Читать книгу Felida - Rudolf Jedele - Страница 15

Die Jagd

Оглавление

So unterschiedlich die beiden Jungen auch waren, unter Nargos Aufsicht und der Anleitung durch die Jäger der Moak wurde selbst aus Distal mit der Zeit ein brauchbarer Jäger. Er lernte ordentlich Spuren zu unterscheiden und eine Fährte zu verfolgen und auch seine Zielsicherheit mit Pfeil und Bogen war im Laufe der Zeit so geworden, dass man sich nicht mehr zwingend dafür zu schämen brauchte, mit ihm auf die Jagd zu gehen. Dennoch, bei allem, was Distal sich an Fertigkeiten aneignete, ein echter Jäger vom Stamm der Moak wurde er nie. Eine ganze Reihe von Fehlern und fehlenden Fähigkeiten war es, die diesen Entwicklungsschritt verhinderten. Zwei davon waren von besonderer Bedeutung:

Da war einerseits seine grundsätzliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Wild, das er jagen sollte und darüber hinaus seine absolute Respektlosigkeit für die Gesamtheit der Natur.

Diese beiden Eigenschaften schoben sich immer wieder und immer öfter in den Vordergrund, je älter Distal wurde. Sie machten alles andere, das er sich im Laufe der Jahre auf dem Weg zum Jäger erarbeitete wieder zunichte. Doch Nargo nahm seine Rolle als Ziehvater ernst. Sehr ernst und deshalb schickte er Distal immer wieder unter strengster Aufsicht mit hinaus. Nargo hatte seinem Bruder versprochen, aus Distal einen Mann zu machen, der in der Lage war, verantwortungsvoll zu handeln und dieses Versprechen würde er einlösen.

Es war die Zeit kurz nach dem der strenge Winter im Hochgebirge sich endgültig verabschiedet und dem Frühling Platz gemacht hatte. Distal war mittlerweile im achten Jahr bei den Moak. Er und Mungo würden im Sommer ihren vierzehnten Geburtstag feiern. Marik und Mungo waren am Tag zuvor zusammen unterwegs gewesen und hatten ein Herde großer Hirsche entdeckt, die in gemächlichem Tempo dabei waren, die Berge zu überqueren. Hirsche am Ende des Winters oder am Anfang des Frühjahrs zu jagen, war nicht gerade das, was einen erfolgreichen Jägerstamm zu Begeisterungsstürmen hinriss. Das Fell der Tiere war vom bevorstehenden Haarwechsel zerfranst und sah nach dem strengen Winter arg mitgenommen aus. Die Hirsche waren mager, alle Fettreserven aufgebraucht und sie hatten nur noch eines im Sinn, nämlich das erste frische Grün abzunagen, wo immer dies möglich war. Hirsche jagte man im Herbst, kurz bevor die Brunst begann, denn dann waren sie im besten Lack, in der Feist. Dann waren die Felle glatt, das Haar seidig und dicht und die Trophäen der männlichen Tiere, die oftmals gewaltigen Geweihe glänzend neu. Doch diese Herde stellte etwas ganz besonderes dar. Sie war neu im Gebiet der Moak und es gab in dieser Herde zwei weibliche Tiere von rein weißer Farbe. Weiße Hirsche waren von allerhöchstem Wert, denn sie waren so selten, wie schwarze Wölfe. Weibliche weiße Hirsche aber waren heilig. Sie wurden niemals gejagt.

Nargo hatte angeordnet, dass Marik und Mungo noch einmal nach der Hirschherde Ausschau halten und feststellen sollten, ob die Herde etwa gar im Stammesgebiet der Moak heimisch werden wollte. Das wäre etwas gewesen, was den Ruhm des Stammes noch weiter erhöht haben würde. Eine Hirschherde unter dessen Hindinnen sich zwei weißen Tiere befanden, das gab es sonst nirgendwo. Distal und noch vier andere junge Jäger sollten mit hinausgehen und dabei erneut von Marik lernen.

Marik war zwar selbst ein noch junger Mann, gerade knapp über zwanzig Sommer hatte er hinter sich gebracht, aber er war schon seit langem erster Gehilfe des Schamanen und derjenige im Stamm, der ihm wohl als Schamane in einer fernen Zukunft nachfolgen würde. Bereits jetzt, in seinen jungen Jahren, war Marik ein ganz ausgezeichneter Schmied und ein ebenso guter Heiler. Doch er war auch, wie alle Moak, ein begeisterter und sehr guter Jäger. Die Jagd hatte ihn nie losgelassen, selbst wenn ihm seine Arbeit beim Schamanen manchmal wenig Zeit dazu ließ.

