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6.

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Außer Atem drückte Mila auf den Klingelkopf neben dem schlichten silbernen Namensschild mit der Aufschrift Dr. Paul Wilson. Sie war das letzte Stück von der U-Bahn mehr gerannt als gelaufen, aber dennoch viel zu spät dran. Hoffentlich war er nicht allzu sauer, dachte sie noch, als sich auch schon die Tür ruckartig öffnete. Ein großer Mann stand vor ihr. Er hatte braunes, verstrubbeltes Haar und einen Dreitagebart. Leider sah er ziemlich verärgert aus.

„Ich bin ein bisschen zu spät“, sagte sie und lächelte ihn entschuldigend an, „aber ich hoffe, ich komme wenigstens zu einer ungeraden Uhrzeit.“

Ohne seine Reaktion abzuwarten lief sie schnurstracks an ihm vorbei in die Praxis und schaute sich neugierig um.

An den Wänden hingen mehrere Bilder, alles moderne Kunst, ziemlich bunt und teuer. Edle Chromlampen baumelten von der Decke. Vor der silbernen, halbkreisförmige Rezeption blieb sie abrupt stehen und sagte: „Hübscher Empfangstresen!“

Dabei blickte sie in einen großen Spiegel, der an der Wand hing und so positioniert war, dass man genau erkennen konnte, wer gerade zur Tür hereinkam. Erleichtert beobachtete sie, wie er grinste.

Zielstrebig setzte er sich in Bewegung und lief an ihr vorbei. Während er eine weiße Tür zu einem weiteren Raum öffnete, sagte er: „Hier entlang!“

Mila folgte ihm in das Praxiszimmer.

Mit der Hand deutete er auf ein hellgraues Sofa und setzte sich ihr gegenüber auf einen Ledersessel.

Während sie Platz nahm, hatte sie plötzlich das Gefühl, dass alles anders verlaufen würde, als sie es sich vorgestellt hatte. Seine Praxis sah definitiv schon mal nicht so aus, wie sie erwartet hatte.

In den vergangenen Tagen hatte sie ihn ausgiebig gegoogelt. Dabei hatte sie zwar mehrere wissenschaftliche Studien und auch ein paar Fachaufsätze gefunden, aber kein einziges Foto von seiner Praxis oder ihm selbst. Seltsamerweise besaß er auch keine Homepage. Daraus hatte sie die Schlussfolgerung gezogen, dass seine Praxis in etwa so hübsch aussehen musste wie die ihres alten Hausarztes in New Jersey, der sich ebenfalls vehement weigerte, Fotos seiner Behandlungsräume ins Internet zu stellen: klein, verwinkelt, altmodisch, vermutlich sogar etwas schäbig.

Allerdings hatte sie sich da mächtig geirrt. Das hier sah nicht aus wie die Praxis eines schmierigen Sex-Coaches, sondern eher wie die Kanzlei eines sehr erfolgreichen Anwalts oder Geschäftsmanns.

Der Raum war nicht nur ausgesprochen großzügig geschnitten und hell, sondern auch elegant eingerichtet. Sofa, Lampen, Schreibtisch – alles wirkte ausgewählt und hochwertig.

Neugierig schaute Mila Paul an. Sie konnte Dreitagebärte bei Männern zwar nicht ausstehen, aber ihm stand er, vor allem passte er zu seinem braunen, verstrubbelten Haar. Mit seinen ausgewaschenen Bluejeans, dem schlichten, weißen Shirt und dem schwarzen Sakko sah er ziemlich lässig aus. Seine Augen fielen ihr auf. Sie waren groß und dunkelbraun. Obwohl sie sich nicht kannten, hatte Mila das Gefühl, dass sie einander bereits vertraut waren.

Ob es ihm auch so ging?

Leider schwieg er beharrlich und musterte sie ebenfalls neugierig. Mila fragte sich, was er wohl über sie dachte. Verlegen wandte sie den Blick ab. Die Situation war ihr etwas peinlich. Immerhin war sie nicht zu ihm gekommen, weil sie ein verzweifelter Single war auf der Suche nach ein paar Flirt-Tipps.

