Читать книгу Rivalinnen - Schweden-Krimi - Åsa Nilsonne - Страница 12

8

Оглавление

Der Karlaväg. Eine Prachtstraße, einst als Boulevard geplant, und eine Adresse für Menschen, die sich ihren Wohnort aussuchen können. Als sie in der U-Bahnhaltestelle auf der Rolltreppe stand, fluchte Monika stumm und wenig kreativ. Sie hätte jetzt in der Storgata die Drohbriefe durchsehen müssen, die Pernilla gefunden hatte, und wenn das nicht möglich gewesen wäre, weiterhin auf der Wache sitzen und die Ereignisse des Tages durchgehen, Notizen lesen, aus Gedanken und Tatsachen ein Fundament bauen sollen, auf dem die Arbeit des kommenden Tages aufbauen könnte. Stattdessen war sie unterwegs zu einem völlig nebulösen Termin, der zwei Stunden von ihrer ohnehin schon knappen Zeit verschlingen würde. Es machte ihr Angst, dass sie bereit war ihre Arbeit zu opfern, um das Gefühl zu haben, noch immer ein wenig an Mikaels Alltag teilnehmen zu dürfen.

Oben auf dem Karlaplan war es so kalt und dunkel wie in Kungsholmen, und Monika dachte mit ungewohnter Schadenfreude, dass manche sich zwar von Urin und Graffiti in der U-Bahn freikaufen konnten, nicht aber vom Klima. Sie bog nach rechts in den Karlaväg ab ‒ Karl wie Karl XII, der Kriegerkönig, unter dessen Herrschaft sich die Anzahl der jungen schwedischen Männer um ein Drittel verringert hatte. Monika hatte nichts übrig für Karl XII, ebenso wenig wie für die schweren Steinhäuser, an denen sie jetzt vorbeikam. Sie sollten beeindruckend aussehen und Bewohnern und Bauherren Status verleihen, statt so vielen Menschen wie möglich ein möglichst billiges Dach über dem Kopf zu bieten, und an diesem Abend ärgerte sie sich ganz besonders darüber. Zu allem Überfluss hatte sie auch noch Gegenwind.

Der Karte zufolge müsste Nummer 85 das letzte Haus in der Straße sein. Ein scharfer Wind wehte, ihre Wangen brannten, und ihre Augen tränten. Sie hatte sich den Schal um das Gesicht gewickelt und hielt den Kopf gesenkt. Vor dem ersten Haus sah sie zur Hausnummer hinauf, wo sie stattdessen ein ovales Glasfenster in Brusthöhe sah, falls man eine Brust hatte, die ungefähr 165 cm über den Fußsohlen saß. Sie glaubte fast, ebenfalls die perfekten Brüste sehen zu können ‒ die werden später wieder abgenommen, hatte der Mann mit gleichgültigem Schulterzucken gesagt, wenn das große Geld nicht mehr hereinkommt. Dabei bleiben nur zwei winzige Narben zurück.

Monika musste ihre Aufmerksamkeit ins Jetzt zurückzwingen ‒ dieses Fenster hier war leer, Erik Olsson hatte nicht vor dieser Tür gestanden, und die Frage war jetzt nur noch, ob die Hausnummer sich als Nummer 87 erweisen würde. Auch Nummer 85 hatte ein Fenster in der Tür, das jedoch viereckig war und durch das ein großer und spärlich geschmückter Weihnachtsbaum zu sehen war. Die Christbaumkerzen erfüllten die Eingangshalle mit einem sanften Licht, das über einen langen roten Perserteppich fiel. Dieser Teppich begann an der Haustür und erweckte den Eindruck, das Haus werde nur von VIPs betreten, die gebührend empfangen werden mussten. Monika war nicht in der passenden Stimmung, um prachtvolle Eingangshallen genießen zu können, sondern gab rasch den Code ein, wobei sie beinahe damit rechnete, dass sie den falschen hatte.

Zu ihrer Überraschung und Erleichterung hörte sie sofort ein leises Klicken im Schloss, schob die schwere Eichentür auf und blieb stehen. Die Halle war nicht nur gastlich und warm, sie duftete außerdem nach Apfelsinen und Nelken.

