Читать книгу GLAMOURSEX - Sabine Hoffmann - Страница 11

8.

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Sie wusste nicht viel über ihn, aber das wenige war schon so beeindruckend, dass sie sich beherrschen musste, nicht vor Nervosität an ihren Fingernägeln zu kauen.

Mila saß im Fond eines schwarzen Bentleys und betrachtete ihre Hände. Zumindest von der Weite sahen sie momentan noch einigermaßen gepflegt aus. Es würde garantiert keinen guten Eindruck machen, wenn ihre Fingernägel beim ersten Date bis zum Ansatz blutig abgeknabbert wären. Um sich abzulenken, schaute sie aus dem Fenster und beobachtete, wie der schwarze Bentley den Parkplatz verließ und der Flughafen in immer weiterer Ferne verschwand.

Vor einer guten dreiviertel Stunde war sie mit Paul in Miami gelandet. Wie besprochen hatten sie sich schon an der Gepäckausgabe verabschiedet und Paul war mit dem Taxi voraus ins Hotel gefahren. Ein paar Minuten nachdem er verschwunden war, hatte sie das Gate passiert und war nach draußen gegangen. Tess, Deborahs Assistentin, hatte ihr gesagt, dass dort Peter auf sie warten würde, ein attraktiver, braunhaariger Mann um die 30. Als Erkennungszeichen würde er ein weißes Blatt Papier in der Hand halten, auf dem die Initialen MTB standen – MEET THE BEST. Peter war sein persönlicher Assistent und Chauffeur. Er sollte sie zu ihm bringen: Victor Dawydow.

Bei dem Gedanken an ihn, kribbelte es so stark in ihren Fingern, dass sie Mühe hatte den Drang zu unterdrücken, nicht auf der Stelle an den Daumen zu knibbeln. Um irgendetwas mit ihren Händen zu machen, zog sie kurzentschlossen ihr Handy aus der Tasche und gab seinen Namen bei Google ein. Sofort erschien eine lange Reihe von Links. Ganz oben stand ein Wikipedia-Artikel. Sie hatte ihn bestimmt schon zehn Mal gelesen, seitdem Tess ihr gestern Abend mitgeteilt hatte, WER ihr erster Kunde war. Mittlerweile hätte sie die wichtigsten Fakten wahrscheinlich selbst sturzbetrunken herunterleiern können: Victor Dawydow war vierundvierzig Jahre alt und stammte aus Sibirien. Als Kind war er in ärmlichen Verhältnissen groß geworden. Trotzdem hatte er es als erwachsener Mann nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aus eigener Kraft geschafft, mit viel Geschick und einigen ominösen Deals ein Immobilien-Imperium aufzubauen. Seitdem trug er den Spitznamen „Donald Trump von Russland“. Victors Vermögen wurde auf 1,7 Milliarden Dollar geschätzt. Er besaß mehrere Villen, eine vierzig Meter lange Yacht und eine Oldtimer-Sammlung.

Mila klickte eine Bilderleiste an.

Sofort erschienen Dutzende Fotos. Auf manchen trug er einen eleganten dunklen Anzug, auf anderen war er ganz lässig im Sweater auf einer schicken Yacht abgebildet oder an einem weißen Traumstrand nur in Badeshorts und mit nacktem Oberkörper. Erleichtert stellte Mila fest, dass Victor auf jedem Bild eine gute Figur machte.

Es dürfte ihr nicht schwer fallen, ein paar Stunden mit ihm zu verbringen. Seine Biographie war beeindruckend und er war ein attraktiver Mann. Vielleicht würde es ihr nach ein paar Drinks sogar Spaß machen, mit ihm Sex zu haben.

Sie scrollte die Bilderleiste herunter.

Fest stand, dass Victor ein deutlich ausgeprägtes Interesse am weiblichen Geschlecht hatte. Allerdings konzentrierte sich sein Beuteschema auf große Frauen mit langen blonden Haaren und Model-Figur. Auf diversen Fotos war er mit erstaunlich vielen Frauen dieses Typs abgelichtet. Wahrscheinlich waren es seine jeweiligen Freundinnen, Affären oder One-Night-Stands, was auch immer. Die meisten Aufnahmen zeigten ihn jedoch mit einer extrem schlanken Blondine im Arm.

