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Sie hatten die Bergsgata fast schon wieder erreicht, als bei Monika ein Anruf von der Wache einging, wo sich ein Zeuge gemeldet hatte. Ein Flieger namens Erik Olsson.

Endlich! Wenn Lottie wirklich ermordet worden war, dann konnte ein zuverlässiger Zeuge beide Probleme lösen; die Frage nach Lotties Tod und die nach Idriss. In ruhigeren Zeiten hatte Monika Zeugen bisweilen als zu leichte Lösung betrachtet, als Pfusch sozusagen. Jetzt aber hoffte sie nur, dass sie bald in Erfahrung bringen würde, wie Lottie ums Leben gekommen war und wer dafür die Verantwortung trug. Sie nahm an, dass die von Tür zu Tür gehenden jungen Kollegen den Zeugen gefunden hatten und bedachte sie mit einem freundlichen Gedanken.

Der Zeuge war jetzt wichtiger als der Anrufbeantworter mit seinen vorwurfsvollen roten Augen und die Briefstapel. Sie bat Idriss, die Gespräche dieses Tages zusammenzufassen.

Erik Olsson entpuppte sich als hilfsbereiter Mann von Mitte 30 mit frischgebügeltem Hemd und frischgeschnittenen Haaren.

»Ja, also, der erste Polizist, mit dem ich gesprochen habe, hat gesagt, ich sollte mich an Sie wenden wegen etwas, das am Donnerstag passiert ist.«

»Am Donnerstag? In der Igeldammsgata?«

»In der Igeldammsgata?«, wiederholte der Mann verwirrt.

Erik Olsson war offenbar nicht der Zeuge, auf den Monika gehofft hatte. Sie fragte sich, warum David ihn an sie verwiesen hatte, doch da David niemand war, der Aufgaben weiterreichte, um sich damit selbst Ruhe zu verschaffen, musste Erik Olsson ihr doch etwas Wichtiges zu berichten haben.

Sie führte ihn in ein kleines Besprechungszimmer und setzte sich auf einen der unbequemen Stühle.

»So, und nun erzählen Sie mir bitte, was am Donnerstag passiert ist.«

»Also, ich wollte nach Hause gehen, genauer gesagt, ich wollte zum Bus, ich wohne in Jakobsberg, und da habe ich etwas gesehen, was mir keine Ruhe lässt...«

Monika begann, in Gedanken zu zählen. Eins, zwei, drei...

»Zuerst zwei Brüste, die gegen das Glasfenster in einer Haustür gepresst wurden.«

Er wand sich sichtlich.

»Ich war auf dem Weg nach Hause zu meiner Frau und meinen beiden kleinen Töchtern. Es war... sie waren...« Er errötete, verstummte und sagte dann unsicher: »Irgendwie... ästhetisch.«

Monika versuchte es ihm ein wenig einfacher zu machen.

»Es wäre sicher unnatürlich, nicht stehen zu bleiben, wenn man durch eine einsame dunkle Straße geht und hinter einer Glasscheibe zwei ästhetische Brüste sieht.«

Er nickte dankbar.

»Ja, und dann wurde der Oberkörper einige Male sehr viel härter gegen das Glas gepresst. Es war so eine Tür, wo das obere Drittel aus einem Fenster besteht.«

Dann verstummte er wieder und starrte auf den Boden.

»Dann ist die Person hinter der Tür nach unten gesunken, mit Brust und allem, sie hatte lange dunkle Haare, und danach war das Fenster leer.

Als ich meiner Frau am nächsten Morgen zum Abschied einen Kuss gegeben habe, musste ich wieder an das Mädchen hinter der Tür denken ‒ ich konnte nicht begreifen, wie ihre Brust in Fensterhöhe sein konnte. Wenn meine Frau dort gestanden hätte, wäre höchstens ihr Gesicht zu sehen gewesen.«

Jetzt hatte er den peinlichen Teil hinter sich und sein Redefluss stockte nicht mehr ganz so sehr. »Ich dachte, dass sie vielleicht auf einem Hocker gestanden hat und heruntergerutscht war, oder dass jemand sie hochgehoben und dann fallen gelassen hatte, aber das kann nicht stimmen. Sie fiel so glatt zu Boden, und das tut man doch nicht, wenn man das Gesicht einer Wand oder einer Tür zukehrt ‒ dann fällt man rückwärts oder zur Seite.«

Er blickte Monika mit hilfloser Miene an.

