Читать книгу Kinder kann man sich nicht aussuchen - Ruth Broucq - Страница 6
Wunsch und Wirklichkeit
ОглавлениеDie zweite Schwangerschaft war zwar ganz anders als die erste, aber auch sehr schwierig. Zwar hatte ich keine Probleme mit Übelkeit, aber ich musste einen ganzen Zentner Gewicht mit mir rumschleppen. Vermutlich nahm ich so viel zu, weil ich gleich zu Beginn das Rauchen aufgegeben hatte, und dementsprechenden Appetit entwickelte.
Schon ab dem dritten Monat konnte ich mir nicht mehr alleine die Schuhe zubinden, so eine mächtige, spitze Kugel hatte ich vorgebaut. Ständig wurde ich gefragt, ob ich Zwillinge erwarte. Aber am schlimmsten war mein Heuschnupfen, den ich monatelang ertragen musste, weil ich keine Medikamente nehmen durfte.
Die Geburt war eine Tortur, denn ich hatte zwölf Stunden lang starke Wehen, in gleichbleibenden fünfminütigen Abständen, bis der Arzt endlich die Geburt einleitete. Dass ein Junge mir mehr Schwierigkeiten machen würde als ein Mädchen, hatte mir schon die Hebamme bei Ramonas Geburt prophezeit. Aber dass mein Sohn nicht nur viel schwerer und noch dazu ein Querkopf war, sollte sich zusätzlich quälend auswirken, sondern auch die Dauer. Die Ärzte nannten es „Scheitellage“, als die Geburtshelfer den Jungen trotzt falscher Kopflage gewaltsam durch den zu engen Ausgang zerrten. Das führte bei mir zu einem „Dammriss“, was die Ärzte nicht einmal bemerkten. Aber ich umso heftiger!
Dennoch war ich sehr glücklich, als mein kleiner Sohn mit langen schwarzen Haaren auf die Welt kam, sodass mich seine blauen Augen nicht störten. Zumal mir Jeder sagte, dass es bei Neugeborenen normal sei, dass die Augenfarbe sich sicher noch ändern werde. Zumindest hatte ich nun die Hoffnung mein Wunschkind geboren zu haben, und die ganze schwere Geburt wich meinem Mutterglück. Also sollte das Mädchen meinetwegen dem Vater gleichen, aber mein Stammhalter würde mein Abbild werden.
Robert besuchte inzwischen die Meisterschule in Dortmund, sodass wir uns sehr einschränken mussten. Dadurch wurden unsere Lebensverhältnisse enorm schwierig.
Wieder zu Hause hatte ich alles alleine am Hals, ein Schulpflichtiges Kind, einen Säugling, und viel zu wenig Geld für die Kosten. Dazu ein Familienvater, der nur staatliche Beihilfe zur Ernährung beitrug, und mein geringes Krankengeld in der Schonzeit nach der Geburt, reichten vorn und hinten nicht. Robert war mir auch häuslich absolut keine Hilfe, weil er selten zu Hause war und er auch keine Rücksicht auf die knappe Familienkasse nahm.
Umso mehr wurde Ramona eine unersetzliche Hilfe bei der Beaufsichtigung ihres kleinen Bruders. Sie liebte den Kleinen abgöttisch, war für ihn eine kleine Ersatz-Mutter. Auch wenn sie manchmal maulte, wenn sie den kleinen Bruder im Kinderwagen mit zum Spielen nehmen musste, so waren die beiden doch eine liebevolle eingeschworene Gemeinschaft.
Obwohl sich der Junge eigentlich sehr gut entwickelte und optisch vor Gesundheit strotzte, entdeckte ich eines Tages, dass er eine seltsam gebogene Haltung hatte, wenn er auf dem Bauch lag. Kaum sechs Monate alt, ließ ich ihn daraufhin untersuchen. Unser Hausarzt lobte meine gute Aufmerksamkeit, und schickte mich mit dem Kind zum Röntgen.
Rene hatte eine Krümmung im oberen Brustbereich der Wirbelsäule, was bei der Geburt passiert sein musste. Kein Wunder bei dem Gezerre und der falschen Lage des Säuglings.
Zum Glück ließ sich die Fehlstellung der Wirbelsäule durch Krankengymnastik begradigen. Das hieß für mich, dass ich ein Jahr lang, wöchentlich zwei Mal mit dem Jungen zur Physiotherapie musste. Natürlich blieben auch diese Wege allein mir überlassen.
Leider musste ich erkennen, dass mein Ehemann unverändert sein egoistisches Säuferleben weiterführte, und ich nun die Verantwortung für zwei Kinder und Ehemann hatte, und dass Roberts ständige Eskapaden uns auch noch Schulden einbrachten, für deren Abtragung ich arbeiten musste, weil es ja Jemand machen musste.