Monika wollte schon kehrtmachen und wieder hinausgehen, folgte dann aber dem dicken Teppich zum Weihnachtsbaum, der mit duftenden Apfelsinen und geschnitzten Weihnachtsmännchen, Engeln und Schlitten fahrenden Kindern geschmückt war. Der Schmuck sah alt und teuer aus, und sie fragte sich, wie es möglich war, dass die Hausbewohner sich nicht im Vorübergehen das eine oder andere Stück in die Tasche steckten. Ihr war klar, dass dieser Baum in ihrem eigenen Treppenhaus innerhalb von wenigen Stunden kahl gewesen wäre.

Derselbe Gedanke kam ihr im Fahrstuhl, einer gepflegten Antiquität, die bestimmt annähernd hundert Jahre alt war. Irgendein wildes Kind hätte ihn innerhalb von wenigen Minuten zerstören können ‒ die Spiegel einschlagen, den roten Samtsitz von der kleinen Bank reißen, Leisten und Täfelung verbiegen. Offenbar war während des vergangenen Jahrhunderts hier kein wildes Kind vorübergekommen. Monikas verbrechenssoziologische Überlegungen wurden davon unterbrochen, dass der Fahrstuhl im vierten Stock anhielt und ein älterer Mann in einem dunklen Anzug die Tür öffnete. Er wollte weder nach oben noch nach unten, wie sich herausstellte, sondern schien einzig und allein aufgetaucht zu sein, um sie einige Meter über den Marmorboden und durch eine offene Tür zu geleiten.

Sie betrat eine Wohnung, die mehr Quadrat- und Kubikmeter zu umfassen schien als ein geräumiges Wohnhaus. Der Mann im Anzug führte sie in ein kleineres Zimmer, das offenbar als Garderobe diente. Vielleicht war diese Wohnung ursprünglich für Menschen gebaut worden, die häufiger dreißig oder vierzig Gäste zum Essen erwarteten.

In der Garderobe war nur eine breitschultrige Frau, die sich aus einem langhaarigen Pelz schälte. Schließlich drehte sie sich um und sagte unerwartet überschwänglich:

»Hallo! Ich bin Cilla!«

Ihr kleines, rundes Gesicht war mit roten Flecken übersät und ihre Haare waren hellbraun. Cilla kam ihr bekannt vor, und Monika versuchte sich zu erinnern, wo sie sich begegnet sein könnten. Dann ging ihr auf, dass Cilla sie an eine alte Klassenkameradin erinnerte ‒ eine große Person ohne jeden Charme, die die tonangebende Clique in der Klasse immer begeistert begrüßt hatte, obwohl sie nur selten Antwort bekommen hatte, und die noch immer zu den Pfadfindern gegangen war, als die anderen schon längst damit aufgehört hatten. Monika hatte damals ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie dieses Mädchen nicht leiden konnte, und deshalb lächelte sie jetzt freundlicher, als sie es sonst getan hätte.

»Monika.«

Sie wurde ein wenig nervös, während sie sich weiterhin über diesen verlorenen Abend ärgerte. Wo war sie hier nur gelandet? Oder wobei? Sie konnte Cilla oder den Mann, der die Tür geöffnet hatte, ja wohl kaum fragen ‒ und würde der Mann sie jetzt weiter geleiten? Oder hatte er nur verhindern wollen, dass sie den Blumenschmuck mitgehen ließ? Rasch hängte Monika ihren Mantel auf und stellte fest, dass der Mann tatsächlich als Fremdenführer diente.

Sie durchquerten das größte Wohnzimmer, das Monika je in einer Privatwohnung gesehen hatte, bevor sie ein fast ebenso großes Esszimmer erreichten. Mitten im Zimmer stand ein dunkler Holztisch, der vermutlich ideal war für intime Imbisse mit den zwanzig besten Freunden, der an diesem Abend jedoch nur acht Stühle an der einen Querseite aufwies. Sechs davon waren bereits von vier Frauen und zwei Männern besetzt.

