Читать книгу Kugelwechsel - Rudolf Trink - Страница 11

Оглавление

o

5.

Das Treffen mit Sonja Förster verblüffte Rumpler. Er hatte, warum auch immer, mit einer kurz- und hellhaarigen Frau gerechnet – Sonja hatte langes schwarzes Haar. Außerdem hätte er den Klang ihrer vollen Stimme nie und nimmer in Verbindung mit einem so drahtigen Körper erwartet. Sie war extrem schlank, einfach, beinahe schlicht gekleidet und nicht geschminkt. In ihren blaugrauen Augen sah Rumpler eine Lebendigkeit, die ihn anzog und mit ihrer sprudelnden Vitalität beinahe ein wenig erschreckte. Die Festigkeit ihres Händedrucks überraschte ihn.

„Danke, dass Sie gekommen sind, Frau Förster“, begrüßte er sie.

„Gern. Sagen Sie Sonja zu mir. Anna hat mich gebeten, diesen Termin wahrzunehmen.“

„Ich bin der Onkel ihres unlängst verstorbenen Kollegen Karl Rumpler.“

„Ich weiß. Anna hat mich informiert.“ Sie nickte verstehend.

„Karls Tod ist für mich auf Basis des offiziellen Polizeiberichtes nicht plausibel nachvollziehbar.“

„Das versteh ich nicht.“

„Ich hab mich schlecht ausgedrückt. Der Bericht ist in sich schon stimmig und auch nachvollziehbar, er bestätigt Karls Selbstmord. Was aber überhaupt nicht dazu passt, ist Karls Persönlichkeit, wie ich sie gekannt hab.“

„Ich hab Karl zwar nur lose gekannt, aber ich glaub, ich versteh, was Sie meinen“, bestätigte Sonja Förster.

„Wenn Sie mir bei meinen Recherchen helfen, ist das für Sie nicht ohne Risiko.“

„Das ist mir recht. Risiko interessiert mich.“

„Sonja, ich möcht nur, dass Sie sich über meine und auch Ihre Position im Klaren sind. Ich bin ein seit zwei Jahren pensionierter Polizeibeamter und daher bei meinen Recherchen auf inoffizielle Hilfe angewiesen. Derartige Nachforschungen, wie wir sie jetzt vielleicht ins Auge fassen, sind in Firmen wie GVD alles andere als willkommen. Da tut sich selbst die Polizei schwer und trifft oft auf eine Mauer des Schweigens. Ihre Unterstützung meines Vorhabens kann sehr leicht als Vorwand dienen, Sie um Ihren Job zu bringen.“

„Ich bin ganz gut im Training.“

Rumpler schwieg kurz, entschloss sich aber dann, nicht weiter nachzufragen, was genau darunter zu verstehen sei. „Sonja, könnten Sie mir zunächst etwas über GVD erzählen? Außer den wenigen Informationen, die ich von Karl hatte, weiß ich kaum etwas.“

„Gern. GVD ist ein sehr junges Unternehmen – ich glaube, die Firma ist keine zehn Jahre alt. Sie befindet sich überwiegend in ausländischem Eigentum und ist in mehreren europäischen Hauptstädten, so auch in Wien, mit Niederlassungen vertreten. Die Firma hat vor Beginn ihrer Geschäftstätigkeit in Wien außerhalb des Gürtels, aber in noch immer ausreichend zentraler Lage, ein ziemlich großes Grundstück gekauft und darauf ein genau auf ihre Zwecke abgestimmtes Gebäude errichten lassen. Dazu gehören ein ausgetüfteltes Schleusensystem für die Wertetransportwagen, eine dreigeschossige Unterkellerung und ein großer Parkplatz für Kunden und Mitarbeiter der Firma. Die wichtigste Geschäftstätigkeit von GVD ist die sichere Aufbewahrung von sehr hohen Werten, und zwar von Edelmetallen, allen voran natürlich Gold.

Grundsätzlich wird so etwas auch von Banken angeboten, aber die sind auf dieses Geschäft nicht wirklich spezialisiert und daher nicht immer flexibel. In den meisten Banken gibt es für deren Kunden nur Standardschließfächer in ein bis zwei Größen zu mieten. Die internationale Krise der Finanzmärkte hat die Nachfrage der Kunden nach Edelmetallen, vor allem Gold, deutlich erhöht und damit wurden auch mehr und zum Teil größere Schließfächer benötigt, die jedoch in den Banken nicht in ausreichender Menge verfügbar waren. GVD hat diese erhöhte Nachfrage nach Tresorraum geschickt ausgenutzt und bietet seinen Kunden bei der Verwahrung und Verwaltung von Edelmetallbeständen einen umfassenden Service und viel Flexibilität.