Mila zoomte das Bild näher heran.

Beim Anblick ihres Körpers musste sie an eine Gazelle denken. Die Haut glänzte makellos straff, die Beine waren unglaublich lang und perfekt durchtrainiert.

Mila musste das Bild nicht anklicken. Sie wusste auch so, um wen es sich handelte: Nataly Cook, eines der teuersten Models der Welt.

„Mist“, grummelte sie vor sich hin und ließ das Handy mit einem tiefen Seufzer sinken. Deborah hatte ihr erstes Date mit einem ausgesprochen anspruchslosen Exemplar Mann arrangiert. Eine Karriere als Supermodel hatte sie allein schon wegen ihrer geringen Körpergröße nie in Erwägung gezogen. Mit Natalys Size-Zero-Figur konnte sie auch nicht dienen. Trotz mehrfacher Entzugsversuche war sie nach wie vor latent abhängig von Pizza Hawaii. Es war ihr ein Rätsel, wie sie da mithalten sollte. Momentan fiel ihr nur ein Körperteil an, in dem sie Nataly wahrscheinlich überlegen war: ihre Füße. Dank des jahrelangen Tragens von Sneakers waren ihre Zehen mit ziemlicher Sicherheit nicht so hässlich verbogen, wie die einer eingefleischten High-Heels-Trägerin.

Allerdings bezweifelte sie, dass diese Tatsache Victor tiefgehend beeindrucken würde. Garantiert würde ihm auch ihr College-Abschluss in Kunst nicht imponieren. Er schien seine Freizeit lieber auf der Hantelbank zu verbringen, als im Museum. Da musste sie sich schon etwas Originelleres einfallen lassen.

Grübelnd klickte sie diverse Promi-Seiten im Netz an. Victor hatte sich vor ein paar Wochen überraschend von Nataly getrennt. Scheinbar war sie doch nicht so perfekt, wie ihr Traumkörper vermuten ließ. Sonst hätte Victor sie bestimmt nicht abgeschossen.

In letzter Zeit gab es auch so gut wie keine neuen Bilder von ihm. Mila hoffte, dass die Paparazzi inzwischen das Interesse an ihm verloren hatten. Sie hatte keine Lust, plötzlich als potentielle Geliebte eines russischen Milliardärs Schlagzeilen zu machen.

Sie wollte gar nicht daran denken, was ihr Vater und ihre Brüder dazu sagen würden. Sie lebten in Camden, einer Industriestadt mit gut 77.000 Einwohnern am Delaware River in New Jersey. Seit der weltweiten Immobilienkrise vor ein paar Jahren war Camden so etwas wie das neue Armenhaus Amerikas. Ihr Vater und ihre beiden Brüder würden nicht begeistert sein in der Zeitung zu lesen, dass sie etwas mit einem Typen angefangen hatte, der mit dubiosen Immobilienspekulationen während der weltweiten Wirtschaftskrise ein Vermögen gemacht hatte. Letztendlich war er mitverantwortlich, dass sie regelmäßig beim Sozialamt Lebensmittelmarken beantragen mussten.

Diese Vorstellung raubte seiner schillernder Biographie auf einen Schlag ihren imposanten Glanz.

Victor war ihr plötzlich so sympathisch wie der Pitt Bull Terrier, der ihr letztes Jahr um ein Haar in die Wade gebissen hätte. Anschließend hatte der Hundebesitzer mehrfach beteuert, diese Reaktion würde er normalerweise nur zeigen, wenn Mitglieder der Zeugen Jehovas an der Haustür klingelten. Als Beweis dafür bot er an, ihr erstes Treffen einfach noch einmal zu wiederholen. Mila lehnte dankend ab. Sie legte keinen gesteigerten Wert auf eine nähere Bekanntschaft mit einem durchgeknallten Kampfhund, der sie für eine Soldatin des Himmels hielt.