Für Monika ergab die ganze Szene keinen Sinn ‒ sie sah Mineralwasser, alkoholfreies Bier, Teller, kleine elegante und trendgemäß belegte Brote. Zwei Tischmikrofone waren an ein Tonbandgerät angeschlossen, wie es auch die Polizei verwendete. Eine Frau mit üppigen schwarz gefärbten Haaren, großem roten Mund und eng sitzendem blauen Kleid in Größe 44/46 erhob sich und kam auf sie zu.

»Willkommen, willkommen! Ich bin Agnes Videgård, die Gastgeberin. Bitte, nehmen Sie Platz, jetzt sind wir ja vollzählig und können anfangen, wie schön! Greifen Sie zu, wenn Sie Appetit auf einen Bissen haben oder etwas trinken möchten.«

Eine Frau reichte Teller herum, während eine andere Monika fragte, ob sie Wasser oder Bier wolle.

Monika machte sich ernsthafte Sorgen ‒ sie wusste, dass Mikael sie nicht zu wirklich unangenehmen Dingen wie zum monatlichen Treff einer SM-Gruppe oder einem religiös geprägten Nähkränzchen schicken würde, aber sie konnte sich nicht vorstellen, was für eine Art von Treffen das hier sein sollte oder warum sie unbedingt daran teilnehmen musste.

Dann wurden die Brote herumgereicht und die Gläser gefüllt, und die Gastgeberin lächelte freundlich in die Runde.

»Danke, dass Sie heute Abend gekommen sind ‒ ich weiß, dass Sie alle viel zu tun haben, deshalb wissen wir das ganz besonders zu schätzen. Ich weiß aber auch, dass es Ihnen wichtig ist, uns dabei zu helfen, für unsere kleinen und großen Freunde das Beste zu finden.«

Alle außer Monika schienen zu wissen, wovon hier die Rede war, und einer Meinung zu sein. Sie nickten und lächelten, und Monika ertappte sich dabei, wie sie ebenfalls nickte und lächelte.

»Ja, ich dachte, wir könnten zuerst eine Vorstellungsrunde machen und von unseren lieben Freunden erzählen.« Sie schaute einen Mann von Mitte dreißig, der rechts von ihr saß, auffordernd an.

Der Mann nickte, ein warmes, charmantes und geübtes Lächeln. Plötzlich wusste Monika, wer er war ‒ er hatte in einer Endlosserie im Fernsehen eine Endlosrolle, allerdings nicht in der, in der Lottie die Großmutter gespielt hatte.

»Jan Andersson. Von Beruf stattlicher junger Mann, nein, Schauspieler, um korrekt zu sein. Ich wohne mit Glücksklee zusammen ‒ ich habe ihm diesen Namen gegeben in der Hoffnung, dass er großen Reichtum mitbringen würde, was er auch getan hat, aber ich hatte dabei vor allem an materiellen gedacht, was jedoch nicht der Fall war. Er ist eine englische Bulldogge ‒ Sie wissen sicher, wie die aussehen, kurz, breit, mit Unterbiss und phänomenaler Ausstrahlung.«

Die Gastgeberin sah entzückt in die Runde. »Glücksklee. Was für ein origineller Name. Und wie alt ist Glücksklee?«

»Er wird in ein paar Tagen vier, und dann gibt es ein Fest.«

»Danke, Jan.«

Die Gastgeberin richtete ihren Blick auf die nächste Teilnehmerin, eine kleine zarte, grauhaarige Frau. Die Frau erzählte, sie sei Richterin am Obersten Gericht und Frauchen des fünfjährigen Nestor, eines Borsoi, also eines russischen Windhundes, des edelsten und elegantesten aller Hunde.

»Und des dümmsten«, flüsterte Cilla in Monikas Ohr, als wären sie alte Freundinnen. Als habe ihr gleichzeitiges Eintreffen hier sie zu einer kleinen Gruppe innerhalb der Gruppe gemacht. Monika dachte darüber nach, ob Cilla unter dem Einfluss irgendeines Rauschmittels stand, doch dann fielen ihr die heftigen Kontaktversuche ihrer Klassenkameradin wieder ein, die dieselbe Intensität und dasselbe egozentrische Desinteresse an den Reaktionen der anderen aufgewiesen hatten.

