Читать книгу Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt - Sabine Peters - Страница 12

Lehrreiche Kunst

Оглавление

In diesem holländischen Sommer gab es Haustage und Reisetage. Die Haustage waren für Kinder einfach, man spielte zusammen, oder jeder war mit seiner eigenen Welt befasst.

Mutter hatte alle im Auge, Vater kämpfte mit seinem Aufsatz. Er mochte lieber Reisetage.

Einmal fuhren sie an die Nordsee, tobten in den Dünen, sprangen in die Wellen, ließen sich wiegen. Eine rosaweiße Qualle sah so aus wie feinste Spitze, und Marie wollte dies schönste Tüchlein greifen, rührte es nur an und war überwältigt von Schmerz, vergiftet, verbrannt, erstochen. Sie verlor ihre Grenzen, schrie und wurde mit Wasser begossen. Sie weinte, beruhigte sich nur langsam. An diesem Tag spendierten die Eltern den Kindern zweimal Eis. Abends in Genepp briet die Mutter einen Knochenfisch, der Butt hieß und ein großes und ein kleines Auge machte.

Ein andermal fuhren sie ins Naturschutzgebiet De Hoge Veluwe. Spielplätze mit Geräten, wie die Kinder sie in Deutschland nie gesehen hatten. Im Museum von Ehepaar Kröller und Möller durften Jutta und Katrin auf das Frauenklo, denn sie hatten zwar kurze Topfhaarschnitte wie die beiden anderen, aber sie trugen Kleider. Barbara und Marie in ihren Spielhosen sollten aufs Männerklo und wollten nicht und sagten widerstrebend meisje, meisje. Draußen im Park stand ein bronzener Mann namens Monsieur Jacques. Vater gab ihm die Hand und Mutter schoss ein Foto.

Tagestouren, Holland. Wenn ihr nicht dumm erscheinen wollt, sagt ihr, die Niederlande, wiederholte der Vater zum x-ten Mal. Eine Stadt hieß Arnhem, eine andere hieß anders. Überall gab es Museen und Gotteshäuser, die er besichtigen wollte. Er hielt Vorträge und fragte ab. Kirchenfenster mussten unterschieden werden, sie waren romanisch, nicht römisch, oder sie hießen noch anders. Einfacher war es, Säulen nach ihrem Wert zu bestimmen. Man klopfte sie zur Probe an und wusste, es ist edler Marmor oder nur bemaltes Holz.

An einem heißen Tag in einer heißen Stadt führte der Vater die Familie auf einen Platz zu einem Reiterdenkmal, das nicht irgendeines von vielen war. Daneben lag ein großer Springbrunnen, in dem Erwachsene und Kinder plantschten, spritzten, schrien. Die Familie stand vor dem reglosen Pferd und dem reglosen Reiter. Vater fragte, was fällt euch daran auf?

Katrin setzte an, die Täubchen haben dem Mann –

Vater winkte ab. Was die Tauben sich erlauben, möchte ich nicht wissen. Seht euch das Pferd an! Bewegt es sich, steht es still? Galoppiert es wie die Indianerpferde oder trabt es? Muss ich euch die Würmer aus der Nase ziehen?

Die Sonne brannte.

Jutta bestimmte die Gangart, Vater nickte. Das Pferd trabt, so muss es sein, denn Stillstand vermittelt Schwäche, Bewegung dagegen Stärke. Wie viele Beine hebt das Pferd?

Eins vorn, eins hinten, sagte Jutta schnell, damit man weiterkam, zum Brunnen.

Dann steht das Denkmal also auf zwei Beinen?, fragte Vater.

Jutta und Barbara verdrehten die Augen.

Vier weniger zwei ist zwei, sagte Marie ungeduldig.

Falsch, rief Vater. Das Rechnen war richtig, aber du hast den Sinn verfehlt! Nochmal: Worauf steht das Pferd? Wir gehen erst zum Springbrunnen und essen Eis, wenn ihr das hier begriffen habt! Ihr seid keine Wickelkinder!

Das Pferd steht auf den Beinen, sagte Barbara, sie wollte loslachen, aber der Vater warf ihr einen Blick zu und sie erstarrte. Ihr seid dumm! Ihr wollt nicht sehen, ihr wollt nicht denken! Mutter, was sagst du?

Sie war damit beschäftigt, Katrin festzuhalten, die nach Tauben jagen wollte. Mutter nahm sie hoch und sagte, ich will keinen Ton mehr hören.

Vater fragte, seid ihr blind? Worauf steht das Pferd? Marie?

Sie flüsterte, auf seinen Beinen. In ihrem Mund war viele Spucke. Von oben stach die Sonne. Der Vater wischte sich den Schweiß ab. Was seid ihr nur für Dummköpfe. Fangen wir ganz einfach an. Woraus besteht ein Pferd?

Kopf, Hals, Bauch, Beine, Schweif, sagte Barbara.

Vater atmete auf. Wir kommen der Sache näher. Was seht ihr?

Die Sonne brannte. Das Schweigen drohte. Barbara kämpfte mit Tränen.

Jutta sagte, das Pferd steht auf zwei Beinen und dem Schweif. Stimme weit oben im Hals. Vater legte ihr die Hand auf den Kopf, du hast es erkannt. Du hast ein großes Lob verdient. Ihr seht hier ein massiges Ross! Es trabt mitsamt dem schweren Reiter! Könnte das Ganze wohl auf zwei Beinen stehen? Es würde umfallen! Der Erbauer des Denkmals hat mit dem Pferdeschweif eine dritte Stütze geschaffen! Diese Lösung ist schon sehr viel eleganter als die plumpen Reiterstandbilder, die ihr bisher gesehen habt. Später im Leben werdet ihr noch viele andere Denkmäler sehen und vergleichen können: Was ist Ungeschick und Unvermögen, was ist gelungen und überzeugt uns. Ihr dürft das Zählen nie vergessen. Beine, Schweife, Säulen, Baumstämme oder auch Stufen: Die Künstler lassen sich was einfallen, damit der Reiter nicht vom Pferd stürzt. Merkt euch das für den Rest des Lebens.

Die Töchter nickten für den Rest des Lebens.

Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt

Подняться наверх