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Die große Pressekonferenz

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30. Juli 2022, Landhaus, Roderich Cue

Trotz des großen Angebots der fahrbaren Bar blieb ich konsequent bei meinem eigenen Quellwasser. Die Gäste nahmen mich in Beschlag und ich ließ mich ein wenig treiben. Als die Sonne unterging und Lampen, Scheinwerfer und Fackeln das Geschehen erleuchteten, stieg die Anspannung meiner Leibwächter, denn selbst die RFID-Überwachung der sich nähernden Personen war nicht hundertprozentig sicher. Gäste konnten bestochen sein, der Ausweis von einer ähnlich aussehenden Person entwendet worden sein und vieles mehr. Bald sollten unsere eigenen Erfindungen im Bereich Sicherheit verfügbar sein, denn mit der neuen Geschäftspolitik machte ich mir ganz sicher auch Feinde. Ich würde mich intensiv darum kümmern müssen, denn spätestens übernächsten Monat, zu meiner großen Reise, sollten diese zu meinem Schutz dienen. Als David, unser Hauptverantwortlicher zu diesem Thema, aus der Menge auf mich zukam, sprach ich ihn darauf an.

„David, wie sieht es mit der neuen S-Entwicklung aus?“ Ich war vorsichtig in der Wortwahl, denn unsere internen Geheimhaltungsvorschriften waren nichts wert, wenn die Chefs sich selbst nicht daran hielten. Die Leistungsfähigkeit von Richtmikrofonen bei den vielen Menschen hier war mir bekannt.

„Rod, machst Du Dir Sorgen in diesem Gewühl?“ polterte David. „In einigen Wochen wird es soweit sein. Wir müssen das Ganze noch mehr kalibrieren. Wann brauchst Du es denn?“

„Also sobald wie möglich, denn mit meiner heutigen Ansprache ist der Gefahrenpegel sicher gestiegen. Spätestens übernächsten Monat. Ich will dann eine große Reise machen.“

22.00 Uhr rückte näher. Die Pressekonferenz war gleichzeitig auch die Einweihung der Freilichtbühne, die wie ein griechisches Amphitheater gebaut war. Etwa 120 Journalisten aus allen Kontinenten wurden erwartet und auf der Teilnehmerliste standen so exotische Namen, wie „PosiTV“ aus Deutschland und „Democracy now“ aus New York. Paola leitete die Konferenz und nachdem sie mich angekündigt hatte, stellte ich mich hinter die unzähligen Mikrofone, die in allen Farben und Größen wie ein Regenbogen vor mir aufragten. Die Projektionsfläche für meine Bilder war in der Nacht besser zu sehen als zuvor auf der Seebühne. Mein Vortrag ähnelte dem vom Nachmittag, wenn auch mit mehr Gewicht auf der CUE-Philosophie hinsichtlich Integrität und Wertschätzung. Schließlich waren wir weltweit zu sehen.

Der Beifall der Kommunikationsprofis war verhaltener als der meiner Gäste vom Nachmittag. Dann trat Paola vor die Mikrophone.

„Wie Roderich Cue schon angekündigt hat, können Sie im Laufe des Abends über 100 Mitarbeiter des Unternehmens ansprechen und um persönliche Schilderungen des Arbeitslebens bitten. Sie erkennen sie an den Ansteckern mit dem Planetensymbol. Für das, was jetzt folgt, mussten Sie keine Fragen schriftlich vorlegen, stellen Sie sie ganz einfach und spontan. Die einzige Bedingung ist, dass sie sich kurz beantworten lassen, möglichst in einer Minute. Wenn das nicht reichen sollte, stellen Sie Ihre Fragen bitte schriftlich per Mail an mich. Sie werden dann schnell eine detailliertere Antwort erhalten. Ich werde die Fragesteller auf der Leinwand in der Reihenfolge ihrer Handzeichen auflisten. Wenn Sie Ihren Namen dort sehen, können Sie die Hand herunter nehmen, Sie kommen dann nacheinander dran.“

Den Anfang machte ein bärtiger, asiatisch aussehender Mann, der während seiner Frage aufstand.