Als Nächste stellte Cilla sich vor, aber Monika hörte kaum zu, da sie sich den Kopf darüber zerbrach, was sie selbst sagen könnte. Improvisieren, hatte Mikael gesagt. Aber wie sollte sie das anstellen? Sie hatte noch nie einen Hund besessen, und eigentlich konnte sie Hunde nicht einmal leiden.

Cilla erzählte in aller Ausführlichkeit, dass ihr Vater beim Militär gewesen war, was immer neue Schulen und immer neue Umzüge bedeutet hatte, weshalb die Dackel der Familie ihre einzige Zuflucht und ihre einzige Sicherheit gewesen seien. Sie war als Einzelkind aufgewachsen, und die Hunde hatten ihr die Geschwister ersetzt. Jetzt hatte sie wieder einen Dackel, den vermutlich kleinsten Zwergdackel Stockholms. Taxita. Sie selbst war Ärztin, klinische Physiologin.

Als Monika endlich an der Reihe war, wurde sie von der Gastgeberin unterbrochen, sobald sie ihren Namen genannt hatte.

»Monika Pedersen, haben Sie gesagt? Kann da ein Irrtum vorliegen, Sie stehen nicht auf meiner Liste...«

Improvisieren, dachte Monika. Mikael, es sollen dir alle Zähne ausfallen, und dein Gesicht soll schon als junger Mann wie das eines Greises aussehen!

»Nein, ich bin für einen guten Freund eingesprungen...«

»Patrik Löfgren«, sagte die Gastgeberin. Ihr Lächeln wurde durch eine schmale rote Linie ersetzt.

Monika nickte. Mikael, du verdammtes Arschloch! Du Süßwasserpirat!

»Naja, das spielt sicher keine große Rolle.«

Die Gastgeberin hatte Monikas Haare, ihre Kleider und die Halskette aus dem Indienladen auf eine Weise angesehen, die sagte, dass es durchaus eine große Rolle spiele, doch als formvollendete Gastgeberin durfte sie die Stimmung nicht trüben, und deshalb lächelte sie wieder, wenn auch etwas weniger herzlich, und fragte: »Und wie heißt Ihr spezieller Freund?«

Mikael, der Teufel soll dich holen. Und zwar möglichst bald!

»Faule Fia«, erwiderte Monika ohne nachzudenken und versuchte sofort mit dem Zusatz »Aber sie wird Fifi genannt« die Lage zu retten.

»Sie ist ein kleiner Pudel«, sagte sie dann, da Pudel und Schäferhunde die einzigen Hunderassen waren, die ihr auf die Schnelle einfielen, und Schäferhunde ihr noch mehr zuwider waren als Pudel. Sie hatte noch nichts über ihren Beruf gesagt, doch die Gastgeberin hatte offenbar ohnehin schon jedes Interesse an ihr verloren und ging zum Nächsten über.

Es handelte es sich um einen großen bärtigen Mann mit eigener Computerfirma, der von seinem unerhört klugen Yorkshire-Terrier erzählte. Auf ihn folgte eine sehr magere Journalistin, deren Wangen Falten warfen, wenn sie lächelte und die von ihrer Promenadenmischung berichtete, einem wunderbaren Hund, der sich seines Wertes durchaus bewusst war. Die letzte Teilnehmerin, eine Frau mittleren Alters, sagte nur kurz, dass sie auf dem Lande lebe, zusammen mit ihrem Rhodesian Ridgeback.

Daraufhin versuchte die Gastgeberin geschickt, ein Gespräch in Gang zu bringen.

»Und jetzt würden wir gern hören, was das Besondere gerade an Ihren Hunden ist, sie sind doch so große Persönlichkeiten und so unterschiedlich wie wir Menschen selbst... und ich möchte hören, was sie gern essen.«

Mit einem Mal redeten alle, berichteten, verglichen. Monika erfuhr, dass eine Tagesstätte für Hunde fünfzehnhundert Kronen pro Monat kostete, dass Cillas Dackel Taxita sie überall hin begleitete und den Vorabend auf einem Treffen für Ärztinnen verbracht hatte, dass die Promenadenmischung Pluto in einer Krise hilfreicher war als ein Psychiater. Sie hatte sich selten so ausgeschlossen gefühlt, stellte jedoch zugleich fest, dass sie das alles durchaus interessant fand. Es brachte sie auf andere Gedanken, wie Mikael gesagt hatte. Sie hatte schon seit geraumer Zeit weder an Lottie noch an irgendwelche anderen Toten gedacht.

