Читать книгу Zweiter Sieger - Ruth Broucq - Страница 5
Neue Probleme
ОглавлениеObwohl wir nun Räumlichkeiten genug hatten, klappte unser Zusammenleben mehr schlecht als recht.
Unsere unterschiedlichen Arbeitszeiten, Ramonas Schulstunden und dann der Säugling stellten unsere Geduld schon manches Mal auf eine harte Probe. Mein Spätdienst war kein Problem, aber die Frühschicht.
Da Robert nachts in 12 Stunden-Schicht arbeitete, ich im Frühdienst zur Arbeit musste, wenn mein Mann noch nicht zu Hause war, hatten wir ein Problem mit Ramona. Sie musste gerade dann zur Schule, wenn Robert Feierabend machte. Aber mein Mann kam immer viel zu spät nach Hause. Zwangsläufig verbummelte Ramona dann den Schulbeginn.
„Robert, so geht das nicht. Du musst etwas früher nach Hause kommen, damit du darauf achten kannst, dass Ramona pünktlich zur Schule kommt. Wenn keiner von uns zu Hause ist, bummelt die und kommt zu spät. Also beeil dich mal ein bisschen“, forderte ich nach ein paar Wochen Chaos.
„Spinnst du?“ fragte Robert ärgerlich. „Wie soll ich das machen? Ich muss so lange auf der Karre bleiben, bis meine Ablösung da ist! Was soll ich machen wenn der Kerl immer Verspätung hat?“
Sauer widersprach ich: „Dann musst du mit dem Schwerte sprechen, dass es nicht geht, wenn du bis sieben Uhr Dienst hast, dass deine Ablösung ständig zu spät kommt. Du hast ein Kind um das du dich kümmern musst. Dann musst du das Auto einfach an der Zentrale stehen lassen, damit du pünktlich Feierabend hast!“
Genervt schimpfe mein Mann: „Der Alte zeigt mir an den Kopf! Wer soll denn die Stunde bis zur Ablösung fahren? Und außerdem, wie soll ich hier hin kommen, zu Fuß? Nee, das kannste Mal vergessen. Frag meine Mutter, die kann sich auch um Ramona kümmern. Die geht doch eh morgens hier rauf und sieht nach dem Kleinen. Ist doch ein aufwaschen. Ich kann doch nicht den altbewährten Arbeits-Rhythmus in der Firma Schwerte verändern, nee!“
„Immer ich wenn es dir unangenehm ist? Nee! Ich bin nicht alleine für unsere Kinder verantwortlich. Solange ich noch mitarbeiten muss, ist es deine Aufgabe genauso. Also frag sie selbst!“ lehnte ich energisch ab.
Tatsächlich hatte meine Schwiegermutter sich sofort bereit erklärt, die Aufsicht zu übernehmen, dass Ramona rechtzeitig zur Schule kam.
Obwohl mir ihre schnelle Zustimmung ein wenig suspekt war, fragte ich nicht nach dem Grund. Ich war einfach froh das Problem behoben zu wissen.
Gerade hatte ich geglaubt aufatmen zu können, als es offiziell erklärt wurde: die Obus-Linien würden auf Einmann-Betrieb umgestellt werden. Die Umstellung sollte bis zum Ende des Jahres durchgeführt sein.
Das hieß also arbeitslos? Nein, das musste nicht sein, denn der Arbeitgeber wollte den überwiegend weiblichen Schaffnern Alternativen bieten. Man war dabei Arbeits-Angebote zu schaffen.
In der Verwaltung, der Kantine oder in der Halle.
„Oh nein, nicht mit mir, das kenne ich!“ posaunte ich ablehnend in die Welt hinaus. „Noch einmal Autobusse putzen muss ich nicht haben, mir hat diese Scheiß-Arbeit während der Schwangerschaft gereicht! Lieber kündige ich!“
Wohlwollende Kollegen rieten mir abzuwarten, meinten, einen so sicheren Arbeitsplatz freiwillig aufzugeben, sei leichtsinnig. Andere wiederum waren der Meinung, dass die Kurzdienstler und die Neulinge unter uns Schaffnern keine Chance auf einen Ersatz-Arbeitsplatz hätten. Die Gerüchteküche vermischte sich mit Vermutungen. Die ehemals schöne Arbeitsatmosphäre war endgültig kaputt.
