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Verdammt. Verdammt. Verdammt, dachte Monika. Seit sie mit einem Pietisten aus Jonköping zusammengearbeitet hatte, fluchte sie nicht mehr laut.

Von dem Kiosk her lächelten nun drei Ausgaben einer etwa dreißigjährigen Lottie verführerisch und in makaberem Kontrast zu den dicken Trauerrändern zu ihnen herüber.

Verdammte Hölle, dachte Monika.

Sie wusste wirklich nicht, ob Idriss Einwände erheben würde, nicht einmal, ob die Hölle zum muslimischen Weltbild dazu gehörte, und wenn ja, ob es verboten war, dieses Wort auszusprechen.

Idriss blieb stehen und schaute Lottie ins Gesicht. Ein Gesicht mit heruntergezogenem Hut und sichtbarem Atem, eins mit in der Sonne leuchtenden Haaren, die im Wind eines vergangenen Sommers wehten.

»Verflucht«, sagte er nachdrücklich und fügte dann eilig hinzu: »Oder, Verzeihung... vielleicht bist du ja religiös?«

Monika prustete los, ihre erste spontane Reaktion seit diesem Morgen. Es war befreiend.

»Nein, aber ich dachte, du vielleicht, und deshalb habe ich nicht gewagt meine Gedanken laut auszusprechen. Wie, zum Teufel, konnte das nur passieren? Wir ‒ wir müssen eine Zeitung kaufen, und dann können wir auch gleich einen Happen essen. Ich hoffe, Eva-Maria muss das nicht lesen, ehe ich sie erreicht habe ‒ aber woher weiß die Zeitung jetzt schon, dass es Lottie war? Und sie müssen doch auch noch die Zeit gehabt haben, den Text zu schreiben, Bilder herauszusuchen und all das.«

Obwohl sie nur einige Minuten im Freien verbracht hatten, drang die Kälte bereits durch ihre Kleidung und die Schuhsohlen, sodass sie dankbar den warmen Kiosk betraten. Sie kauften eine Zeitung, zwei überteuerte belegte Brote und Kaffee.

Monika zog ihr Telefon hervor und wählte Eva-Marias Nummer, ohne jedoch damit zu rechnen, jemanden anzutreffen. Eva-Maria war sicher bei der Arbeit, und Monika wusste nicht, wo das war.

Sie fuhr leicht zusammen, als gleich nach dem ersten Klingeln eine Stimme sagte: »Moussaoui.«

Die Stimme klang müde und so traurig, dass Monika sich fragte, ob sie wohl schon Bescheid wusste. Bestimmt hatten irgendwelche Bekannten die Schlagzeilen gesehen und sofort angerufen.

»Hier spricht Polizeiinspektorin Monika Pedersen von der Kriminalpolizei City. Ich würde mich gern sofort mit Ihnen treffen.«

Ein solcher Gesprächsanfang konnte anderen Menschen eine Heidenangst einjagen, doch Eva-Maria stellte nicht einmal eine Frage.

»Es geht um Ihre Mutter, Lottie Hagman«, sagte Monika. »Wir können in einer guten halben Stunde bei Ihnen sein, ist Ihnen das recht?«

Das war ihr recht, und Monika dachte kurz nach. Sie konnten die Brote im Auto essen, aber sie wollte noch den Artikel über Lottie lesen, und das ging nicht, wenn sie fahren musste. Sie beschloss eine Pause einzulegen, sich an einen der kleinen Tische zu setzen und das Brot zu essen, während sie sich einen Überblick über Lotties Leben verschaffte. Sie hoffte, dass sie diesen Entschluss nicht bereuen würde.

Auf der Vorderseite der Zeitung war dasselbe Bild zu sehen wie auf den Plakaten. Mangels einer besseren Erklärung hatte die Zeitung beschlossen, dass Lottie vermutlich der blinden Gewalt zum Opfer gefallen war, es war vage die Rede von Bandenbildung, abwesenden Vätern und testosteronverstärkter Aggression. Das Textproblem war dadurch gelöst worden, dass es fast keinen gab, stattdessen hatte man systematisch das Bildarchiv geplündert. Die Zeitung brachte Bilder aus Filmen und aus ihrem Privatleben, falls in Lotties Fall überhaupt von einem Privatleben die Rede sein konnte ‒ Szenen aus Lotties erstem Film, in dem sie als unschuldiges Opfer in einem Psychothriller sämtliche Herzen betört hatte. Etwas weiter unten tauchte das erste und einzige Bild von Eva-Maria auf. Es handelte sich um eine professionelle Aufnahme, die an einem Strand gemacht worden war, auf der Lottie einen äußerst knappen Badeanzug trug und einladend lächelte, während hinter ihr, nicht ganz deutlich zu erkennen, Eva-Maria mit einem abwartenden Ausdruck in ihrem alltäglichen Gesichtchen stand. Sie sah aus wie eine etwa dreijährige sommerblonde Statistin im Leben ihrer schönen Mutter.