Reiss dich zusammen, du musst deinen Job erledigen, ermahnte Mila sich im Stillen und versuchte, sich zu entspannen. Zum ersten Mal war sie froh, den Yoga-Kurs an der Uni doch nicht geschmissen zu haben. Nach der ersten Unterrichtsstunde hatte sie so starken Muskelkater, dass sie in Erwägung zog, sich für einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde zu bewerben. Jetzt konnte sie zumindest ihr fundiertes Wissen in meditativer Atemtechnik endlich praktisch nutzen. Sie setzte sich aufrecht hin und schloss die Augen. Dann atmete sie tief durch die Nase ein, und ließ die Luft langsam durch ihre fast verschlossenen Lippen entweichen.

Entnervt riss sie nach der dritten Wiederholung ihre Augen wieder auf und ließ sich in das helle Lederpolster des Bentleys sacken. Leider hatte sich Victor in der Gestalt des Pitt Bulls in ihrem Kopf festgebissen. Nach wie vor war er ihr so sympathisch wie der boshafte Hund in ihrer Erinnerung.

So wird das Date garantiert ein Reinfall, schimpfte Mila sich selbst und beschloss kurzerhand, die Angelegenheit professionell zu sehen: vierundzwanzig Stunden mit Victor brachten ihr fünftausend Dollar. Eine Menge Geld angesichts der Tatsache, dass sie locker Vorsitzende im Club der notorischen Pleitiers werden könnte. Doch viel wichtiger war, dass das Treffen mit Victor noch in anderer Hinsicht hilfreich sein könnte. Sie brauchte dringend neue Erfahrungen, je extremer, desto besser. Nur so würde sie ihre Schaffenskrise endlich überwinden und bekäme beim Malen neue Inspirationen. Und nur so würde auch ihr verrücktes Projekt ein Erfolg.

Auch wenn es normalerweise nicht ihrem Wesen entsprach, musste sie aus diesem Grund ausnahmsweise versuchen, möglichst rational zu handeln. Sonst würde ihr Plan mit hundert prozentiger Sicherheit scheitern.

Bestimmt war es strategisch am Geschicktesten, Victors verborgene Wünsche zu analysieren. Dazu erschien es ihr sinnvoll, zunächst mehr über das Scheitern seiner Beziehung mit Nataly herauszufinden. Dadurch würde sie schon mal wissen, auf was Victor momentan absolut keine Lust hatte.

Im Netz wurde über die wahren Trennungsgründe leider nur wild spekuliert. Anscheinend rastete Nataly öfters gerne mal aus. Auf einem Youtube-Video sah man sie in einer britischen TV-Sendung vor laufender Kamera weinen, während sie über die Probleme sprach, ihre Wutausbrüche in den Griff zu bekommen.

Bedauernd stellte Mila fest, dass sie selbst mit verheulten Augen extrem sexy aussah.

Der Wagen wurde jetzt langsamer. Wahrscheinlich waren sie gleich da. Mila schaute aus dem Fenster und sah im Vorbeifahren einen großen blauen Schriftzug. Er zierte ein imposantes Hotelgebäude. THE RITZ CARLTON stand dort in vornehmen Lettern geschrieben.

Eilig steckte sie das Handy zurück in die Tasche. Zufällig berührten ihre Hände dabei einen glatten, metallischen Gegenstand. Paul hatte sie gedrängt, das Zigaretten-Etui mit der eingebauten Mini-Kamera einzustecken. Am liebsten hätte sie das Ding gleich in den Müll geschmissen. Angewidert stopfte sie das Hightech-Etui ganz tief nach unten in die Tasche und zog stattdessen ihr Schminktäschchen heraus.

Es war eine absurde Vorstellung, dass Paul ihr beim Sex mit einem anderen Mann per Livestream auf seinem Laptop zuschauen wollte. Obendrein war es vollkommen übertrieben. Sie wusste, wie man einen Mann verführte. Schließlich hatte sie bereits Sex gehabt. Verglichen mit den anderen Escort-Girls bei MEET THE BEST war ihr Erfahrungsschatz vermutlich allerdings eher bescheiden. Ihr erstes und einziges Mal hatte sie mit Jeff Becker am Ende der College-Abschlussfeier auf einer graffiti-beschmierten Damen-Toilette. Diese Erfahrung war nicht unbedingt befriedigend gewesen. Schon nach weniger als zehn Sekunden war Jeff zum Höhepunkt gekommen. Anschließend hatte er seine Hose hochgezogen, ihr seine Zunge wie ein Specht mehrmals tief vor und zurück in den Rachen gebohrt, und sich mit einem „Wow“ verabschiedet.