Auch im häuslichen Bereich gab es nur Ärger und Aufregung. Meine Schwiegermutter kämpfte um Onkel Karls Ersparnisse, die sie seiner Witwe nicht überlassen wollte und versuchte die alte Hexe aus dem Haus zu ekeln. Der Verblichene hatte auf Drängen meiner Schwiegermutter, ihr zwar das Haus schon vor seiner erneuten Eheschließung, überschrieben, weil das im Gemeinschafts-Testament mit seiner ersten Frau so geregelt war. Aber er hatte seiner Zukünftigen ebenfalls vorher schnell noch lebenslanges Wohnrecht vermacht. Vermutlich um seiner rabiaten Nichte ein Schnippchen zu schlagen, die ihm zusätzlich noch Zehntausend Mark abgeknöpft hatte. Dafür hatte sie ihm allerdings unterschrieben, dass sie keine weiteren Ansprüche mehr erheben werde. Doch damit wollte sich die Schlaue nach seinem Tod nicht abfinden. Sie hatte einen gewitzten Anwalt gefunden, der die Meinung vertrat, die Erbin habe nur auf die Hinterlassenschaft ihrer Tante verzichtet, aber nicht auf das Erbe ihres Onkels, weil über dessen Ersparnisse nicht gesprochen wurde. Also zog man vor Gericht.
Außerdem verlangte meine Schwiegermutter die Räumung der großen Erdgeschoß-Wohnung.
Denn das Wohnrecht der Witwe war zwar nicht anfechtbar, aber weder die Anzahl der Räume war festgelegt worden, noch hatte der gute Onkel an die Mietfreiheit gedacht. Deshalb war meine Schwiegermutter großzügig bereit, der Witwe eine kleine Wohnung im ersten Stock gegen dementsprechende Miete zur Verfügung zu stellen.
Es war ein harter Krieg der Hinterbliebenen, der auch negativ auf die allgemeine familiäre Stimmung schlug.
Ob es der Ärger, beziehungsweise der Nervenstress um das Erbe des Onkels war, warum und woher auch immer, meine Schwiegermutter wurde krank. Und somit fiel ihre Hilfe erst einmal aus.
„Und was machen wir jetzt? Im Spätdienst diese Woche ist es kein Problem, aber wie soll das nächste Woche gehen, wenn ich Frühschicht habe? Dann musst du pünktlich Feierabend machen, damit du die Kinder versorgen kannst, Robert!“ Für mich war das eine Selbstverständlichkeit, da gab es keine Diskussion.
Ausnahmsweise sah mein Mann das nicht anders, sondern versprach: „Tja, geht wohl nicht anders. Ich spreche morgen mit dem alten Schwerte. Ist ja sicher nicht von langer Dauer!“
Ein paar Tage sah alles gut aus, bis vor dem ersten Frühdienst.
Ausgerechnet der Samstag war der Beginn meiner Frühschicht-Woche, und der Freitagabend davor Roberts Kegelabend.
Als ob ich es geahnt hätte, hatte ich schon den ganzen Abend ein unruhiges Gefühl, denn ich hatte ihn noch gemahnt: „Robert, denk bitte daran, dass du dich morgen früh um die Kinder kümmern musst. Morgen fängt mein Frühdienst an. Trink also bitte nicht so viel und komm bitte nicht so spät nach Hause.“
Ich hatte ganz unruhig geschlafen und wurde mehrmals wach, bis es dann Zeit war aufzustehen. Vier Uhr früh.
„Oh nein, das darf doch nicht wahr sein“, stöhnte ich entsetzt, denn der Platz im Bett, neben mir, war leer. Ich war wie gerädert, erhob mich mühsam und ahnte schon was auf mich zukam.
Sorgsam nahm ich den Kleinen aus seinem Bettchen, verließ leise das Kinderzimmer und machte Rene in der Küche fertig. Beim füttern und wickeln hoffte ich immer noch, dass mein Mann endlich nach Hause käme, aber mit jeder Minute die verstrich, sank diese Hoffnung.