Dazu gehört beispielsweise auch eine Überprüfung der Echtheit von Barren oder Münzen, die mit modernsten technischen Geräten stattfindet. Das weitaus wichtigste Geschäft von GVD ist die Verwahrung sogenannter Bullion Coins, also eigentlich von Goldbarren in Münzform. Das sind in Österreich die bekannten Philharmoniker-Münzen oder zum Beispiel in Kanada die sogenannten Maple Leafs. Den einzelnen Kunden sind im Hochsicherheitstresor ganz bestimmte Regalplätze zugewiesen, wo ihre Münzbestände offen, meist in Plastikkapseln zu jeweils zehn Münzen, die dann oft wiederum zu größeren Einheiten von zehn Kapseln zusammengefasst werden, lagern. Es handelt sich dabei also nicht um Schließfächer, die nur im Beisein des Kunden geöffnet werden können, sondern um offen auf den einzelnen Plätzen liegende Bestände.

Die Kunden selbst werden aus Sicherheitsgründen nicht bis in den Tresorbereich vorgelassen, sondern nur die sogenannten Sperrführer, also jene Mitarbeiter, die – so wie das bei Karl der Fall war – direkt im Tresor arbeiten, und die dazu befugten Kontrollorgane. Für Kunden gibt es eigene Räume, in denen sie ihre Münzbestände überreicht bekommen, die sie aus dem Tresor holen wollen.

Über den jeweiligen Bestand und die entsprechenden Zu- oder Abgänge werden den Kunden Bestätigungen ausgestellt. Es ist also so ähnlich wie bei einem Konto bei einer Bank, aber mit dem wesentlichen Unterschied, dass der gesamte Goldbestand jedes Kunden auch immer vorrätig gehalten werden muss. Hauptkunden von GVD sind reiche Private, die oft in Form von Stiftungen vertreten sind, sowie institutionelle Investoren.

Das Vertrauen der Kunden zu GVD beruht unter anderem auf dem sehr hohen Eigenkapital der Firma, wodurch sie finanziell weitgehend unabhängig ist. Durch die internationale Finanzkrise boomt das Geschäft von GVD. Die Firma sitzt im wahrsten Sinn des Wortes auf einer Goldgrube, obwohl sie für ihre Kunden natürlich auch andere Edelmetalle wie Silber, Platin oder Palladium verwahrt.“

Rumpler schwirrte der Kopf von der Fülle dieser für ihn neuen Informationen. „Vielen Dank für diesen guten Überblick. Eine ganz andere Frage: Haben Sie vielleicht Zugang zu den Telefonaufzeichnungen in Ihrer Firma?“

„Wenn ich Ihren Laptop benutzen darf, sollte sich das problemlos machen lassen. Wie ich gesehen hab, sind Sie online.“

„Ja, das bin ich praktisch immer, außer wenn ich im Urlaub bin.“

„Dann steig ich jetzt bei Ihnen ein. Was konkret interessiert Sie?“, wollte Sonja wissen.

„Ich hab hier eine Liste der sechs Personen, die – abgesehen vom Wachdienst – zum Zeitpunkt von Karls Tod im Haus waren. Ich hätt gern eine Übersicht über sämtliche Telefonate, die von diesen Personen in den letzten zwölf Monaten geführt worden sind.“

„Das sollt kein Problem sein, vor allem, weil wir ähnliche Listen auch schon für die Polizei gebraucht haben. Nach welchen Kriterien soll ich die Liste denn zusammenstellen?“

„Wie meinen Sie das?“, hakte Rumpler leicht irritiert nach.

„Wenn ich einfach eine chronologische Liste für das letzte Jahr herunterziehe, dann haben Sie bei jedem der sechs Mitarbeiter pro Tag, grob geschätzt, zwanzig Telefonate, was bei zweihundert Arbeitstagen insgesamt etwa vierundzwanzigtausend Telefonate ergibt. Wir sollten daher für etwas Ordnung sorgen, um nicht den Überblick zu verlieren.“

„Da haben Sie natürlich recht. Spannend wär eine Trennung in Telefonate mit internen und externen Gesprächspartnern, gereiht nach der Häufigkeit und Länge der Telefonate. Die Gespräche, an denen jeweils zwei Personen unserer Sechserliste beteiligt waren, sind für mich besonders interessant und sollten gesondert erfasst sein. Zusätzlich wär ich auch an den detaillierten Dienstplänen des Wachpersonals interessiert, die zum Zeitpunkt von Karls Tod in Kraft waren.“

„Kein Problem. Wenn Sie uns etwas zu trinken holen, mach ich mich inzwischen an die Arbeit.“

Rumpler vermied es, ihre Entschlossenheit zu schwächen, indem er sie nach den für ihn unverständlichen Möglichkeiten, sich von seinem Wohnzimmer aus ins System von GVD einzuschalten, fragte.

