootssteuerer besetzt war.
In der Pinaß rappelte sich Kapitän Seymour fluchend hoch, nahm die linke Hand noch zur Hilfe, stemmte seine Beine fest ein – das linke auf dem Bauch eines Seesoldaten – und zerrte am Degengriff.
Nicht! hatte der Bootssteurer noch schreien wollen, aber es war bereits zu spät. Kapitän und Degen flogen achtern gegen die Ducht und zerbrachen die Ruderpinne, und aus dem Dreiecksloch, das die Degenklinge sauber gestanzt hatte, sprudelte nicht mehr, sondern schoß das Wasser.
Die Bilge war im Nu voll.
Der Bootssteuerer riß sich die Jakke vom Leib, fetzte den Ärmel ab, warf sich vor und stopfte den Ärmel in das Leck.
Jetzt quoll das Wasser nur noch. Immerhin reichte es den Männern in der Pinaß bereits bis zu den Knöcheln – so sie saßen oder standen. Einige lagen auch noch unter den Duchten oder zwischen dem Bootsinventar und waren fluchend damit beschäftigt, sich aufzurichten.
Das war schwierig, weil nach jedem „Hool weg“ des fürchterlichen Narbenmannes in dem anderen Beiboot die Pinaß einruckte, als erhalte sie den Schlag von mehreren Schmiedehämmern.
Kapitän Seymour schrie sinnlose Befehle.
Er schrie: „Mir nach, Männer der ‚Dreadnought‘!“
Und: „Entert die Piraten!“
Und: „Klar bei Lunten!“
Und: „Klar Schiff zum Gefecht!“
Er wollte noch viel mehr brüllen, aber da hakte ihm der Seesoldat, dem er den linken Stiefel in den Bauch gestemmt hatte, den rechten Fuß um den Knöchel, und als wieder der heftige Ruck erfolgte, zog er synchron mit, damit es nicht so auffiel. Später behauptete er auch, da sei ihm was beim Aufstehen im Weg gewesen, und das habe er eben umgerissen.
Er riß also den Kapitän mit Erfolg um. Dieses Mal verlor der Kapitän den Degen und richtete mit ihm auch keinen Schaden an. Aber er stieß sich den Kopf an der ersten Ruderducht und war deswegen geistig ein bißchen gelähmt, was seiner Pinaßbesatzung die Qual ersparte, aus sinnlosen Befehlen etwas Vernünftiges zu drechseln.
Und Edwin Carberry brüllte immer noch unentwegt sein: „Hool weg! Hool weg!“
Das nun ging dem Bootssteurer allmählich gegen die Ehre, und da er ein Mann war, der ein „Fair play“ durchaus zu schätzen wußte, packte ihn der seemännische Berufsehrgeiz.
„Klar bei Riemen!“ pfiff er seine Bootsgasten an.
Die Riemen polterten in die Rundseln.
„Ruder an! Hooool weg! Hoool weg!“ Und er hämmerte die zerbrochene Ruderpinne auf die Heckducht, um jedem Riemenschlag den richtigen Takt zu geben.
So geschah es, daß die Rudergasten zweier englischer Beiboote in einem Kraftduell gegeneinander anruderten – die einen in die eine, die anderen in die entgegengesetzte Richtung.
Das hatte die Marine Ihrer Majestät der Königin noch nicht erlebt. Und die Kulisse auf der Reede vor Cadiz war wohl auch nicht die richtige Arena für derlei Kurzweil. Aber das kümmerte die Männer auf den beiden Beibooten nicht.
Von der Kriegsgaleone brüllten sie: „Dread-nought! Dread-nought! Dreadnought!“
Und die Seewölfe auf der „Isabella“ schmetterten ihr: „Arwenack! Arwenack! Arwe-nack!“
Einmal gewann die Pinaß an Raum, dann wieder das Beiboot der „Isabella“, der Kampf Riemen gegen Riemen, Muskelkraft gegen Muskelkraft wogte hin und her, aber vielleicht waren Hasards Männer härter und zäher. Vielleicht auch trieb sie ihre explosive Wut, ihr angestauter Grimm über die Geschehnisse des Tages, über den ungleichen Kampf der englischen Schiffe gegen ein einzelnes genuesisches Schiff zu einer unerhörten Steigerung ihres Krafteinsatzes.
