Читать книгу GLAMOURSEX - Sabine Hoffmann - Страница 10
7.
ОглавлениеNoch bevor Paul die schwere Holztür zum Woodys geöffnet hatte, roch er sie: frisch gegrillte Spare Ribs. Schon von weitem sah er, dass Harry an ihrem Stammplatz an der Theke saß.
Er blieb einen Moment im Eingang stehen und genoss den köstlichen Geruch nach Schweinerippchen. Dann ließ er seinen Blick kurz durch den Raum schweifen. Wie immer war das Woodys gerammelt voll. Ein paar Männer musterten ihn flüchtig. Dann starrten sie wieder auf die Leinwand. Ein Dart-Wettkampf wurde übertragen.
Zielstrebig ging Paul zur Theke. Woody stand hinter dem Tresen. Ihm gehörte der Laden. Er war Anfang vierzig und hatte graumeliertes Haar. Harry saß wie immer auf dem Barhocker ganz links außen und trug seine ausgebeulte Lieblingsjeans und ein grünes Shirt. Zur Begrüßung klatschten sie sich ab. Harry klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Freiheit den Schweinehälften!“
„Wir sind langsam zu alt für diesen Spruch“, erwiderte Paul und dachte daran, wie sie im November vergangenen Jahres zusammen ihren sechsunddreißigsten Geburtstag gefeiert hatten.
„Auf keinen Fall“, entgegnete Harry grinsend. „Wie geht’s, Alter?“
„Läuft“, antwortete Paul und setzte sich auf seinen Stammplatz, den freien Barhocker rechts von Harry.
Ohne Aufforderung ging Woody in die Küche und kam kurz darauf mit zwei Teller voller Spare Ribs zurück, die er zusammen mit zwei Bier vor sie auf den langen dunkelbraunen Tresen stellte.
„Der beste Anblick des Tages“, sagte Paul.
„Endlich mal keine Pastinaken“, ergänzte Harry, der vor sechs Monaten zum dritten Mal Vater geworden war.
Schweigend aßen sie nebeneinander, tranken ihr Bier und verfolgten das Geschehen auf der Leinwand.
Das entscheidende Finale stand bevor.
Ein glatzköpfiger Mann positionierte sich auf einer Abwurflinie und fixierte eine runde Scheibe, die gut zwei Meter vor ihm entfernt an einer Wand befestigt war. Im Hintergrund feuerten die Zuschauer ihn an und schwenkten begeistert selbst gebastelte Plakate ihres Favoriten. Es herrschte ausgelassene Partystimmung.
Der Glatzkopf hob den Pfeil dicht vor sein Gesicht, bewegte ihn kurz vor und zurück und zielte auf die Scheibe. Er landete direkt in der Mitte.
Triumphierend riss er beide Arme in die Höhe, während seine Fans im Hintergrund mit den Plakaten in den Händen jubelnd auf und ab hüpften und begeistert grölten. Auch im Woodys sprangen einige Gäste von ihren Stühlen auf und klatschten begeistert oder pfiffen anerkennend.
„Genialer Wurf“, sagte Harry.
„Ja. Ganz OK“, antwortete Paul.
Dann tranken sie ihr Bier aus und genossen es, einfach nur dazusitzen. Sie schwiegen sich an. Beide kannten sich schon seit dem ersten Tag ihres Psychologiestudiums. Paul behauptete steif und fest, Harrys erfolgslose Versuche, ihre bildhübsche Tutorin anzubaggern, wären ihm sofort aufgefallen. Harry dementierte das vehement und bestand darauf, dass sie sich beim allerersten Mittagessen in der Mensa kennen gelernt hätten, als Paul vergeblich versucht hatte, ihm den letzten Burger vor der Nase wegzuschnappen. Welche Version tatsächlich stimmte, würden sie wahrscheinlich nie mehr herausfinden. Fest stand aber, dass sie mittlerweile mehr als nur beste Kumpels waren. Fast schon so etwas wie Brüder. Zufälligerweise hatten sie sogar am gleichen Tag Geburtstag.
Woody kam und räumte ihre knochenbedeckten Teller ab. Wortlos stellte er zwei neue Bier auf den Tisch und schaute beide fragend an. „Was gibt’s Neues?“
Harry trank sein Bier in einem Zug aus und stellte es vor sich auf den Tisch. „Zurzeit geht’s bei uns Zuhause nur um Fläschchen geben und Windelwechseln.“
Er drehte den Kopf in Pauls Richtung.
„Und du erzählst mir wahrscheinlich gleich, dass du irgendeiner hübschen Frau das Bumsen beibringst.“
Woody grinste anzüglich. „Echt, Mann? Du bist jetzt Bums-Trainer?!“
Paul räusperte sich und murmelte: „So ähnlich...“
Harry schlug mit der Faust so fest auf den Tisch, dass die Gläser drohten umzukippen und das Bier überschwappte und sagte laut: „Hab ich es doch gleich gewusst!“
Woody breitete die Arme wie ein Prediger auf der Kanzel weit aus und schrie in den Raum: „Hey Leute, hört mal her!“
Etwa ein Dutzend Köpfe wendete sich Woody zu, der nun mit beiden Zeigefingern auf Paul deutete. „Dieser Typ hat den besten Job von uns allen.“ Lasziv stieß er seinen Unterkörper mehrmals nach vorne und wieder zurück. „Er bringt einer süßen Kleinen das Bumsen bei und kassiert dafür noch Kohle.“
Die Männer johlten, einige prosteten Paul anerkennend zu.
