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Interne Weichenstellungen
Оглавление1. August 2022, Berlin, Roderich Cue
Gezeichnet war der Artikel mit Tanja Konnerth. Er umrahmte ein großes Bild, das mich auf der Pressekonferenz mit dem zusammenfassenden Schaubild der Weltprobleme und meiner Bildercollage zeigte. Ich überflog ihn, bevor ich ihn ganz las.
„Paola, da haben Sie einen guten Text aus dem großen Berg herausgezogen“ sagte ich. „Er bringt das auf den Punkt, was unser Unternehmen ausmacht und schafft Vertrauen in unser Vorhaben.“
Meine PR-Chefin schaute mich zufrieden aus ihren großen, braunen Augen an.
„Wenngleich dabei auch klar wird, dass wir von den Inhalten unseres Projekts bisher so gut wie nichts gesagt haben“ fuhr ich fort. „Da wird man uns jetzt auf den Fersen bleiben, aber das ist okay. Die Nebenschauplätze, die auf der Konferenz auftauchten, all das mit den Kollateralschäden unserer Erfindungen wurde hier weggelassen. Dennoch ist er nicht unkritisch, wenn man zwischen den Zeilen liest. Wer ist die Autorin?“
„Die Kameras haben sie festgehalten“ antwortete sie und reichte mir ein Bild herüber, auf dem die schwarzhaarige Schönheit mit der pinkfarbenen Bluse zu sehen war, an die ich mich gut erinnerte.
„Zoltan hat mir ihr gesprochen, wie ich schon feststellen konnte. Wer sonst noch, müssten wir klären können. Eine Umfrage an die eingeladenen Mitarbeiter per E-mail und wir wissen es spätestens morgen.“
Ich winkte ab. Die Mitarbeiter hatten ihr Bestes gegeben und sollten jetzt nicht auch noch Detektiv spielen müssen. Zumal die von der Autorin Befragten sich offenbar alle positiv über mich und das Unternehmen ausgesprochen haben. Was zu der Frage führte, was die Mitarbeiter in ihrer Gesamtheit über das Projekt dachten. Ein Thema, das heute Nachmittag noch besprochen werden sollte. Innerlich machte ich mir dennoch eine Notiz.
'Tanja Konnerth, eine mutige und kompetente Frau, die mit einem Leitartikel in der weltweiten Ausgabe der Financial Times einiges drauf haben musste.'
Ich mochte es, wenn Frauen Intellekt zeigten, was bei Gabriela leider nicht ganz so ausgeprägt war. Und ich mochte starke Frauen, was ich besonders bei Judith sehr vermisst hatte, als ich sie näher kennen lernte.
Nach dem Mittagessen im Kasino der 3. Etage begann im mittleren Konferenzraum VENUS 1 die große Konferenz der erweiterten Führung. Teilnehmer waren über den Vorstand hinaus zunächst die drei Koordinatoren, Miriam für die Länder, Bernard für die Branchen und unsere Ärztin Carina für die Gesundheit. Die wichtigsten weiteren Führungskräfte in den Vorstandsressorts wurden hierzu nach Bedarf hinzu gezogen, was heute die komplette zweite Ebene inklusive des Betriebsrats betraf. Meng Li führte auf einem Bildschirm für alle sichtbar das Protokoll. Damit wir uns gegenseitig sehen konnten, war der Tisch statt im Oval als ausladendes U ausgerichtet worden. Die Tagesordnung umfasste zwei Hauptpunkte, die eng zusammen hingen: Den Inhalt meiner Ansprache und die weitere Vorgehensweise bei dem Projekt, insbesondere der angekündigten Mitarbeiterabstimmung und der Modalitäten dafür.
Die kurzen Einführungs-Statements der Teilnehmer komprimierte Li im Protokoll, ohne Nennung von Namen:
Bin stolz darauf, in dieser Firma zu arbeiten.
Packen wir es an.
Ist das nicht ein bisschen zu groß für uns?
Ich hätte da auch schon einige Ideen beizutragen.
Viele Fragen sind für mich offen.
Das macht ja noch mehr Spaß.
Das sind unglaubliche Perspektiven.
Wenn nicht wir, wer denn sonst?
Meine Mitarbeiter sind ganz aus dem Häuschen.