Ihr Riemenschlag wurde schneller und dabei noch kraftvoller, und er war exakter in der Riemenführung. Da wurde nicht gekrebst, da wurden keine Riemen verkantet. Die Blätter hieben ins Wasser wie scharfe Äxte, kein Spritzer wurde dabei aufgewirbelt, aber wenn die Blätter nach dem Zuschlag aus dem Wasser gerissen wurden, dann stoben an dieser Stelle acht Gischtfahnen davon, als habe dort eine Orkanbö zugeschlagen.
Noch einmal stemmten sich die Pinaß-Rudergasten gegen die drohende Niederlage, aber sie kämpften gegen Giganten. Es war, als seien sie in einen ungeheuerlichen, riesigen Sog geraten, der sie unaufhaltsam ansaugte.
Das Ende erfolgte jäh.
Der Riemen des Backbord-Bugmanns schnitt unter, weil er ihn verkantet hatte. Der Kerl kriegte den Riemen nicht mehr aus dem Wasser, dann krachte der Riemen seines Vordermanns gegen den schräggestellten Riemen, Holz splitterte – und schon entstand auf der Backbordseite der Pinaß das, was der Seemann schlicht mit „Wuhling“ zu bezeichnen pflegt, nämlich ein totales Durcheinander sich gegenseitig behindernder Riemen.
Und da die Kerle auf der Backbordseite herumzappelten, verbissen oder fluchend an ihren Riemen rucksten oder sie dem Vordermann ins Kreuz stießen, geriet auch die Steuerbordseite durcheinander.
Damit war das Duell entschieden. Die Seewölfe waren unbestritten und eindeutig Sieger.
Sie zogen die Pinaß wie einen zerfledderten Scheuerlappen hinter sich her und pullten eine Ehrenrunde um die „Dreadnought“.
Die Männer auf der „Isabella“ konnten wieder lachen, und sie lachten sich halbtot über „die müden Säcke“ – wie es Ferris Tucker trefflich formulierte.
Kapitän Sulla, mehrfach verwundet wie alle seine Männer, faßte sich an den Kopf und gelangte zu der Überzeugung, zwischen Verrückte geraten zu sein. Er und seine Männer hatten alles mitangesehen, staunend, perplex, fassungslos.
Diese Engländer mußten von einem anderen Stern stammen oder so ähnlich. Und der eine oder andere bekreuzigte sich verstohlen, denn es konnte ja durchaus sein, daß man es in diesem Hexenkessel mit den Abgesandten des gehörnten Gottseibeiuns zu tun hatte. Das war alles nicht mehr zu begreifen.
Aber eins stand fest: Diese schlanke Dreimastgaleone hatte sich tollkühn und dreist vor die englische Kriegsgaleone geschoben und damit verhindert, daß das blutige Gemetzel fortgesetzt wurde. Sechs ihrer Kameraden hatten in diesem ungleichen Kampf mit dem Leben bezahlt. Und die Lebenden hatten mit ihrem Dasein abgeschlossen. Sie würden mit ihrem sterbenden Schiff untergehen, denn da war kaum einer, der das Schwimmen gelernt hatte. Warum sollte man auch? Wer schwimmen konnte, verlängerte die Qualen des Todes – und die See hatte noch jeden geholt, der schiffbrüchig oder über Bord gegangen war.
Hatten sie eine Galgenfrist? Wohl kaum, ihre beiden Beiboote waren nur noch Trümmer.
Im Schiffsbauch ihres Siebenhundert-Tonners gurgelte und schmatzte das Wasser, das durch die Lecks eindrang. Langsam, fast widerwillig, sackte das Schiff tiefer. Es stöhnte, als leide es furchtbare Qualen. Die Verbände ächzten und knarrten. Das waren Geräusche, die daran gemahnten, sich selbst auf das Ende vorzubereiten.
Kapitän Sulla stieg langsam vom Achterdeck zur Kuhl hinunter. Er war barhäuptig, und der Abendwind spielte mit seinen grauen Haaren. Das Blut aus einer Stirnwunde war geronnen und hatte bizarre Bahnen auf seinem Gesicht gezeichnet.
Er trat zu seinen Männern und blickte jeden einzelnen stumm an. Schmerz stand in seinen Augen, zwei tiefe, müde Falten kerbten die beiden Mundwinkel.
