Читать книгу Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt - Sabine Peters - Страница 10

Auto, Krefeld, Ferien in Holland

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Das Auto in der Garage war rund und blau, ein Wal oder eine Arche. Kinder durften nicht allein hinein, doch Jutta und Barbara hatten Mamatschi einmal reingelockt. Sie saß auf der Rückbank, Barbara war der kühne Vater am Steuer, Jutta als Mutter blätterte in Landkarten und gab die Richtung vor. Marie kam gern als Sohn dazu. Die Reisenden wurden erwischt, zur Strafe mussten die Kinder Eckestehen, und Mamatschi bekam das Abendessen in ihrem Zimmer.

Marie fand das Auto schön, solange es reglos stand, so stark und schwer und still. Durch das Garagenfenster redete sie ihm oft zu, um es zu zähmen. Der Vater hatte es Rosinante genannt, nach Don Quichottes Pferd.

Die großen Schwestern hatten Sommerferien. Vater saß an seiner Schreibmaschine und kam nicht weiter mit seinem Aufsatz. Werden und Wachsen einer Rheinstadt. Mutter fand, er hätte beim Rasselstein bleiben sollen. Das Werden und Wachsen der Rheinstadt kümmerte vor sich hin, denn Vater hatte eine Schreibkrise. Mutter fragte, bist du Goethe? Sie zeigte ihm das Haushaltsbuch. Sie sprach über die festen roten und die unsicheren schwarzen Zahlen. Sie sagte, Oma Hanna findet freie Journalisten, der Vater unterbrach sie, schrie, ich bin nicht stellungslos, ich arbeite! Er hackte auf der Maschine weiter. Mutter beruhigte ihn, die Kinder und sich selbst: Unsere schwarzen Zahlen reichen. Wir zahlen dem Rasselstein pünktlich die Miete. Wir ernähren uns, wir spenden für die Armen, wir tanken das Auto. Wir fahren sogar in die Ferien.

Mutters Schwester hatte reich geheiratet. Tante Rose, Onkel Dirk und zwei Söhne lebten in Krefeld in einem Haus mit Wendeltreppe und Swimmingpool. Morgens gingen die Erwachsenen von ihrem Schlafzimmer aus die Wendeltreppe runter, dann konnten sie gleich ins Wasser springen. Oder sich auf das Standrad setzen und trainieren. In ihrem Garten stand eine Hollywoodschaukel. Sie besaßen auch ein Haus mit See in Genepp, Holland, und wenn sie nicht selbst dort waren, durften andere dort ihre Ferien verbringen.

Marie dachte an süßen holländischen Hagelschlag. An die weite Fahrt und daran, wie das Auto stank, nach Würstchen und Benzin und Kotze.

Genepp, Vater sprach es aus, als hätte er etwas verschluckt, Chenepp. Die Kinder krächzten ihm nach, Chenepp.

Das Packen vor der Reise: Koffer, Rucksäcke, Schuhbeutel, Bettwäschesäcke. Medikamentenkasten, Waschzeug, Badesachen, Spielzeug, Bücher, Schreibmaschine, Lebensmittel.

Am Abend vor der Reise trugen sie alles zur Rosinante. Vater wuchtete die schweren Sachen in den Kofferraum und füllte Lücken mit weichen Säcken. Dann fielen ihm die sperrigen Kartons mit Weinflaschen und Eingemachtem ein. Mutters Wäschefalten war der blanke Unverstand gewesen. Bettlaken und Handtücher konnten als Schutz für die Flaschen und Gläser dienen. Er sagte, Ordnung ist nur das halbe Leben. Jedes System braucht Fantasie! Warum sind wohl die alten Römer am Ende untergegangen?

Die beiden stopften das Auto voll bis auf den letzten freien Fleck. Dann studierte Vater noch einmal die Landkarten. Mutter sorgte in der Küche für den Proviantkorb. Auf alle Reisebrote kam ein Salatblatt, damit die Schnitten sich hielten. Das gab es nur auf der großen Reise nach Genepp.

An einem frühen Morgen saßen die Kinder in sauberen Kleidern hinten im Auto, die großen Schwestern an den Fenstern, die beiden kleinen auf den mittleren, billigen Plätzen. Keiner von ihnen muckste. Sie hatten ihre Lieblingswesen mit dabei, den Hund Dröner, den Tiger Tüschen, die Puppe Lieschen, den Teddy Judith. Die Eltern ermahnten Mamatschi. Vater steckte den Schlüssel mit dem heiligen Christophorus ins Schloss, und als der Motor lief, zeichneten sich die Eltern gegenseitig ein Kreuz auf die Stirn. Auch jedes Kind bekam eins. Vater fuhr los. Die Kinder winkten der Großmutter und dem Haus, dann fingen sie zu singen an.

Später zählten sie Verkehrsschilder und spielten Stein schleift Schere. Sie winkten anderen Autofahrern. Sie stritten, weil es längst Zeit war, die Plätze zu wechseln. Am Fenster konnte man nach Luft schnappen. Wem schlecht wurde, der sollte sich beizeiten melden. Er bekam ein Apfelstück und musste an einem Erfrischungstuch riechen.

