Читать книгу GLAMOURSEX - Sabine Hoffmann - Страница 7
4.
ОглавлениеBarfuß stand Mila in einem lichtdurchfluteten Atelier vor einer alten Holzeistaffelei. In dicken Pinselstrichen hatte sie auf eine große Leinwand ein goldenes Haus gemalt, dessen hohe schwarze Türme den Betrachter sofort erkennen lassen sollten, um was für eine Art Gebäude es sich handelte: ein Schloss.
Sie bückte sich zu der silbernen Blechdose neben der Staffelei auf dem Boden, in der ein Sammelsurium alter und neuer, dicker und dünner Pinsel steckte. Nacheinander zog sie mehrere Pinsel heraus, prüfte ihre Stärke, entschied sich für einen mit einer filigran geformten Spitze und tauchte ihn in schwarze Farbe. Mit zarten Pinselstrichen malte sie vier Kätzchen, die das Schloss erkundeten und ihr Unwesen trieben. Im obersten Stockwerk thronte ein Kätzchen auf einem samtbezogenen roten Königsstuhl und hielt Zepter und Reichsapfel in seinen Pfoten. Auf dem Kopf saß eine goldene Krone so schief, dass es mehr drollig als majestätisch aussah. Ein Stockwerk tiefer baumelte ein Kätzchen vom einem kristallenen Kronleuchter; unter ihm tänzelte ein weiteres mit einer langen Perlenkette um den Hals selbstverliebt vor einem ovalen Goldspiegel; daneben räkelte sich ein viertes Kätzchen in einem großen Himmelbett.
Nummer fünf saß im Erdgeschoss und beobachtete das Treiben seiner Artgenossen amüsiert. Anders, als die vier Kätzchen, hatte es kein schwarzes, sondern ein weißes Fell, und noch dazu große Augen, die von so klarem Blau waren wie Aquamarin. Während Mila eine goldene Fünf auf das weiße Fell zeichnete, dachte sie, dass ihr das weiße Kätzchen wirklich gut gelungen war. Es sah so süß aus wie Choupette, die weltberühmte Katze von Karl Lagerfeld.
Sie ließ den Pinsel sinken, ging ein paar Schritte zurück und begutachtete ihr Werk. Natürlich, es war kein Picasso. Auch kein Matisse oder Toulouse-Lautrec. Einen hochkarätigen Preis würde sie damit garantiert nicht gewinnen. Trotzdem war sie mehr als zufrieden. Sie wollte mit ihren Bildern unterhalten, ein Lächeln auf die Lippen des Betrachters zaubern. Unterhaltsam und schön anzusehen sollte ihre Kunst sein.
Mila hatte das Gefühl, das war ihr gelungen. Sie seufzte erleichtert.
Das Katzenschloss sah entzückend aus. Ein Gefühl tiefen Glücks strömte plötzlich durch ihr Inneres, als ihr bewusst wurde, wie sehr sie diesen Moment herbeigesehnt hatte. Endlich kam sie wieder in Fahrt, hatte neue Ideen. Das war ein gutes Zeichen. Hoffentlich war die lange Schaffenskrise bald zu Ende.
Die vergangenen Monate waren hart gewesen, sie hatte nichts auf die Leinwand gebracht, war oft frustriert gewesen. Selbstzweifel hatten an ihr genagt, sie zunehmend zerfleischt. Je länger dieser Zustand andauerte, desto sinnloser erschien ihr alles. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als von ihrer Malerei leben zu können.
Bislang sah es leider nicht so aus, als würde ihr das gelingen. Im letzten Jahr hatte sie gerade mal zwei Bilder verkauft. Läppische sechshundert Dollar hatte ihr das gebracht. Von wegen boomender junger Kunst. Sie spürte nichts davon. Keiner wollte ihre Gemälde haben. Wie oft hatte sie sich wertlos gefühlt, war nahe dran gewesen, alles hinzuschmeißen und sich irgendeinen normalen Bürojob zu suchen. Ihr Traum, eine anerkannte und gefragte Künstlerin zu sein, war in immer weitere Ferne gerückt.
Heute war das zum ersten Mal wieder anders. Das hatte sie schon in dem Moment gespürt, als sie den Pinsel in die Hand genommen hatte. Eine ungeheure Energie ging von ihm aus. Plötzlich wusste sie, was sie malen wollte. Der Pinsel flog wie von Zauberhand geführt über die Leinwand, formte aus Strichen Figuren und Gegenstände, machte aus einer weißen Leinwand ein buntes Katzenschloss. Sie war eingetaucht in die fremde Welt, hatte sich mitreißen lassen, alles um sich herum vergessen. Das Schreien der Jugendlichen auf dem angrenzenden Basketballplatz, den Motorenlärm der Autos draußen auf den Straßen Brooklyns, den abgestandenen Geruch von abgestandenem Frittierfett, der von dem billigen Imbiss ein Stockwerk tiefer hochwehte.
