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Kapitel 10: Der Jäger
ОглавлениеDie Abteilung AKE, wie sie landläufig genannt wurde, im Gebäude des Innenministeriums, hatte gerade einmal zwanzig Mitarbeiter, sechs davon besaßen eine Spezialausbildung für den Außendienst. Der Leiter der Abteilung war vor Kurzem in den Ruhestand getreten. Wegen Budgetstreitigkeiten gab es zurzeit nur einen stellvertretenden Leiter, einen Quereinsteiger, der mit seiner neuen Rolle alles andere als glücklich war und so schnell wie möglich aus der Abteilung wieder weg wollte.
Der letzte große Klon-Fall war nun schon drei Monate her. Die meisten jener Fälle wurden bereits von der Polizei aufgeklärt, noch bevor der Klon überhaupt in Produktion ging. Die Notwendigkeit der Abteilung wurde von der Politik und der Öffentlichkeit oft angezweifelt. Viele, von den wenigen, die in jener Abteilung arbeiteten, sahen das nicht anders. Nur einer von ihnen war ein glühender Verfechter der AKE: Marc Gardé. Ein Mann Anfang dreißig, der eine steile politische Karriere hätte machen können, wenn er nicht so versessen auf das Jagen von Klonen gewesen wäre. Er wollte den Chefposten, und er hatte vor, die AKE nicht abzuwickeln, sondern im Gegenteil zu vergrößern und ihre Kompetenzen auszubauen. Seine Gegner hielten ihm vor, dies sei aufgrund der geringen Zahl an Klon-Fällen absurd. Doch Marc wusste besser als die meisten, dass die Dunkelzahl an illegalen Klon-Produktionen dramatisch hoch war. Reiche und berühmte Menschen, die viel in der Öffentlichkeit unterwegs waren, machten von der Möglichkeit, ein Duplikat von sich selbst zu erschaffen, häufig Gebrauch. Und aufgrund ihres Einflusses und ihrer Kontakte zu Politik und Behörden kamen sie damit fast immer straffrei davon. Diese Menschen und ihre Klone bloßzustellen, war Marcs Ansinnen. Er hasste deren öffentlich zur Schau gestellte Ignoranz gegenüber Gesetzen. Nur wenn Marc einen neuen Klon-Fall medienwirksam aufklären und den Täter dingfest machen würde, hätte er eine reelle Chance, zum Abteilungsleiter aufzusteigen und dann seine Arbeit mit Unterstützern aus dem Umfeld der Sprung-Evolutionären auf die Reichen und Schönen dieser Welt auszuweiten. Er könnte zum Star-Klonjäger werden, so jedenfalls erträumte er es sich.
Marc war Mitglied der Sprung-Evolutionären. Denn wie alle deren Mitglieder war er selbst vom Scheitel bis zur Sohle genetisch optimiert worden: Er war schlank, gut aussehend, athletisch, verfügte über eine überdurchschnittliche Intelligenz und eine schnelle Auffassungsgabe.
Marc saß in seinem Büro und verfolgte am Holo-Projektor eine Live-Übertragung aus dem Parlament, als zwei Kollegen mit einem Tablet hereinkamen.
»Marc! Wir haben hier etwas. Das dürfte dich interessieren«, rief einer von ihnen aufgeregt.
»Was denn? Wieder irgendein illegal geklontes Wauwauchen?« Tier-Klone waren leider ebenfalls Bestandteil von Marcs Arbeit. Diese waren zwar nicht grundsätzlich verboten, aber es gab immer mehr künstlich designte Tierarten, deren Überlebensfähigkeit oft stark begrenzt war.
»Nein. Ein Mensch. Wir haben eine ziemlich gut begründete Meldung bekommen.«
»Name?« Marc sah weiter zum Holo-Projektor. Ein echter Klon-Fall - daran glaubte er nicht. Das wäre zu schön.