„Ich danke euch“, sagte er leise. „Ihr wart die besten Männer, die ein Kapitän haben konnte. Unsere Reise ist zu Ende.“ Er blickte zu den sechs Toten, die nebeneinander lagen, von einer Segelplane zugedeckt. „Laßt uns beten!“ Und er faltete die Hände.
Etwas stieß gegen die Bordwand. Unwillig wandte Kapitän Sulla den Kopf.
Ein riesiger schwarzhaariger Mann mit eisblauen Augen schwang sich über das zersplitterte Schanzkleid, und Kapitän Sulla erkannte jenen Mann, der die schlanke Dreimastgaleone führte.
Dieser Mann verbeugte sich leicht und sagte: „Ich heiße Philip Hasard Killigrew, Kapitän der ‚Isabella‘.“ Er sprach ein tadelloses Spanisch, ohne jeden fremden Akzent. „Ich möchte Ihnen und Ihren tapferen Männern helfen, Kapitän, wie es Brauch unter christlichen Seeleuten ist. Mein eigenes Beiboot liegt bereits längsseits, um Sie und Ihre Männer zu übernehmen. Mein zweites Beiboot wurde ausgesetzt und wird gerade hierhergepullt.“
Kapitän Sullas Augen waren schmal geworden. „Sie sind Engländer?“
Hasard nickte stumm.
Scharf sagte Kapitän Sulla: „Dann haben wir uns als Ihre Gefangenen zu betrachten?“
Hasard lächelte. „Nein, als meine Gäste. Ihnen ist Unrecht geschehen. Ich möchte einen Teil davon abtragen. Ich verpflichte mich, Sie dorthin zu bringen, wohin Sie es wünschen. Ich werde Ihnen ferner den Verlust Ihres Schiffes samt Ladung ersetzen. Mein Feldscher, ein ausgezeichneter Mann, wird sich um Ihre Verwundeten kümmern.“
Das alles sagte dieser riesige Mann. Er sagte es ruhig, bestimmt, überzeugend. Und er sagte es mit Würde.
Kapitän Sulla kannte Menschen. Er verstand es, in ihren Gesichtern zu lesen, ihre Mienen und ihren Ausdruck zu deuten. Er gestand sich, einem solchen Mann noch nie begegnet zu sein. Eins war gewiß: Dieser Mann war ohne Fehl und Tadel. Er konnte ihm vertrauen.
Impulsiv streckte er Hasard die Rechte entgegen.
„Danke, Kapitän Killigrew“, sagte er, „ich nehme Ihr Angebot an.“
Hasard ergriff die Rechte und drückte sie fest. Es war ein Handschlag zwischen zwei Ehrenmännern.
„Ich heißte Sulla, Mauritio Sulla“, sagte der genuesische Kapitän.
Hasard lächelte wieder. „Ein berühmter Name, wenn ich an den römischen Reiterführer und Feldherrn Lucius Cornelius Sulla denke.“
Kapitän Sulla strahlte. „Sie wissen von ihm? Man behauptet in meiner Familie, von ihm abzustammen.“
„Warum nicht?“ sagte Hasard nachdenklich. „Sie kämpften gut, Kapitän Sulla. Hätten die anderen Schiffe nicht eingegriffen, dann wäre jetzt wohl Seymours ‚Dreadnought‘ ein Trümmerhaufen.“
Kapitän Sulla musterte Hasard aufmerksam. „Wie Sie das sagen, klingt es, als hätten Sie sich darüber gefreut.“
„Hätte ich auch“, sagte Hasard trocken.
„Sie gehören nicht zu Admiral Drakes Verband?“
„Nein“, erwiderte Hasard schroff. „Ich verurteile Drakes Vorgehen hier in Cadiz ganz entschieden …“
Carberrys zernarbtes, häßliches Gesicht tauchte über dem Schanzkleid auf.
„Entschuldigung, Sir“, unterbrach er Hasard, „aber ich glaube, wir sollten uns beeilen. Der Perückenkapitän ist wieder in Aktion.“
Zuvor, nach der Ehrenrunde, hatten sie das Enterseil wieder losgeworfen, und die Pinaß war mit schlappem Schlag in Richtung der „Dreadnought“ gepullt worden. Die Riemen hatten sich auf und ab bewegt wie die zerrupften Flügel einer vergreisten Nebelkrähe.