Fieberhaft überlegte sie nach einem guten Gesprächseinstieg. Suchend schaute sie sich im Raum um. Vielleicht könnte sie einen intelligenten Kommentar über einen persönlichen Gegenstand in seinem Büro machen. Ihr Blick blieb an seinem Schreibtisch hängen. Direkt neben einem silbernen Computermonitor stand eine Zimmerpflanze. Die grünen Blätter waren geformt wie Fallen, die sich öffnen und schließen konnten. An den Rändern der einzelnen Blätter saßen lange Borsten, das Innere leuchtete rot. Mit diesem eigenwilligen Aussehen passte sie hier ungefähr so gut her wie ein Gartenzwerg.

Ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte, platzte es aus ihr heraus: „Das Ding hätte große Chancen, den Preis als hässlichste Grünpflanze des Jahres zu gewinnen!“

Noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, schnellte ihre rechte Hand vor ihren Mund. Diese Äußerung ließ nicht unbedingt darauf schließen, dass ihr Intellekt übermäßig ausgeprägt war.

Warum schaffte sie es nicht ein einziges Mal, zu denken bevor sie sprach? Das konnte doch eigentlich gar nicht so schwer sein, ärgerte sie sich, während sie seine Reaktion beobachtete.

Er grinste. „Tatsächlich ist DAS DING nicht unbedingt eine Schönheit. Dafür kann es aber Fleisch fressen.“

„Gibt’s so etwas jetzt auch schon im Internet zu kaufen oder ist das frisch vom Amazonas importiert?“

Sein Grinsen wurde noch ein bisschen breiter. „Gibt’s sogar bei Amazon. Sehr gute Investition übrigens. Die Fliegenklatsche konnte ich ausrangieren. Das übernimmt jetzt meine Pflanze.“

Mila hatte keinen blassen Schimmer, um was für eine Art Grünzeug es sich handeln konnte, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Vielleicht schaffte sie es doch noch die Kurve zu kratzen und sich als intelligente Gesprächspartnerin zu präsentieren. Auf jeden Fall war es einen Versuch wert.

Plötzlich fiel ihr Mr. Patrik ein, ihr alter Biologielehrer in der High School und sie sagte: „Scheint ein exotisches Exemplar zu sein.“

Bei der Erinnerung an Mr. Patrik war ihr schlagartig bewusst geworden, wie sie ihren vorherigen Fauxpas aus der Welt schaffen konnte. Er war ein leidenschaftlicher Fan der Photosynthese gewesen und hatte während ihrer Schulzeit hartnäckig versucht, diesen genialen Trick der Natur zum festen Bestandteil ihres Langzeitgedächtnisses zu machen. Damals hatte sie seinen Vermittlungsdrang als recht lästig empfunden. Nun war sie ihm für seine beharrlichen Bemühungen ausgesprochen dankbar.

Nachdenklich legte sie ihre Stirn in Falten und sagte mit ihrer ernsthaftesten Stimme: „Normalerweise fressen Pflanzen doch kein Fleisch, sondern machen Photosynthese, um zu überleben.“ Sie hielt kurz inne, um ihren nachfolgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen. „Das ist wahrscheinlich der zentralste und wichtigste Prozess auf der Erde. Licht und Wasser, Kohlendioxid und Chlorophyll wird dabei in Sauerstoff und Glucose, also Traubenzucker, umgewandelt.“

Sie lächelte ihn an und versuchte dabei freundlich, aber keinesfalls überheblich oder gar arrogant zu wirken. Solche Fehler machten nur Dummköpfe, die mit ihrem bescheidenen Wissen auftrumpfen wollten. Natürlich hatte auch sie nicht recht viel mehr Ahnung über die Biologie der Pflanzen. Aber das musste er nicht zwangsläufig mitbekommen.

Anscheinend funktionierte ihre Strategie.

Plötzlich stand er auf, eilte zu seinem Schreibtisch, schnappte sich die Zimmerpflanze und lief zurück. Während er sich wieder hinsetzte, stellte er das seltsame Gewächs zwischen sie beide auf den Tisch.