Es gab eine Pause und Brot mit Salatblatt. Danach fuhr Mutter, sie sollte in Übung bleiben. Sie saß fast auf dem Steuerrad. Du bist nicht dumm, aber du musst die Spur halten, rief der Vater.

Jutta und Barbara bugsierten ein paar Taschen auf die Rückablage, so gab es mehr Platz zum Kämpfen. Katrin wurde gefangengenommen und auf den Autoboden gedrückt. Bald saß auch Marie im Verließ. Am Boden roch es nach Gummimatte und Rumpeln. Die beiden Großen hielten die ganze Rücksitzbreite besetzt und wehrten die Kleinen ab, die wieder auf ihre Plätze wollten, raus aus dem Kerker. Vater sprach ein Donnerwort. Da setzen die Kinder sich schnell wieder ordentlich hin.

Sie fuhren, sie fuhren. Maries Mund schmeckte nach Spucke, Gummimatte, Würstchen, Benzin und Erfrischungstuch.

Sie wusste, wenn man alle Hoffnung aufgibt, ist die Rettung nahe. Daher gab sie alle Hoffnung auf, aber das half nicht. Vielmehr kam das Schlucken. Vielmehr kam der saure Brei. Marie schluckte und schluckte dagegen an, doch er stieg hoch. Der Schweiß war heiß und kalt. Sie schaffte es knapp mit dem Melden. Jutta schaffte es, ihr einen Lappen vor den Mund zu halten. Mutter schaffte es, das Auto anzuhalten. Marie hockte am Straßenrand und reiherte das Innere nach außen. Die Eltern lobten sie. Sie hatte aber einen Klecks auf das saubere Hemd gemacht. Barbara sagte, Stinkadores, und musste sich eine Kopfnuss geben. Vater übernahm das Steuer, er sagte Marie: Du hast den Fliegen und den Ameisen ein Festessen beschert. Sie dachte, dass die Tiere sich wohl freuten. Aber jetzt musste ihre Kotze ganz allein am Straßenrand auf die Vernichtung warten.

Mutter übte mit den Kindern den Kanon vom Kaffee. Sie fuhren, sie fuhren. Es war heiß und eng. Katrin und Marie waren benommen von dem vielen Auto. Sie streichelten zum Trost die Hinterköpfe der Eltern.

Vater hielt vor der hohen Hecke beim Grundstück der Tante Rose. Die Kinder stiegen aus und hüpften auf der Stelle, um wieder wirklich zu werden. Mutter zog ihre Kleider zurecht und fuhr mit einem Kamm durch die vier Kurzhaarschnitte. Ihr seid gesittete Christenmenschen, sagte sie, wenn ihr das bitte behalten wollt.

Als Gastgeschenk brachte sie eine Flasche Badeschaum und eine Flasche Wein für die Verwandten mit.

Der Swimmingpool war verboten, die Tante sagte, leider gerade frisch gechlort. Da stritten die vier Kinder mit den Cousins ums Standrad, denn sie waren der Besuch, die Jungen hatten es jeden Tag. Die Jungen waren größer und stärker, die Mädchen waren in der Mehrzahl. Schließlich sausten sie miteinander die Wendeltreppe vom Schwimmbad zum verbotenen Schlafzimmer rauf und runter und spielten, sie hätten Lianen, um sich daran abzuseilen. Danach trainierten sie mit Hanteln.

Die Eltern tranken Tee mit Onkel Dirk und Tante Rose. Für die Kinder gab es gekauften Saft, den sie zu Hause nicht bekamen. Der Schlüsselbund zum holländischen Haus lag auf dem Tisch. Mutter schrieb auf, was sie beim Herd und dem Boiler beachten musste. Onkel Dirk sagte: Ihr lasst mir keine fremden Leute rein, das Grundstück ist kein öffentlicher Spielplatz. Binnentreden onmogelijk! Geen fietsen plaatsen! Verboden te zwemmen! Versteht ihr das? So viel Holländisch solltet ihr können! Vater murmelte etwas in einer anderen Sprache. Onkel Dirk sagte, dein Römisch bringt dir keinen Blumentopf bei irgendeiner Firma. Mutter legte dem Vater unter dem Tisch ihre Hand aufs Knie. Die Töchter wussten, ihre Eltern mochten den Onkel nicht. Und Mutters Schwester war eine stolze Rose, sie hatte zwar Söhne, war aber etepetete. Das Schwimmbad hatte sie gechlort, damit kein fremdes Kind ins Wasser konnte. Es lag an ihrer Ehe mit dem Onkel, der in seinem Kopf nur schwarze Zahlen wälzte, weil er eine Firma hatte, die aus Samt und Seide war. Vater hatte oft genug gesagt: Es kann einer ein Hüne sein und reich an Geld und er bleibt trotzdem lebenslänglich dumm. Ein anderer ist etwas klein und krumm, doch reich an Bildung. Ihr müsst den Krefeldern nicht sagen, dass ihr den Unterschied kennt. Die Töchter nickten. Sie erklärten ihrem Vater nicht, was ein Schwimmbad bedeutet.

