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6.

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Zwei Tage später rief sie ihn an. „Hallo, Herr Rumpler. Ich hab was für Sie.“

„Wann können wir uns treffen?“

„Heute Abend – am besten wohl wieder bei Ihnen“, schlug Sonja vor.

„Passt Ihnen acht Uhr?“

„Ja, das geht sehr gut.“

„Wollen Sie eine Kleinigkeit essen?“

„Gern.“

„Bis später.“

Speziell wenn es ums Kochen ging, war Rumpler dem Schicksal dankbar, das ihm vor einigen Jahren eine durchaus erwähnenswerte Erbschaft seitens eines Onkels mütterlicherseits, den er kaum gekannt hatte, bescherte. Das hatte seine finanzielle Unabhängigkeit großzügig abgesichert und es ihm unter anderem zu seiner Freude ermöglicht, seine ziemlich große Küche mit neuen Möbeln auszustatten und auch technisch auf den neuesten Stand zu bringen. Auf eine Mikrowelle hatte er dabei allerdings aus Prinzip verzichtet, wie er bei jeder Gelegenheit betonte. Rumpler hasste Mikrowellen, obwohl sie unbestritten praktische Geräte waren. Sie waren ihm zutiefst zuwider.

Rumpler hatte bis zum Treffen mit Sonja noch einige Stunden Zeit. Er beschloss, ein Hühnchen mit mediterranen Zutaten zu machen, das sich frisch, aber auch kalt sehr gut essen ließ, falls etwas übrig bleiben sollte. Sein Fleischhauer gab ihm die gewünschten Teile – zu Rumplers Freude waren gerade frische steirische Freilandhühner eingetroffen. Ohne zu fragen, packte der Fleischhauer, der mit den Jahren über Rosamundes Vorlieben bestens informiert worden war, mit den Worten „Geht aufs Haus“ neben Rumplers Bestellung auch ein kleines Stück Kalbsleber ein. Rumpler bedankte sich in seinem und Rosamundes Namen, holte im Supermarkt Kapern, Oliven, zwei unbehandelte Zitronen, einen Bund Jungzwiebeln und zwei Baguettes und kehrte nach Hause zurück.

Nachdem Rosamunde ihn dank der mitgebrachten Leber ausgesprochen freundlich empfangen hatte, durfte er sich ans Kochen, zuerst natürlich der Leber und dann erst des Hühnchens, machen. Er hatte immer schon gerne gekocht, schon als Kind hatte er seinem Vater beim Kochen zugeschaut und auch oft geholfen. Die Hühnerteile briet er in Olivenöl mit einem großen Löffel Butter an und bestrich sie anschließend mit einer Marinade aus Dattelsirup, einem Geschenk Sabines, das Rumpler sofort wieder an Karl denken ließ, Olivenöl und zerstoßenem Chili. Dann füllte er die Hühnerteile samt Oliven und Kapern in eine feuerfeste Form und gab noch etwas frisches Olivenöl, einen Schuss Weißwein und die grob geschnittenen Jungzwiebeln dazu. Als er zuletzt reichlich Zitronenschale darüber rieb, erinnerte ihn ihr Duft so stark an Italien, dass er sich auf der Stelle einen kleinen Espresso machen musste in der Qualität, die von den Einheimischen „un signor caffè“ genannt wurde. Als Wein wählte Rumpler einen leichten Morillon, den er im Vorjahr von einem herbstlichen Ausflug in die Südsteiermark mitgebracht hatte. Bei den derzeit vorherrschenden winterlichen Verhältnissen konnte es nicht falsch sein, den Glauben an das Frühjahr mit so einem Wein am Leben zu erhalten.

Wie schon beim ersten Mal kam Sonja extrem pünktlich. Sie war ganz in Schwarz gekleidet mit Ausnahme eines leuchtend blauen Schals. „Das riecht ja fantastisch“, sagte sie statt einer Begrüßung und ließ sich von ihrem Geruchssinn gleich in die Küche leiten, wo sie Rumplers Hühnchen im Rohr schmurgeln sah und es gehörig bewunderte.

Rumpler freute sich. „Bis zum Essen dauert’s noch etwa eine Dreiviertelstunde. Wollen Sie vielleicht inzwischen einen Kaffee?“

„Sehr gerne. Bitte schwarz, kurz, keine Milch und keinen Zucker.“

„Genau wie ich“, dachte Rumpler, der froh war, dass er auch spätabends noch Kaffee trinken konnte, ohne Probleme mit dem Einschlafen zu bekommen.