Offenbar hatte sich Kapitän Seymour wieder erholt, bevor die Pinaß die Kriegsgaleone erreicht hatte, um dort hochgehievt zu werden. Denn das war die Absicht des Bootssteurers gewesen, ganz abgesehen davon, daß ihm das Cummings, der erste Offizier, auch zugerufen hatte.
So ging das ganze Theater wieder von vorn los.
Die Pinaß schwappte heran, während die Seewölfe bereits damit beschäftigt waren, die Verwundeten in die beiden Beiboote zu übernehmen.
„Was geht hier vor?“ schrie Kapitän Seymour schon von weitem. Er kollerte wie ein Truthahn und schwenkte wieder seinen Degen. Daß der ein bißchen verbogen war, hatte er noch gar nicht bemerkt. Zwei Männer pützten mit Ölfässern Wasser aus der Bilge.
Hasard, der einen Genuesen, dessen Bein verletzt war, behutsam in das eine Beiboot gehoben hatte, wandte sich gelassen um und erwiderte: „Wir bergen Schiffbrüchige, wie Sie sehen. Oder haben Sie Bratpfannen vor den Augen, Seymour?“
Kapitän Seymour reckte den Hals und ignorierte Hasards Frage.
„Wo ist das Gold?“ schrie er.
„Was für Gold?“
„Das Gold, das dieser genuesische Pfeffersack geladen hat, verdammt noch mal! Es gehört mir – mir!“ Der Kapitän Seymour pochte mit dem Degenknauf an seine Brust. „Sie – Sie haben hier nichts zu suchen, Sie hergelaufener Bastard! Ich habe das Schiff erobert, es ist meine Beute, nicht Ihre! Verschwinden Sie! Ich war zuerst hier, jawohl, das kann Admiral Drake bezeugen. Ich werde mich bei ihm beschweren, ich …“
„Allmählich langt’s“, sagte Hasard scharf. „Und jetzt hören Sie mir mal zu, Mister Seymour. Erstens: Das Schiff wurde von Ihnen nicht erobert, sondern lediglich von insgesamt sieben englischen Schiffen, darunter drei schweren Kriegsgaleonen, sinnlos und bar jeder ritterlichen Kampfesweise zusammengeschossen Zweitens: Das Schiff hat kein Gold geladen, sondern Koschenille, Kampeschoholz, Häute und Wolle für Italien, wie mir Kapitän Sulla sagte. Drittens: Wenn Sie mich noch einmal zu beleidigen wagen, dann hole ich Sie mir vor die Klinge meines Degens, und dann dürfen Sie Ihre puderstinkende Perücke festhalten, weil Sie meinen, in einen Orkan geraten zu sein. Viertens: Meine Männer und ich werden hier erst verschwinden, wenn wir auch den letzten Genuesen geborgen haben. Und sollten Sie es wagen, uns daran zu hindern – das gilt auch für Ihre Seesoldaten und Bootsgasten –, dann werden meine Männer und ich Ihnen zeigen, wie gekämpft wird. Und diesen Kampf schlagen wir bis zuletzt durch, das heißt, wir werden Ihre ‚Dreadnought‘ dorthin schicken, wo sie hingehört: in die Hölle! Haben Sie mich verstanden, Sie größenwahnsinniger Hampelmann?“
„Ich will das Gold!“ schrie Kapitän Seymour wie von Sinnen.
Da handelte der eiserne Carberry.
Er gab seinem Beiboot – Hasard befand sich in der anderen Jolle – einen Stoß, indem er sich mit dem Bootshaken von der Bordwand des Genuesen abdrückte, das Beiboot schwenkte an der Vorleine herum, schlug längsseits der Pinaß, Carberry sprang hinüber, wischte den Degen lässig mit dem linken Unterarm beiseite – und dann krachte ein langhergeholter Schwinger unter das Kinn Kapitän Seymours.
Das war ein Schlag!
Der Kapitän stieg wie eine langgestreckte Rakete in die Luft, beschrieb auch deren Flugbahn, überschritt den Scheitelpunkt, neigte sich wieder und stieß, Kopf voran, wie ein flüchtender Frosch ins Wasser.
Carberry streichelte andächtig die Knöchel seiner rechten Faust, drehte sich gemütlich zu den Seesoldaten und Bootsgasten um und fragte freundlich: „Noch jemand von euch Rübenschweinen, der ein Bad nehmen will?“
Keiner wollte.
