Читать книгу Kugelwechsel - Rudolf Trink - Страница 10

Оглавление

o

4.

Zwei Tage später, am fünfzehnten Jänner, meldete sich Moser. „Hallo Hans. Heute Abend um sieben im Café Rathaus?“

„Hallo Stinker. Das passt. Bis bald.“

Dieses Mal war Moser als Erster im Café. Als Rumpler eintraf, sah er, dass Moser ein wenig im „Falter“ blätterte – wohl weniger aus Begeisterung, als vielmehr in dem unbewussten Wunsch, sich von der Boulevardblätter lesenden Mehrheit der Kaffeehausbesucher etwas abzuheben.

„Servus, Hans.“

„Servus, Stinker. Was hast du herausgefunden?“

„Die Fakten sind ziemlich klar. GVD ist eine Firma, die für ihre Kunden, so richtig G’stopfte, extrem hohe Werte in Form von Edelmetallen, vor allem Gold, verwahrt. Das Gebäude ist daher aus Sicherheitsgründen mit Kameras gespickt und über die Kontrolle der Videoaufnahmen hat sich der Zeitpunkt des Sprungs auf ein Zeitfenster von nur zwei Minuten einengen lassen. Karl muss am elften Jänner zwischen zwanzig Uhr siebzehn und zwanzig Uhr neunzehn gesprungen sein. Es gibt zwei Arten von Videokameras im Gebäude – solche im Hochsicherheitsbereich, die ununterbrochen überwacht werden, und andere, die in regelmäßigen Abständen dem Sicherheitsdienst Bilder zuspielen. Karls Zimmer, das ihm als Büro zur Verfügung stand, wenn er nicht grad im Tresor beschäftigt war, liegt im dritten Stock. Eine Kamera in der Nähe des Aufzugs hat ihn um zwanzig Uhr elf erfasst. Ich kann dir später die Bilder zeigen. Er muss dann in den sechsten Stock, also das oberste Geschoss gefahren sein, von dem aus man durch eine versperrte Tür auf eine kleine Terrasse gelangt, die wegen des sonst im ganzen Haus gültigen Rauchverbots gerne von den Rauchern benutzt wird. Um zwanzig Uhr dreizehn hat Karl diese Tür mit seinem Ausweis samt Zugangscode geöffnet und dann muss er gesprungen sein. Die Außenhaut des Gebäudes wird mit Videoanlagen permanent überwacht und wir haben damit den Zeitpunkt seines Aufpralls auf die Minute genau festlegen können.“

„Ist es ausgeschlossen, dass jemand bei ihm war?“

„Ja. Die Kollegen sind ganz sicher, dass er allein war. Abgesehen vom dauernd anwesenden Sicherheitsdienst, der seinen auf die Minute genau festgelegten Kontrollroutinen folgt, waren außer Karl insgesamt nur sechs Mitarbeiter im Haus. Vier davon waren gemeinsam in einer Sitzung und haben das bei der Befragung auch zweifelsfrei bestätigt. Dann waren noch der Leiter der IT, ein gewisser Edwards, Alexander Edwards, der auch für die Sicherheit zuständig ist, und Robert Schnirch, ein Kollege von Karl, der ebenfalls im Tresor arbeitet, also ein sogenannter Sperrführer, im Haus.“

„Wie sind deren Alibis überprüft worden?“

„Der IT- und Sicherheitschef Edwards hat zum Zeitpunkt von Karls Sturz nachweislich ein längeres Telefonat mit dem für den Goldtresor verantwortlichen Sperrführer Schnirch geführt.“

„Wie konnte das festgestellt werden?“

„Die Firma zeichnet die Gespräche selbst zwar nicht auf, aber sie registriert Beginn und Ende jedes Telefonats und hält auch die entsprechenden Nummern fest. Wir wissen deshalb genau, wer wann mit wem wie lange telefoniert hat.“

„Praktisch.“

„Sei nicht ungerecht, Hans. Der Sicherheitschef hat mit seinem Kollegen Schnirch routinemäßig relativ oft telefoniert, beinahe ebenso häufig wie mit Karl. Wir haben das für einige Wochen überprüft und dabei überhaupt nichts Auffälliges gefunden. Darüber hinaus haben Mitarbeiter des Wachdienstes bestätigt, dass sie während des kritischen Zeitraums sowohl Edwards als auch Schnirch in deren Büros beim Telefonieren gesehen haben.“

„Dann ist das so. Was hat die Befragung der anderen Kollegen und der Vorgesetzten ergeben?“

