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Es war eine dieser Abendgesellschaften, zu der die Teilnehmer strömten, um ihrer häuslichen Langeweile zu entgehen. Die meisten kamen in der Hoffnung, die Person kennenzulernen, die ihnen künftig weitere einsame Abende ersparen würde. Ob es nur für eine Nacht halten sollte oder für das restliche Leben, blieb jedem selbst überlassen.

Fast alle Gäste, die sich an diesem Septemberabend in dem eleganten Pariser Restaurant zu einem Cocktail-Empfang zusammenfanden, waren ledig oder geschieden und besuchten mehr oder weniger regelmäßig die verschiedenen Singleclubs der Stadt auf der Suche nach dem perfekten Partner.

Seit einigen Jahren gehörte ich auch dazu.

Tanzabende, Theaterbesuche und Sonntagsausflüge füllten meinen Terminkalender und die sich daraus ergebenden Bekanntschaften mein Adressbuch, nicht jedoch die Leere in meinem Dasein. Und das, obwohl ich in einem ständigen Wettlauf gegen die Zeit lebte.

Das Leben ist so paradox.

Schon als ich einen Blick auf die plaudernden und lachenden Grüppchen der Gäste dieses Abends warf, wusste ich, dass ich mich nicht amüsieren würde.

Aber ich war auch nicht zu meinem Vergnügen hier, sondern um meiner Freundin Denise einen Gefallen zu tun, die diesen Abend organisiert hatte. Denise war Leiterin der Partnervermittlung Serenity, die mit dem Slogan „Ausgewählte Begegnungen mit hohem Niveau“ warb.

Trotz des gesalzenen Beitrags hatte ihr Club viel Erfolg bei zahlungskräftigen Leuten zwischen dreißig und fünfzig. Sie konnte es sich leisten, ausgewählten hübschen, jungen Frauen die Mitgliedschaft zu schenken, um der erhöhten Nachfrage des Topmodel-Typs nachzukommen. Gesucht wurden sowohl echte Partnerschaften als auch Abenteuer. Letztere gern von verheirateten Männern aus der Provinz, die beruflich oft in der Hauptstadt weilten und sich dann diskret amüsieren wollten. Oder von trennungswilligen Männern, die erst einmal sehen wollten, was sonst noch so auf dem Markt war, bevor sie das Risiko eingingen, alleine dazustehen.

Genau genommen war Denise nicht meine Freundin. Uns verband seit zwei Monaten lediglich eine Art Geschäft auf Gegenseitigkeit. Sie hatte ein hübsches Foto von mir in ihren Vermittlungsunterlagen und durfte mich den Männern vorstellen, die sich mit mir verabreden wollten, und ich hatte dadurch die Chance, einen gut situierten und beziehungswilligen Mann kennenzulernen, ohne auch nur einen Franc Mitgliedsbeitrag zahlen zu müssen. Zumindest glaubte ich das anfangs noch.

Manchmal lud sie mich auch zu Partys oder Abendessen ein, weil es ihr an vorzeigbaren jungen Damen mangelte. So wie an diesem Abend.

Langsam stelzte ich auf hohen Absätzen durch die Menge, gemessenen Schrittes wegen des engen Rocks, und spähte vergebens nach bekannten Gesichtern.

Ein Ober, der mit einem Tablett herumging, bot mir Champagner an. Dankbar nahm ich ein Glas. Ich hatte es nötig, mir gute Laune anzutrinken.

Endlich fand ich Denise, eine kleine, vollbusige Dame in den Vierzigern mit herzlichem Lächeln und verschmitzten topasbraunen Augen. Als sie mich erblickte, wimmelte sie schnell ihren Gesprächspartner ab, kam lächelnd auf mich zu und küsste mir die Wangen.

„Nina, wie schön, dass du noch kommen konntest.“

„Yves hat in der letzten Minute abgesagt“, erklärte ich säuerlich. „Aber lange bleiben kann ich nicht. Ich muss morgen früh aufstehen, weil ich nach Genf fliege.“

Denise hatte mir Yves, der einen hohen Posten bei einer großen französischen Radiostation bekleidete, vor einem Monat vorgestellt. Er besaß eine Stimme wie Samt und Seide, die mich sofort bei seinem ersten Anruf schwach gemacht hatte, als er mich bat, ihn sofort zu treffen. Eigentlich war ich kein Freund solcher spontanen Rendezvous, schon gar nicht nach einem anstrengenden Arbeitstag, aber den Besitzer dieser Stimme hatte ich schnellstens kennenlernen müssen.

Auch vom Rest war ich alles andere als enttäuscht gewesen, nachdem er aus seinem Wagen gestiegen war, den er vor meinem Haus geparkt hatte, und mir entgegengelächelt hattee. Er war gertenschlank, mit sportlichem Schick gekleidet, besaß ein schmales, gebräuntes Gesicht und hellblaue Augen hinter einer Goldrandbrille. Etwas Sanftes, Liebevolles und zugleich respektvoll Distanziertes ging von ihm aus. Dazu diese sexy klingende Stimme und das dezente teure Herrenparfüm … Mich hatte auf den ersten Blick der Blitz getroffen.

