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2.

Als er zu Hause ankam, empfing ihn Rosamunde mit Vorhaltungen. Er sei lange fort gewesen, er habe ihr nichts mitgebracht – normalerweise kaufte er für sie beim nahe gelegenen Fleischhauer eine Kleinigkeit – und überhaupt sei er mit seinen Gedanken nicht wirklich da. Es hatte keinen Sinn, ihr auch nur im Geringsten zu widersprechen. Rumpler gab ihr in allem recht. Als teilweise Wiedergutmachung ließ er ihr zunächst behutsam die Kopfmassage zukommen, die sie so liebte, samt einem ganz zarten Zwirbeln ihrer Ohrspitzen, was sie in Gnaden entgegennahm, und versorgte sie anschließend mit Futter. Erst jetzt, nachdem er seine Pflichten Rosamunde gegenüber hinreichend erfüllt hatte, ging er zu dem gegenüber von seinem Schreibtisch aufgestellten Kasten, einem mittelbraunen Jugendstilschrank mit schlichten, aber sehr schönen Messingbeschlägen. Er hatte ihn von seiner Großmutter geerbt und das Möbelstück war, wie er wusste, ein Teil ihrer Aussteuer gewesen.

Diesen Schrank hatte Rumpler schon vor längerer Zeit mit einigen zusätzlichen Regalbrettern ausstatten lassen und konnte daher darin die vormals übereinandergetürmten Kartons mit seiner abgelegten beruflichen Vergangenheit, von denen er jetzt einige hervorzog, besser geordnet verwahren. Fotos von internationalen Polizeikongressen tauchten auf, Urkunden über Ehrungen und Auszeichnungen, Berichte über seine wichtigsten Fälle, Zeitungsausschnitte und schließlich eine ziemlich umfangreiche Sammlung von Moleskinenotizbüchern, alle liniert, alle schwarz eingebunden und mit fortlaufenden roten Nummern versehen.

Obwohl die Nummern alle zu ihm sprachen, die meisten noch sehr deutlich, einzelne hingegen nur mehr ziemlich vage, widerstand Rumpler der Versuchung, das eine oder andere dieser Bücher zu öffnen und sich in die Vergangenheit hineinsaugen zu lassen. Er suchte die drei oder vier Bücher, die noch neu und unbeschrieben waren und daher auch keine Nummer trugen, und nahm eines davon heraus. In dem Moment, als er das tat, war ihm klar, dass er die Untersuchung von Karls Selbstmord mit diesem Akt zu seinem Fall gemacht hatte, obwohl doch keinerlei Anhaltspunkte für einen „Fall“, wie er ihn verstand, vorlagen, außer vielleicht Sabines „Das war nicht er“. Rumpler hatte diese Momente des Büchereröffnens immer ebenso geliebt wie gefürchtet, wahrscheinlich weil sich dabei für ihn die Neugierde und der Respekt vor dem Weg, den er zu gehen hatte und von dem nicht klar war, wohin er führen würde, mischten. Obwohl seine vierundsechzig Jahre nicht spurlos an ihm vorübergegangen waren, fühlte er sich in diesem Augenblick doch wie ein Jagdhund, den die Ahnung einer Witterung mit gespannten Muskeln die Luft prüfen ließ. Rumpler schüttelte sich kurz, um nicht endgültig in diesem ungefähren Zustand zu versinken, und wählte Mosers Nummer.

Sein Anruf wurde prompt beantwortet. „Moser.“

„Hallo Stinker.“

Kurzes Schweigen.

„Ich pack’s nicht. Rumpler. Servus, Hans. Wie geht’s dir?“

„Ich muss dich sprechen. Halb offiziell. Hast Zeit für mich?“

„Für dich doch immer. Morgen früh im Café Rathaus?“

„Gern. Passt neun Uhr für dich?“

„Ja. Ich freu mich.“

Das Café Rathaus hatte Rumpler und seinem Team in seiner aktiven Berufszeit häufig als eine Art zweites Büro gedient. Immer wenn sie das Gefühl hatten, in einem Fall stecken geblieben zu sein, oder auch wenn es zu größeren Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gekommen war, lieferte das Café Rathaus, das noch über ein eigenes, von grünen Filzbespannungen dominiertes Spielzimmer verfügte, mit dem beruhigenden Gemurmel der zahlreich vertretenen Pensionisten alle Voraussetzungen, um sich auf einen Fall wieder neu einzustellen.