„Nicht viel, außer dass alle von Karls Vorgesetzten, aber auch einige seiner Kollegen erwähnt haben, dass sich Karl in letzter Zeit immer wieder wegen seiner Gesundheit besorgt geäußert hätte.“

„Das klingt fast so, als hätten sie ein Interesse an einer plausiblen Erklärung für Karls Selbstmord.“

„Vielleicht ist das ja auch so. Ein unerklärlicher Selbstmord in einer Firma, die sehr hohe Werte verwahrt, wäre kontraproduktiv, weil er zu Spekulationen Anlass geben und damit die Kunden leicht verunsichern könnte.“

„Seid ihr noch an der Sache dran oder ist der Fall für euch abgeschlossen?“, hakte Rumpler nach.

„Die Kollegen sind fertig und der Abschlussbericht steht. Falls du dich aber informell als Privatperson weiter erkundigen willst, kann ich dir einen Tipp geben. Die beste Freundin meiner Tochter, eine gewisse Sonja Förster, arbeitet seit etwa fünf Jahren im IT-Bereich von GVD und ich könnt dir einen Kontakt zu ihr herstellen. Das muss aber unbedingt unauffällig bleiben, sonst kriegt sie in ihrem Job massive Probleme – sie kann nämlich ganz schön vorlaut sein und ist darum bei ihren Vorgesetzten nicht sehr beliebt.“

„Ist klar. Ich würd gern mit ihr sprechen.“

„Ich seh sie heute Abend, wenn sie meine Tochter besucht. Sie wird dich anrufen.“

Der erwartete Anruf kam knapp nach einundzwanzig Uhr. Rumpler vereinbarte aus Sicherheitsgründen, die er ihr auch erklärte, mit Sonja Förster ein Treffen in seiner Wohnung für den nächsten Abend. Ihre volle, sehr klare Stimme hatte Rumpler gefallen und er fragte sich, wie sie wohl aussah, während er sich bewusst wurde, dass sie leicht seine Tochter sein könnte, und er sich einen alten Deppen schalt. Aber trotzdem.

Während er sich noch diesem Ganz-alt-ganz-jung-Gefühl hingab, begann er mit der wöchentlichen Routine der Pflege seiner Orchideen. Er hatte keine seltenen Sorten, sondern vorwiegend Phalaenopsis, die er wegen ihrer großen Verbreitung „Hausmeisterorchideen“ nannte, aber seine Pflanzen trugen wunderbare Blüten, die meist auf weißem Grund fantastische Einsprenkelungen von Rot- und Violetttönen zeigten. Einmal wöchentlich spülte er die Wurzelballen mit lauwarmem Wasser gründlich durch und bei dieser Gelegenheit sprach er auch mit seinen Orchideen – tröstende oder aufmunternde Worte, je nachdem. Das Zurückstellen der Pflanzen erforderte größte Sorgfalt. Mit der Zeit waren es nämlich so viele geworden, dass das Blumenfenster, wie Rumpler sein einziges ihm zur Verfügung stehendes breites Fenster nannte, kaum mehr Platz bot. Nichtsdestotrotz hatte sich Rosamunde über die Jahre das Recht ersessen – oder hatte sie es sich eigentlich erlegen? –, zwischen den Pflanzen einen, wenn auch nur kleinen, Ruheplatz zu haben. Die getigerte Katze, umgeben von den feuchten Orchideen, ließ ihn an Kiplings Dschungelbuch denken, das er als Kind mit Begeisterung gelesen hatte. Das hätte er auch jetzt gerne wieder einmal getan, aber letztlich entschied er sich doch immer wieder dagegen, um das Buch nicht durch seinen mittlerweile erwachsenen Blick zu entzaubern.

Kaum war Rumplers Pflanzendusche zu Ende, als Rosamunde, um ihr Liegerecht nicht abkommen zu lassen, auch schon ihren angestammten Platz bezog. Rumpler nahm sein nunmehr bereits eingeweihtes Notizbuch und machte Eintragungen. Zum Teil waren das sehr ausführliche, beinahe weitschweifige Sätze in ziemlich schöner Schrift, zum Teil kaum lesbare Andeutungen einzelner Worte, seltsame Fragmente von Rumplers Gedanken, manchmal auch nur Abkürzungen. Während seiner Nachdenkpausen versah Rumpler die Zwischenräume im Text manchmal mit abstrakten, winzig kleinen Bildern.

Kugelwechsel

Подняться наверх