Er brachte zwei Espressi und einen Krug Wasser und setzte sich auf einen seiner beiden dunkelbraunen, mit dickem Leder bezogenen, bereits etwas abgeschabten Fauteuils. Auf den Armlehnen war die eine oder andere leichte Perforierung zu sehen, die dem Wirken Rosamundes zuzurechnen war.

„Danke, dass Sie gekommen sind, Sonja. Was haben Sie herausgefunden?“, begann Rumpler das Gespräch.

„Das gesundheitliche Motiv für den Selbstmord Karls war nur vorgeschoben. In Wirklichkeit war der Grund eine Veruntreuung von Gold“, kam Sonja direkt zum Punkt.

„Karl soll Gold veruntreut haben?“

„Ja.“

Rumpler schwieg.

Sabines „Das war nicht er“ tauchte wieder in ihm auf, noch stärker als vorher, aber das behielt er für sich. „Wie haben Sie das herausgefunden?“, wollte er wissen.

„Das Direktorium von GVD trifft sich einmal wöchentlich jeden Donnerstag. Wenn aber etwas Außergewöhnliches passiert, findet sofort ein Treffen statt. So war es auch nach dem Tod von Karl.“

„Und woher wissen Sie, was dort besprochen wurde?“

„Zu praktisch jeder Direktoriumssitzung gibt es ein Protokoll. Zu dieser gab es keines. Das hat mich neugierig gemacht. Sehr vertrauliche Besprechungen werden offiziell gar nicht protokolliert, aber in Wirklichkeit gibt es dazu speziell verschlüsselte Protokolle, die strikt getrennt von den offiziellen Unterlagen gespeichert werden.“

„Und Sie haben Zugang zu diesen geheimen Protokollen?“

„Eigentlich nicht. Ich bin einmal durch einen Zufall darüber gestolpert.“

„Gut“, sagte und „Heikel“, dachte Rumpler. „Und was steht in diesem offiziell nicht vorhandenen Protokoll?“

„Im Wesentlichen, dass Karl aus dem Bullion-Münzen-Depot eines Kunden eine sehr kleine Menge Gold, und zwar zehn Unzen im Gegenwert von insgesamt etwa zehntausend Euro, veruntreut hat. Das ist am Tag seines Selbstmords festgestellt worden. Es soll sich dabei aber nur um eine Art Probegeschäft gehandelt haben, weil in seinem Computer Hinweise darauf gefunden worden sind, wie er Gold in richtig großem Stil an sich bringen wollte. Für den Tag nach Karls Tod war kurzfristig eine außerordentliche Kontrolle des Golddepots festgesetzt worden und das muss er auf irgendeine Weise erfahren und daraufhin die Nerven verloren haben.“

„Steht noch was im Protokoll?“

„Nur dass eine offizielle Meldung beziehungsweise Untersuchung der Goldunterschlagung durch die Polizei wegen des für die Firma damit verbundenen Vertrauensverlustes auf jeden Fall zu vermeiden ist. Das erklärt wohl auch das beharrliche Betonen von Karls gesundheitlichen Problemen als Grund für seinen Selbstmord. Dann war im Protokoll noch ein ausdrückliches Lob für das verantwortungsvolle Verhalten von Alexander Edwards, des IT- und Sicherheitschefs, festgehalten, der in Eigenverantwortung zum Schutz der Firma sämtliche Hinweise in Karls Computer, die es im Zusammenhang mit seiner tatsächlichen und weiterhin geplanten Goldunterschlagung gab, sofort gelöscht und stattdessen den kurzen Satz über Karls gesundheitliche Probleme hineingestellt hat.