Auch Roberts unkontrollierten Wutausbrüchen, die unter Alkoholeinfluss immer wieder durchbrachen, und sich gegen mich richteten, konnte ich mich nur durch Flucht ins Kinderzimmer entziehen. Manchmal bedrohte er mich sogar mit seinem Revolver, wovor die kleine Ramona mich beschützte. Denn die Kinderzimmertür war eine Hemmschwelle des Betrunkenen, die er niemals überschritt.
Während Ramona ein sehr sensibles, nerviges Kind war, konnte ich bei Rene nur das Gegenteil feststellen. Er war ruhig und robust, als Kleinkind mit Kleinigkeiten zufrieden zu stellen. Mit einem Apfel, einer Banane oder einem Stück Brot konnte er sich friedlich mümmelnd endlos lange beschäftigen. Auch aß er alles, und konnte es nicht ertragen, Essen wegzuwerfen. Wenn wir bei Tisch Reste auf unseren Tellern ließen, wollte er das grundsätzlich aufessen.
In seiner niedlichen Kleinkindsprache sagte er dann: „Nicht wegwerfen, Rene geben, ich aufessen.“
Obwohl ich von seiner äußerlichen Veränderung enttäuscht wurde, weil Renes Haare immer heller wurden, und das Blau seiner Augen sich zu grün veränderte, war er insgesamt mein absoluter Sonnenschein. Den Jungen liebte ich über alles und ich hätte niemals gedacht, dass sich das einmal ändern könnte. Aber durch eine langwierige Krankheit kam der erste Bruch in dieses innige Verhältnis. Im Alter von zwei Jahren erkrankte Rene an einer beginnenden Hüftgelenk-Entzündung, was von unserem Hausarzt zum Glück richtig diagnostiziert wurde.
Nach einem langen, sechswöchigen Aufenthalt auf der Isolierstation der Klinik, waren wir dem Jungen fremd. Weil wir ihn die ganze Zeit nicht besuchen durften, erkannte er uns erst gar nicht. Nur als er seine Schwester sah, rief er freudig: „Mona, Mona.“ Die erkannte er. Mir gegenüber war seine Zuneigung leider deutlich abgekühlt. Traurig hoffte ich auf Besserung seines Nähe Bedürfnisses.
Ich hatte jedoch nicht die Zeit mich mehr um ihn zu bemühen, denn das verhinderte Roberts Leichtlebigkeit, die mich letztendlich zur Arbeit im horizontalen Gewerbe zwang. Weil meine Schwiegermutter mich ständig auf meine Verantwortung hinwies, und dass sie sicher sei, dass ich alles in den Griff kriegen werde, blieb mir letztendlich nur der letzte Schritt ins Milieu, so überschuldet waren wir.
Robert hatte damit kein Problem, sondern im Gegenteil, wurde seine Arbeitsmoral immer kleiner aber seine Wünsche immer größer. Er fühlte sich wohl in der Rolle des Zuhälters, auch wenn er sich selbst nicht so sah.
Natürlich führte das zu häufigen Auseinandersetzungen, die irgendwann zur Trennung führen mussten. Aber mit zwei Kindern konnte ich nicht zurück zu meinen Eltern, deshalb überlegte ich auszuziehen. Als ich es nicht mehr aushielt suchte ich mir eine Wohnung. Weil Robert nicht mit dem Auszug der Kinder einverstanden war, ließ ich mich darauf ein, dass die Kinder in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Wir vereinbarten, dass die Kinder nur am Wochenende zu mir kommen sollten.
Auf die Art hatte ich Wochentags die Möglichkeit in meiner großen Wohnung meinem Gewerbe nachzugehen, und Robert kassierte eine saftige Unterhalts-Summe von mir. Auch die Kinder schienen mit dieser Lösung zufrieden zu sein. Sie entwickelten sich gut. Alles schien okay.
Zwar hatte ich mir mein Leben anders vorgestellt, das glückliche Familienleben, das ich mir gewünscht hatte, gab es leider nicht, weil Robert der falsche Partner dazu war, aber Wunsch und Wirklichkeit sahen eben unterschiedlich aus. Auch der Wunsch hinsichtlich der Äußerlichkeit meiner Kinder hatte sich nicht erfüllt, dennoch liebte ich beide, war froh dass sie gesund und munter waren. Charakterlich waren beide sehr verschieden.
Als krasses Gegenteil seiner großen Schwester, war Rene selbstständiger als sie, risikofreudig und er half seiner Schwester mit seiner vorwitzigen, kommunikativen Art oft weiter, sodass man vermuten konnte, er sei der Ältere. Was natürlich optisch widersprach.
Dafür war Ramona eine gute fleißige Schülerin. Rene jedoch Legastheniker, was der kleine Strolch gerne zum eigenen Vorteil nutzte. Er entwickelte sich zu einem ausgesprochenen Schlitzohr, machte ständig irgendeinen Unfug.
Seine Mitmenschen fanden den kleinen blonden Lockenkopf niedlich, weil man seinem Charme einfach nicht widerstehen konnte. Aber er hatte es Faustdick hinter den Ohren, nutzte die entgegengebrachten Sympathien schamlos aus. Man verzieh ihm alles, jede Dummheit.