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Im Wasser

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Es war einmal ein Boot im Meer.

Kinder saßen in der Wanne, Schwestern waren Seeleute.

Die Älteste saß als Kapitän am Heck des Bootes, beim Stöpsel und bei den Hähnen, sie hatte die Macht über Kälte, Wärme, Zufluss und Abfluss. Die Zweite saß vorn, nannte sich Steuermann und hielt nach Gefahren Ausschau. Sie wischte auch die Bugscheiben des Bootes und bewegte ihre Arme dabei gleichmäßig, als wären sie huldvolle Scheibenwischer an Vaters Auto.

Die beiden Älteren sangen das Lied vom geladenen Schiff, das Gottes Sohn trägt. Die Dritte war ein tatenloser Passagier auf dem beengten, billigen Platz in der Mitte. Doch der wurde zum Ehrenplatz, sobald der Schiffer seinen Auftritt hatte.

Bei dem gemeinsamen Baden trat er immer erst spät auf. Wenn eine der beiden großen Schwestern Schiffer wurde, durfte die Dritte an den Stöpsel oder wechselte zum Bug. Dabei schlängelten sich die Kinder als glitschige Wale geschickt aneinander vorbei. Sie bliesen große und laute Fontänen, sie pupsten Blasen.

Doch vor dem Schiffer-Auftritt gab es Anderes zu tun. Sie erschufen Schaum, der trieb auf dem Wasser, flog durch die Luft. Kleine Wolken wurden auf den Wannenrand erhoben. Dann stießen Schnäbel und Mäuler zu, saugten sie ein und spien sie wieder aus. Größere Schaummassen wurden im Wasser erstickt und tauchten unversehrt anderswo wieder auf. Schaum-Ungeheuer, hatte man eines besiegt, schon war es in anderer Gestalt wieder da. Die Kinder bliesen Schaum durch die Luft und schrien, wenn Sturm war. Es stürmte oft, dann drohten sie zu kentern, das Wasser war aufgewühlt, alles bäumte und bog sich. Sie selbst waren das Tosen. Oft schrie die Mutter von draußen: Wehe, wenn ich komme! Aber sie ließ den Töchtern Zeit. Sie kümmerte sich um ihr jüngstes Kind, das noch gefüttert und gewindelt wurde und das sie in einer Schüssel badete, bevor es eines Tages auch zur Bootsbesatzung kommen würde.

So war die Mutter nicht dabei, wenn die drei Älteren Vaters Gebot befolgten. Er hatte sie gelehrt, was er von einem Seemann wusste, Matrosen im Boot müssen schiffen. Denn das bekämpft die Pilze. Die Kinder wollten nicht wie tote Bäume pilzbewachsen sein. Ihre Eltern hatten ihnen das Leben geschenkt. Sie befolgten Vaters Gebot.

Jutta war der Kapitän, Barbara Steuermann, Marie der Passagier. Das Boot legte ab, sie schipperten los, schlugen Wellen.

Jutta als Älteste trug die Verantwortung. Barbara war der Meister der Reihenfolge, der nichts vergaß. Wenn sie sagte, heute ist Marie dran, war es ihr Tag als Schiffer. Die Mitte war jetzt der wichtigste Platz, sie saß dort feierlich wie Gott Sohn. Zu ihrer Rechten und Linken die armen Schächer. Es stand ihr frei, zwischen zwei heiligen Sätzen zu wählen: Der Schiffer steht, oder, der Schiffer sitzt. So war es Brauch. Marie donnerte: Der Schiffer sitzt, und Barbara und Jutta verneigten sich, auch das war Brauch. Fertig?, fragte Jutta, Meister der Handlung. Die Antwort musste man gemessen sagen: Fertig, sagte Marie majestätisch. Jutta und Barbara hielten sich die Ohren zu und tauchten, um unter Wasser mit aufgerissenen Augen zu sehen, ob die Dritte auch ein rechter Schiffer war. Mit brennenden Augen hielten sie durch. So lange, bis Marie ihr Wasser laufen ließ, ein Rinnsal, beinahe unsichtbar. Die beiden Schwestern tauchten schreiend auf. Die Dritte hatte das Gebot erfüllt. Sie hatten es gesehen und sie sagten, dass es gut war.

Damit Gerechtigkeit herrschte, musste der Schiffer danach die Taufe erdulden. Im Namen des Vaters, des Sohnes, des Geistes.

Auftritt des armen Täuflings und der beiden Täufer. Die beiden Älteren hoben Händeschalen voller Schaum und Wasser auf und gossen sie über Marie aus. Fertig?, fragte Jutta. Marie kniff die Nasenflügel und die Ohren zu, verneigte sich und sagte, fertig. Die Schwestern tauchten sie unter Wasser, wo alles ganz anders klang, wo auch die Zeit ganz anders verlief, wo einer nur warten konnte und beten, beten, endlich die Stimmen der Schwestern zu hören, wie sie langsam und feierlich sprachen, im Namen des Vaters, des Sohnes, des Geistes. Sie rissen Marie hoch an die Luft, und die schrie Amen, Amen, schrie aus Leibeskräften. So war es Brauch und Gebot. Das Schreien war lebensnotwendig, denn unter Wasser fehlte der Atem Gottes, der allen Menschen das Leben einblies. Der Gotteshauch schenkte das Menschenleben und er behütete es. Die Mutter sang davon, am Abend, wenn die vier Kinder schon in ihren Betten lagen. Man ahnte: Vorher, in der Wanne, stritten Gott und sein Widersacher, das war die Lebensgefahr. Man musste auf Gottes Hauch in sich selbst vertrauen, wenn man Täufling war, man musste schreien, wenn die Schwestern mit dem Beten fertig waren und man wieder leben durfte.

Die Eltern hörten vom Brauch des Taufens und verboten ihn. Dieser Brauch gehört ins Haus Gottes und nicht in die Wanne. Die Mutter sagte: Der Herr unser Gott sieht alles, auch wenn ich’s nicht sehe. Ihr dürft nicht lügen, ihr dürft auch nicht taufen. Man kann dabei sterben. Ohne Luft erstickt der Mensch.

Die Kinder aber atmeten und regten sich, sie alle drei rutschten und glitschten und spritzten, sie lobten den Herrn auf seinem geladenen Schiff, den Vater, den Sohn und den Geist. Sie waren drei Schiffer, immer wieder von neuem getauft mit dem Wasser des Lebens.

Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt

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