Letztlich wurde noch besprochen, welche Sicherheitsmaßnahmen gegen solche Vorkommnisse zu ergreifen sind.“

„Worum ging es da?“

„Es wurde festgestellt, dass das Problem vor allem darin bestand, dass sehr lange ruhende Goldbestände, also solche, bei denen der Eigentümer über viele Jahre hinweg nicht auftaucht, für Unterschlagungen besonders anfällig sind. Daher wurde nach eingehender Diskussion der IT-Chef Edwards, der auch alle Sicherheitsfragen der Firma koordiniert, beauftragt, ein neues IT-System zu entwickeln. Damit sollen auch die sonst lange ruhenden Goldbestände nach einem Zufallsprinzip immer wieder bewegt werden, sodass für die verantwortlichen Sperrführer keinerlei Sicherheit mehr haben können, welche Bestände häufig bewegt werden und welche nicht.“

„Werden Sie an der Entwicklung dieses neuen Systems beteiligt sein?“

„Ich glaub nicht. Das System soll ja ohne Information und für die Sperrführer überraschend eingesetzt werden, deshalb glaub ich eher, dass nur sehr wenige Mitarbeiter damit befasst sein werden. Sonst könnt es nämlich auch zu Fragen für den Anlass dieser Maßnahme kommen und das soll auf jeden Fall vermieden werden.“

„Vielen Dank, Sonja. Sie waren großartig.“

„Es war für mich sehr interessant, mir das anzuschauen.“

„Wir sollten jetzt was essen.“

Rumpler schenkte den grüngelben Morillon ein, holte das Hühnchen aus dem Rohr und richtete für Sonja und sich zwei Portionen her. Die leichte Süße des Dattelsirups auf der knusprigen Oberfläche des Hühnchens wurde von einem sanften Chilinachglühen abgelöst. Sonja war begeistert. Sie aß mit einem fast kindlichen Heißhunger, der Rumpler ein wenig rührte.

Als sie fertig waren, half sie Rumpler, das Geschirr in die Küche zu tragen. Ins Wohnzimmer zurückgekehrt, holte er eine Flasche Grappa hervor und schenkte zwei kleine Gläser ein. Sie prosteten einander zu.

„Sonja, hatten Sie vielleicht Gelegenheit, mit dem Herrn vom Wachdienst, ich glaube, er hieß Wegener, zu sprechen?“

„Ja, aber ich hab von ihm zu Karls möglichem Motiv nichts erfahren. Wegener war nämlich gerade sehr aufgeregt, als ich mit ihm gesprochen hab. Er ist ja beim Wachdienst, ein Expolizist wie auch einige seiner Kollegen bei GVD, und er hat kürzlich massive Probleme mit seinem Vorgesetzten Edwards gehabt. Der Wachdienst hat zeitlich genau festgelegte Kontrollroutinen einzuhalten und Edwards hat Wegener wegen einer Abweichung von nur eineinhalb Minuten zur Schnecke gemacht. Das war aber noch nicht alles. Edwards hat auf einem offiziellen Bericht über den Vorfall bestanden und jetzt fürchtet Wegener, der verheiratet ist und zwei kleine Kinder hat, um seinen Job.“

Rumpler versenkte Edwards’ Verhalten gegenüber Wegener in seinem Gedankenacker. „Hat dieser Auftritt vor oder nach Karls Tod stattgefunden?“

„Ich glaub, das war knapp davor. Das genaue Datum weiß ich leider nicht.“

„Das macht nichts. Dieser Edwards dürfte kein sehr angenehmer Mensch sein.“

„Ich kenn kaum einen Mann, der Edwards mag, aber bei einigen Frauen kommt er sehr gut an, bei anderen wiederum gar nicht.“

Rumpler brauchte Sonja nicht zu fragen, welcher der beiden Kategorien sie zuzurechnen war.

Sie kamen nochmals auf das Protokoll zu sprechen, weil Rumpler wissen wollte, wer an der Sitzung teilgenommen hatte.

„Das waren der Generaldirektor Laffer, sein Stellvertreter Grütz, weiters Frau Sporavsky, die Personalchefin, und zuletzt noch Felsinger, dessen Aufgabenbereich das Marketing ist. Die Informationen für die Sitzung hat Edwards geliefert, der ja für IT und Sicherheit zuständig ist.“

„Könnten Sie mir alle kurz beschreiben?“

„Gern. Laffer, der Generaldirektor, ist erst seit einem Jahr in der Firma, nachdem sich der Aufsichtsrat mit seinem Vorgänger überworfen hatte. Er hat eine internationale Karriere in London und in der Schweiz hinter sich und angesichts seines Alters – er ist schon fünfundsechzig – wird das wahrscheinlich sein letzter Job sein.“

Bei der Erwähnung des Alters streifte Sonja Rumpler mit einem kurzen Blick, der ihn, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, möglichst ausdruckslos erwiderte. Sonja fuhr fort, während ein unmerkliches Lächeln über ihr Gesicht huschte.