Das Fest hat mir gut gefallen. Idee und Organisation bestens. Lob an die Verantwortliche.
So ganz habe ich noch nicht verstanden, wie wir das durchziehen können.
Die Abstimmung der Mitarbeiter wird sicher interessant. Ich prognostiziere einen Erfolg.
Bei so schwammigen Aufgaben sind klare Ziele und Strategien umso wichtiger.
Wir müssen den Mitarbeitern aber vor der Abstimmung deutlicher sagen, welche Konsequenzen die beiden Alternativen haben.
Dann können wir was Produktives mit dem geparkten Geld machen.
Eine produktive Nutzung für unsere hohe Liquidität. Zinsen verdienen befriedigt mich nicht richtig.
Es gibt noch so viele Erfindungen, die die Welt braucht.
Im Geiste teilte ich die offenen Fragen in zwei Klassen: wie wollten wir konkret weitermachen und wie sollte die Abstimmung vorbereitet und durchgeführt werden, was den zweiten Punkt der Tagesordnung betraf.
Zoltan eröffnete die Diskussion des ersten Punktes mit einer Frage. „Unser Chef hat doch sicher schon einen konkreten Plan, den er zwar nicht der Öffentlichkeit gesagt hat, aber den wir hier doch wissen dürfen, oder?“
„Ich möchte mich da eher auf Siggis kurzes Statement beziehen“, antwortete ich, ohne, dass eine Pause entstehen konnte. „Bei dieser großen und wirklich noch nicht fassbaren Aufgabe, mit so vielen vernetzten Problemen, müssen wir eine fundierte Strategie festlegen. Die existiert auch in meinem Kopf noch nicht. Ich bin in erster Linie Ingenieur. Niemand auf dem Planeten mit Verantwortung und mit den Mitteln zum Einsatz hat bislang ein durchgängiges Konzept für so etwas.“
Ich berichtete in kurzen Worten von dem Gespräch mit den Clintons und mit Michail Gorbatschow am Nachmittag meines Geburtstages.
„Auch die Vorschläge von über 400 Gästen, einige davon durchaus Kapazitäten, waren meist alles andere als konkrete Empfehlungen.“
Einmal mehr betonte ich, dass ich als Erfinder und mit großen finanziellen Mitteln ausgestatteter Unternehmer höhere Globalziele zu setzen hatte, als es bei allen bisherigen, eher spezialisierten Initiativen, der Fall gewesen war.
Siggi, der nach seiner Eingangsbemerkung geschwiegen hatte, griff das in seiner unnachahmlichen, prägnanten Art auf.
„Ich stehe voll und ganz hinter dem Projekt. Auch mit meinen persönlichen finanziellen Mitteln. Für mich scheint es erforderlich, dass wir in einer Art „Balanced“ Scorecard klare Ziele in den bekannten Problemfeldern definieren. Aus dieser Zieldiskussion resultiert dann eine Ursachenliste und wir können die Strategie, die Mittel und die Maßnahmen festlegen. So wie wir immer arbeiten. Nach meinem Erachten werden die Zukunftskonferenz und die daraus resultierenden Arbeitsgruppen genau diese Arbeit leisten müssen.“
Nach einer kurzen Pause bat ich noch um Namensvorschläge für Teilnehmer an der geplanten Zukunftskonferenz. Dann wurde die Diskussion des zweiten Punktes der Tagesordnung eröffnet: die geplante Mitarbeiterabstimmung. Einige Fragen dazu waren schon in den Anfangsbemerkungen enthalten. Sana hatte Formulierungen mitgebracht, die diskutiert wurden. Obwohl sie normalerweise keine dominante Person war, gab sie ihre Meinung mit blitzenden blauen Augen und wehenden blonden Haaren offen kund. Der Vollständigkeit halber wurde noch eine dritte Alternative eingesetzt. Insgesamt führten die leichten Änderungen zu dem nachfolgenden Ergebnis:
1) RSC soll nicht verkaufen und die Mitarbeiter bei diesen Projekten teils einbeziehen, teils auch Geld aus der CUE AG (bis zu 5 % vom Umsatz) in solche Projekte stecken – auch wenn das den Ertrag mindert. Damit wird die Rettung der Welt Teil unserer Unternehmensmission und von allen Mitarbeitern getragen. Zur Umsetzung dieser Strategie sollte eine große interne Zukunftskonferenz – nach der offiziell von ihm angekündigten Konferenz mit den Weltexperten und Wissenschaftlern – abgehalten werden.