»Und ich glaube, dass sie vielleicht Blutspuren am Fenster hinterlassen hat. Deshalb habe ich mich die ganze Zeit gefragt, ob ich die Sache melden sollte. Aber vielleicht habe ich mir das meiste ja nur eingebildet. Auf alle Fälle konnte ich seitdem nicht schlafen.«

Monika hatte das Gefühl, nur eine bleiche Kopie ihrer üblichen freundlichen Miene liefern zu können. Sie sagte: »Was Sie da erzählen, passt genau zu einem Fall, den wir gerade untersuchen. Sie haben eine Misshandlung gesehen, und es ist sehr gut, dass Sie hergekommen sind. Für uns ist das eine große Hilfe.«

»Wie geht es ihr?«

»Sie hat schwere Verletzungen, aber keine lebensgefährlichen. Wissen Sie noch, welches Haus das war?«

»Ja, hier ist die Adresse.«

Die Adresse war sorgfältig auf dem Briefpapier einer Fluggesellschaft notiert, außerdem waren dort der Name des Mannes und seine Telefonnummer angegeben.

»Danke. Ein Kollege, Janne Larsson, wird diesen Fall übernehmen. Er meldet sich bei Ihnen. Danke für Ihren Besuch.«

Erik Olsson wirkte jetzt so entspannt, als sei soeben das größte Problem seines Lebens gelöst worden. Als er zur Tür ging, sah er aus, als hätte er aus purer Erleichterung am liebsten zu pfeifen angefangen.

Monika steckte den Zettel in ihre Tasche. Sie hatte zwanzig Minuten verloren, aber das konnte sie Janne zuliebe ja bestimmt verkraften.

Der Mann mit den Brüsten war bewusstlos, nackt und mehr mit Blut verschmiert, als sie es je für möglich gehalten hatten, vor dem Västra Sjukhus gefunden worden. Der Dienst habende Chirurg hatte eine gerichtsmedizinische Untersuchung vorgenommen, Polaroidfotos angefertigt und danach die Polizei verständigt. Er erklärte, dass er sich Sorgen um die Sicherheit des Patienten mache, es liege ein Fall von grober Misshandlung vor, und er wolle auf seiner Station keine Gewalttätigkeiten erleben müssen. Nebenbei erwähnte er, dass den muskulösen Rücken des jungen Mannes zwei formvollendete Brüste zierten. Monika hatte sofort am nächsten Morgen vorbeigeschaut.

Der Mann mit den Brüsten war bei Bewusstsein, als sie kam. Er war schwer verletzt, wollte aber keine Anzeige erstatten, obwohl er den Täter kennen musste. Er glaubte nicht, dass er noch in Gefahr schwebte. Es sei ein Unfall gewesen, sagte er, sein Beruf, so wie ihrer, bringe eben Risiken mit sich. Sein Lächeln war überzeugend gewesen, trotz seiner geplatzten Lippe, als er ihre Frage nach seinen Brüsten mit einem Scherz abgetan hatte. »Die? Die sind total gefühllos und damit einer meiner wenigen Körperteile, die mir im Moment keine Probleme machen.«

Als Polizistin fühlte sie sich manchmal nicht nur den Tätern gegenüber hilflos, bisweilen war es fast schlimmer, wenn das Opfer die Zusammenarbeit verweigerte. Wenn sie Hilfe und Schutz anbot und dann abgewiesen wurde.

Aber jetzt musste eben Janne sehen, wie er mit der Sache fertig wurde.

Sie ging ihre Post holen. Das Fach war fast voll, was sie so schrecklich fand, dass sie am liebsten alles liegen gelassen hätte. Sie wusste ungefähr, was sich in diesem Stapel versteckte ‒ vor allem Mitteilungen von Menschen, die von ihr Dinge verlangten, für die ihre Zeit einfach nicht ausreichte.

Sie schleppte den Poststapel in ihr Zimmer. Einen Augenblick lang fühlte sie sich versucht, alles ungelesen in den einladenden blauen Papiercontainer zu stopfen, riss sich aber zusammen.

Ganz oben lag ein Fax von Håkan Götsten, Orthopädie, Västra Sjukhuset.

EILT SEHR.

Ruf! Mich! An!