„Grütz, sein Stellvertreter, war schwer enttäuscht, dass er bei der Besetzung des Chefsessels nicht zum Zug gekommen ist. Er ist aber loyal und wohl auch klug genug, seine Enttäuschung nicht zu deutlich zu zeigen. Die einzige Frau in der Runde, Ilse Sporavsky, hat bereits in mehreren Unternehmen im Personalbereich gearbeitet. Von der Ausbildung her hat sie sowohl Wirtschaft als auch Psychologie studiert. Sie ist eine intelligente, besonnene Frau, die ich sehr schätze. Dann ist da noch Max Felsinger, der Marketingchef. Er ist ein selbstbewusster, arroganter Schnösel, der glaubt, alles besser zu wissen. Außerdem ist er angeblich Burschenschaftsmitglied und ein Schlagender mit einem dekorativ positionierten Schmiss auf der Wange.“

„Danke für die Beschreibungen. Steht im Protokoll auch etwas zur Diskussion beziehungsweise Meinungsbildung?“

„Zunächst hat Edwards das Problem, das heißt, die Veruntreuung, das auf Karls Laptop entdeckte kriminelle Schema für weitere Veruntreuungen und Karls anschließenden Selbstmord wegen der unmittelbar bevorstehenden Entdeckung, vorgetragen. Dann hat der Generaldirektor die Diskussion mit der Bemerkung eröffnet, eine Rufschädigung der Firma sei unbedingt zu vermeiden, weil das Geschäft von GVD vom Vertrauen der Kunden abhängt. Der stellvertretende Generaldirektor hat diese Position unterstützt und vorgeschlagen, den relativ geringen wirtschaftlichen Schaden im Gegenwert von zehn Unzen Gold ohne weiteres Aufsehen aus den Reserven der Firma zu begleichen und nach außen eine andere Version, nämlich die, dass Karl aus gesundheitlichen Gründen Selbstmord begangen hat, zu vertreten. Als Nächste wurde Frau Sporavsky um ihre Einschätzung als Psychologin gebeten. Sie ist aber auf diese Frage gar nicht eingegangen, sondern hat festgehalten, dass es jetzt das Wichtigste sei festzustellen, was aus dem Vorgefallenen zu lernen sei, welche Sicherungen versagt hätten und welche Maßnahmen zu ihrer Behebung erforderlich wären. Im Übrigen teilte sie die Meinung des Generaldirektors und seines Stellvertreters, dass die Sache nicht publik gemacht werden sollte. Wie nicht anders zu erwarten, widersprach Felsinger allen. Die Veruntreuung des Goldes sei ein Offizialdelikt und müsse demgemäß der Polizei gemeldet werden, um sich nicht selbst strafbar zu machen. Es gab dann eine längere, anscheinend ziemlich hitzige Diskussion, in deren Verlauf sich schließlich die Meinung des Generaldirektors durchgesetzt hat. Wie ich schon erwähnt hab, ist zuletzt Edwards mit der Entwicklung des neuen IT-Sicherheitssystems beauftragt worden.“

„Ist dieses System schon fertig?“

„Offiziell gibt es dazu keine Informationen. Tatsächlich ist es aber bereits im Testbetrieb und soll in etwa zwei bis drei Wochen in den Echtbetrieb gehen. So, jetzt muss ich aber gehen“, sagte Sonja, nachdem sie auf die Uhr gesehen und den letzten Schluck Grappa genommen hatte. „Morgen muss ich früh aus den Federn, weil ich vor der Arbeit noch eine Runde laufen geh.“

„Nochmals vielen Dank für Ihre Recherchen“, sagte Rumpler aufrichtig.

„Danke für das wunderbare Essen.“

Nachdem Sonja gegangen war, wandte sich Rumpler an Rosamunde. „Na, Alte, was machen wir jetzt mit dieser Geschichte?“

Rosamunde rieb ihren Kopf an Rumplers Knie.

„Abliegen lassen und nachdenken, meinst du wohl.“

Rosamunde meinte. Und Rumpler gab ihr recht.

Als er sich etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht niederlegte, gingen ihm erst die verhüllten Rosenstöcke und dann wieder die Telefonlisten durch den Kopf. Er hatte noch kurz das Gefühl, dass ein wichtiger Gedanke in ihm auftauchte, aber ehe er ihn hätte festhalten können, war er eingeschlafen.

Kugelwechsel

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