Читать книгу Kinder kann man sich nicht aussuchen - Ruth Broucq - Страница 4
Junge Mütter lieben anders
ОглавлениеZwar hatte ich mich nicht gerade auf das Baby gefreut, sondern nur die Tatsache Mutter zu werden akzeptiert, aber wenn schon, so wollte ich zumindest einen Sohn zur Welt bringen. Das ich kleine Kinder mochte lag wohl an dem niedlichen kleinen Jungen, den ich in den letzten beiden Schuljahren, liebevoll betreut hatte. Gegen Roberts Albernheit „alle Babys heißen Peter“ widersprach ich energisch, bestimmte einfach, dass ich unseren Sohn Ralf nennen werde. Wenn schon die Vornamen beider Elternteile mit R begännen, müsse der Nachwuchs den gleichen Anfangsbuchstaben haben. Er widersprach nicht, denn es war ihm egal.
Die Geburt, zwei Tage nach dem errechneten Termin, am 24. März, war zwar schmerzhaft aber schnell und demnach leicht, weil das Baby klein und untergewichtig war, es nur viereinhalb Pfund wog. Als die Hebamme mir anschließend zur Geburt einer gesunden Tochter gratulierte entgegnete ich enttäuscht: „Was, nur ein Mädchen? Ich wollte doch einen Jungen!“
Die Hebamme schalt mich undankbar zu sein, ich solle froh sein, dass das Kind gesund sei, auch wenn es sehr klein sei, denn ein Junge hätte mir sicher viel mehr Mühe bereitet. Aus der Traum- also kein Ralf, dann eben eine Ramona, entschied ich spontan, wiederum ohne den Erzeuger um Zustimmung zu fragen.
Als ich jedoch das magere kleine, schrumpelige Ding zum ersten Mal im Arm hielt, überlegte ich, ob ich wohl „Mutterliebe“ für dieses mickrige Wesen empfände. Ich fühlte nichts dergleichen, ich fand es nur hässlich, zumal sie auch rein optisch nicht nach meiner Vorstellung war. Krebsrot, schrumpelig, dünner schwarzer Haarkranz mit Halbglatze, war es mir seltsam fremd. Ob es mir gefiel oder nicht, ich hatte auf jeden Fall nun die Verantwortung dafür. Mich beschäftigte nur die Sorge, wohin mit dem Säugling, da wir beide nun heimatlos waren.
Die Befürchtung obdachlos zu sein erübrigte sich gleich nach der Geburt meiner Tochter sehr schnell. Denn der Anblick seines ersten Enkelkindes, erweichte das harte Herz meines egoistischen Stiefvaters, der keine eigenen Kinder hatte. Von Rauswurf und Schreihals war absolut keine Rede mehr, sondern nur noch Ungeduld, wann die Kleine endlich nach Hause komme.
Das verschob sich um eine Woche, denn Ramona musste noch zum „Aufpäppeln“ im Krankenhaus bleiben. Leichtgewichtige Säuglinge wurden erst entlassen, wenn sie das Mindestgewicht, von fünf Pfund, erreicht hatten. Weil für das „Aufpäppeln“ der Säuglinge die Muttermilch sehr wichtig war, musste ich „Abpumpen“ und meine Milch sammeln. Da ich in dem Krankenhaus in der kleinen Nachbarstadt Haan entbunden hatte, was einige Kilometer entfernt war, musste ich täglich diesen Weg auf mich nehmen. Also fuhr ich jeden Tag eine halbe Stunde mit dem Bus zu dem Krankenhaus, um meiner Tochter die Muttermilch zu bringen.
Zum Abholen der Kleinen nahm meine Mutter sich sogar frei, was an ein Wunder grenzte, weil sie normalerweise eine Workoholikerin war. Als ich sah, wie liebevoll die stolze „Oma“ mit meiner Tochter umging, wusste ich, dass sie mir in Zukunft immer zur Seite stehen würde. Um das Wohlergehen meines Kindes musste ich mir keine Sorgen machen.