Er hatte die Nummer seines Büros, seines Mobiltelefons und seines Europiepers hinterlegt. Sie schob die Unterlagen, die sie aussortiert hatte, in eine gelbe Plastikmappe, legte das Fax dazu und schrieb in großen Buchstaben: »DRINGEND!« darauf. Dann rief sie Håkan Götstens Mobilbox an und informierte ihn, dass ein tüchtiger Kollege namens Janne Larsson den Fall übernommen habe, er sei eben erst aus dem Erziehungsurlaub zurückgekehrt und werde sich sicher sehr bald melden.

Sie versuchte noch einmal Janne anzurufen, der jedoch nicht an seinem Platz war, wie sie besorgt feststellte.

Danach suchte sie sich die Unterlagen über den Mann mit den Brüsten heraus, zog Erik Olssons Zettel aus der Tasche und legte ihn dazu. Danach fühlte sie sich ein wenig besser, sie hatte Angst gehabt, ihn zu vergessen und ihn als gewaschenen und geschleuderten Papierklumpen in ihrer Hosentasche zu finden, wenn sie die Hose zum nächsten Mal anzog. Sie schrieb einige erklärende Zeilen und endete mit einem PS: Stell fest, ob der Mann mit den Brüsten Abzüge der Polaroidfotos hat ‒ besteht das Risiko, dass er sich als Erpresser versucht?

Schön. Zwei Sachen fast aus der Welt.

Sie fing an ihren Poststapel zu sortieren. Alles durchzuarbeiten, würde fast einen ganzen Tag in Anspruch nehmen. Danach wären die Unterlagen gelesen, die Briefe beantwortet, die Telefongespräche geführt und die Berichte geschrieben gewesen. Außerdem wären die Zeugen verhört und die Hintergrundinformationen überprüft worden. Das Fach wäre wieder leer gewesen, und Daga hätte sich Kommentare zu ihren Vorschlägen für weiter gehende Effektivierung der Tagesabläufe anhören müssen. Die Kollegen von der Wache Norrmalm hätten eine Unterschrift auf eine Liste bekommen, in der die Wiedereinstellung bestimmter ziviler Mitarbeiter gefordert wurde, und Monika hätte sich Zeit nehmen können, um die Personalzeitung zu lesen.

Das meiste aber würde sie niemals schaffen. Die Personalzeitung landete gleich im Papierkorb. Alles, was nicht dringend war, legte sie auf einen der wachsenden Papierstapel auf ihrem Schreibtisch. Was sofort erledigt werden musste, kam auf einen anderen Stapel, mit dem sie nach besten Kräften arbeiten musste. Vielleicht könnte sie Daga dazu überreden, Janne noch einen oder zwei Fälle zu übertragen, damit Monika sich auf Lottie konzentrieren könnte, sollte sich das alles nun tatsächlich als Mordfall erweisen.

Die Stapel schienen ihr sämtliche Energie zu rauben ‒ es schien keinerlei Sinn zu haben, irgendetwas anzufangen, sie würde ja ohnehin nicht einmal das Wichtigste schaffen.

Sie wünschte sich jemanden, mit dem sie reden könnte. Und weil sie niemanden hatte, versuchte sie es mit sich selbst.

»Etwas ist immer besser als nichts. Besser ein Drittel zu schaffen als ein Zehntel, ich kann nur einen Schritt nach dem anderen machen, eine Aufgabe nach der anderen erledigen. Also los!«

Sie begann mit einer Sache, die eigentlich schon längst hätte abgeschlossen sein sollen. Es ging um einen Russen, der sehr schnell eine Schwedin geheiratet hatte, deren Schwangerschaft ungefähr ebenso alt war wie die Bekanntschaft der beiden. Die Eheschließung und das erwartete Kind hatten die Ausweisung verhindert, weshalb der Mann jetzt ein Problem für die schwedische Justiz statt für die russische darstellte. Monika fand, dass seine neue Frau auf irgendeine Weise zur Rechenschaft gezogen werden müsste. Sie versuchte, das letzte Gerichtsprotokoll noch einmal zu lesen, verlor dabei aber immer wieder den Faden.

Als an die Tür geklopft wurde, war sie froh über diese Unterbrechung.

»Monika, hier ist eine Zeugin für dich.«

»Das geht nicht. Ich muss all das hier erledigen. Außerdem soll ich mich auf Lottie Hagman konzentrieren.«

»Diese Zeugin will über Lottie Hagman reden. Sie ist außer sich vor Panik.«

»Hat sie etwas gesehen?«

»Das musst du sie selbst fragen ‒ ich weiß nur, dass sie glaubt, sie könnte eine ungeheuer wichtige Aussage machen, und dass sie Angst hat.«

Die Zeugin entpuppte sich als eine große Frau von Mitte siebzig, die wirklich verängstigt aussah, trotz ihrer trüben Blicke und der leicht verlangsamten Bewegungen, die Monika zu der Annahme brachten, dass eine Durchsuchung der Taschen dieser Frau mindestens eine Flasche mit Beruhigungsmitteln zu Tage fördern würde.

