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Der Gästeparcours
Оглавление30. Juli 2022, Landhaus, Paola Reli
Auf der dem Landhaus gegenüberliegenden Seite des Sees drängten sich die Menschen unter Zeltdächern und Sonnenschirmen, die in der letzten Stunde mit verschiedenen Verkehrsmitteln eingetroffen waren. Schon einige Minuten hatte ich das Haus im Blick gehabt und dort erschien nun fast pünktlich unser verehrter Chef Roderich auf der Terrasse. Er stieg aufs Podium, packte die Handgriffe der Seilbahn und stieß sich ab. Wie ein Paraglider schwebte er das Gefälle hinab, über die kleine Insel hinweg und hinüber zu uns auf dem anderen Seeufer, das von Palmen mit Solarkollektoren an den Wurzeln umsäumt war. Ein Böllerschuss kündigte ihn an und als seine Leibwächter ihn direkt vor mir in Empfang nahmen ertönte ein Hallo aus mehr als 500 Kehlen, begleitet von lautem Klatschen. Siggi stand in seiner üblichen, relativ steifen Kleidung direkt neben mir und ich hörte auch sein lautes „Hallo“.
Von den fast 500 Gästen, die Roderich nach der Frühstücksrunde im Familienkreis und mit den engeren Mitarbeitern neu zu begrüßen hatte, waren rund 100 Mitarbeiter der CUE AG. Sie hatten sich schon Wochen vorher für die Feier beworben, für die wir Quoten, verteilt nach Ländern und Kulturen, geschaffen hatten. Sana, unsere oberste Personalverantwortliche im Vorstand, hatte das mit einer zusätzlichen Zufallsauswahl sehr gerecht organisiert.
Auch meine Assistentin Jenny, wie immer im dezenten Rock mit Bluse, stand nahe bei mir. Während ich als Leiterin der PR-Abteilung mehr nach Außen agierte, erledigte sie vorzugsweise die Feinarbeit nach Innen. Wir waren beide eine ethnische Mischung: Ihr Vater war Amerikaner und die Mutter Deutsche, während meine Mutter indigene Brasilianerin war und mein Vater ein Deutscher. Durch meine Herkunft lenkte ich mit meinem dunklen Teint, den großen Augen und schwarzen Locken stets die Blicke auf mich, obwohl ich klein und zartgliedrig und immer in Bewegung war. Auch jetzt spürte ich den Drang in mir, musste aber sicher noch zwei Stunden hier direkt bei Roderich verharren und ihm bei der Begrüßung assistieren und ggf. soufflieren. So unscheinbar wie möglich standen die Bodyguards bei uns, deren Chefin Cynthia über Ohrhörer und Mikro mit der Sicherheitszentrale im Haupthaus verbunden war.
Der endlos scheinende Gratulationsparcours dauerte nur so lang wie geplant. Ich soufflierte Roderich die Namen, die ich auf meinem Display am Handgelenk ablas. Über eine Kamera und einen Computer-Funksensor scannten wir die mit einem RFID-Chip versehenen Namensschilder der Gäste in der Warteschlange. Das war schneller und zuverlässiger, als die mit marktgängiger Software zur Personenerkennung versehenen Handys und Armbandcomputer, die natürlich im Hintergrund zusätzlich liefen.
Die meisten Gespräche waren eher belanglos, doch einige wenige sind mir dennoch im Gedächtnis geblieben. Etwa die Worte eines Mitarbeiters aus Südafrika, der Roderich sein Präsent mit den Worten überreicht: „In unserem Stamm gilt dieses Schnitzwerk als Vertreiber des Bösen. Mögen Sie es bei Ihren Unternehmungen immer mitnehmen.“
Ein distinguiert gekleideter Mann, Vertreter einer wichtigen Zulieferfirma aus England, gab unserem Chef einen unverpackten faustgroßen Stein und sagte: „Dieser Stein von Stonehenge bringt Sie in Kontakt mit uralter Weisheit.“ Da ich in den Inhalt von Roderichs Ansprache eingeweiht war, bekam der Stein auch für mich eine Bedeutung.
Dann war es an der Zeit, dass sich Roderich mit einem speziellen Elektrowagen in Richtung des Hauses bewegte, um dort als Gäste das Ehepaar Clinton sowie Michael Gorbatschow zu empfangen, die auch jetzt noch für höhere Ziele arbeiteten. Ich hatte den Hubschrauber gesehen. So war ich jetzt erlöst und konnte wieder meinem Bewegungsdrang nachgehen und Kontakt mit wichtigen Menschen pflegen. Die Medienvertreter waren erst für später zugelassen und die Pressekonferenz würde ich persönlich leiten. Darauf freute ich mich schon. Auch die Abgebrühtesten davon würden sicher Augen und Ohren öffnen, wenn Roderich ihnen seine Pläne vorstellte. Als Brasilianerin war ich von deren Notwendigkeit überzeugt und schätzte unsere Erfolgsaussichten sehr hoch ein. Es war toll, dass ich nun dafür PR machte. Mein Herz hüpfte bei diesen Gedanken. Der Knaller kam noch. Und ich war mitten drin.