»Robert Mester. Er arbeitet in einem Server-Verteilerknoten in der Innenstadt. Er lebt alleine und hat keine Verwandten mehr.«
»Und?«
»Unser Tippgeber hat Mesters jüngstes Verhalten als atypisch beschrieben. Unkonzentriertheit, leichte Erregbarkeit, spontane Phasen von Hyperaktivität, Stimmungsschwankungen und noch einiges mehr. Alles typische Auffälligkeiten von der letzten Generation von Klonen, die heute zum Spottpreis vor allem im asiatischen Raum angeboten werden.«
»Hm. Hat die Polizei schon bei ihm geklingelt?«
»Nein. Ich habe gerade mit denen telefoniert. Die glauben nicht, dass dies ein echter Fall sein könnte. Wie sollte sich jemand wie Mester einen Klon leisten können? Sie wollen der Sache nicht nachgehen.«
Marc überflog die wichtigsten Daten über Robert Mester. »Da haben die wohl Recht. Der Typ ist doch der geborene Loser. Der hätte nicht mal genug Geld, um seinen Wellensittich zu klonen. Wenn die Polizei sich damit nicht beschäftigen will, dann...« Marc fiel etwas auf. »Hier ist ein Vermerk, dass seine Tante vor Kurzem verstorben ist.«
»Ja, das stimmt.«
»Was ist mit ihrem Erbe geschehen?«
»Ging vermutlich an ihre Verwandten. Sie lebte in Wladiwostok. Da bekommen wir seit der diplomatischen Eiszeit nur schwer Informationen her.«
»Wenn sie Nachkommen hätte, stünden die auch in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Mester. In seiner Datei steht aber, er habe definitiv keine Verwandten mehr. Er wurde kurz nach seiner Geburt anonym in einer Babyklappe abgegeben. Die Genanalyse hat nur seine Tante als Verwandte identifizieren können.«
»Möglich, dass es keine Verwandten gibt. Die Datei kann aber auch unvollständig sein.«
Marc drehte sich auf seinem Bürostuhl einmal um sich selbst. Dann las er noch einmal die ganze Anzeige durch, die Mesters angeblich anormales Verhalten beschrieb.
»Vielleicht sollten wir ihm doch mal einen Besuch abstatten.«
»Na endlich! Ich wusste es! Wenn Marc Retortenfleisch wittert, ist er nicht mehr zu halten«, freute sich der andere Kollege. Sein Name war Thomas Stobeck. Er arbeitete meist mit Marc eng zusammen. Stobeck war ebenfalls genetisch optimiert worden, doch bei ihm hatte es Komplikationen gegeben. Er erblindete infolge mangelhaft durchgeführter Genmanipulation in jungen Jahren vollständig und besaß nun zwei Augenprothesen, die von echten Augen nur dadurch zu unterscheiden waren, dass sie je eine metallisch glänzende Iris besaßen – Discountmodelle. Für mehr hatten seine Eltern damals kein Geld. Dafür konnte Stobeck jetzt bis zu zweimal besser sehen als ein genetisch nicht optimierter Mensch.
»Freu dich noch nicht zu früh. Ist nur so ein Gefühl, aber an dem Fall könnte was dran sein. Mehr als eine Befragung dürfen wir ohnehin nicht machen.«
»Außerdem müssen wir der zuständigen Dienststelle der Polizei Bescheid geben, dass wir ihn aufsuchen, sonst machen sich die Datenschützer gleich wieder in die Hose. Den Fall habe ich nämlich durch meine Kontakte aufgegriffen. Von sich aus hätte die Polizei uns nichts mitgeteilt«, sagte der erste Kollege.
»Mach das. Thomas und ich gehen diesen Mester morgen besuchen.«
»Gut. Wir gehen jetzt in der Kantine essen. Kommst du mit? Oder sollen wir dir etwas mitbringen?«
»Mir ist jetzt nicht nach Essen zumute. Was ich brauche, ist eine schöne Portion frisches Retortenfleisch auf einem Silbertablett, das ich diesen unverbesserlichen Gutmenschen im Parlament, die unsere Abteilung schließen wollen, vor die Füße werfen kann.«
Stobeck grinste. »Na dann, Marc. Gute Jagd.«