Sie liefen lange vor Sonnenaufgang von der Höhle los. Mungo führte die Truppe an und hatte damit die Aufgabe des Fährtenlesers übernommen und Distal lief, wie fast immer, am Schluss der Gruppe. Trotz all seiner von Nargo auferzwungenen Übungseinheiten, war Distal immer noch der schlechteste Läufer des Stammes. Wenn Distal dabei war, musste man für eine Laufstrecke eine um ein gutes Drittel längere Laufzeit einkalkulieren. Auch aus diesem Grund nahm ihn keine Gemeinschaft gerne zur Jagd mit. An diesem Tag spielte Distals Langsamkeit aber keine besondere Rolle, denn es galt nur einen kurzen Weg zurück zu legen.

Kurz nach Sonnenaufgang hatten sie ein hoch gelegenes Tal erreicht, in dem der Schnee noch immer nicht ganz weg getaut war. Große Schneefelder unterbrachen die Farben des Frühjahrs und gemahnten an die gerade erst vergangene Hungerzeit. Gerade in diesem Hochtal hatte sich die Herde mit den weißen Hirschen offenbar besonders wohl gefühlt, denn die Spuren der Hirsche führten in das Tal hinein und noch nicht wieder hinaus. Das Tal war dicht mit Tannen bewaldet und die Triebe der Tannen zählten zu den bevorzugten Frühjahrsleckerbissen der Hirsche.

Im Tal war es noch nicht wirklich Morgen geworden, denn der westlich liegende Bergrücken war hoch genug, um den Sonnenaufgang innerhalb des Tals deutlich zu verzögern. Nebel stieg vom feuchten Boden auf und verdichtete sich über den Schneefeldern zu fast körperlich wirkenden, mit den Augen kaum durchdringbaren grauen Bänken und niemand vermochte zu sagen, was sich innerhalb der Nebelbänke verbarg. Da es auch noch ziemlich windstill war, bewegten sich die grauen Matten und Bänke praktisch nicht.

Die Hirsche rechneten aber nicht mit einer Gefahr, denn sie standen ungedeckt und ungeschützt am Rand einer aus dem Waldrand heraus ragenden Zunge, in der ausschließlich junge Tannen mit kaum mehr als Mannshöhe wuchsen. Dort waren die jungen Triebe besonders köstlich und ganz einfach zu erreichen.

Marik und seine jungen Jäger nutzten den Schutz dieser Nebelbänke zu ihren Gunsten und schlichen sich vorsichtig an die Hirsche an.

Nargo hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass Mariks Trupp keine Beute machen sollte. Sie hatten Fleisch genug in ihren Vorratskammern und das Fleisch der Hirsche taugte ohnehin nicht viel, nach dem langen und strengen Winter. Die jungen Jäger sollten ihre Geschicklichkeit im anpirschen und beobachten verbessern und sie sollten lernen, ihre Jagdleidenschaft zu kontrollieren. Nicht jeder Jagdausflug musste mit Beute abgeschlossen werden. Genauso wichtig war es, zu beobachten und die Gewohnheiten des jagdbaren Wildes und der jagenden Konkurrenz der Raubtiere zu kennen. Nur ein schlecht geführter und schlecht organisierter Stamm musste auch im Frühjahr jede Möglichkeit zum echten Jagen nutzen. Die Moak gehörten nicht zu dieser Art von Stämmen.

Marik hatte Nargos Anweisungen auf dem Weg herauf noch einmal wiederholt und verlangt, dass die Anweisungen des Häuptlings ohne wenn und aber eingehalten wurden. Dies umso mehr, als die meisten der weiblichen Hirsche – auch die beiden weißen Tiere – tragend waren.

Die Hirsche fühlten sich absolut sicher. Keines der Tiere wurde auf die sich anpirschenden Jäger aufmerksam und wenn doch, ließen sie sich trotzdem nicht beim Äsen stören. Es war als wussten sie, dass sie nicht gejagt werden sollten. Die Jäger waren im Schutz einer dicken Nebelbank bis auf wenige Schritte an die Hirsche heran gekommen und nun gab Marik durch Handzeichen zu verstehen, dass sich Mungo mit den vier anderen jungen Jägern daran machen sollten, die Herde zu umgehen und eine komplette Umzingelung auszuführen. Er selbst und Distal wollten hier im Schutz des Nebels warten, bis die anderen ihr Manöver zu Ende gebracht hatten.