Sie hatte die Zeit vollkommen vergessen. Als ihr das bewusst wurde, lief sie zu dem abgewetzten braunen Chesterfield-Sofa, das vor der grauen Sandsteinwand stand. Dort lag ihre neue knallgrüne Handtasche mit dem Blumenmuster im modischen Ethnoprint. Während sie den Reißverschluss öffnete und die unzähligen Innentaschen vergeblich nach ihrem Handy durchwühlte, wünschte sie sich einen Moment lang, wieder eine Uhr am Handgelenk zu tragen. Seit ein paar Jahren machte sie das nicht mehr, fühlte sich nun zwar bedeutend freier, war aber leider notorisch unpünktlich. Endlich hatte sie das Smartphone gefunden. In schwarzen Ziffern leuchtete die Uhrzeit.
Es war 15.05.
Unglaublich. Sie musste knapp fünf Stunden am Stück gemalt haben. Die Zeit war nur so verflogen.
Mit schnellen Schritten ging sie zu dem verrosteten Waschbecken in der hinteren Ecke des Ateliers und drehte den altmodischen Hahn auf. Ein dicker Strahl kaltes Wasser floss heraus. Während sie fein säuberlich die Farbe von den Pinseln spülte, beobachtete sie durch die hohen, schwarz umrahmten Sprossenfenster, wie eine rundliche Frau in Jogginghosen und Sneakers auf der anderen Straßenseite einen alten Kinderwagen über den Bürgersteig schob. Um sie herum sprang ein kleiner Junge im Spiderman-Kostüm und wedelte vergnügt mit einem bunt eingepackten Geschenk in seinen Händen. Wahrscheinlich war er auf dem Weg zu einem Kindergeburtstag, vermutlich eine Motto-Party. Sie musste kurz an ihre beiden Zwillingsbrüder denken, Bruce und Clark. Früher hatten sie sich auch liebend gerne als Comic-Helden verkleidet. Bruce ging wie sein Vorbild Bruce Wayne als Batman, Clark wie Clark Kent als Superman. Batman und Superman, das waren bis heute ihre Spitznamen geblieben - obwohl beide mittlerweile schon achtundzwanzig waren. Ganz zur Freude ihres Vaters waren die beiden Comic-Freaks. Wahrscheinlich hatte er sie mit seiner eigenen Leidenschaft für Zeichentrick-Figuren schon im Mutterleib infiziert. Soweit sie wusste, hatte er sofort als ihre Mutter ihm mitgeteilt hatte, dass sie Zwillingssöhne erwarteten, darauf bestanden, beide nach seinen liebsten Comic-Helden zu benennen: Batman und Superman, Bruce und Clark.
Lächelnd nahm sie ein altes Handtuch vom Haken an der Wand neben dem Waschbecken, trocknete die Pinsel ab und steckte sie wieder in die silberne Blechdose auf dem Boden.
Dann wusch sie sich die Hände und schaute an sich herab. Bunte Farbspritzer hatten sich auf dem viel zu weiten, weißen Männerhemd und den blauen Röhrenjeans verteilt, die sie beim Malen immer trug. Ihr Blick glitt auf den Boden zu ihren nackten Füßen. Gut, dass sie beim Malen nie Schuhe anhatte. Mehrere schwarze und weiße Tupfer leuchteten auf ihrem rechten und linken Fußrücken. Sie nahm einen alten Lappen vom Waschbeckenrand. Eilig wischte sie die Farbspritzer weg und ging zurück zu dem Chesterfield-Sofa.
Vorsichtig zog sie ein knallgrünes Sommerkleid aus ihrer Tasche, das sie sorgfältig eingerollt hatte, damit es nicht zerknitterte. Zärtlich strich sie den feinen Stoff glatt. Als sie es gesehen hatte, hatte sie sofort gewusst, dass es ihr Kleid war. Sie hatte es gemeinsam mit ihrer neuen Tasche gekauft. Obwohl die zwei Teile eigentlich viel zu teuer waren, hatte sie keine Sekunde gezögert, sich beides von ihrem letzten Gehalt als Starbucks-Bedienung zu kaufen. Sie hoffte, dass sie nie wieder dort arbeiten musste. Es war ein Scheißjob.
Schnell zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus und streifte das Kleid über. Dann schlüpfte sie in ein Paar beige Ballerinas.
Kritisch begutachtete sie sich in dem verkratzten Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Wie immer beim Malen hatte sich ihr Pferdeschwanz in Strähnen aufgelöst. Sie nahm eine Bürste aus der Tasche, löste den Haargummi, strich sich das Haar glatt, überlegte kurz, es hoch zu stecken, entschied sich dann, es offen zu tragen.
Sie hielt ihren Kopf dicht vor den Spiegel. Große, hellblaue Augen blickten ihr entgegen, die von langen, dunkelbraunen Haaren umrahmt wurden. Mila fand, sie sah ganz passabel aus. So konnte sie sich sehen lassen.
Sehnsüchtig warf sie einen letzten Blick auf das Katzen-Schloss auf der Staffelei. Sie konnte es kaum erwarten, weiter zu malen. Trotzdem zwang sie sich, zu gehen. Sie war spät dran. Als sie an den bevorstehenden Termin dachte, verspürte sie tief in ihrem Magen ein nervöses Ziehen. Das Glücksgefühl von eben war verflogen. Sie war plötzlich angespannt. Gleich hatte sie das erste Treffen mit ihm, ihrem neuen Sex-Coach.