Ein bisschen Stolz schwang in seiner Stimme mit, als er sagte: „Das ist eine Venusfliegenfalle. Sie wird in der Fachsprache auch Dionaea muscipula genannt und ist die am meisten verbreitete fleischfressende Pflanze.“

Mit der rechten Hand zeigte er auf einen der fleischigen Stiele. „Hier dran befinden sich die sogenannten Fangblätter. Sie können in Sekundenbruchteilen zuschnappen. Das Insekt sitzt dann in der Falle. Wie Gitterstäbe versperren die Borsten an den Blatträndern den Ausweg. Die Blätter schließen sich immer fester um das Tier, das dadurch oft zerquetscht wird. Zugleich treten aus vielen kleinen Drüsen Verdauungsenzyme aus, die die Beute zersetzen.“

Langsam hob er den Kopf. Als ihre Blicke sich trafen, strahlte er sie an. Er wirkte so begeistert, als würde er ihr gerade eine neuartige Methode erklären, um Weizen am Nordpol anzubauen. „Ist der perfekte Fliegen-Fänger.“

Mila lachte laut. Das konnte auch nur ihr passieren. Wahrscheinlich hatte sie den einzigen Sex-Coach von New York erwischt, der auf Killerpflanzen stand.

Einen Moment später verstummte sie abrupt.

Ob er in den intimen Bereichen seines Lebens auch solche bizarren Vorlieben hatte?

Und würde er sie darin unterrichten?

Schnell verdrängte sie den Gedanken. Momentan war erst mal nur wichtig, dass sie ihr Ziel vollkommen überraschend doch noch erreicht hatte: Endlich kam das Gespräch in Fahrt.

Freundlich lächelnd sagte er: „Ich bin übrigens Paul...“

„...und ich bin Mila“, antwortete sie und beobachtete, wie das Lächeln süße Grübchen in seine Wangen grub.

Zu ihrer Erleichterung nahm er jetzt die Gesprächsführung in die Hand und begann über sich und seinen Job zu erzählen. Er hatte an der Boston University Psychologie studiert und promoviert. Anschließend hatte er eine Ausbildung zum Sexologen gemacht und war nun seit mehreren Jahren als Sex-Coach tätig. Seiner Meinung nach herrschte in diesem Lebensbereich extremer Beratungsbedarf. Zahlreiche Studien belegten, dass der zunehmende Stress der Lustkiller Nummer eins wäre. Immer mehr Menschen wären im Bett frustriert. Letztendlich könnte das sogar das Ende einer Beziehung bedeuten. Er wollte Menschen dabei helfen, den Sex wieder schwerelos zu machen und Spaß im Bett zu haben.

Als er seine Ausführungen beendet hatte, räusperte Mila sich und sagte: „Nur, dass wir uns richtig verstehen: Ich bin keine blutige Anfängerin.“

Erstaunt zog er seine rechte Augenbraue weit hoch. „Mit wie vielen Männern hattest du denn schon Sex?“

Sie zögerte und stammelte: „Ähm...also...das waren...“

„Kein Problem, du brauchst nicht darauf zu antworten“, kam er ihr zu Hilfe. „Ist ganz normal, wenn du nicht darüber reden willst. Offen über Sex zu sprechen wirkt manchmal wie ein Tabubruch.“

Er lächelte sie an. „Aber ich verspreche dir, es lohnt sich, dieses Tabu zu brechen.“

Mila war sich nicht sicher, ob er das ehrlich meinte oder ob es nur eine Phrase war. Auf jeden Fall hörte es sich spannend an.

Wie sein Coaching wohl aussehen würde?

Deborah hatte ihr leider nichts verraten. Vielleicht hatte sie aber auch einfach selbst keine Ahnung. Obwohl das eher unwahrscheinlich war. Schließlich war sie es gewesen, die auf ein Sex-Coaching bestanden hatte. Der Gedanke hatte Mila anfangs überhaupt nicht gefallen. Letztendlich hatte sie aber doch eingewilligt. Mittlerweile fand sie die Idee sogar richtig gut. Es war eine weitere Inspirationsquelle für ihr verrücktes Projekt.