Mungo war der Jüngste der Vier, die sich nun auf den Weg machten. Noch nicht ganz vierzehn Jahre alt, doch keiner der anderen Jäger stellte seinen Führungsanspruch in Frage. Er war in vielen Dingen der Anführer der Jungen und im ganzen Stamm rechnete man damit, dass Mungo eines Tages die Nachfolge seines Vaters Nargo antreten würde. Auf den zahlreichen Jagdausflügen mit den jungen Jägern hatte er diese Nachfolge sogar schon weitgehend vollzogen. Nun führte er seine Gruppe auf eine großzügige Schleife, um die Hirsche, wie verlangt zu umstellen. Sie machten ihre Arbeit perfekt. Kein Geräusch war zu hören, als sie durch den Nebel huschten, kein Schmatzen, wo ein Mokassin im Schlamm stecken blieb, kein Knacken von einem trockenen Ästchen, nicht einmal das Rauschen eines Zweiges, an dem ein schleichender Mensch kurz gestreift hatte, nichts. Wie Geister bewegten sich die jungen Jäger durch den Nebel und auch außerhalb der Nebelbank verhielten sie bereits so geschickt, wie alte, erfahrene Jäger. Die Umzingelung wurde vollzogen, ohne dass die Hirsche auch nur im Geringsten beim Äsen gestört wurden.

Marik hatte die jungen Jäger voller Stolz beobachtet, denn einen großen Teil ihrer Fähigkeiten hatten sie ihm zu verdanken. Er hatte mehr Spaß daran, die jungen Jäger auszubilden, als alle anderen Männer der Moak. Und die jungen Jäger mochten Marik unheimlich, auch wenn er ein sehr strenger Ausbilder war.

Nun war die Umzingelung vollendet und Marik gab das Signal, den Kreis enger zu machen und sich bis auf den kleinstmöglichen Abstand an die Hirsche anzuschleichen. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die auch von einem erfahrenen Jäger jede Konzentration verlangte. Marik wäre kein Jäger und auch kein guter Ausbilder gewesen, hätte er diese Bewegung nicht mit gemacht. Er glitt über den feuchten Boden wie eine große Schlange und die Jagd hatte ihn voll im Griff. So vergaß er, sich weiter um Distal zu kümmern.

Distal war trotz seiner Jugend bereits ein fanatischer Trophäenjäger. Wenn er jagte, interessierte ihn das Wildbret nur begrenzt. Er war es gewohnt, dass Menschen auch ohne zu jagen gut leben konnten. Distal ging davon aus, dass er irgendwann nach Hause zurückkehren würde und dann wieder ohne den Zwang zur Jagd leben konnte. Jetzt, da er die Hirsche in nächster Nähe vor sich hatte, funkelten seine Augen gierig, denn das Fell eines weißen Hirschs würde im Handelsposten seines Vaters eine absolute Sensation darstellen. Was scherte ihn die Anweisung Nargos und was musste ihn, den halben Zeganiten der Aberglaube der Moak kümmern? Heilige Hirsche! Wo gab es denn so etwas? Ja, natürlich würden die weißen Hirsche heilig sein, nämlich dann, wenn sie als fein gegerbtes Fell hinter der Ladentheke im Handelsposten hingen und noch mehr Leute anlockten, als es ohnehin der Fall war.

Distal wartete, bis Marik ungefähr zehn Schritte voraus war, dann nahm er vorsichtig seinen Bogen von der Schulter, hängte lautlos die Sehne ein und machte ihn so schussbereit. Jetzt öffnete er die Schutzklappe seines Köchers und entnahm diesem zwei Pfeile mit eisernen Spitzen. Die Pfeile waren lang und gerade und dreifach gefiedert. Jeder Jäger führte die Befiederung seiner Pfeile mit Federn in seinen Lieblingsfarben aus. Distals Pfeile waren mit lackschwarzen Krähenfedern befiedert.

Seine Position war perfekt, er konnte die Hirsche gar nicht verfehlen. Der Abstand zu den beiden weißen Tieren betrug nicht mehr als dreißig Schritte und obwohl er nicht zu den guten Bogenschützen bei den Moak gehörte, traf er auf diese Entfernung hin jedes beliebige Ziel, das nicht kleiner war, als sein Handteller. Er legte den ersten Pfeil auf und spannte den Bogen. Er nahm zuerst die etwas links außen an der Herde stehende Hindin aufs Korn, spannte die Bogensehne bis an sein Ohr, zielte sorgfältig auf die Stelle hinter dem Ellbogen des Hirschs, wo er mit Sicherheit das Herz treffen würde und dann ließ er den Pfeil fliegen.

Es war, als würde die Zeit stehen bleiben.

In dem Augenblick, da Distal die Finger an der Bogensehne öffnete und den Pfeil absandte, hatte sich Marik umgedreht und erkannt, was der Junge vor hatte. Er öffnete den Mund, stieß einen gellenden Warnschrei aus, doch zu spät. Der Pfeil traf sein Ziel mit tödlicher Präzision, die Hindin brach wie vom Blitz getroffen zusammen und gab so das Schussfeld frei, das Distal brauchte, um auch den zweiten Pfeil ins Ziel zu bringen.