Die Gastgeberin lächelte strahlend und aufmunternd.

»Jetzt möchte ich ein anderes Thema ansprechen und Sie alle Folgendes fragen: Woran denken Sie, wenn von Fünf-Sterne-Gourmetkost die Rede ist?«

Na, ich denke jedenfalls nicht an Hundefutter, wollte Monika schon sagen, begnügte sich jedoch damit, sich die überwiegend positiven Assoziationen der anderen anzuhören.

Die Gastgeberin lächelte erneut aufmunternd, bevor sie fortfuhr. »Glauben Sie, ein Hundefutter namens Fünf Sterne könnte Ihnen gerade für Ihren Hund passend erscheinen?«

Monika war nicht weiter überrascht, dass wieder eine positive Reaktion folgte.

Vor der nächsten Frage ersetzte die Gastgeberin ihr überschwängliches Lächeln durch eine eher nachdenkliche Miene. Monika ahnte, was kommen würde, und das tat es auch.

»Ja, wir wissen ja alle, dass ein Fünf-Sterne-Essen in einem Restaurant mehr kostet als eine ganz und gar sternlose Pizza. Wie Sie sicher auch wissen, wird Hundefutter häufig aus Rohstoffen hergestellt, die sich auf keine andere Weise nutzen lassen. Doch Hundefutter, das nur erstklassige, frische und gesunde Zutaten enthält, muss zwangsläufig teurer werden.«

Die Gäste am Tisch nickten, um zu beweisen, dass sie für diese Logik zugänglich waren. Monika nickte in der Eile mit.

»Die Frage ist also: Würden Hundebesitzer für ein Essen von Fünfsternequalität bezahlen, oder ist ihnen die Ernährung ihres Hundes nicht wichtig?«

Die magere Journalistin kicherte.

»Ich kaufe für Pluto oft Roastbeef ‒ er ernährt sich schon auf Fünf-Sterne-Niveau, und ich finde, das ist er wert.«

Die Frau, die auf dem Lande lebte ‒ in einem Schloss, dachte Monika, nicht auf einem Bauernhof ‒ schlug einen sachlichen Ton an.

»Auf die Dauer ist es doch auch finanziell vernünftig, den Hund so gut wie möglich zu ernähren, denn das spart später Tierarztkosten.«

Der Mann mit dem Yorkshire-Terrier erklärte, sein Hund fresse so wenig, dass der Futterpreis deshalb unwichtig sei, doch dass er das vielleicht anders sehen würde, wenn es sich um eine dänische Dogge handelte.

Monika erkannte plötzlich, was die anderen Gäste miteinander verband ‒ neben den Hunden: Sie alle hatten Geld, was sich an Kleidung, Frisur, Selbstsicherheit unmissverständlich zeigte. In der Wohnung, in der sie sich vorkam wie eine Touristin bei einer Schlossführung, fühlten die anderen sich vermutlich wie zu Hause. In einer Hinsicht musste sie ihre Ansicht über Patrik zumindest ändern: Wenn diese Gruppe mit Hilfe einer Liste über allein stehende Hundehalter mit überdurchschnittlich hohem Verdienst zusammengestellt worden war, dann verdiente Patrik wesentlich viel mehr als sie vermutet hatte.

»Die Frage ist also, wie viel Ihnen die Sache wert wäre ‒ wenn Ihr derzeitiges Futter an die fünfunddreißig Kronen pro Kilo kostet, wären Ihnen dann fünfundvierzig zu viel?«, fragte die Gastgeberin jetzt.