Ob es mit Victor ähnlich laufen würde?

Vermutlich würde er als Location statt einer schäbigen Damen-Toilette eher eine gepflegte Hotel-Suite präferieren. Das käme ihr sehr gelegen. Hoffentlich stand Victor auch nicht auf Toiletten-Sex. Das brauchte sie kein zweites Mal. Nachdem Jeff gegangen war, hatte sie bestimmt fünf Minuten mit einem äußerst unangenehmen Krampf im Po zu kämpfen gehabt. Schon deshalb hatte sie sein Drängen auf einen erneuten Toilettenverkehr kategorisch abgelehnt.

Während Mila ihr Lipgloss auffrischte, überlegte sie, wie sie Victor denn nun am besten verführen könnte. Von aufbrausenden Diven wie Nataly hatte er bestimmt die Nase voll. Wahrscheinlich ging es ihm wie den meisten Männern nach einer Trennung. Er war auf der Suche nach dem Kontrastprogramm zu seiner letzten Beziehung. Für diese Theorie sprach, dass er unter all den Escort-Girls von MEET THE BEST ausgerechnet sie ausgewählt hatte: eine Frau von nicht mal 1,60 Meter Körpergröße mit dunklen Haaren und deutlich ausgeprägten weiblichen Kurven.

Plötzlich wusste Mila ganz genau, welche Rolle sie bei ihrem Treffen mit Victor spielen musste, um ihm zu gefallen.

Der Wagen stoppte.

Schnell packte sie das Lipgloss in ihr Schminktäschchen. Während sie es zurück in die Tasche steckte, lief Peter um den Wagen herum und hielt ihr galant die Tür auf. Er hatte den Bentley so geparkt, dass sich direkt vor ihrer Wagentür ein roter Teppich ausbreitete, der in die Lobby des Ritz Carltons führte. Während Mila aus dem Fond der Limousine stieg, blickte sie so scheu wie möglich zu Boden.

Das klappte schon mal gut. Die Rolle fiel ihr erstaunlich leicht. Möglicherweise hatte sie doch Talent zur Schauspielerin. Ihre Lehrer früher im Kindertheater hatten das entschieden bestritten und sie ausschließlich für den Part des Dornröschens während der hundertjährigen Tiefschlafphase besetzt. Doch jetzt war es ihr auf Anhieb gelungen, sich so in ihre neue Rolle zu vertiefen, dass sie alles um sich herum vergessen hatte. Um ein Haar hätte sie übersehen, dass die Eingangstür sich nicht automatisch öffnete und wäre beinahe gegen das massive Glas gelaufen. Glücklicherweise war Peter ein aufmerksamer Zeitgenosse und hatte sie gerade noch rechtzeitig am Arm gepackt, um eine Kollision zu verhindern. Trotz dieses kleinen Missgeschicks war Mila zuversichtlich, dass sie ihre neue Rolle in den nächsten 24 Stunden hervorragend meistern würde.

In der Hotellobby blieb sie stehen und schaute sich kurz um. Der Boden war aus kunstvoll verziertem Marmor. In der Mitte der Eingangshalle stand ein lilafarbenes Polsterrondell. Unweit davon war ein mächtiger violetter Sessel zwischen zwei imposanten weißen Säulen platziert. Überall standen riesige Vasen mit üppigen Blumensträußen.

Ein nervöses Ziehen machte sich in Milas Magen breit, als sie an ihren bevorstehenden Job dachte. Um sich zu beruhigen, sprach sie sich still ihren Text vor: „Ich arbeite für eine der elitärsten Escort-Agenturen der Welt. Ich treffe die reichsten Männer rund um den Globus. Und ich habe Glamoursex.“

Mila schmunzelte.

Dann grinste sie.

Sie atmete ein Mal tief durch, machte ihren Rücken gerade und senkte wieder den Blick.

Von nun an würde sie die Frau sein, die Victor in seinem momentanen Zustand am meisten brauchte. Die ihn nach seiner Trennung aufbaute, umsorgte, sein männliches Ego streichelte.

Sie war jetzt ein sanftmütiger Engel.

GLAMOURSEX

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