Als er mit einer Flasche Wein, einem Welschriesling aus Gamlitz in der Südsteiermark und einem Krug Wasser wiederkehrte, flogen ihre Finger so rasant über die Tastatur seines Laptops, dass er mit dem Staunen nicht nachkam. Während Rumpler den Wein einschenkte, stellte er mit einem gelinden Anflug von Eifersucht fest, dass Rosamunde es sich in der Zwischenzeit auf Sonjas Schoß gemütlich gemacht hatte.

Als ob sie Gedanken lesen könnte, sagte diese, ohne ihre Fingerübungen auch nur im Mindesten zu verlangsamen oder gar zu unterbrechen: „Ich mag Katzen gar nicht so besonders, aber sie kommen trotzdem zu mir.“

Wie zur Bestätigung begann Rosamunde zu schnurren, zur gleichen Zeit wie Rumplers Drucker. Während der Dienstplan des Wachpersonals nur drei Seiten umfasste, waren die Telefonlisten mit etwa zwanzig sehr eng beschriebenen Seiten viel umfangreicher, als Rumpler erwartet hatte.

„Vielen Dank, Sonja. Jetzt sollten wir noch mögliche Muster erkennen können.“

„Welche Muster?“

„Es sollten die Telefonate weggefiltert werden, die beispielsweise täglich zu einer bestimmten Zeit oder in einem bestimmten Zeitfenster geführt worden sind.“

„Okay, dann schlag ich vor, wir beginnen mit den Tagesroutinen.“ Wieder gab sie einige Befehle in den Computer ein.

„Rechenhexe“, dachte Rumpler.

Sie wies auf den Bildschirm. „Hier sind die täglich wiederkehrenden Muster. Beispielsweise gibt es für die im Tresor tätigen Mitarbeiter, die sogenannten Sperrführer wie Karl oder auf unserer Liste auch Schnirch, das Erfordernis, zu Arbeitsbeginn den Alarm im Tresorraum durch ein Telefonat aus- und am Abend durch ein Telefonat mit dem Sicherheitsdienst wieder einschalten zu lassen. Weiter unten sind die Wochenroutinen, beispielsweise die Abstimmtelefonate zu wöchentlichen Treffen.“

„Gut. Könnten Sie jetzt diese Routinetelefonate wegfiltern und vom Rest nur die internen Gespräche nach weiteren Mustern untersuchen?“, bat Rumpler die junge Frau.

„Das sollte kein Problem sein. Ich hab hier die Telefonate erfasst, die im letzten Jahr einmal täglich oder einmal pro Woche stattgefunden haben, wobei ich für Urlaub und Krankheit gewisse Abweichungen erlaubt hab. Diese Telefonate lösche ich jetzt aus der Liste. Für die restlichen Gespräche muss ich die Kriterien für das Herausfinden von Auffälligkeiten noch definieren. Ich kann jetzt zum Beispiel die letzten drei und sechs Monate und die letzten ein bis vier Wochen durchlaufen und sie auf solche möglichen Auffälligkeiten wie etwa ungewöhnliche Länge oder Häufigkeit überprüfen.“

„Bestens, vielen Dank.“

Rumpler nahm einen Schluck Wein, Rosamunde schnurrte, Sonja schrieb. Dann kam die Auswertung aus dem Drucker. Sie war noch immer ziemlich umfangreich. Rumpler blätterte sie kurz durch, und ohne zu verstehen, warum, wusste er sofort, dass sie etwas Relevantes enthielt.

„Vielen Dank, Sonja. Sie haben mir sehr geholfen.“ Er beschloss, die Liste später nochmals genau durchzugehen.

Sonja blickte kurz auf.

„Sie weiß genau, dass ich etwas Wesentliches gesehen habe“, dachte Rumpler, ohne dass er selbst begriff, um was es sich handelte.

Sonja ließ den Wein in ihrem Glas kreisen, und als sie sagte: „Sie müssen mir nichts erklären. Ich respektiere Ihr Schweigen“, wurde sie Rumpler fast ein wenig unheimlich und er wechselte rasch das Thema.

„Sonja, ich komm mit den gesundheitlichen Sorgen als Motiv für Karls Selbstmord nicht ganz klar. Kennen Sie vielleicht jemanden in der Firma, mit dem Karl näher in Kontakt war?“

„Ich glaub, Karl hat sich gelegentlich mit einem Kollegen vom Wachdienst unterhalten, einem Herrn Wegener. Den könnt ich fragen. Ohne dass es zu sehr auffällt“, ergänzte sie rasch, als Rumpler schon zu einer Warnung ansetzte.

„Eine veritable Hexe“, dachte Rumpler.

Rosamunde wechselte von Sonjas Schoß auf ihren Orchideenplatz. Sonja nutzte die Gelegenheit, verabschiedete sich und ging.

Kugelwechsel

Подняться наверх