Die Antwort lag auf der Hand ‒ diese Zielgruppe achtete nicht auf den Preis. Monika sagte nicht viel, sondern formulierte im Geiste amüsiert den Bericht, den die Gastgeberin ihren Auftraggebern überreichen würde: »Ja, Scheiße, nehmt tausend Kronen pro Dose und schmeißt noch Gänseleber (vitaminreich) und Trüffel (exklusiv) mit hinein. Fünf-Sterne-Hundefutter kann mit einem treuen Kundenkreis rechnen. Ich würde übrigens gern ein paar Aktien von Ihrem Unternehmen kaufen.«

Dann änderte die Gastgeberin wieder den Kurs und verwischte die Spuren der Finanzfragen, indem sie das Gespräch wieder den einzelnen Hunden zuwandte ‒ an diesen letzten Teil sollten die Anwesenden sich später besonders gut erinnern.

Jetzt wurde es etwas persönlicher ‒ die Möglichkeit, über sich selbst mit Menschen zu reden, die man niemals wieder sehen würde, durfte nicht ungenutzt verstreichen. Der Schauspieler bezeichnete seine Beziehung zu Glücksklee als die längste, die er je gehabt hatte, und die klapperdürre Journalistin deutete Ernährungsprobleme an. Cilla erzählte, dass sie wohl nicht mehr sehr viel länger allein leben würde. Die Richterin bedachte sie daraufhin mit einem Blick, der anzudeuten schien, dass Cilla die gemeinsame Sache verraten hatte, und fragte, ob sie sich bereits über die Folgen für Taxita Gedanken gemacht hatte.

Die Gastgeberin setzte sofort ihr Jetzt-ist-es-aber-genug-Lächeln auf und sagte, in ihrem tiefsten Herzen wisse sie, dass bei ihnen allen Hunde an erster Stelle stünden. Jetzt, wo sie sie kannte, zweifelte sie keinen Moment mehr daran, dass sie alles tun würden, damit ihre Freunde sich wohlfühlten.

Danach dankte sie allen für Zeit und Engagement, schaltete das Tonbandgerät aus, und dann war die Sache vorbei, dreißig Sekunden früher als angekündigt. Eine professionelle Frau, dachte Monika, und fragte sich, wie hoch wohl ihr Stundenlohn war.

Monika ging als Erste, ihre Kleidung ließ sich vielleicht schneller überstreifen als die der anderen, und es überraschte sie, dass es draußen inzwischen noch kälter zu sein schien. Die Luft schnitt in ihre Nasenlöcher, und die Kälte begann auf dem kurzen Weg zur U-Bahn bereits durch ihre Stiefelsohlen zu dringen.

Als sie über den Verlauf des bisherigen Tages nachdachte, überraschte es sie nicht weiter, dass der Zug ihr vor der Nase davonfuhr. Sie rannte die letzten fünfzehn Meter, doch die Bahn fuhr davon und hinterließ nichts als einen Luftzug und das immer leiser werdende Geräusch von Metall auf Metall. Hinter ihr kam die Rolltreppe zum Stillstand, und plötzlich war sie umgeben von dem Schweigen, das in großen künstlich entstandenen Räumen immer aufkommt.

Fünfzehn Minuten bis zum nächsten Zug, verkündete die Anzeige. Fünfzehn Minuten ihres Lebens würden in einer einsamen U-Bahnstation verrinnen. Sie dachte, dass sie vielleicht die Zeit nutzen und sich wieder auf Lottie und deren Töchter konzentrieren könnte.

Plötzlich setzte die Rolltreppe sich wieder in Bewegung. Monika musste an die vielen Frauen denken, die allein in Parkhäusern, U-Bahnstationen oder einfach auf der Straße gewesen und in falsche Gesellschaft geraten waren. Frauen, die bedroht und geschlagen worden waren, denen noch Schlimmeres zugestoßen war, einfach, weil sie im falschen Moment am falschen Ort gewesen waren. In diesem Moment kam ihr der leere Bahnsteig ohne jeden Zweifel als falscher Ort vor. Monika konnte sich zwar verteidigen, aber ihre fünfundfünfzig Kilo halfen nicht viel, wenn der Gegner achtzig Kilo wog ‒ das Gerede von der Überlegenheit der Technik über die rohe Kraft war, wie so vieles andere, eine Wahrheit, die nur bedingt zutraf. Warum mussten Boxer und Ringer sonst in Gewichtsklassen antreten?