Onkel Dirk suchte in der Zeitung nach einem Artikel über seine Firma, er blätterte die Seiten nass an. Außen hui und innen pfui, doch als Besuchskind hielt man seinen Mund. Man trank Saft auf Vorrat. Man starrte die Cousins an, die trugen kurze Hosen mit Bügelfalte, weiße Hemden, Pullunder und peinliche Fliegen. Aber ihre Haare waren etwas länger als die eigenen und gut geschnitten, vom Friseur und nicht von einem Vater.

Die Mädchen liefen den Cousins nach, in den ersten Stock. Die Jungen hatten pro Person ein eigenes Zimmer. Sie sagten, Betreten verboten.

Der Vater rief, als er wieder am Steuer saß: Auf in die weite Welt! Ihr verlasst jetzt gleich den Mutterboden und das Vaterland! Mutter sagte: Erst kommt der Zoll. Wenn der Beamte auftaucht, will ich kein Wort von hinten hören! Sie hielt die Papiere bereit. Das Auto reihte sich in eine Schlange ein und rückte langsam vor, wie die Erwachsenen am Sonntag in der Kirche, wenn sie für die Kommunion anstanden. Ein Auto musste auf den Seitenstreifen fahren, den Kofferraum öffnen. Die Eltern hatten Angst, also die Kinder auch. Ein Mann in Uniform sagte, Kontrolle, und Vater gab ihm die Dokumente. Er hatte nichts zu verzollen. Er wurde durchgewinkt, ein Schlagbaum ging hoch. Er fuhr im Schritttempo zum nächsten Kontrolleur, der trug eine andere Uniform. Noch ein Schlagbaum.

Sind wir jetzt in Holland? Ich hab es euch im letzten Sommer erklärt, sagte Vater. Seid ihr dumm geblieben? Seht euch die Häuser an! Was ist hier anders als bei uns? Barbara rief, die Gardinen fehlen! Der Vater sagte, richtig. Ein frommer Holländer hat nichts, was er verbergen müsste. Alle dürfen sehen, wie es bei ihm zugeht, sauber, ordentlich, gesittet. Barbara nickte, deshalb haben auch die holländischen Zollbeamten keinen Hintern. Vater starrte sie an und fragte, wer hat sonst noch keinen? Polizisten!, sagte Barbara. Unsinn, sagte Mutter, sogar der Papst hat einen.

Sie erreichten Genepp, fuhren auf einer kleinen Straße weiter. Das Haus der Verwandten stand außerhalb des Orts an einem See. Am Ufer lagen Roller, Räder. Am Ufer spielten Kinder, andere waren im See, sie hatten Wasserbälle und ein Gummikrokodil. Der Vater parkte vor der Haustür. Alle Sachen mussten ausgeladen werden, das war Frauensache. Vater ging zum See, er rief den fremden Kindern zu, geen Fietsen plaatsen. Verboden te zwemmen!

Papa redet holländisch, rief Katrin, was sagt er?

Aber die Kinder schwimmen doch, sagte Jutta.

Wir könnten uns das Krokodil ausleihen, sagte Barbara. Für Katrin, nicht für mich.

Ihr haltet euch raus, sagte Mutter. Meint ihr, eurem Vater macht es Freude, so zu tun, als wär er Onkel Dirk?

Ich möchte mit dem Roller fahren, sagte Katrin. Nein, ich, sagte Marie, du bist zu klein. Gar nicht, Katrin wollte losrennen, doch Mutter packte sie.

Koffer wurden ausgeräumt, die Betten mussten bezogen werden. Die Schwestern wollten schnell zum See und suchten ihren Wasserball.

Vater pfiff sie raus, gab ihnen einen Eimer. Er zeigte in die Runde übers ganze Grundstück. Ihr sammelt sämtliche Papierchen auf, sagte er, und allen anderen Abfall. Bedankt euch bei den fremden Kindern.

Die fremden Kinder waren weg.

Sie zockelten miteinander los. Sandboden, harte Grasbüschel und Kiefern. Überall Dreck.

Katrin flüsterte, ich will keine Papierchen sammeln.

Der See lag glatt und groß. Auf den kleinen Uferwellen schaukelten zwei Apfelkitschen. Ich hol sie raus, erklärte Barbara. Marie sagte, ich helfe dir. Jutta rief, die Eltern haben gesagt, wir dürfen nicht ohne Aufsicht ins Wasser!

Barbara und Marie starrten sie an und wünschten sie fort. Jutta starrte zurück, auch sie wünschte sich fort.

Die Eltern tauchten auf. Der schönste Sommertag, und dann vier Trotzgesichter, sagte Mutter. Vater sagte: Ihr Ärmsten habt nun wirklich eine unglückliche Kindheit.

Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt

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