Als ich den Kleinen wieder ins Bettchen brachte, fragte Ramona halb schlafend: „Mama, gehst du jetzt arbeiten? Muss ich schon aufstehen?“
„Nein, nein, Mona schlaf weiter. Du musst heute nicht zur Schule gehen. Ich glaube, ich bleibe heute auch zu Hause.“
Die Erkenntnis kam indem ich es aussprach. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich gar nicht weggehen konnte. Selbst wenn Robert nun käme, wäre er sicher so betrunken, dass er sich gar nicht um die Kinder kümmern konnte. Er fiele sicher ins Bett und in einen langen Tiefschlaf.
Ich überlegte was ich machen sollte, wieder zurück ins Bett gehen? Schlafen konnte ich sowieso nicht, so sauer wie ich war, war ich hellwach. Außerdem war es sicher besser, dem Betrunkenen aus dem Weg zu gehen, bevor er noch auf unpassende Gelüste kam. Was bei einer Ablehnung meinerseits passieren konnte hatte ich vor Jahren schon erlebt. Auf eine Wiederholung, eines solchen Dramas, konnte ich gut verzichten.
„Darf ich zu dir ins Bett kommen, Mausi? Rück mal ein Stück.“ Kam mir der rettende Gedanke. Ja, wenn er mich nicht sah, würde er sich sicher sofort schlafen legen. Ramona hob im Halbschlaf die Decke hoch und machte mir Platz.
Ich war irgendwann wieder eingeschlafen, als ich die Wohnungstür laut zufallen hörte. Dann Gerumpel und Gepumpel in der Küche, und nach kurzer Zeit Stille. Mittlerweile war es sieben Uhr in der Frühe, mein Mann war endlich zu Hause und mein Dienst wäre auch schon fast zu Ende, wenn ich hätte arbeiten können.
Anstatt Einsicht oder gar einer Entschuldigung jammerte mein Mann nur über Kopfschmerzen und kotzte sich fast die Seele aus dem Leib. Verzweifelt suchte er nach einem Schmerzmittel das gleichzeitig gegen den Brechreiz half. Dann verschwand er wieder im Schlafzimmer und pflegte seinen Kater. Mir lag jegliches Mitleid fern, so wütend war ich über sein verantwortungsloses Verhalten.
Irgendwann am späten Nachmittag fragte er nach einer Suppe, der Salzhaushalt musste aufgefüllt werden.
„Ich habe keine Suppe. Hilf dir selbst. Mach dir nen Bouillon. Vielleicht hilft das!“ lehnte ich ab, etwas für ihn zu tun.
„Ja, ja, ich weiß, du bist sauer. Aber du siehst doch wie schlecht es mir geht, ist das nicht Strafe genug? Hast du gar kein Mitleid? Dann liebst du mich nicht!“ Jammerte er.
„Mitleid? Das ist ja wohl zu viel verlangt! Musst du nicht so viel saufen, und deinen Verpflichtungen nachkommen, wie es sich für einen Familienvater gehört. Wegen deiner Sauferei konnte ich nicht arbeiten gehen, weil ich die Kinder nicht alleine lassen kann!“
„Immer nur deine Kinder! An mich denkst du gar nicht. Ich bin unwichtig“, knurrte er.
Wütend fuhr ich hoch: „Meine Kinder? Schämst du dich nicht? Es sind auch deine Kinder, mein Lieber. Was bist du denn für ein Vater? Wenn ich das alles gewusst hätte…“
„Was dann, he?“, fiel Robert mir ins Wort. „Dann hättest du mich nicht wieder geheiratet? Oder was? Sei doch froh, dass ich dich wieder genommen habe. Mit dem Anderen hat es ja nicht geklappt. Der hat dich doch nur verarscht, der wollte dich doch nur poppen. Ist doch auch klar, wenn du dich mit nem verheirateten Kerl einlässt, so blöd kannst auch nur du sein.“
Ich antwortete nicht, deshalb verzog er sich wieder ins Schlafzimmer.