Das Geräusch der Rolltreppe füllte das akustische Vakuum ‒ machte sie wirklich immer solchen Lärm? Monika spürte, wie sie sich anspannte ‒ wenn dieser Tag so enden würde, wie er angefangen hatte, dann würde auf der Rolltreppe eine Bande von jungen Männern auf der Jagd nach einer blonden Frau zum Zusammenschlagen stehen oder ein angetrunkener und wütender Fünfundzwanzigjähriger, der gerade von drei Frauen nacheinander abgewiesen worden war.

Bevor sie ihre Überlegungen fortführen konnte, hatte die Wirklichkeit sie eingeholt. Auf der Treppe erschien eine große Frau in einem hellen Pelz, die Monika an diesem Abend schon einmal gesehen hatte. Es war Cilla, die mit weit ausholenden, wenig eleganten Schritten auf Monika zukam. Nicht einmal der weite Pelz konnte ihre kantigen Bewegungen verbergen.

Noch bevor sie auf normale Hörweite herangekommen war, begann Cilla bereits zu reden.

»Hallo! Hast du die Belohnung nicht mitgenommen?«

Sie hielt eine große weiße Plastiktüte in der Hand und lachte breit und ein wenig verlegen. Monika registrierte ihre perfekten Zähne ‒ klein, weiß und gerade, wie sie überrascht feststellte, obwohl sie sich sofort dafür schämte.

»Hundefutter für dreihundert Kronen.«

Etwas in Cillas Gesicht machte es Monika unmöglich, weiter an ihrer Lüge von vorhin festzuhalten. »Nein. Ich brauche kein Hundefutter. Ich habe gar keinen Hund. Ich habe heute Abend nur einen Bekannten vertreten, dem etwas dazwischen gekommen war«, gestand sie.

»Ach, wirklich? Gibt es keine Fifi?«

Monika schüttelte den Kopf. Sie hoffte, dass Cilla begreifen würde, dass sie keine Lust auf ein Gespräch hatte, doch Cilla schien für ihre Signale nicht aufnahmebereit zu sein.

»Das hast du aber gut gemacht. Aber vielleicht ist das ja immer so ‒ was wir tun müssen, schaffen wir auch. Wenn es absolut nötig ist, schaffen wir wirklich alles. Wir überraschen uns damit selber.«

Wieder nickte Monika. Sie hatte sich noch nie vor den Kontaktbedürfnissen anderer Menschen schützen können, und unter ihrer wenig feinfühligen Oberfläche erschien Cilla ihr plötzlich verletzlich. Cilla redete weiter, und Monika hörte zerstreut zu. An diesem Tag schien ihr wirklich keine ruhige Minute vergönnt zu sein.

Nach einigen Minuten wurde sie von Cillas U-Bahn gerettet, glücklicherweise fuhren sie nicht in dieselbe Richtung. Einen entsetzlichen Moment lang schien Cilla mit dem Gedanken zu spielen, die nächste Bahn zu nehmen, um Monika weiter Gesellschaft leisten zu können, doch dann überlegte sie es sich anders, stieg ein und war verschwunden.

Früher hätte Monika nach diesem Abend nicht nach Hause fahren müssen, sondern hätte bei Mikael am Jaktvarvsplan übernachten und morgens den kurzen Weg zur Wache zu Fuß zurücklegen können. Aber jetzt war nichts mehr so wie früher, jetzt hatte Mikael sie Agnes Videgård und deren Marktforschungsgruppe ausgesetzt, er hatte ihren Abend geopfert, um mit Patrik zusammen sein zu können. Sie war sich sicher, dass sie ihm die Verliebtheit gönnte, wie sich das für eine gute Freundin gehörte, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Sache für sie so hart werden würde. Verdammt. Dieser Abend hatte sie zwar ein wenig auf andere Gedanken gebracht, aber doch nicht so weit, dass es die Mühe gelohnt hätte.

Rivalinnen - Schweden-Krimi

Подняться наверх