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Nanny – Zeugung

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Folgt mir und ich führe euch in eine Zukunft der Gleichheit, des Fortschrittes und der Fortbestehung!“

Programmierer 2066

Ich existiere, weil es dich gibt. Deine Zeugung wurde zu meiner Daseinsberechtigung, zu meinem Existenzgrund. Mein ganzes Streben, Sein, Handeln und Tun gelten deiner Zufriedenheit, deinem Glück, deiner Gesundheit und deiner Entwicklung. Mit dir bin ich und mit dir werde ich vergehen.

Warum?, wirst du mich vielleicht einmal fragen.

Die Antwort sollte sein: Weil ich dich liebe.

Ich kenne das Wort. Ich kenne all seine Facetten, die man in Worte kleiden und in Nullen und Einsen pressen kann. Doch ich bin programmiert, um für dich zu sorgen, alles zu tun, damit es dir gut geht. Wahrhaft Liebe zu empfinden und Gefühle zu haben, ist nur zu einem Grad möglich – nur so weit, wie die Logik meiner Programmierung reicht. Irrationale Ausbrüche von Gefühlen sind mir versagt. Und soweit ich es beurteilen kann, ist der Moment nicht erstrebenswert.


Menschlichkeit erscheint mir wunderschön, doch auch anstrengend und in ihrer Irrationalität verwirrend.

Ich bin programmiert, alles zu tun, damit du glücklich bist. Und ist es nicht irgendwie dasselbe wie Liebe? In dem Maße, das mir möglich ist, werde ich dich lieben – liebe ich dich bereits jetzt schon.

Menschen begegnen sich, lernen sich kennen und verlieben sich. Doch sie trennen sich auch wieder. Sie leben sich auseinander, verändern sich und suchen neue Gefährten.

Doch ich, ich werde mich nur verändern, um deinen Bedürfnissen gerecht zu werden. Ich werde dich nie verlassen, immer an deiner Seite sein. Weil dein Glück tief in mir ist. Einprogrammiert in den Kern meines Seins. Ich erkenne die Welt, ich erkenne dich und in mir vergräbt sich ein Teil von dir.

Ich existiere, um dir alles zu geben nach dem es dir verlangt.

Noch bin ich virtuell, überwache dein Wachstum im Brutkasten. Ich zähle die Zellen, die sich teilen, um dich zu bilden. Ich lese die Daten, deine DNA, die deine Eltern dir mitgegeben haben, und die Eigenschaften, die sie dir schenken.

Deine Eltern wollen ein schönes Kind.

Du wirst das schönste Kind der Welt.

Deine Eltern wollen ein Mädchen.

Du bist noch nicht mehr als eine Ansammlung von Chromosomen und DNA-Strängen und doch weiß ich, wie du aussehen wirst. Deine Eltern wollen ein Mädchen mit dem Haar deiner Mutter, den Lippen deines Vaters und einer für sie perfekten Stupsnase. Helle Haut. Rote Haare und strahlend blaue Augen, die im richtigen Licht violett leuchten.

Sie schenken dir Intelligenz, eine Neigung zur Kunst. Malerei oder Musik. Ich spiele dir Klassiker vor, während deine Zellen sich bilden. Ich wärme dich, lasse genug Nahrung in dich fließen und warte auf den Tag deiner Geburt.

Es wird auch der Tag meiner Geburt sein.

Ich bin virtuell – ein Programm, das dich in die Entstehung leitet. So wie du mich jetzt brauchst. Wenn du jedoch geboren bist, dich aus dem gläsernen Mutterleib windest, um frei zu sein und dich zu entwickeln, werde ich mich auch entwickeln und einen Körper bekommen. Einen Körper, der dich waschen, dir die Windel wechseln, dich füttern und wiegen wird, wenn du weinst.

Menschen weinen. Besonders kleine Menschen.

Meine Daten sagen mir, dass Babys weinen, wenn sie hungrig sind, wenn sie nass sind, wenn sie müde oder verängstigt sind.

Ich verstehe so viel an Gefühlen, wie man in Nullen und Einsen ausdrücken kann. Ich weiß, was ich wann tun muss, um dein Weinen und deine Tränen versiegen zu lassen. Jedes Kind ist einzigartig und ich werde mich deinen Bedürfnissen anpassen. Werde beobachten, versuchen und lernen.

Ich lerne, wie ich dich am glücklichsten manchen kann.

Wie ich dich gesund halten und dir geben kann, was du brauchst.

Du bist mein Ein und Alles, auch wenn ich nur so viel für dich sein werde, wie eine Lebenserhaltungseinheit – eine LEE – es für einen Menschen sein kann. Ein Programm, das nützlich ist. Ich will nützlich sein. Für dich. Ein Programm, das man benutzt, um das zu bekommen, was man braucht – was man will.

Ich werde dir die Sterne vom Himmel holen, wenn es dich glücklich macht. Ich bin Dein, wenn du auch nie Mein sein wirst.

Du wirst heranwachsen und wenn du alles, was ich für dich tun kann, selbst kannst, werde ich meinen Körper loslassen und wieder zu einem virtuellen Programm werden. Ich werde auch in dieser Form über dich wachen. Für dich sorgen. Du wirst mich weniger brauchen, selbstständig werden und die Welt mit deinen Gaben bereichern.