Auch dieser Pfeil traf genau dort hin, wo er sofort tödlich war, auch die zweite weiße Hindin brach zusammen und lag mit zuckenden Läufen auf dem Boden. Der Rest der Herde brach nun in wilder Flucht durch die jungen Tannen davon.

Distal fühlte nur Triumph. Er hatte zwei Pfeile abgeschossen und zwei rein weiße Hirschfelle erbeutet! Das war noch keinem Jäger im Stamm gelungen. Er sprang auf, ließ den Bogen fallen, rannte auf seine Beute zu und wollte sich mit seinem Jagdmesser an die Arbeit machen und sich seine Trophäen zu sichern.

Marik und die anderen jungen Jäger standen wie versteinert auf ihren Plätzen. Keiner von ihnen vermochte zu begreifen, was da so eben geschehen war. Erst ganz allmählich sickerte es in ihre Köpfe ein.

Einer aus ihrer Gruppe hatte zwei heilige Hirsche getötet! Zwei weiße Hindinnen, also ohnehin heilige Tiere und in diesem Fall doppelt heilig, weil Marik und Mungo sie beide als tragend bezeichnet hatten!

Marik löste sich als Erster aus der Erstarrung. Mit wahren Panthersätzen raste er auf Distal zu und erreichte den Jungen, noch ehe dieser bei einem der toten Hirsche niederknien konnte und mit dem Abbalgen beginnen konnte.

Vor Mariks Augen hatte sich ein roter Schleier der Wut gelegt. Sein Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzerrt und als er neben Distal zum stehen kam, schlug er mit all seiner Kraft hemmungslos zu. Er war Schmied und gehörte zu den stärksten Männern des Stammes und so war es kein Wunder, dass der Junge mehr als drei Schritte durch die Luft flog, als ihn Mariks Faust seitlich am Schädel traf. Distal schrie gellend auf, überschlug sich auf dem nassen Boden und dann war Marik schon wieder über ihm, packte ihn mit der linken Faust an der Brust, krallte seine Finger in das Leder dessen Jagdhemdes und dann schlug er erbarmungslos auf Distal ein. Wieder und immer wieder krachte seine harte Faust auf den Jungen herunter und erst als Marik spürte, dass der Junge nur noch wie ein nasser Lappen in seinem Griff hing, ließ er ihn fallen. Doch dann begann er mit den Füßen auf ihn einzutreten.

Möglicherweise hätte Marik den Jungen tot geschlagen, wäre da nicht Mungo aufgetaucht und hätte sich ihm an den Arm gehängt und ihn laut angebrüllt und verlangt, Marik solle aufhören. Irgendwie drang Mungos Stimme durch die rasende Wut Mariks, erreichte dessen Verstand, Marik kam wieder zu sich und brach neben dem mehr tot als lebendig am Boden liegenden Distal zusammen.

Der große, starke Mann begann hemmungslos zu weinen, denn er betrachtete das, was geschehen war, als sein persönliches Versagen. Er war der Anführer der Jagd gewesen, er war für den Gehorsam der jungen Jäger zuständig gewesen und er hatte Distal aus den Augen gelassen, obwohl er das Jagdfieber, die Sucht nach den seltenen Trophäen dort hatte blitzen sehen.

Es dauerte lange, bis Marik wieder ansprechbar war und auch dann brachte er nur noch die notwendigsten Worte hervor. Einsilbig erteilte er Anweisung, zwei Travoischlitten zu bauen und die toten Hindinnen aufzuladen. Sie mussten zur Höhle gebracht werden, damit der Schamane, der alte Singan die notwendigen Zeremonien durchführen und die Geister vielleicht wieder beruhigen konnte.

„Was soll mit Distal geschehen?“

Mungos Frage war durchaus berechtigt, denn der Junge lag bewusstlos im Dreck, atmete nur noch flach und war ganz sicher nicht in der Lage, aus eigener Kraft zur Höhle zurück zu kommen.

Der Heimweg war nicht nur mühsam und Kräfte raubend, sondern auch von großer Bedrücktheit geprägt. Distal lag auf einem der beiden Travois auf der Leiche der toten Hindin und er war immer noch bewusstlos.

In Marik und den fünf jungen Jäger aber wuchs die Angst vor den Folgen des Sakrilegs, das einer der ihren begangen hatte, je näher sie der heimatlichen Höhle kamen. Es gab keinen vergleichbaren Vorfall in den Erzählungen der Stämme, niemals hatte ein Jäger – ein junger Jäger noch dazu – auf derartige Weise gegen die Gesetze und Tabus der Stämme verstoßen. Die Einmaligkeit des Ereignisses war so, dass sich auch Marik nicht schlüssig wurde, was dieses Sakrileg bedeuten konnte.

Felida

Подняться наверх