Sie glotzten zu der einsam auf dem Wasser schwimmenden Perücke, die wie eine Qualle im Seegang auf und nieder schwappte, während sich die Löckchen auffieselten und lange Strähnen bildeten.
„Ed“, sagte Hasard etwas besorgt, „ich glaube, du hast ein bißchen zu hart zugelangt.“
„Klar“, sagte Carberry ungerührt, „was sein muß, muß sein. Oder meinst du, der kann nicht schwimmen?“
„Kannst du denn schwimmen, wenn du betäubt bist?“
Carberry riß die Augen auf. „Verdammt, da hast du auch wieder recht.“ Er starrte zu der Perücke, dem einzigen Requisit, das von Kapitän Seymour noch sichtbar war. Dann fluchte er lästerlich, daß es eigentlich zu weit ginge, solche „Rübenschweine“ auch noch vor dem Absaufen bewahren zu müssen – und hechtete ins Wasser.
Die Seewölfe grinsten.
Die Bootsgasten und Seesoldaten der Pinaß glotzten immer noch, offensichtlich schwer überfordert, was irgendwelche Entscheidungen betraf. Vielleicht hofften sie auch im stillen, ihr sehr ehrenwerter Kapitän möge doch tunlichst bei den Fischen bleiben, für immer und ewig. Fest stand jedenfalls, daß ihm keiner freiwillig nachgesprungen wäre, um ihn herauszuholen, denn nicht einer hatte auch nur den kleinen Finger gerührt, als der Kapitän ins Wasser flog.
Als Hasard bereits nervös wurde, tauchte Carberry auf – den Kapitän am Wickel.
Lebte er noch? Carberry schleppte ihn hinter sich her wie einen Mehlsack.
Am Dollbord der Pinaß stemmte er den Kapitän rechtshändig hoch und knurrte: „Wahrnehmen!“
Drei Bootsgasten packten zu.
Und das war der Moment, da der Kapitän wieder lebendig wurde. Er spuckte einem der drei Bootsgasten einen Strahl Wasser ins Gesicht, brüllte los, als solle er geschlachtet werden, zappelte wie ein Fisch an der Angel, rutschte den Bootsgasten wieder aus den Händen und ging erneut auf Tiefe.
Carberrys Fluchkanonade hätte eine Nonne in Ohnmacht fallen lassen. Dann baute er eine Ente, die zum Gründeln wegtaucht, und verschwand von der Wasseroberfläche. Die Bootsgäste starrten mit langen Hälsen über Bord. Blasen blubberten hoch, das Wasser geriet in Wallung.
Als Carberry zum zweiten Male auftauchte, fluchte er bereits wieder. Kapitän Seymour indessen war stumm, aber nicht vor Schreck, sondern weil Carberrys Jagdhiebe – auch unter Wasser – von ganz besonderer Güte waren.
Wiederum zum zweiten Male knurrte er sein: „Wahrnehmen!“ Und er fügte hinzu: „Jetzt reicht’s mir aber. Beim nächsten Mal könnt ihr euren lausigen Kapitän allein auffischen. Oder ihr laßt ihn absaufen, das wäre mir fast noch lieber.“
Die Bootsgasten nickten voller Verständnis und zerrten ihren triefenden Kapitän an Bord.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Perücke des Kapitäns sattsam Wasser gesogen und sackte sanft auf Tiefe. Der Kapitän würde sich in London eine neue anfertigen lassen müssen. Aber vielleicht hatte er auch eine Ersatzperücke.
Den Bootsgasten war das piepegal, aber genau wegen dieser verdammten Perücke kriegte Kapitän Seymour prompt einen Tobsuchtsanfall, als er Sekunden später in die Wirklichkeit zurückkehrte und feststellte, daß sein Kopf entblößt und die Perücke auch auf dem Wasser nicht mehr zu sichten war.
Nach seiner Logik war sie ihm geklaut worden. Sein Verdacht richtete sich zuerst auf seine Bootsgasten, dann auf die „verdammten Kerle“ der „Isabella“, im besonderen aber auch den Profos, den nun wiederum Hasard zurückpfeifen mußte. Denn Carberry war drauf und dran, zurückzuschwimmen und die Pinaß erneut zu entern, um, wie er fluchend verkündete, „diesem Rübenschwein endgültig den Hals umzudrehen.“
An dieser Stelle auf der Reede von Cadiz war das perfekte Theater im Gange, das sich von der Tragödie des zerschossenen, allmählich sterbenden genuesischen Handelsfahrers in eine Komödie gewandelt hatte, dessen Hauptdarsteller der bis zur Weißglut gereizte Profos und die lächerliche Clownsfigur des Kapitäns waren.