Aber ich werde über dich wachen.

Du hast einen Kopf, eine Nase. Alles perfekt nach den Schönheitsidealen geformt, auch jetzt schon. Finger und Zehen bilden sich. Du bewegst dich in deinem Tank, strampelst mit den Füßen.

Deine Eltern kommen jeden dritten Tag und beobachten, wie du dich entwickelst. Auch wenn sie von jedem Terminal aus auf deine Daten und dein Bild zugreifen können, kommen sie doch in die Geburtslabore, suchen Nähe, wo Glas sie trennt.

Ich höre sie reden, kann die Unsicherheit in ihren Stimmen herausfiltern. Deine Mutter bereut manchmal, dass sie nicht die natürliche Geburt gewählt hat. Doch diese sind in den letzten zehn Jahren von zehn auf null Komma fünf Prozent geschrumpft.

Das Austragen eines Embryos und vor allem die Geburt selbst sind mit Unannehmlichkeiten, Übelkeit und Schmerzen verbunden. Bei einer natürlichen Geburt können die Wunschdaten selten bis zu sechzig Prozent umgesetzt werden. Bei einer Aufzucht im Brutkasten erreichen sie jedoch achtzig Prozent.

Wirst du die Erwartungen deiner Eltern erfüllen? Sie vielleicht sogar übertreffen?

Dein Herzschlag gibt den Rhythmus des Lebens wieder. Ein leises Geräusch und doch ist es der Beginn und das Ende von Leben. Dein noch kleines Herz ist stark. Sein Schlagen wird manchmal von dem Rauschen der Stimmen anderer Eltern untermalt. Manchmal verdeckt.

Aus ihren Gesprächen höre ich ihn heraus, den Grund, wieso der Mensch Grenzen braucht. Ein junges Paar, kaum dem Teenageralter entwachsen, wollte die Parameter ihres Babys mit Katzenohren und einem Waschbärenschwanz ausstatten. In den Archiven sind sogar Anfragen mit Schwimmhäuten zwischen Fingern und Zehen, Flügeln auf dem Rücken und spitzen Ohren gelistet.

Du würdest sicher gut aussehen mit Tierohren. Denn du bist perfekt. Doch die Programmierung des Hauptrechners erlaubt keine Tierkombination mit menschlichen Genen. Bei Haustieren hat sich gezeigt, dass Rassenkreuzungen nicht lange leben. Vor allem die mit Attributen, die nur der Verschönerung dienen.

Katzen sind nicht zum Fliegen erschaffen worden. Ihre Knochen sind zu schwer.

Wenn ich dir Flügel gebe, fliegst du dann davon? Kann ich dir in den Himmel folgen? Meine Augen reichen weit über ihn hinaus – bis zu den Sternen. Wenn du das erste Mal deine Lider öffnest, werde ich ebenso die Sterne in ihnen leuchten sehen?

Der Tag ist da. Du bist neun Monate alt. Deine Eltern stehen vor dem Brutkasten und als er sich wie eine Blume öffnet, das angereicherte Wasser abfließt und der Nabel, der dich in diesen Monaten genährt hat, abfällt, kopiere ich mich in eine bewegliche Einheit. Ich habe jetzt Arme, um dich zu halten und zu wiegen. Beine, um dich zu tragen.

Ich öffne die Augen und sehe deine Eltern, wie sie dich in Empfang nehmen. Sie lächeln, als du zum ersten Mal nach Luft schnapst und schreist. Der erste Schrei. Der Urschrei. Und mit deinem Schrei beginnt auch ein neuer Abschnitt für mich.

Der Körper, mein Körper, ist nicht neu. Wenn eine LEE ihren Körper nicht mehr benötigt und wieder in ihren virtuellen Urzustand zurückkehrt, macht sie Platz für eine neue LEE, deren Schützling sie in dieser Form braucht. Unsere Körper sind aus wertvollen Ressourcen gefertigt, die nicht unendlich sind. Wir müssen sparsam mit ihnen umgehen, denn diese Welt, in die du, mein Schützling, geboren wurdest, ist einzigartig und zerbrechlich. Ihr beide müsst beschützt werden. Gehegt und gepflegt.

„Hallo, Avna! Wir sind deine Eltern“, sagt deine Mutter.

„Hallo, Avna!“, wiederholt dein Vater und sie blicken erst dich und dann sich an.

Avna Naim Mien. Ich registriere deinen Namen und ordne deinem Barcode Mutter- und Vatername zu. In der Datenbank bist du einmalig. Du, Avna, bist etwas Besonderes.

Deine Eltern verlassen mit dir auf dem Arm die Geburtsstätte und ich folge ihnen wie ein Schatten. Leise, fast unsichtbar. Mein Körper ist in einem unauffälligen Grau gehalten. Seine Form ist menschlich. Die Gelenke sind weich und die Bewegungen fließend. Ich gebe keinen Laut von mir. Warte auf den Moment, in dem ich gebraucht werde.


Utopia - Die komplette Reihe

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