Moser kam mit ein paar Minuten Verspätung. Sein ehemals extrem starker Rauchkonsum hatte ihm den Beinamen Stinker eingetragen, den er nicht ohne Stolz fast wie eine Auszeichnung, die ihm in einer längst vergangenen Ära verliehen worden war, noch immer trug, obwohl er aus gesundheitlichen Gründen bereits seit Jahren nicht mehr rauchte. Ohne auch nur im Mindesten zu zögern, steuerte er den in einer der Fensternischen gelegenen Tisch an, den sie früher immer beansprucht hatten und den Rumpler heute zur Sicherheit hatte reservieren lassen.

Ihre Begrüßung verlief stumm nach dem vertrauten Ritual. Moser hatte sich nicht verändert – auf einem stämmigen Körper saß ohne viel Hals dazwischen ein eher kantiger Schädel mit einer kräftigen, ganz leicht schiefen Nase und auffallend wachen, eher hellen Augen von einer schwer bestimmbaren Farbe. Seinen respektablen Bauchansatz, der ihn im Bedarfsfall aber keineswegs daran hinderte, sich mit ganz erstaunlicher Schnelligkeit zu bewegen, hatte Moser immer noch. Auch an seiner Gewohnheit, sein Sakko trotz erheblicher Spannung geschlossen zu tragen, hatte sich nichts geändert. Seinerzeit hatten die jüngeren Kollegen boshaft über ihn gesagt, er brauche keine Schusswaffe, weil er jederzeit imstande sei, einen Verbrecher mit seinen abspringenden Knöpfen zu erschießen.

Nach einem kritischen Blick auf Rumpler eröffnete Moser das Gespräch mit der Feststellung: „Du machst dir Sorgen.“

„Mein Neffe Karl ist tot.“

„Das tut mir leid. Der war doch als Bub für längere Zeit bei dir, als dein Bruder gestorben ist.“ Das war eine Feststellung, keine Frage, aber Rumpler hatte schon vor Jahren aufgehört, sich über das phänomenale Gedächtnis Mosers zu wundern.

„Ja, das war Karl. Er soll Selbstmord begangen haben. Vom Dach der Firma gesprungen, bei der er gearbeitet hat.“

Noch während er das sagte, wunderte sich Rumpler ein wenig über seine eigene Formulierung, die Karls Rolle in der Sache völlig offenließ.

Moser hakte sofort ein. „Wieso soll? Hat es irgendwas Auffälliges dabei gegeben?“

„Eigentlich nicht, außer dass es so gar nicht zu Karl passt.“

„Und jetzt hast du Zweifel, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist, und willst nähere Informationen.“

„Ja. Es wär mir persönlich wichtig, dass ich versteh, was passiert ist, und es ist auch für Karls Frau Sabine wichtig.“

„Du weißt aber schon, dass du als Angehöriger in höchstem Maß befangen und daher alles andere als objektiv bist?“

„Das ist mir klar. Trotzdem will ich Näheres wissen.“

„Dann ist daran wohl nicht mehr zu rütteln. Du warst ja immer schon wie der Hund mit dem Knochen – wenn du ihn einmal hast, gibst du ihn nicht mehr her.“

„Kannst du mir helfen?“

„Ich denk schon. Ich werd mich morgen informieren, wer die Untersuchung gemacht hat, und du kriegst natürlich auch das Protokoll von mir – aber nur in Papierform, weil ich’s dir offiziell nicht weiterleiten darf. Unsere E-Mails werden in letzter Zeit immer wieder kontrolliert, weil zu viel an die Zeitungen durchgesickert ist. Es ist ziemlich unpraktisch, aber man gewöhnt sich dran.“

„Wann sehen wir uns?“

„In zwei Tagen, also am Samstag. Das gibt mir noch ein bissl Zeit, dass ich mich auch sonst umhör.“

„Danke, Stinker.“

„Passt schon. Bis bald.“

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