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Prolog 2 Der Brennpunkt

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2013, Afrika

Es war die kälteste Zeit des Jahres, als Manga sich um Latifa sorgte. Das Kind, das so gerne mit seinen Steinen, Knöpfen und Pflanzen spielte, die es immer wieder neu anordnete, liebevoll ansprach und ihnen Namen gab, lag seit drei Tagen apathisch auf der kleinen Bastmatte. Und während Manga mechanisch die Fliegen verscheuchte, die immer wieder auf Latifa zu landen versuchten, dachte sie an Ogondo, der viele Jahre in der Stadt am großen See verbracht hatte. Der ihr von den vielen Krankheiten erzählte, die mit den Fliegen ins Haus kommen würden, wo diese doch in Wirklichkeit von den bösen Geistern kamen, die die Schamanin des Dorfes schon so oft vertrieben hatte. Auch wenn das gestrige Ritual wirkungslos geblieben war.

Die siebenjährige Latifa stöhnte und ihre Mutter dachte an die beiden anderen Kinder, die bereits auf ähnliche Weise erkrankt und dann gestorben waren. Dabei spürte sie zwei Dinge, die sie begleiteten, solange sie sich erinnern konnte - Angst und Hunger. Ihre Augen streiften durch die kreisrunde Hütte, zur Feuerstelle, in der sich noch Glut befand. Von etwas Erde bedeckt war sie für eine Mahlzeit kaum noch gut. Aber was konnte sie zubereiten? Ohne Feuerholz, das die anderen entkräfteten Kinder heute nicht sammeln konnten und aus einem Mehlsack, der leer war...

Ein Mädchen und ein Junge, beide älter als Latifa, saßen mit zwei kleineren Kindern unter dem Fensterloch, das so wenig von der kühleren Luft hereinließ. Das jüngste Baby trug Manga auf dem Rücken. Es war sehr dünn und bekam kaum Nahrung aus einer Brust, die viel zu wenig Milch produzierte. Magoma, der Vater und Ernährer der Familie, bearbeitete den kargen Acker in der Nähe, auf dem nur Mais wuchs. Er schlug sie oft, und dass er sich tagsüber kaum blicken ließ, bedauerte niemand. Die einzigen zwei Hühner, die durch ihre Eier noch zum Leben beigetragen hatten, waren vor einigen Tagen aufgegessen worden.

„Die weiß angezogenen Menschen in den Steinhäusern haben immer zu essen“ hauchte Latifa und sah sie mit flehenden, rotgeschwollenen Augen an.

Manga nahm das Kind, das kaum mehr wog als ihr Baby auf ihrem Rücken, in die Arme und traf eine Entscheidung.

„Pass auf die Kleinen auf“, sagte sie zur älteren Tochter. „Ich gehe in die Station, vielleicht kann ich dort etwas zu essen und Heilung für deine Schwester bekommen. Dein Bruder wird mich begleiten.“

Das Mädchen nickte müde und Manga gab ihr das Baby. Sie verließen die aus getrocknetem Kot, Lehm und Wasser gebaute Hütte, die inmitten der kargen Vegetation ihre unendliche Traurigkeit widerzuspiegeln schien.

Am strahlend blauen Himmel stand die Sonne, die alles verbrannte, wenn nicht ab und zu etwas Regen fiel oder Wasser aus den wenigen Brunnen geholt werden konnte. Sie hatte von fruchtbareren Plätzen gehört und von den Menschen dort, die weitere Ansiedler durch ihre Krieger abwehrten. Ihre älteste Tochter lief täglich eine Stunde zum Brunnen. Danach sammelte sie mit ihrem Bruder das Holz für die Feuerstelle. Eine Schule gab es hier nicht und bald würde sie das Alter erreichen, in dem die Schamanin sie beschneiden würde. Manga war selbst beschnitten und hatte immer darunter gelitten. Zwar hatte Ogondo ihr gesagt, dass Beschneidungen von der Regierung verboten seien, doch hatte sie nur eine verschwommene Vorstellung von einer Regierung. Wer konnte schon eine höhere Autorität haben, als der Dorfälteste und sein Rat?