Monikas Mutter hatte ihre Enttäuschung darüber nie verbergen können, dass sie keine schöne Tochter bekommen hatte, eine langbeinige attraktive Tochter, die Geld und Ansehen erheiraten konnte. War Lottie ebenso enttäuscht gewesen wie Eva-Maria? Diese Frage war in ihr Bewusstsein gedrungen, ehe Monika sie abwehren konnte, doch sie verwarf sie sofort wieder. Sie hatte nicht vor, sich von diesen Menschen berühren zu lassen, sie hatte nicht vor ‒ sie hasste diesen Ausdruck —, sich selbst als Instrument zu benutzen. Normale, banale, nicht-introspektive Polizeiarbeit, dafür wurde sie bezahlt, und an diesem Tag wollte sie nicht mehr leisten als das.

Sie versuchte, in dem verschlossenen Kindergesicht auf dem Bild eine Auskunft zu finden, doch es gelang ihr nicht.

»Wie kann eine den Kontakt zu Mutter und Schwestern verlieren, die in derselben Stadt leben? Wie können sie einander einfach fallen lassen?«, fragte sie sich leise.

Idriss, der ihr gegenüber saß, schien sich angesprochen zu fühlen und blickte von seiner Zeitung auf: »Das kommt sicher häufiger vor. Denk doch an all die Teenys und an die verschuldeten Familienväter, die abgetaucht sind, an die Frauen, die Männern aus dem Weg gehen müssen, wenn diese Männer nicht begreifen, dass die Beziehung zu Ende ist.«

»Ich kann mir Lottie einfach nicht als eine so erbärmliche Mutter vorstellen. Und deine anderen Beispiele sind für unseren Fall sicher nicht relevant.«

Was sie gemeint hatte, war die Tatsache, dass Töchter oft Familien verlassen, in denen sie schlecht behandelt werden, doch sie hatte nicht beabsichtigt, sich so unfreundlich anzuhören. Sie hatte mit Klagen über die schwedische Gesellschaft gerechnet, über die Kälte, mit der die Menschen in Schweden einander behandelten, und sie hatte zum Gegenschlag ausgeholt, obwohl der erwartete Angriff ausgeblieben war. Es war ihr unangenehm, dass sie seine Reaktionen nicht vorausgesehen hatte.

Sie wäre gern nach Hause gegangen, um sich ins Bett zu legen und diesen Tag zu vergessen, am liebsten hätte sie die Zeit ein Stück vorgespult. Sie wollte Idriss vergessen. Wollte Lottie vergessen, die staatliche Verschuldung, die Rentenreform (die bedeutete, dass ihre Rente niedriger ausfallen würde als vor der Reform). Wollte Håkon Götsten von der Orthopädie und seinen Pfleger mit dem ‒ noch unbewiesenen ‒ Hang zu bewusstlosen jungen Frauen vergessen.

Die Forderungen, die die Gemeinschaft an sie stellte, kamen ihr plötzlich unüberwindlich vor.

Trotz allem aber hätte sie sich wegen Idriss vielleicht keine Sorgen zu machen brauchen, denn er sagte nur freundlich:

»In zwanzig Jahren kann viel passieren. Es wird interessant sein, diese Tochter kennen zu lernen.«

Er hatte Recht. Sogar an diesem kalten und anstrengenden Tag wollte sie gern wissen, was aus dem kleinen Mädchen am Strand geworden war, das jetzt zum zweiten Mal in seinem Leben die Mutter verloren zu haben schien. Das jetzt die Möglichkeit verloren hatte, das wieder gutzumachen, was zwischen ihnen vorgefallen war. Die junge Frau, die, wenn Jenny die Wahrheit sagte, Lottie gehasst hatte.

Reine Routinearbeit, schärfte Monika sich ein, in diesem Fall gibt es nur einen Routineeinsatz. Nicht vergessen, dass du jetzt keine Reserven hast, nichts, worauf du im Notfall zurückgreifen könntest.

Sie schaute sich um, um sich abzulenken. Neben ihnen saß ein Mann von Mitte vierzig, der zu viel gegessen, zu viel getrunken und zu viel geraucht hatte, sie brauchte nicht Sherlock Holmes zu sein, um das zu sehen. Seine dicken nikotingelben Finger spielten an einer leeren Kaffeetasse herum, und seine wässrigen Augen waren auf Lotties Haustür gerichtet. Sein verschlissener grauer Kaschmirmantel zeugte von besseren Zeiten, sein gelber Schal von einer gewissen Eitelkeit und die Flecken darauf von der verlorenen Kontrolle über den Lauf der Dinge. Monika sah ein Leben, das ausgelöscht wurde, ein Leben, das in den Fugen ächzte, ein Leben, in dem ein verängstigter Mensch sich fragte, wieso er eine dermaßen falsche Richtung eingeschlagen hatte. Sie nahm an, dass er auf Geld wartete, nicht auf Liebe, vielleicht wollte er eine Schuld eintreiben oder jemanden anpumpen, der ihn noch immer nicht satt hatte. Vielleicht würde er demnächst Gesellschaft von einem Polizisten bekommen, der dann ebenfalls Lotties Haustür anstarren würde.