Langsam wurde sie wirklich neugierig, was er mit ihr vorhatte.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte er: „Deborah hat mich beauftragt, dich zur perfekten Liebhaberin auszubilden. Das geht natürlich nicht, denn DIE perfekte Liebhaberin gibt es nicht.“

Er hielt kurz inne.

Mit fester Stimme fuhr er fort: „Aber ich verspreche dir, dass ich aus dir eine so gute Liebhaberin mache, dass alle Männer dich wie verrückt buchen werden.“

Neugierig blickte Mila ihn an.

„Meine Coaching-Methode ist schnell erklärt: Du hast Sex mit deinen Kunden und anschließend reden wir darüber.“

Zögerlich erwiderte sie: „Was soll das bringen?“

„Du wirst mit jedem Mal besser werden. Dazu werde ich dir kleine Aufgaben geben und kontrollieren, ob du sie auch wirklich umsetzt.“

„Wie soll das gehen? Du bist schließlich nicht dabei!“

Er lächelte triumphierend. „Natürlich werde ich dabei sein. Hightech sei Dank.“

Gespannt schaute er sie an. Mila hatte den Eindruck, als würde er auf ihre Reaktion warten.

Irritiert blickte sie zurück. Obwohl er akzentfreies Englisch sprach, wusste sie nicht was er meinte. Hightech sei Dank - was sollte das bedeuten?

Verwundert beobachtete sie, wie er in die linke Innentasche seines Sakkos fasste, ein kleines, silbernes Etui herauszog und es neben die fleischfressende Pflanze auf den Couchtisch legte.

Mit der rechten Hand forderte er sie auf, es sich näher anzuschauen.

Vorsichtig nahm sie es in die Hände und drehte es mehrmals hin und her. Es hatte eine rechteckige Form und fühlte sich leicht an. Auf der Vorderseite war ein großer Stern eingraviert, der mit einem kreisförmigen Muster verziert war.

Bedächtig strich sie mit dem rechten Daumen über die Oberfläche.

Die Rillen der einzelnen Kreise um den Stern fühlten sich rau an. Es war ein hübscher Kontrast zu dem glatten Silber der übrigen Etuifläche.

Neugierig begutachtete sie die Seitenflächen. Rechts oben war ein kleiner Knopf. Vorsichtig drückte sie drauf.

Aus einem kleinen Loch sprang eine Zigarette so weit nach oben, dass man sie mühelos herausziehen konnte.

Überrascht hob Mila den Kopf.

Paul stand auf, beugte sich über den Tisch und streckte den Arm so weit aus, dass seine rechte Hand beinahe ihre berührte. Sein Duft fiel ihr auf. Er roch angenehm herb und männlich.

„Drück’ mal hier drauf“, sagte er und deutete mit dem Zeigefinger auf einen silbernen Knopf in der Mitte des eingravierten Sterns.

Obwohl sie mehrmals hintereinander auf den Knopf drückte, konnte sie keine Veränderung erkennen.

Ratlos blickte sie ihn an.

Er lächelte zufrieden. Im Gegensatz zu ihr war er über dieses Ergebnis mehr als erfreut.

Frustriert legte sie das Etui zurück auf den Tisch.

Schnell nahm er es in die rechte Hand und hielt es demonstrativ hoch, so dass die Vorderseite mit dem eingravierten Stern genau erkennen konnte. Mit seiner linken Hand zeigte er auf den Knopf.

„Von außen ist nichts zu sehen. Aber im Inneren des Knopfes befindet sich eine Mini-Kamera. Sie ist mit dem Internet verbunden.“

Er lächelte wieder triumphierend.

„Auf diese Weise werde ich per Livestream auf dem Laptop zuschauen, während du Sex hast. Das ist die optimale Möglichkeit, um nach jedem Termin eine objektive Gesprächsgrundlage zu haben.“

Mit weit aufgerissen Augen starrte Mila ihn entsetzt an. Das war mal wieder typisch. Wahrscheinlich hatte sie den einzigen Sex-Coach von New York erwischt, der nicht nur in seinem Büro Killerpflanzen züchtete, sondern noch dazu hochgradig pervers war.

So heftig Mila nur konnte schüttelte sie den Kopf. „Das kommt überhaupt nicht infrage!“

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