Alles Gute hat auch eine schlechtere Seite, in diesem Fall, dass Ramona von meiner Familie total verwöhnt wurde, und sich dadurch zu einer kleinen Terroristin entwickelte.
Zum Verwöhnprogramm meiner Familie gehörte auch, dass die Kleine beim ersten Mucks sofort aus dem Bettchen genommen, und auf dem Arm geschaukelt wurde. Mein Protest wurde ignoriert, denn wenn alle Familienmitglieder keine Lust mehr hatten, warf man mir vor, ich sei eine Rabenmutter, weil ich mich nicht zur Sklavin machen ließ.
Wenn das Kind abends nicht schlafen wollte, hatte meine Mutter ein spezielles Beruhigungsmittel, sie tunkte Ramonas Schnuller in Honig und zwar so lange, bis die Kleine endlich schlief. Das konnte dann einige Gänge ans Kinderbettchen bedeuten. So übertrieb sie es mit ihrer großmütterlichen Liebe. Auf meine besorgten Einwände, wie ich mit dem Kind klar kommen solle, wenn wir mal nicht mehr bei den Großeltern wohnten, reagierte meine Familie mit Schulterzucken.
Wegen der beengten Wohnverhältnisse stand das Kinderbettchen in unserem Mädchenzimmer, das ich mir mit meiner Schwester teilte. Wenn die Kleine nachts schrie, weckte sie nicht nur meine Schwester, sondern auch meine Mutter im Nebenzimmer. Weder ich, noch mein Stiefvater störte dieses Geräusch, wir hatten beide einen sehr tiefen Schlaf. Die Beschwerde der beiden „Nachtbetreuer“ ignorierte ich gelassen. Selbst schuld.
Durch das Verziehen meines Kindes wurde es mir sehr schwer gemacht wirkliche Liebe für meine Tochter zu empfinden. Die Erziehung wurde mir aus der Hand genommen, aber man wollte mir die Arbeit aufbürden, die Fehler meiner Familie wieder auszubügeln. Sie hatten das Vergnügen- ich die Last. Das verweigerte ich energisch. Aber wie hätte ich mich gegen fünf Personen, meine Eltern, meine Großmutter, meine Schwester und Schwager wehren können? Ich war auf die Familie angewiesen. Also schaltete ich auf stur.
Zwar entwickelte sich Ramona zu einem niedlichen, sehr aufgeweckten Kleinkind, das in allem sehr früh war. Sie lief schon mit neun Monaten, und sprach ganz klar und deutlich mit einem Jahr vollständige Sätze ohne Babysprache.
Dennoch war das kleine Mädchen das krasse Gegenteil von meinem Wunschkind.
Sie hatte keine Ähnlichkeit mit mir, denn sie wurde zu einem kleinen, dicken, weißhäutigen Kind mit hellblonden Haaren und grünen Augen. Ich verstand nicht, wieso sich die Hellhäutigkeit ihres Vaters gegen meine Gene durchsetzen konnten. Als Brünette mit braunen Augen musste mein Kind doch eigentlich nach mir kommen. Welch seltsames ungerechtes Ergebnis unserer Vereinigung.
Ramona war zwar ein lebendiges, neugieriges aber auch sehr anhängliches Kind, die immer die Nähe und den Rückhalt der Erwachsenen suchte, außer Haus keinen Schritt alleine gehen wollte. Sie klebte der Begleitperson immer an der Hand. Meist war ich das und es war mir oft lästig.
Nur Autofahren war mit ihr eine Katastrophe, sie konnte keine Schaukelei vertragen. Sie kotzte schon nach wenigen Metern, und ihr Vater tat es ihr gleich. Er schaffte es, zum Glück, immer bis zum Straßenrand, Ramonas Ergebnis landete fast immer auf dem Rücksitz, und ich durfte es dann reinigen.