Die Frau reichte ihr zu ihrer Überraschung als Erstes einen in mehrere Plastiktüten gewickelten Gegenstand.

Monika nahm das Paket ‒ ein Buch? ‒ entgegen und stellte sich vor.

»Ich heiße Gerd Hellsing. Ich wohne im Kattgränd 6, in Söder, und ich muss ein Geständnis machen.«

Monika warf einen geschulten Blick auf die Unterarme der Frau. Runzlige weiße Haut hing locker über der wenigen noch vorhandenen Muskelmasse. Ihre Kraft reichte zweifellos aus, um eine Kaffeetasse zu heben, aber nie im Leben für den Mord an Lottie. Schade.

»Ja?«

»Ich habe überwacht, oder vielleicht sollten wir sagen, spioniert. Es steht alles in dem Buch. Ich brauche Schutz.«

»Vor wem?«

»Vor denen da draußen.« Sie beugte sich zu Monika vor. »Die Lottie umgebracht haben.«

»Wissen Sie, wer das war?«

»Die, die nicht wollten, dass alles herauskommt.«

»Was denn?«

»Die Wahrheit über Jennys Liebhaber.«

»Und die steht hier in diesem Buch?«

Gerd nickte.

Monika spielte mit dem Gedanken, einfach aufzustehen und das Zimmer zu verlassen. Diese Oma hier war ein Fall für den Psychiater, aber wenn die Adresse stimmte, dann wohnte sie immerhin im selben Haus wie Jenny. Außerdem war die Alternative ‒ Monikas überladener Schreibtisch ‒ auch nicht gerade verlockend.

Sie wickelte die Plastiktüten auseinander, bis sie auf einen Spiralblock stieß, in den täglich Zeiten und kurze Kommentare mit umständlicher, steifer Handschrift eingetragen worden waren. Die Handschrift war umständlich und starr. Monika schlug die letzte Seite auf. Unter dem Datum vom Sonntag fand sie drei Vermerke:

 

 09.30: Geht. Aktentasche.

 

 18.30: Kommt nach Hause, zusammen mit M.

 

 23.30: M. geht. J. badet.

Monika schaute in die graublauen Augen, die sie unsicher anblickten.

»Haben Sie Buch über Jenny Hagmans Tagesablauf und über ihre Besucher geführt?«

»Lottie brauchte Hilfe. Jenny war keine einfache Tochter. Erzählte nichts.«

»Und deshalb haben Sie sie Lottie zuliebe im Auge behalten?«

Die Frau nickte. Sie sieht aus wie ein Gespenst, dachte Monika, fast blutleer mit ihrer weißen Haut, fast nicht mehr menschlich mit ihrem starren Gesicht.

»Wir wohnen ganz oben im Haus, und ich habe einen Türspion. Ich kann den Fahrstuhl und Jennys Tür sehen.«

»Und warum glauben Sie, dass jemand Lottie ermorden würde, um diesen Block an sich zu bringen?«

»Weil er Macht hat. Ich brauche Schutz.«

»Wer hat Macht?«

»Der Mann, der Jenny besucht. Er hat Kontakte. Er ist verheiratet.«

»Und Sie glauben, dass seine Kontakte Lottie umgebracht haben, weil Sie ihr erzählt haben, dass er sich mit Jenny trifft?«

»Ja. Wie werden Sie mich vor ihm schützen?«

»Weiß Jenny, dass Sie über sie Buch führen?«

»Nein.«

»Woher kann der Mann, den Sie im Verdacht haben, es dann wissen?«

»Sicher hat Lottie es verraten. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Vielleicht hat sie meinen Namen erwähnt.«

»Sind Sie sicher, dass die Zeiten am Sonntagabend stimmen?«

Gerd nickte.