Dessen Energien konzentrierten sich nun allerdings wieder auf die eigentliche Ursache dieses Hickhacks. Die Erinnerung hatte sich wohl in seinem Denken durchgesetzt. Und wieder trieb ihn die Gier nach dem vermeintlichen Gold an.
Dieses Mal meinte er, besonders schlau zu sein. Er ließ die Pinaß auf die andere Seite des Siebenhundert-Tonners pullen, nachdem er den Seewölfen, Carberry und Hasard einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte. Die Seewölfe kratzte das nicht. Die vernichtenden Blicke eines Kapitäns Seymour waren nicht von jener Art, daß einem die Knie weich werden konnten.
Die Seewölfe bargen die letzten verwundeten Genuesen und pullten sie hinüber zur „Isabella“. Indessen enterte Kapitän Seymour mit den Seesoldaten das sinkende Schiff – Seymour mit Blindheit geschlagen, was den Zustand des Handelsfahrers betraf, die Seesoldaten mit zögerndem Mißtrauen und einer gesunden Portion Angst. Letzteres beruhte auf der allseits bekannten Tatsache, daß es nicht gut war, in die Strudel eines sinkenden Schiffes zu geraten.
Es kam, wie es kommen mußte.
Kaum hatten Kapitän und Seesoldaten die Kuhl des bereits stark vorlastigen Schiffes betreten, da barst in den Laderäumen irgendein Schott oder eine Querwand. Dann setzte deutlich hörbar ein Rauschen ein. Der Bug neigte sich noch mehr.
Die Seesoldaten sahen sich bleich und stumm an, entledigten sich ihrer schweren Ausrüstung – und sprangen außenbords. Das war natürlich befehlswidrig, aber sie handelten nach dem Motto: Rette sich, wer kann! Im übrigen waren sie längst zu der Ansicht gelangt, daß das Gold, von dem ihr Kapitän ein bißchen irre gefaselt hatte, wohl nur in dessen Phantasie existierte. Und wegen nichts ein sinkendes Schiff zu entern, war ja nun wirklich der Gipfel des totalen Unsinns.
Da stand nun der Kapitän Seymour, Kommandant einer schweren englischen Kriegsgaleone, ohne Perücke, ohne Degen – der ruhte jetzt zwischen Muscheln und Wassergewächsen und würde niemandem mehr wehtun – und starrte seinen entschwindenden Seesoldaten nach.
Die plumpsten einer nach dem anderen ins Wasser wie überreife Pflaumen, die vom Baum fallen, tauchten weg, schossen wieder hoch und paddelten zu der Pinaß, wo sie an Bord gezerrt wurden.
„Mir nach“, murmelte der Kapitän ziemlich sinn- und nutzlos – und sprang auch. Es war reiner Herdeninstinkt, der diese Reaktion bei ihm auslöste.
Er wurde ebenfalls aufgefischt.
Wenn die Seesoldaten gedacht hatten, jetzt würde die Toberei erneut losgehen, dann wurden sie angenehm enttäuscht. Der Kapitän sagte gar nichts, bis auf den kurzen Befehl, man möge zur „Dreadnought“ zurückpullen.
Hinter ihnen sank der Siebenhundert-Tonner.
Kapitän Seymour drehte sich nicht ein einziges Mal um. Als er frierend und mit den Zähnen klappernd über die Jacobsleiter auf sein Schiff stieg, stand die „Isabella“ unter vollen Segeln und glitt majestätisch an der „Dreadnought“ vorbei der offenen See zu.
Erbittert stellte Seymour fest, daß dieser verdammte Kapitän Killigrew ihm wie zum Hohn am Besanmast die genuesische Ersatzflagge gehißt hatte. Kapitän Sulla hatte sie geborgen, bevor er als letzter seiner Männer sein Schiff verlassen hatte. Jetzt wehte sie stolz auf der „Isabella“.
„Kanaille“, murmelte Kapitän Seymour.