Er nahm einen extra langen Schluck Bier und hoffte, dass die anderen Gäste in der Zwischenzeit das Interesse an ihm verlieren würden.
Als er das Glas fast geleert hatte und wieder auf den Tisch stellte, beachtete ihn tatsächlich keiner mehr. Woody stand am Zapfhahn. Er war damit beschäftigt, eine Männerrunde mit Bier zu versorgen.
Nur Harry starrte ihn noch an. „Los, Mann. Erzähl’ schon.“
Paul zögerte.
„Sie heißt Mila.“
Er räusperte sich.
„Komm’ schon Alter, raus mit der Sprache!“, spornte ihn Harry an.
„Ja, ja. Schon gut“, sagte Paul und hob sein Bierglas wieder an den Mund. Extra langsam trank er den letzten Schluck aus und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Harry vor Neugier fast platzte.
Grinsend stellte er das leere Glas vor sich auf den Tisch. Dann wartete er ein paar Sekunden und sagte: „Sie ist noch ziemlich jung, ich glaube zweiundzwanzig. Hat gerade angefangen, als Escort-Girl zu arbeiten. Ist so eine Luxus-Agentur mit ziemlich reichen Kunden, heißt MEET THE BEST. Die Chefin hat mich beauftragt, mit ihr um die Welt zu reisen und sie zu coachen. Ich soll ihr alles über Sex beibringen, damit die Typen sie möglichst viel buchen.“
Harrys Augen wurden riesengroß. Er starrte ihn so ungläubig an, als hätte Paul verkündet, er wolle sich zur Frau umoperieren lassen und von jetzt an nur noch Paula Perle genannt werden.
Kopfschüttelnd fragte er: „Wie viel kriegst du dafür?“
Ohne eine Miene zu verziehen, antwortete Paul: „Fünfzigtausend Dollar plus Spesen und Reisekosten.“
„FÜNFZIGTAUSEND DOLLAR?!“, erwiderte Harry. „Weißt Du, wie viele Burger-Holics ich dafür überzeugen muss, ihren verborgenen Fanatismus für Sport zu entdecken?!“
Nach drei Semestern hatte Harry das Psychologiestudium abgebrochen und zu Sportwissenschaften gewechselt. Mittlerweile war er Personal-Trainer in einem Fitness-Club und hatte sich auf eine neue Zielgruppe spezialisiert, die dank des Fastfood-Booms rasant wuchs: Burger-Holics mit einem Body-Mass-Index von über fünfundzwanzig, die endlich von ihrer Sucht nach gebratenen Hackscheiben in Brötchen wegkommen wollten.
„Alter Schwede!“, sagte Harry grinsend und drehte seinen Kopf in Woodys Richtung. „Noch zwei Bier!“
Nachdem Woody zwei neue Gläser auf den Tresen gestellt hatte, fragte Harry: „Was sagt eigentlich Claire dazu? Also Izzy würde ausrasten. Die würde mich zum Teufel jagen.“ Obwohl beide seit acht Jahren glücklich verheiratet waren vermutete Izzy regelmäßig, Harry würde fremdgehen.
„Davor würde sie mir wahrscheinlich aber vorsorglich noch die Eier abschneiden.“
Angeekelt verzog Paul den Mund. „Du kennst doch Claire. Sie war noch nie besonders eifersüchtig. Momentan redet sie sowieso nur von der Charity-Party.“
Zugegeben war diese Umschreibung ihrer Reaktion nicht ganz korrekt. Als Paul ihr heute morgen beim Frühstück unterbreitet hatte, dass er länger verreisen musste, war Claire drauf und dran gewesen, ihm vor Wut ihr Dinkelmüsli ins Gesicht zu schleudern. Allerdings musste Harry das nicht wissen. Wahrscheinlich würde er sonst wieder anfangen, ihm einen Vortrag über das Phänomen der Schreckschrauben-Frauen zu halten. Seiner Meinung nach ließ sich das an Claire wunderbar erläutern. Harry fand, sie wäre ein exemplarisches Beispiel dieses Frauentypus.
Doch noch bevor Harry zu einer Erwiderung ausholen konnte, fuhr Paul schnell fort: „Claire ist heute Morgen schon um acht Uhr in die Hamptons gefahren, um alles für die Party zu organisieren. Sie hat sich deshalb sogar extra zwei Wochen unbezahlten Urlaub genommen.“
Dass Claire währenddessen auch um jeden Preis Rihanna als Showact gewinnen wollte, erwähnte Paul lieber nicht. Er konnte sich Harrys Reaktion ohnehin schon ausmalen. Wahrscheinlich würde er ihm wie so oft empfehlen, sein psychologisches Fachwissen endlich mal selbst praktisch zu nutzen und sein weibliches Beuteschema zu überdenken. Möglicherweise würde er zur anschaulichen Verdeutlichung dieser Thematik einen Vergleich mit Izzy, seiner Frau, heranziehen. Ihr größter Party-Coup war ein Doppelgänger von Brad Pitt, der den ganzen Abend über Angelinas heimliche Leidenschaft für grünen Tee gesprochen hatte.
Erleichtert stellte Paul fest, dass Harry heute ausnahmsweise mal keine Lust hatte, sich mit Claire zu beschäftigen.
Stattdessen fragte er: „Und wie ist Mila so?“
Paul dachte an ihr erstes Treffen heute Nachmittag.
Er schmunzelte.
„Sie ist ziemlich süß und ein bisschen frech.“