»Und Sie haben wirklich Jenny und denselben Mann wie vorher gesehen?«

»Die beiden kann man nicht verwechseln. Ich traue mich kaum noch allein zu sein.«

»Wenn Sie uns den Block überlassen könnten, dann bitten wir die Kollegen in Söder, Ihr Haus besonders gut im Auge zu behalten. Und Sie können jederzeit anrufen. Sind Sie damit zufrieden?«

Gerd machte ein skeptisches Gesicht, vermutlich wären ihr zwei uniformierte Polizisten, die rund um die Uhr vor ihrer Tür Wache standen, lieber gewesen. Am Ende nickte sie jedoch, und Monika sah, dass sie ungeheuer müde wirkte, ihre Kräfte waren jetzt wohl wirklich aufgezehrt. Vermutlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass die Polizei lügen könnte. Monika hatte keineswegs vor, die Kollegen in Södermalm zu verständigen.

Als die alte Dame gegangen war, fragte Monika sich, ob sie sich wohl jemals daran gewöhnen könnte, nicht mehr alles mit Mikael zu besprechen. Sie hätte ihn gern gefragt, was er von einer Mutter hielt, die ihre Tochter überwachen ließ, ob er Gerds Geschichte für wahr hielt oder nicht, ob er glaubte, dass auf die Beobachtungen der alten Frau Verlass sei. Ob er glaubte, dass manche ihre Strafe sofort bekamen.

Sie hatte ihn schon länger nicht mehr angerufen, weil sie sich vor Patriks Reaktion fürchtete. Sie wollte nicht aufdringlich oder eifersüchtig wirken, und deshalb rief sie überhaupt nicht an. Und da sie ihn auch nicht im Dienst stören wollte, hatten sie seit mehreren Tagen nichts mehr voneinander gehört.

Plötzlich fiel ihr auf, dass sie den Anrufbeantworter nicht ausgeschaltet hatte. Sie drückte auf den Knopf, und sofort klingelte das Telefon.

Es war Mikael. Ihr Herz machte einen vertrauten kleinen Freudensprung.

»Hallo, Monika, wie geht’s?«

Er klang hektisch und redete sofort weiter, ohne ihre Antwort abzuwarten:

»Ich brauche deine Hilfe ‒ könntest du heute Abend zwei Stunden Zeit erübrigen?«

Sie wusste, dass sie ablehnen sollte, da sie ohnehin Überstunden machen musste, um wenigstens die wichtigsten Dinge zu erledigen. Sie wusste auch, dass sie ja sagen sollte ‒ auch das Privatleben muss behütet werden, vor allem jetzt, wo nur noch so wenig davon übrig war.

»Sicher. Für dich immer. Was soll ich tun?«

»Das erfährst du dann, wenn du dort bist ‒ ich kann dir nur sagen, dass du improvisieren und kreativ sein musst.«

»Wird das ein lustiger Abend? Das würde mir gut tun.«

»Sehr lustig. Und für dich ist es eine Abwechslung. Entspannung. Du musst um sieben im Karlaväg 85 sein. Vierter Stock. Der Türcode lautet 2001. Danke. Kuss!«

Sie hätte gern gesagt, »wann können wir uns sehen«, oder »du fehlst mir«, aber das hätte sich dumm angehört, fand sie. Sie fragte sich, warum sie je geglaubt hatte, Freundschaft sei weniger kompliziert als Liebe. Sie versuchte sich einzureden, dass sie für diesen Abend wirklich einige entspannende Stunden brauchte. Dass es vielleicht trotz allem richtig wäre, unbezahlte Überstunden zu verweigern. Jedenfalls ab und zu.

Doch die Papierstapel auf ihrem Schreibtisch sandten andere Signale aus: du musst mehr arbeiten. Schneller. Jetzt. Das rote Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte fordernd.

Es beunruhigte sie, dass sie Janne nicht erreichen konnte. Sie unternahm noch einen Versuch, doch er nahm noch immer nicht ab. Der Gedanke an Håkan Götsten und den Mann mit den Brüsten ließ ihr keine Ruhe. Sie beschloss, den Anrufbeantworter noch nicht abzuhören, um zumindest die Unterlagen über den Russen in Ruhe bearbeiten zu können.

Etwas später brachte Idriss die Zusammenfassung der Gespräche dieses Tages. Er hatte außerdem die Bilderfolge durchgesehen, die Expressen über Lotties Leben gebracht hatte, und hatte alle Personen notiert, die mit auf den Bildern zu sehen waren. Auch dem Artikel hatte er noch allerlei entnehmen können, zum Beispiel, dass Jenny und Pernilla denselben Vater hatten, einen ebenfalls bekannten Schauspieler.

Monika erzählte, was sich inzwischen bei ihr ergeben hatte.