Später, nachdem die Kinder im Bett waren, setzte sich mein Mann zu mir auf die Couch und machte auf reumütig.
„Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe, aber ist ja nun nicht mehr zu ändern. Sei nicht mehr böse. Kommt nicht wieder vor, das verspreche ich dir“, versuchte er die Schmeicheltour.
„Ach Robert. Es geht doch nicht darum ob ich böse bin oder nicht. Wie soll das gehen, wenn ich Frühschicht habe? Meinst du mir macht die Arbeit Spaß? Nee, sicher nicht, schon lange nicht mehr. Aber wir brauchen doch das Geld. Und ich kann nicht häufig fehlen, schon gar nicht im Frühdienst. Dann schmeißen die mich irgendwann raus. Dass es an der Versorgung der Kinder liegt ist denen egal, und das glauben die auch nicht, weil ich vor dem Kind schon Probleme mit dem Frühdienst hatte. Solange deine Mutter noch nicht wieder die Kinder versorgen kann, muss ich mich auf dich verlassen können. Sonst kann ich direkt selbst hinschmeißen und kündigen“, versuchte ich meinem Mann den Ernst der Lage zu erklären.
Statt zu antworten, begann er an mir fummeln, wollte Sex.
„Nee Robert, das ist jetzt nicht dein Ernst? Wir haben hier ein lebenswichtiges Thema und du denkst ans poppen? Nee, du, da hab ich aber gar keine Meinung von. Lass mich in Ruhe, ich muss eh gleich schlafen, muss früh raus“! schimpfte ich verärgert und stieß ihn weg.
Es wurde ein kurzer, ungemütlicher Abend.
Schon drei Tage später kam die nächste unangenehme Überraschung.
Ein Taxifahrer, der Kollege von Robert, der meinen Mann zur Arbeit abholte, kam zu uns hoch und verlangte sein Geld.
„Welches Geld?“ fragte ich verdutzt.
„Ach das hatte ich mir am Freitag von ihm geliehen!“ murmelte Robert peinlich berührt.
„Wie viel?“ war mein einziges Interesse.
„Hundertzwanzig“, nuschelte mein Mann kleinlaut.
Das verschlug mir die Sprache. Ich war total geschockt, denn ich hatte weder mit einer solch hohen Summe gerechnet, noch hatte ich die zur Verfügung. Weil Robert verschämt schwieg ergriff ich das Wort. Sagte wahrheitsgemäß: „Tja, so viel Geld haben wir gar nicht hier. Wie können wir das denn jetzt regeln?“
Der Mann schien damit gerechnet zu haben, ahnte vermutlich dass er mich mit einer unbekannten Tatsache konfrontiert hatte, und zeigte Verständnis: „Verstehe. Ja, dann müssen Sie es in Raten bezahlen. Wie viel haben Sie denn jetzt, Frau Woods?“
Ich kramte in meiner Geldbörse und förderte siebzig Mark zum Vorschein. „Das habe ich, aber etwas brauche ich noch. Also Fünfzig kann ich Ihnen schon mal geben, Herr?....“
„Wudke. Herbert Wudke. Hatte ich das eben nicht gesagt? Tschuldigung. Ja, ist gut. Und wie ist es dann mit dem Rest“? fragte der große Taxifahrer und lächelte mich freundlich an.
Sein Verständnis für meine Situation lag im Blick seiner freundlichen blauen Augen, das fand ich sehr sympathisch.
„Wöchentlich? Wenn der Robert seinen Lohn kriegt? “ schlug ich vor, ohne mir bewusst zu sein, dass ich dabei gar keine Summen vorschlug.
Der hübsche große Mann nickte und ich hatte das Gefühl, dass er nur mir zuliebe zustimmte. Denn auch er fragte nicht nach der Ratenanzahl.
Während Herr Wudke mir seine große Hand reichte um sich zu verabschieden, ging Robert zügig zur Treppe. So schnell war mein Mann noch nie zur Tür raus, nur um meiner Standpauke aus dem Weg zu gehen.
Dieser miese Feigling, dachte ich verächtlich. Weil ja klar war, dass mein Zorn schon am nächsten Tag verflogen sein würde.