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Die lange Nacht

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30./31. Juli 2022, Landhaus, Roderich Cue

Langsam ging ich in Richtung Seebühne, auf der Marcus den Film über mein bisheriges Leben gezeigt hatte. Die Stühle, die davor standen, waren beiseite geräumt und während ich etwas aus der Saft Bar trank, konzentrierte ich mich einen Moment auf die Trommelgruppe aus Burundi, die das Konzert mit Musikern aus allen 5 Kontinenten gerade eröffnet hatte. Das Stück sollte böse Geister bannen und die Fruchtbarkeit der Erde beschwören. Eine gleichmäßige Schwingung erfasste mich, trug mich weg von den Gedanken der Pressekonferenz und mir schien, dass auch die anderen Zuhörer von dem erfasst wurden, was ich liebte - Musik und Tanz.

Auf der Tanzfläche sah ich meine Tochter Beryll, in bauchfreier lindgrüner Seide mit ihrer Großmutter, einer ehemaligen Tänzerin. Ich gesellte mich dazu und gemeinsam bewegten wir uns im Takt. Das Podium, das bei der Rede noch allein mein Revier gewesen war, zog mich an und als die lateinamerikanische Band, die den Afrikanern folgte, ihre brasilianische Musik anstimmte, gab ich meiner Tochter ein Zeichen. Ich ergriff die Hand meiner Mutter und zog sie die wenigen Stufen zum Podium hinauf. Die Frontsängerin hatte ihre Musik als etwas angekündigt, das den Sklaven einst Mut und Hoffnung auf Freiheit und Selbstbestimmung machte. Es war ein Rhythmus, der umgehend in die Beine fuhr und uns sofort zu Vortänzern der begeisterten Gäste werden ließ.

Zu dem folgenden Samba kam auch Gabriela herauf. Während des Tages hatte ich meine derzeitige Freundin nur von ferne gesehen und ich fragte mich, ob es ihr kurzer schwarzer Rock war, mit dem knappen dunkelroten Top, das dieses plötzliche Blitzlichtgewitter entfachte. Ein Geflacker, das so viel stärker war als das bei meiner Rede und das die goldenen Clips in ihren Ohren wie Edelsteine funkeln ließ. Ihr Tanz gab sofort Bewegungen und Tempo vor und mein Gehirn schaltete ab, zumindest der Neocortex, denn der limbische Teil übernahm jetzt die Führung und steuerte meine Bewegungen. Meine Arbeit für heute war erledigt, jetzt konnte ich entspannen, tanzen, leben – mit Gabriela, deren Körper und Bewegungen mir so vertraut waren. Und alles ganz ohne Alkohol oder sonstige Stimulanzien, nur durch Rhythmus und Klang.

Auf einer lauschigen überwachsenen Bank in der Nähe des Amphitheaters nahm ich sie später in den Arm und küsste sie. Nachdem ich die Nacht vorher ohne sie verbracht hatte - der folgende Tag sollte schließlich meine ganze Aufmerksamkeit haben - war mein Verlangen nach ihr jetzt umso stärker. Hand in Hand gingen wir den kleinen Umweg um die Gästeschar und den See herum, hinüber zum Seiteneingang des Hauses und von dort schnurstracks in mein Schlafzimmer. Entspannt lagen wir auf den kühlen Laken, wo ich das intensive Liebesspiel mit ihr mit allen Sinnen genoss.

„Wie schön Du wieder bist, Gabriela“, seufzte ich als sie sich mit ihren bunten Ketten zwischen den Brüsten über mich beugte und mir sanft durchs Haar strich.

„Du willst so viel Gutes für die Menschheit“, hauchte sie. „Hoffentlich kann sie das auch würdigen. Ich hoffe es so sehr für Dich.“

Sie küsste mich erneut und immer tiefer versanken wir in das endlose wilde Spiel der Liebe. Körper an Körper schliefen wir ein und als ich spät in der Nacht nach ihr fasste, kroch sie näher, was mir ihre Gegenwart aufs tiefste bewusst machte.

Gegen Morgen flog ich in einem intensiven Traum, den ich später in meinen Armband-Computer diktieren sollte, hinaus in den Weltraum und schaute den blauen Planeten in seiner Schönheit an. Glücklich schwebte ich über Wolken, Bergen, Wüsten und Seen. Ich sah hinab aufs ewige Eis, aufs Meer und auf Städte, auf Wälder, Flüsse, Wasserfälle und Wiesen. Dort, wo mich etwas besonders anzog, landete ich. Von einer Wüste mit mehreren Zelten an einer kleinen Anhöhe, gelangte ich weiter in die Mitte Afrikas zu einem Kral mit Hütten aus Holz und Gräsern. Eine Dorfgemeinschaft tanzte um ein Feuer zum Takt kleiner und großer Trommeln. In großem Tempo ging es weiter nach Indien, wo ein alter Mann mich als Gast begrüßte und mir einen Teller mit Essen reichte. Ich probierte davon, ohne etwas zu schmecken und hörte die sentimentale Musik einer Hochzeitsfeier. Über Südamerika sah ich hinab auf einen großen Fluss der sich durch einen dichten Wald zog. Ich sah Menschen mit breiten Hüten, fest gebaute Häuser und Straßen auf denen Autos fuhren. Unversehens war ich über der Provinz Brandenburg, über meinem Landhaus und versuchte die Landung zu steuern. Obwohl ich mich wehrte, war mein Traum zu Ende und ich beschloss aufzustehen.

Da es bereits acht Uhr war, machte ich nur zwei kurze Jogging-Runden um den See, begleitet von meiner durchtrainierten Leibwächterin Cynthia. Während ich lief, zeigte mir das Display meiner Hightech-Brille einen Überblick über die neuesten Nachrichten des Planeten. Fast überall wurde ich als künftiger Weltretter erwähnt.

Meine Familie und Gabriela hatten sich zum Frühstück auf der Terrasse versammelt. Auch Judith, meine vorherige Freundin, gesellte sich dazu. Sie war direkt nach der Scheidung von Veronika an meiner Seite gewesen und fühlte sich mir immer noch zugehörig. Obwohl Top-Modell Gabriela, eine echte Latina mit langen schwarzgelockten Haaren, alle mit ihrem Temperament für sich vereinnahmte, saß Judith selbstbewusst in ihrem tief ausgeschnittenen Kleid am Tisch. Gabriela hielt mit ihrer modellhaften Erscheinung und einem züchtigen und einfachen schwarzen Top mit engen Hosen dagegen. Da sie ein Shooting in Rom vor sich hatte, verließ sie uns als erste, nicht ohne mich noch einmal zärtlich zu umarmen.

„Hat Dich heute schon jemand geküsst, Ex-Geburtstagskind?“ sagte sie und berührte sanft meine Lippen mit den ihren. Ihr erotisches Parfüm überdeckte alles.

„Dann habe ich das jetzt für alle getan. Flott siehst Du aus, fast wie 30!“ Mit sanftem, wiegendem Schritt ging sie und keinem blieb das breite Lächeln von Judith verborgen, das diese ihrer Nachfolgerin hinterher schickte. Auch wenn ihre Haltung mehr Fassade als Wirklichkeit war, wusste sie, dass ihre attraktive und kurvenbetonte Kleidung mich immer noch genauso anzog, wie ihr schwarzes hochgestecktes Haar und ihre Warmherzigkeit - die letztlich der Grund für unsere weiterbestehende Freundschaft war.

Die Rettung der Welt

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