2) RSC kann sein Unternehmen an die Börse bringen und seine Erlöse in die Weltrettung und in soziale Projekte stecken. Das ist seine Privatsache. Die Aktien der CUE AG sollten dabei möglichst breit gestreut werden. Es ist ein kompetentes Management zu installieren bzw. das Vorhandene zu ergänzen, wenn er ausscheidet. Ansonsten betrifft uns sein Vorhaben nicht weiter.
3) Das Alles ist eine private Entscheidung von RSC. Sie interessiert mich wenig, wenn nur meine Arbeit wie gehabt ziemlich unverändert weiter geht und sich finanziell und in meinem Aufgabengebiet möglichst wenig ändert.
Nach dieser Klärung ging es um die Modalitäten der Abstimmung. Das Meinungsspektrum reichte von der konventionellen Abstimmung in digitalisierter Form bis zu einer ausführlicheren Vorbereitung mit Zeit für formalisierte Diskussion zur fundierten Meinungsbildung.
Ich schlug eine Abstimmung der 3 Alternativen unmittelbar in diesem Führungskreis vor, sozusagen als Trendabstimmung.
„Wir alle können die Konsequenzen von A oder B sicher mehr beurteilen als die Masse der Mitarbeiter.“
An den Sitzplätzen gab es eine Vorrichtung für Voting-Vorgänge, die wir oft in Besprechungen zur Prioritätensetzung oder für ein Stimmungsbild einsetzten. Die Abstimmung blieb dabei geheim. Weil wir das so gewohnt waren, gab es keine Hemmungen, das nun ebenfalls bei diesem Projekt zu tun.
Innerhalb von Sekunden zeigte sich eine klare Mehrheit von 24 Stimmen für A. Drei Stimmen entfielen auf B und eine auf C.
Angesichts der Meinungsäußerungen vom Nachmittag war das nicht überraschend.
„Nun, jetzt wissen wir, wie wir hier im Führungsteam dazu stehen“, kommentierte Sana das Ergebnis.
„Bei unserer weitverzweigten Firmengruppe mit relativ vielen Hierarchieebenen wird A absinken und B steigen. Je mehr wir die Mitarbeiter dahin führen, die Konsequenzen und auch die Möglichkeiten von A zu verstehen und zu verinnerlichen, wird die Quote für A sich erhöhen. Das hoffe ich zumindest, weshalb ich für einen Zeitraum von mehreren Stunden plädiere, in dem die Mitarbeiter sich mit diesem Thema systematisch befassen können, bevor sie überhaupt abstimmen. Wie das vor sich geht, erläutere ich anschließend.“
Die Diskussion und die Trendabstimmung in der Führung hatten auch mir gezeigt, dass wir die Mitarbeiter nicht mitten aus der Arbeit heraus in eine weichenstellende Abstimmung schicken konnten. Wir mussten sie vorher dahin führen, die Bedeutung der Angelegenheit zu verstehen – und dadurch die Mitwirkung an der Rettung der Welt zu ihrer eigenen Sache zu machen.
In die nach dem klaren Vorschlag von Sana entstehende Stille hinein meldete sich Isabella zu Wort, unsere spanische Leiterin der Personalentwicklung.