Sie erhob sich, sie gingen zum Auto und fuhren nach Norden.

»Das war kein leichtes Gespräch.« Mit irgendetwas musste sie schließlich anfangen, und ihr fiel auf, wie defensiv sie klang. »Aber so ist das manchmal.«

»Unter diesen Umständen haben wir eine Menge herausbekommen, finde ich.« Idriss schien wunderbarerweise noch immer guter Laune zu sein. »Wir können schließlich nichts dafür, dass den Töchtern zuerst etwas Falsches erzählt worden ist und dass sie sich nicht sofort mit der neuen Situation und den Ergebnissen der Gerichtsmedizin abfinden konnten. Kein Mensch wünscht sich doch, dass seine Mutter ermordet wird, und es ist bestimmt schwer, etwas zu glauben, das man einfach nicht wahrhaben will. ‒ Außerdem«, fügte er hinzu, »haben wir im Grunde zwei Möglichkeiten. Entweder haben sie die Wahrheit gesagt. Dann wissen wir erstens, dass Lottie keine Feinde hatte, niemanden, vor dem sie sich fürchtete, zweitens, dass etwas zwischen ihr und ihrer ältesten Tochter passiert ist, was sie nicht wieder gutmachen konnten, und drittens, dass die jüngeren Schwestern in diesem Konflikt auf Lotties Seite standen. Wir können davon ausgehen, dass Lottie in Kungsholmen etwas vorhatte, wovon sie ihren Töchtern nichts erzählt hat. Die andere Möglichkeit ist, dass sie lügen, oder sagen wir, dass Jenny lügt und Pernilla und die anderen sie durch ihr Schweigen unterstützen. Und dann wissen sie vielleicht, wer Lottie ermordet haben könnte, und dann werden wir das bei unserem nächsten oder übernächsten Treffen herausbekommen.«

Die ausgebliebene Kritik milderte Monikas Anspannung ein wenig.

Idriss spekulierte munter weiter:

»Ich möchte wissen, was Johan Lindén dort macht ‒ er wohnt in der Brahegata, nur ein paar Blocks von Lottie entfernt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er die Nacht mit Pernilla oder Dahlia verbracht hat, und wenn er Lotties Liebhaber war, dann hätte er sich doch bestimmt Sorgen gemacht, als sie nicht nach Hause kam. Falls es nicht normal war, dass Lottie irgendwo anders schlief, aber das hätte sie sicher nicht gemacht, wenn ihr Liebhaber zu Besuch war. Es sei denn, sie hätten sich an diesem Abend gestritten. Aber dann wäre doch wohl eher er gegangen. Und wenn er bei einer der anderen übernachtet hat, dann kann es doch nicht schwer sein, das herauszufinden. Lottie hat ihre Wohnung mit drei jungen Frauen geteilt, viele Geheimnisse kann es da nicht gegeben haben. Wenn sie sich mit Johan oder sonst jemandem zerstritten hatte, dann müssten wir, wenn wir kein allzu großes Pech haben, gleich mehrere Zeuginnen für einen heftigen Wortwechsel oder was auch immer zur Auswahl haben.«

Falls wir es schaffen, diese möglichen Zeuginnen zum Reden zu bringen, dachte Monika.

Sein Engagement wollte sich nicht auf sie übertragen, lockerte die Stimmung im Wagen jedoch zumindest ein wenig auf. Der Valhallaväg erwies sich außerdem als kluge Wahl, der Verkehr verlief dort praktisch normal, und danach erreichten sie verhältnismäßig leicht den Sankt Eriksplan und von dort die Igeldammsgata.

Es war vielleicht auch gut, dass sie nicht mit Idriss reden konnte, sie hatte keine Lust, sich mit verlorenen Geschwistern, toten Müttern, Hass und Streit zu befassen. Doch gleichzeitig waren sie unterwegs zu einer Tochter, deren Mutter aller Wahrscheinlichkeit nach ermordet worden war, einer Tochter, die Grund hatte, böse auf ihre Mutter zu sein, falls auf Jennys Aussagen Verlass war, und deshalb blieb für Monika nur eine kurze Galgenfrist.

Rivalinnen - Schweden-Krimi

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