„Nun, Manga, wie sieht es heute mit der Kleinen aus? Gestern war doch die Schamanin da?“ fragte ihre Nachbarin im Vorbeigehen, doch Manga konnte nur schwach antworten.

„Ich gehe in die Station der Weißen, dort wird man uns helfen.“

Viele Stunden wanderten sie in glühender Hitze und wechselten sich beim Tragen von Latifa ab. Als die Station am Horizont auftauchte, schien die Sonne noch immer gnadenlos, doch das eckige, aus großen Hölzern gebaute Gebäude, gab ihr allein durch seinen Anblick etwas an Kraft zurück. Eine kleine Holztreppe führte auf eine Veranda, auf der eine Afrikanerin ihr entgegenkam und sie in ihrer Sprache anredete. Sanft strich sie über Latifas heißen Kopf.

„Was ist mit ihr?“

„Seit einigen Tagen ist sie kaum ansprechbar und spricht fast nur noch im Traum. Sie ist mein kleiner Augenstern und hat mir gezeigt, dass ich hierher gehen soll.“

Die Frau nahm ihr das Kind behutsam aus dem Arm.

„Kommt herein, vermutlich ist es Malaria. Wir können ihr helfen, sie ist so schwach.“

In einem weiß gekalkten Raum, durch den ein kühler Windhauch wehte, deutete die Frau auf eine Holzbank.

„Setzt euch hier hin, ich bringe euch etwas zu essen. Der Doktor wird sich das Kind anschauen.“

Manga schüttelte den Kopf.

„Ich will dabei sein, wenn der weiße Schamane meine Latifa heilt. Solange will ich nichts essen.“

Sie befahl ihrem Sohn zu warten und folgte der schwarzen Frau bis zur dritten Tür, durch die ein großer blonder Mann in weißer Kleidung sie zu sich winkte. Eine weiße Frau mit langen schwarz-roten Haaren und einer leuchtend bunten Bluse lächelte Manga an. Sie nahm der schwarzen Helferin das kranke Kind ab, bettete es auf eine Liege und führte ihm einen durchsichtigen Stab in den Mund. Während der Arzt zwei Knöpfe mit Schnüren, die in eine Metallplatte mündeten, in seine Ohren steckte, hielt sie Latifas Hand als wolle sie ihr Kraft geben. Langsam führte der Arzt die Metallplatte über Rücken und Brust des Mädchens, öffnete ihre Augen indem er die Lider herunterzog und nahm ihr den Stab aus dem Mund. Die freundliche weiße Frau schaute darauf und sagte etwas in fremder Sprache.

Nachdem der weiße Mann ein kleines Rohr aus Metall, das sehr spitz aussah, aus einem Behältnis an der Wand genommen hatte, griff er sanft nach dem Arm des Kindes.

„Was tut er da?“ fragte Manga ihre Landsmännin.

„Er gibt ihr die Spritze gegen Malaria. Sie muss hierbleiben, weil sie das eine Woche lang jeden Tag benötigt. Dann wird sie leben. Wir werden ihr ein Bett und zu essen geben. Du kannst beruhigt sein.“

Der Mann stach ihrer geliebten Latifa in den Oberarm. Manga kniete sich vor Latifa und nahm ihre Hand. Der Doktor sagte etwas, was die schwarze Frau übersetzte:

„Du kannst nach Hause gehen. Wir werden deine Tochter hier pflegen. In einer Woche kommst du wieder und holst sie ab.“

„Bitte gebt ihr zu essen“ sagte Manga zu ihr, bevor sie aufstand und langsam nach draußen ging. Die weiße Frau kam ihr jetzt nach und gab ihr ein Päckchen mit Mehl und Brot sowie Süßigkeiten. Ihre Worte verstand sie dabei allerdings nicht - Manga fiel vor ihr auf die Knie und bedankte sich.

Die Rettung der Welt

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