„Fantastico. Eine Million engagierte Mitstreiter bei diesem Projekt. Dazu noch deren Familien.“
Bradley, unser Experte für Logistik und Produktion, der mir bisher noch nicht als Visionär aufgefallen war, ergänzte:
„Wow, hunderttausende von Lieferanten mit mehreren Millionen von Mitarbeitern, auf die wir Einfluss nehmen können.“
Sana nahm das Wort wieder an sich und erklärte die Vorgehensweise, die sie mit der Personalentwicklung noch abstimmen wollte:
„Es handelt sich um eine Großgruppenmethode eines deutschen Experten. Die Interessenten an der Abstimmung müssen am Tag zuvor an einer Veranstaltung teilnehmen, die etwa vier Stunden dauert. Darin werden sie durch schriftliche und interaktive Medien informiert und dann diskutieren sie in einem Raum mit ca. 60-100 Personen, ähnlich wie in einer richtigen Zukunftskonferenz, über die Sachverhalte, die eine Grundlage für die Abstimmung bilden. Dies geschieht zumeist innerhalb kleiner Gruppen, die Antworten zu sachlichen Fragen aus ihrem PC auf den Tisch holen können. Einige Male gibt es eine Meinungsbildung, die in den PC eingegeben wird und damit Vergleiche mit den anderen Gruppen im Raum und aus dem ganzen Unternehmen weltweit ermöglicht.“
Sie trank aus ihrem Wasserglas und ich sah, wie sie die absolute Ruhe, die im Konferenzraum herrschte, genoss. Dann fuhr sie fort. „Allmählich entstehen dabei immer mehr Informationen über das große Projekt und seine möglichen positiven und negativen Folgen. Wir müssen dazu einige interaktive Unterlagen erstellen und ins Intranet einspeisen. Die Diskussion zwischen den Gruppen wird jedoch im Gegensatz zu sonstigen Großgruppentechniken auf Sparflamme gehalten. Vorrang hat der verbale Austausch von Meinungen innerhalb der Kleingruppen, die während der vier Stunden zusammen bleiben.“
Nach wenigen kleinen sachlichen Fragen war Sanas Vorschlag angenommen.
Bevor wir auseinander gingen, meldete sich Paola zu Wort.
„Ich möchte noch etwas zu möglichen Bitt- und Drohbriefen sagen, bei denen es in der Regel um Geld geht, das gehört zu unserer Außenwirkung, ob es uns nun gefällt oder nicht. Wir haben da ein gewisses Image zu pflegen. Durch das von Rod verkündete Projekt werden sich diese Briefe vermutlich massiv erhöhen. Wir haben heute schon einen Vorgeschmack darauf erhalten. Ich denke, dass wir dafür umgehend mindestens zwei weitere Mitarbeiter in unserer Abteilung benötigen, auch wenn wir bei unserer bisherigen recht restriktiven Politik bleiben.“ Während sie sprach, sah sie Zoltan als zuständiges Vorstandsmitglied und ihren Vorgesetzten an.
„Reicht dieser Vermerk im Protokoll für die Genehmigung?“ fragte sie. „Wir wollten doch Bürokratie soweit möglich vermeiden, ja? Also ich kläre dann das Nötige mit Sana und der Personalverwaltung.“
Auch wenn die Entscheidungsfindung im Unternehmen tatsächlich meist unbürokratisch war, legte ich Wert darauf, im Protokoll die Gründe für Entscheidungen zu vermerken. Der Blick von Paola zu Zoltan machte mich jedoch stutzig und ich beschloss, hier bei Gelegenheit nachzufragen. Doch leider vergaß ich es in den nächsten Tagen und erst viel später sollte ich wieder unangenehm an dieses Versäumnis erinnert werden.
Am nächsten Tag bekam ich ein Memo von Zoltan, in der er seine generellen Bedenken gegen das Große Rettungsprojekt äußerte:
„Ich möchte nicht verhehlen, dass wir uns meines Erachtens bei diesem Projekt verheben werden. Es ist allerdings schon raus an die Öffentlichkeit und nicht mehr zu ändern. Aber wir können das Beste daraus machen und es mehr als PR-Projekt laufen lassen, um es dann intern wieder etwas versanden zu lassen, es extern aber wach halten und so unser Image pflegen.“
Er begründete seine Meinung mit Argumenten über die Größe der Aufgabe und die Uneinsichtigkeit der Menschen, die ihre Probleme mangels eigener Initiative und mangels eigener Fähigkeiten meist selbst verschulden würden. Dies brachte mich innerlich stark auf und der Gedanke, hier nur ein reines Fassadenprojekt zu betreiben, war unerträglich. Umgehend verfasste ich eine kategorisch ablehnende Antwort an Zoltan, der sich in der Besprechung eher zurückhaltend verhalten hatte. Aber das hatte ich schon öfter bei ihm erlebt. Man wusste nicht immer, was er dachte. Es begleitete mich noch den ganzen Abend und meine Wut verging erst, als ich einschlief. Am nächsten Morgen hatte ich den Vorfall vergessen, was sich später leider rächen sollte.