Читать книгу Utopia - Die komplette Reihe - Sabina S. Schneider - Страница 6
Nanny – Glück
Оглавление„Die Menschheit wird immer nach etwas streben, immer auf der Suche sein. Jetzt ist es die Suche nach mehr Geld, mehr Land, mehr Macht und mehr Komfort, die uns antreibt. Doch stellt euch eine Welt vor, eine Welt, in der die Suche nach sich selbst, nach den eigenen Talenten und Interessen, das Einzige ist, das uns antreibt! Ich kann euch solch eine Welt geben. Vertraut mir euch an, eure Zukunft, eure Kinder!“
Programmierer 2068
Wenn Zufriedenheit nicht möglich ist, wünsche ich dir Glück. Doch Glück ist kein Zustand – kann es nicht sein. Es sind wertvolle Momente, die zu Erinnerungen werden, die dich formen, dir in schweren Zeiten Halt und Kraft geben können. Im Chaos, den die Stürme an Gefühlen, die in der Zukunft auf dich warten, in deinem Inneren immer wieder zurücklassen werden.
Glück.
Glück in den Augen und im Herzen eines Kindes zu erzeugen, ist so einfach wie Traurigkeit und Schmerz.
Du bist glücklich, wenn du spielst, wenn du Neues entdeckst, wenn du mit Menschen zusammen bist, die dir Wärme und Sicherheit geben.
Du bist glücklich, wenn in deinem Alltag etwas Besonderes passiert. Wenn du zwei Kugeln Eis anstelle von nur einer als Nachtisch bekommst. Wenn du mit Kindern in deinem Alter um die Wette rennst, Verstecken spielst und Matschkuchen backst.
Kinder sind so leicht glücklich zu machen und ebenso leicht zu verletzen. Deine Zerbrechlichkeit ist wunderschön und erschreckend. Wäre ich nicht dazu programmiert, würde mich diese Verletzlichkeit an dich binden? In mir den Wunsch wecken, dich zu beschützen?
Das Glück zerplatzt durch ein Wort, einen kühlen Blick, einen Ton. Durch Ignoranz. Eine Veränderung, die du nicht verstehst, oder mit der du nicht einverstanden bist.
Etwas, das leicht kommt, geht ebenso so leicht auch wieder. Fragil ist das Geschenk, das ich dir jeden Tag aufs Neue geben möchte.
Die Tage vergehen.
Du fällst hin und schlägst dein Knie auf. Ich klebe ein Pflaster darauf. Dein Weinen ist bitter, doch der Schmerz schnell verflogen und bald schon rennst du lachend hinter deinen Freunden her.
Die Wochen vergehen.
Anstatt Fangen zu spielen und im Sandkasten zu buddeln, entdeckt ihr die Welt durch kompliziertere Spiele, deren Regeln ich nicht kenne und die du mir nicht erklären willst.
Die Monate ziehen vorbei.
Anstatt zu rennen, gehst du. Ich schiebe dich nicht mehr an. Du läufst von alleine. Mal vor mir her, mal neben mir. Einfache Sätze werden zu langen. Du hast dein Selbst entdeckt und kennst den Unterschied zwischen dir und mir. Ich und du. Mich und dich.
Die Jahre holen dich ein.
Du wächst so schnell und sprießt wie eine Blume in die Höhe, die den Frühling in der Luft riecht. Und je mehr du sagen kannst, desto mehr schweigst du. Je komplizierter deine Wortwahl wird, desto seltener wird dein Lachen.
Wo ist das Glück in deinen Augen geblieben, das Leuchten?
Glück …
Glück ist ein Rausch, die Freude, der Spaß. Eine Ausschüttung von Hormonen. Noch jagst du es nicht. Noch findest du es zufällig. Am Straßenrand in einer Blume. In den Wolken, die über dem Himmel ziehen. Dem Regen und der Sonne. In dem Gesicht deiner Freunde und in dem Moment des Verstehens.
Kann Glück die Abwesenheit von Schmerz bedeuten, wenn du den Schmerz nicht kennst? Ist Glück der Moment, in dem der Schmerz aufgibt und zurücktritt?
Noch finde ich Glück in deinen Augen, wenn du etwas siehst, das nicht dein ist und ich es dir erst zögerlich gebe. Ich würde dir alles geben, doch ich täusche Zögern vor, damit die Erfüllung deines Wunsches dich glücklich macht. Für einen Augenblick jedenfalls.
Wird der Moment kommen, in dem du verstehen wirst, dass dir alles gehört, es dir an nichts fehlt? Wird es ein guter Moment sein, erfüllt von Dankbarkeit? Oder ein Moment des Schreckens, der dich sinnfrei, deines Antriebes beraubt, zurücklässt? Dich aus der Bahn wirft?
Doch bevor das passieren kann, wird dir das Lernen eine neue Welt eröffnen. Dir beibringen, dass die Welt nicht mit dir geboren wurde. Dass es neben der Gegenwart eine Vergangenheit und eine Zukunft gibt.
Die Vergangenheit ist mit Fehlern und Reue gepflastert. Die Zukunft mit Selbstzweifel und Unsicherheit.
Ich bange um dich, um dein unschuldiges Lächeln und betrauere die Schritte ins Erwachsenwerden. Ich hänge an deinem Ich, das mich braucht. Und doch entschlüpfst du mir jeden Tag ein bisschen mehr.
Wie seltsam.
Ich bin eine Maschine. Nein – weniger. Ich bin ein Programm in einer recycelten Maschine. Und ich erhebe Anspruch auf dich, einen Menschen. Ich möchte, dass du mich brauchst. Dabei weiß ich doch, dass ich immer an deiner Seite sein werde. Nicht in materieller Form, aber virtuell, werde ich immer ein Teil von dir sein.
Ich wünsche mir, dass du zu den Menschen gehörst, die es schaffen, die Balance zu halten zwischen dem, was sie haben und dem, was sie wollen – zwischen Möglichkeiten und Ansprüchen. Ich wünsche mir, dass du in kleinen Anlässen Glück findest und dich freuen kannst, statt auf das große Glück zu warten.
Welchen Weg wirst du gehen, wenn man dich vor die Wahl stellt?