»Ich habe Neuigkeiten über mögliche Feinde von Lottie. Sie hatte eine Nachbarin überredet, über Jennys Unternehmungen Buch zu führen. Die Nachbarin hat aufgeschrieben, wann Jenny kam und ging. Wer sie besucht hat. Wenn diese Notizen stimmen, dann können weder Jenny noch ihr Bekannter um zehn Uhr in Kungsholmen gewesen sein. Dieses Großmütterchen glaubt ansonsten, dass Lottie vom Geheimdienst ermordet worden ist oder so, um irgendeinen Skandal zu verhindern, und dass auch ihr die Liquidierung droht.«

Idriss lachte.

Wieder klingelte das Telefon. Die Gefahr war groß, dass es Håkan Götsten war, doch dann hörte sie eine dünne verängstigte Frauenstimme.

»Spreche ich mit Monika Pettersson von der Polizei?«

»Pedersen«, korrigierte Monika automatisch. »Ja, am Apparat. Wer spricht da?«

»Pernilla... Hagman. Sie waren heute Morgen bei uns. Es ist etwas Seltsames passiert...« Die Stimme zitterte. »Es ist so schrecklich....«

Monikas erster Gedanke war, dass noch jemand tot sein, dass ihr misslungenes Gespräch mit den Töchtern eine weitere Katastrophe ausgelöst haben könnte. Sie spürte, wie ihr Herz zu hämmern begann. Sie war wirklich nicht in Form.

»Auf Mamas Schreibtisch liegen Drohbriefe. Gemeine, widerliche Briefe. Was soll ich tun?«

»Ganz ruhig bleiben.« Monika empfand ihre eigene Stimme nicht als beruhigend ‒ sie klang schrill, und sie redete viel zu schnell. »Ist das Zimmer offen?«

Pernilla schluchzte auf. »Ja.«

»Dann schließen Sie die Tür. Fassen Sie nichts an. Schließen Sie ab, wenn das möglich ist. Wenn wir morgen mehr darüber wissen, wie Lottie gestorben ist, dann werden wir uns die Briefe ansehen. Schließen Sie jetzt die Tür, ich bleibe so lange dran.«

Nach einer Weile war Pernilla wieder am Apparat.

»Jetzt habe ich abgeschlossen. Was soll ich mit dem Schlüssel machen?«

»Behalten. Und sprechen Sie mit den anderen nicht über die Briefe.«

Damit hätte sie das Gespräch beenden müssen, aber sie konnte sich eine Frage nicht verkneifen. »Haben Sie eine Ahnung, wer diese Briefe geschrieben haben kann?«

Pernilla schluchzte noch einmal auf, dann sagte sie: »Das ist das Seltsamste daran ‒ das war sie selbst.«

»Sie selbst? Sind Sie sich da sicher?«

»Ja. Sie hat, hatte, eine ganz besondere Schrift. Ich kenne sonst niemanden, der so schreibt. Was kann das bedeuten?«

»Das müssen wir erst noch herausfinden. Wie geht es Ihnen sonst?«

»Wir haben wohl noch immer nicht richtig verstanden, dass sie nie wieder nach Hause kommen wird. Jetzt sind gerade Bekannte hier, wir reden über alles, es ist fast unwirklich.«

Sie verabschiedeten sich, und Monika stützte den Kopf in die Hände.

»Zuerst lebensgefährliche geheime Liebhaber und jetzt Drohbriefe. Das war Pernilla, sie hatte sie auf Lotties Schreibtisch gefunden. Sie glaubt, dass Lottie sie selbst geschrieben hat.«

»Fahren wir heute Abend hin?«

Er schien es kaum erwarten zu können, und Monika fand es immerhin positiv, dass er sich für die Arbeit interessierte, statt einfach nur nach Hause zu wollen.

»Ich muss leider zu einem Familienessen. Wir müssen das auf morgen verschieben, nach der Obduktion. Lotties Zimmer ist jetzt abgeschlossen, deshalb ist es nicht ganz so eilig.«

Sie wusste nicht, warum sie Idriss belogen hatte, und vielleicht hätte sie auch nicht vorgeben sollen, dass sie alles unter Kontrolle hatten, aber er nickte nur und erklärte, er werde auch bald nach Hause gehen. Aus der Türöffnung winkte er ihr freundlich zu.

»Wir sehen uns morgen.«

Die Worte klangen in Monikas Ohren fast wie eine Drohung.

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