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Mittagessen

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Wenn sie beim Tischdecken half, gab Mamatschi ihr das abgezählte Besteck in die Hand, als könnte sie noch nicht rechnen. Wie man es hinlegt, hatte der Vater oft genug erklärt: Die Gabel hat als Frau den Vortritt, kleine Löffel werden getragen, der Messermann spricht das Schlusswort.

Man konnte auch tun, als wäre der Tisch ein Fußballfeld wie im Garten der Nachbarn. Man baute sieben Tore auf den Tisch: Gabelpfosten, Löffelquerlatte und Messerpfosten. Auf Katrins Platz kam noch kein Messer. Mamatschi brachte das Geschirr und setzte es in die Tormitte. Fünfmal die vornehme Maria Weiß, ein Hühnerbildteller, ein Punkteschälchen.

Marie nahm die Servietten aus der Schublade, um sie neben die Mutterpfosten zu legen. Mamatschis Serviette wurde von einem silbernen Reif gehalten. Vater und Mutter hatten bestickte Stofftaschen, Geschenke von Jutta. Für Jutta und Barbara gab es auch Servietten, gerollt wie die von Mamatschi, sie steckten in bastumwickelten Pappreifen. Marie und Katrin trugen beim Essen Lätzchen. Mutter hatte Marie versprochen: Sobald du in die Schule kommst, darfst du Servietten und Maria Weiß benutzen.

Immer rief mittags jemand aus dem Flur: Nach dem Klo und vor dem Essen Händewaschen nicht vergessen! Tumult im kleinen Bad.

Dann sieben Leute um den Tisch im Esszimmer. Komm, Herr Jesu Christ, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast, Amen. Alle mussten von allem einen Anstandslöffel essen. Beispiel: Kartoffeln, Rührei, Spinat, dazu zerlassene Margarine.

Auf Maries Hühnerbildteller pickten eine weiße Henne und vier gelbe Küken ahnungslos, bevor das heiße Essen über sie hereinbrach. Marie griff nach der Gabel, um die Köpfe ihrer Hühner freizulegen. Schnell bekamen alle wieder Luft. Der Mund war vollgestopft, Spinat, Kartoffeln, Rührei, es war ein großer Essenskloß in Maries Mund, wichtig war nur, das Federvieh konnte atmen. Die vier Küken sollten sich an ihre Muttersicher halten, aber manche waren eigensinnig, sahen nicht den Bussard mit den harten Augen, seinem spitzen Schnabel und den messerscharfen Zinkenkrallen oben in der Höhe schwebend lauern. Der Bussard zog langsame Kreise über der grünen und gelben Landschaft. Er stürzte unvermittelt ab, fing Küken und sogar Lämmer, brachte sie in sein Nest zum Fraß für die eigenen Jungen. Da wurden sie zerfetzt und halb lebendig heruntergewürgt.

Der Vater hob den Zeigefinger und rief den beiden Jüngsten zu: Kauen, Schlucken! Einfache Übung!

Auch Katrins Mund war vollgestopft. Sie fuhrwerkte mit ihrer Gabel in dem grünen gelben Land, belud sie, ließ sie durch die Luft schweben. Wehe dir, du matschst, sagte Mutter, noch ist die Tischdecke sauber. Jutta sagte, wir hatten heute Diktat, und mittendrin hat Herr Vulker gepupst. Er ist ein alter Pupsmann, sagte Barbara. Ich höre das Wort nicht gern, sagte Vater. Ihr solltet dankbar sein, dass er sich noch mit Kindern abgibt, er könnte längst seine Rente verprassen. Marie roch an ihrem Lätzchen, das stank. Sie wollte auch zur Schule gehen, wollte eine Serviette und eine weiße Maria. Das war gegen den Hühnerteller treulos. Die Henne und alle Küken würden unter Katrin gefährlich leben, die aß langsam.

Marie stach sie in den Bauch, dann hob sie den Finger und rief: Kauen, Schlucken! Einfache Übung! Katrin sagte, Pupsmann.


Beim Mittagessen galt die Anstandslöffelregel nicht für Kinder, wenn es Niere, Leber, Herz und anderen Innereien gab.

Das Kartoffelpüree war ein Burgberg, in dem der Burgherr Möhrenprinzen gefangen hielt. Braune Linsensuppe kam aus einem dunklen Wald, an dessen Rand ein Moor lag, sie gehörte zum Land der Verruchten. Kartoffelklöße waren freundliche Riesenfrauen. Spargel schmeckte nach Wasserleiche, nach toter Jungfer. Die Gabel stakste durch den Urwald aus grünem Salat, pickte nach Schnittlauch, schnitt eine zitronensaure Fratze und spritzte vor Freude. Gekochte Erbsen nannte Vater lästiges Kindergesocks, er mochte lieber Erbsenmus, das lag auf den Tellern als matter Schlamm. Der Pfannkuchen rannte kantapper kantapper davon: Bin ich nicht schon dem Hasen und dem Wolf entkommen? Marie mochte ihn gern, obwohl er nicht rennen und rollen sollte. Sie hätte sich ihn gern auf den Kopf gelegt, als Heiligenschein. Die Blutwurst war vom falschen Glitzerspeck verflucht, vor Trauer schwarz, und wer sie aß, erlöste sie. Der Schellfisch lag in einem ovalen schwarzweißen Boot und schämte sich, wenn ihm die Silberhaut vom Leib geschnitten wurde und in feuchten Fetzen dalag. Reibekuchen waren niederes, stinkendes, rohes Gesindel, das man nur in der Küche aß. Reibekuchen waren, sagte Vater, manchmal Schwärzlinge, sie trotzten und schrien und brannten. Nudeln aßen sich von selbst und lagen sanftmütig im Bauch. Blumenkohl stank. Chicorée war bitter, aber die Eltern hatten in der Kriegszeit Giersch gegessen und sich nicht beklagt. Bratwürstchen rutschten im Hals zwar runter, aber sie wollten gleich wieder rauf. Gefüllte Paprika waren scharfe Chinesen, die Schlitzaugen machten. Die Frikadellen hatte Vater umbenannt, sie hießen Teigwaren, weil Mutter das Fleisch mit zu vielen Brotresten streckte.

Man schlug mit seinem Löffel auf den Wackelpudding ein und sagte: Zittre nicht, ich fress dich doch. Das Apfelkompott teilte man sich in Viertel, ließ den Löffel über jedes Viertel wandern und sagte dazu: Dich-es-se-ich-zu-erst-auf. Dann nahm man eine Löffelspitze. Man arbeitete sich langsam, aber stetig vor, bis aller Nachtisch weg war.

Wir danken dir, Herr Jesu Christ, dass du unser Gast gewesen bist, Amen.

Danach durfte eines der Kinder die große Tonne aus der Küche bringen, wenn nicht Advents- oder Fastenzeit war. Die große Tonne war eine schwarzrote blumengemusterte Dose aus Blech. Darin gab es Schokolade, Lakritzkatzen und Gummibären und man versuchte mit Mutter zu handeln, denn ein Stück Schokolade war mehr wert als ein Getier. Vater sagte zu den Kindern, ihr seid dumme Krämerseelen. Aber er handelte selbst mit Mutter, führte gewundene kluge Reden und stahl unterdessen.

Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt

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