„Herr Cue, was unterscheidet Sie von anderen Initiativen zur Rettung der Welt, wie beispielsweise die Gates Foundation oder Greenpeace und ATTAC?“

Ich antwortete ihm, dass ich gerade keine gemeinnützige Organisation aufbauen wolle, sondern ein Unternehmen, dass die Bedürfnisse von Kunden – in diesem Fall die gesamte Menschheit - erfüllt.

Ein Frager im schwarzen Anzug aus der ersten Reihe dachte in reinen Wirtschaftsbahnen:

„Ihre genauen Vermögensverhältnisse sind nicht bekannt. Können Sie uns darüber etwas sagen? Werden Sie die CUE AG eventuell ganz oder teilweise an die Börse bringen, um sich mehr Finanzmittel für solche Aktivitäten zu beschaffen? Werden Sie Unternehmensteile abstoßen, die nicht zur neuen Ausrichtung passen? Und in welche Bereiche wollen Sie speziell investieren?“

Ich war auf Fragen in dieser Richtung vorbereitet. „Deine Antworten darauf werden Aktienkurse steigen und fallen lassen“, hatte mir Siggi erklärt. „Du musst bei Deiner Antwort die Gelegenheit nutzen, dass wir aus diesen Börsenbewegungen Kapital schlagen können. Es ist für einen guten Zweck und trifft keine Armen. Sie werden auch nicht allzu stark sein. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht zumindest 200 Mio. Dollar dabei herausholen könnte.“

Ich baute seine empfohlenen Formulierungen in meine Antworten ein und der Frager im schwarzen Anzug war zufrieden. Eine schwarzhaarige Dame in einer pinkfarbenen Bluse meldete sich zu Wort.

„Herr Cue, Sie haben eben keine klare Antwort zu den verfügbaren Finanzmitteln gegeben. Aber das ist aus meiner Sicht auch nicht wichtig. Sind Sie sich bewusst, dass Ihre Finanzmittel aus Profiten stammen, noch dazu unter Ausnutzung steuerlicher Vergünstigungen und immer aus der Ausbeutung von Menschen resultieren? Und diese wollen Sie nun großzügig für die Menschheit einsetzen und dafür noch Ruhm ernten?“

Ich erklärte in kurzen Worten die Zusammenhänge.

„Ein mittlerer Arbeiter und Angestellte mit einem Durchschnittseinkommen von 1500 Euro netto im Monat muss heute etwa 800 Stunden arbeiten, um ein kleines Auto zu kaufen. Vor 100 Jahren musste er dafür noch 8.000 Stunden aufwenden. Das ist das Werk eines Kapitalisten, der mit vielleicht 5 Prozent des Autopreises Profit macht. Ohne seine Geschäftsidee, sein Organisationstalent, seinen Wagemut und seine Zähigkeit würde ein Auto für breite Schichten der Bevölkerung immer noch unerschwinglich sein. Ist das Ausbeutung? Ich nenne es „Wohlstand für die Menschen“ im Sinne von Adam Smith. Dass dabei Probleme auf dem Planeten entstehen, will ich durchaus nicht negieren. Im Gegenteil, genau das will ich mit meinem in der heutigen Rede angekündigten Vorhaben ja in Angriff nehmen.“

Ich fixierte die Fragestellerin, die sehr hübsch war, aber leider auch voller Vorurteile zu stecken schien.

„Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, empfehle ich Ihnen das Buch „Theorie der Gerechtigkeit“ von John Rawls“, sagte ich mit so viel Versöhnlichkeit wie möglich in der Stimme. „Danach ist es immer noch besser, dass ein Kapitalist, der tausend Arbeitsplätze schafft, dabei selbst viel reicher als seine Mitarbeiter wird, als wenn er all dies unterlässt.“

Auch wenn ich nicht das Gefühl hatte, dass sie meine Antwort akzeptierte, wandte ich mich den weiteren Fragen zu, die sich mehr den bekannten Problemen der Welt und ihren nötigen Lösungsansätzen widmeten. Aus einer der hinteren Reihen meldete sich ein kahlköpfiger Mann im grünen T-Shirt.

„Herr Cue, Sie machen hier den Eindruck eines Philanthropen. Auch wenn die von Ihnen geschilderten wirtschaftlichen Zusammenhänge in ihren Auswirkungen auf den Wohlstand der Bevölkerung größtenteils stimmen mögen… Wie ist das für Sie als Unternehmer persönlich gewesen? Hat es nicht doch manchmal Situationen in Ihrem Leben gegeben, in denen Ihr Gewinn und Ihr Erfolg einen anderen Unternehmer beeinträchtigt und gar in den Ruin getrieben haben? Dass Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Vielleicht noch nicht einmal durch Marketing und geschicktere Preispolitik sondern einfach durch Ihre Erfindung? Konnten Sie immer gut schlafen, Herr Cue?“

Die Frage traf mich ins Mark. Hatte ich am Anfang meiner Karriere nur an den Erfolg und nicht an weitere Auswirkungen auf andere Unternehmen und Wettbewerber gedacht, lag ich in späteren Jahren immer wieder nächtelang deswegen wach. Es gab Briefe in meinen Akten, in denen mir Menschen von ihrem Ruin durch meine Erfindungen geklagt hatten. Das hatte mich nicht unberührt gelassen, so cool ich auch immer gewirkt haben mochte.

„Das ist eine gute Frage“, antwortete ich und merkte, dass ich für einen Augenblick mit der Festigkeit meiner Stimme zu kämpfen hatte.

„Ich habe ja schon gesagt, dass Ausbeutung keine eindeutige Folge von Profit sein muss. Ideen und Erfindungen können Profit generieren, wenn sie im Markt angenommen werden. Sie bringen immer Veränderungen für Marktpartner, sei es für Kunden oder Lieferanten oder für Mitarbeiter oder Wettbewerber, denen vielleicht der Markt verloren geht. Als ich das Mundreinigungsgerät herausbrachte, kostete es zunächst das Mehrfache einer normalen Zahnbürste. Ich wollte mir ein Stück von der Torte abschneiden und ging davon aus, dass die etablierten Hersteller etwas verlieren würden. Als ich die Preise senken konnte, war der Markt mit herkömmlichen Zahnbürsten in den westlichen Industriestaaten zusammengebrochen. Wer da nicht noch andere Produkte im Sortiment hatte, bekam große Schwierigkeiten.

Beim CO2-Elixier vor fünf Jahren war ich schon etwas klüger. Alle interessierten Firmen konnten zu günstigen Konditionen eine Lizenz von uns erwerben und so die nötigen Geräte in Autos, Heizungen etc. einbauen. Ich hätte auch ihren Markt ruinieren können, habe es aber nicht getan.“

Der Mann stellte keine weitere Frage, doch mir war klar, dass ich mich sehr bald mit diesem Teil meiner Vergangenheit würde beschäftigen müssen. Als die Pressekonferenz gegen Mitternacht zu Ende war, verwies Paola nochmals auf die weiteren Interviewmöglichkeiten. Alle Mitarbeiter hatten Informationen erhalten, wie sie sich gegenüber den Presseleuten am besten zu verhalten hatten. Wer solche Gespräche nicht führen wollte, brauchte den Anstecker einfach nicht zu tragen. Noch einmal erhielt ich Beifall und als Paola wieder die Leitung für die Abschlussinformationen übernommen hatte, verließ ich in ruhigem Schritt die Konferenz.

Die Rettung der Welt

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