Sein Alter war sein Geheimnis geblieben. Vierzig, hatte er Denise gegenüber behauptet, und sie hatte ihn nicht kränken wollen, indem sie seinen Ausweis verlangte, wie sie es meistens tat. Nicht um das genaue Alter festzustellen, sondern aus Sicherheitsgründen. Wir gaben ihm eher fünf Jahre mehr, aber das änderte nichts an seiner Ausstrahlung.

Yves war ein Verführer der zurückhaltenden Sorte. Statt sich schnellstmöglich auf meinen Körper zu stürzen, hatte er mich eine Weile schmoren lassen. Von da an war ich ihm verfallen gewesen. Leider war er noch verheiratet, wollte sich aber von seiner Frau trennen.

Er hatte Denise erzählt, dass er eine neue Beziehung suche, um den Mut zu finden, sich aus seiner lieblosen, nur noch auf dem Papier bestehenden Ehe zu lösen. Ich hatte das irgendwie rührend gefunden. Der ganze Mann hatte unter dem selbstsicheren, glatten Auftreten des erfolgsgewöhnten Geschäftsmannes rührend empfindsam gewirkt. Madame brauchte ihn nicht mehr; sie lebte den ganzen Sommer über in der Eigentumswohnung in einem schicken Urlaubsort der Bretagne. Der Sohn war neunzehn und ging eigene Wege. Yves hockte alleine in seinem großen Einfamilienhaus in Vincennes, nahe bei Paris. Wahrscheinlich hatte ihn eine akute Einsamkeitskrise in Denise‘ Agentur getrieben.

„Ich sehe da jemanden, den ich dir vorstellen möchte … Jean-Pierre!“ Denise nahm mich am Arm und zog mich durch die Menge.

Ein gut gekleideter, grauhaariger Mann in lässig-gelangweilter Haltung straffte sich und kam uns entgegen.

„Jean-Pierre ist Unternehmer“, zischelte sie mir ins Ohr, während sie bereits ein extrabreites Lächeln aufsetzte. „Er ist geschieden.“

Halleluja.

„Jean-Pierre, das hier ist Nina, von der ich dir erzählt habe. Sie ist Deutsche und lebt seit acht Jahren in Paris“, stellte Denise mich vor, während Jean-Pierre und ich uns artig die Hand gaben.

„Wo'er koomen Sie?“, fragte er höflich in gebrochenem Deutsch.

„Aus Berlin.“

„Ah! Ich war vor zwanzig Jahren mal dort. Eine interessante Stadt.“ Er sprach wieder Französisch. Selbst Franzosen, die fließend Deutsch sprachen, hielten es selten länger als drei Sätze durch.

„Da sollten Sie jetzt mal hinfahren. Sie werden es nicht wiedererkennen.“

„Das kann ich mir vorstellen. Es hat sich vieles verändert seit der Wiedervereinigung, nicht?“

„Das kann man wohl sagen.“ Ich unterdrückte ein Gähnen. Diesen Dialog führte ich im Durchschnitt einmal in der Woche. Andererseits wurde ich es auch nicht leid, über meine Heimatstadt zu sprechen. Im Exil, und war es auch freiwillig und in einer so traumhaften Stadt wie Paris, verklärte sich so manche Erinnerung.

„Warum sind Sie nach Paris gekommen? Wegen der Arbeit?“

„Nein, wegen der Liebe! Mein Exmann ist Franzose“, fügte ich hinzu. „Nach der Scheidung bin ich hier geblieben.“

„Ah. Da haben Sie aber sehr jung geheiratet“, meinte er charmant.

„Eigentlich nicht. Die Ehe hat nur nicht sehr lange gehalten.“ Warum kam es eigentlich immer wieder dazu, dass ich einem völlig Fremden die größten Dramen meines Lebens anvertraute? Warum ließ ich mich immer ausfragen, ohne mich selbst zu trauen, dem anderen ähnlich persönliche Fragen zu stellen? Aber wenn ich ihn ausfragte, würde er glauben, dass ich mich für ihn interessierte, vielleicht etwas von ihm wollte. Womöglich würde er dann anfangen, mich aufzureißen, und ich konnte zusehen, wie ich da wieder herauskam.

„Was machst du eigentlich in Genf?“, erkundigte sich Denise, um die stockende Konversation anzukurbeln.

„Ich fahre von Genf aus nach Evian. Da findet eine Wirtschaftskonferenz für deutsche und französische Topmanager statt.“

„Sind Sie Dolmetscherin?“, fragte Jean-Pierre.

„Nein, Assistentin der Geschäftsleitung bei Bosch Frankreich. Bosch Deutschland ist an der Organisation dieser Treffen beteiligt. Ich übersetze dabei zwar viel, aber für die Konferenzen gibt es natürlich professionelle Simultandolmetscher.“

Denise verdrückte sich mit einer gemurmelten Entschuldigung. Ich verharrte eine Weile bei Jean-Pierre, bekundete betont oberflächliches Interesse an seinem Leben, und wir betrieben höflich-distanzierte Konversation. Eines musste man Denise‘ Männern lassen: Sie waren alle Gentlemen, keine plumpen Aufreißer, und daher sehr angenehm im Umgang. Wenn sie selbstsichere Machos gewesen wären, hätten sie sich wahrscheinlich auch den teuren Mitgliedsbeitrag in einem solchen Club gespart. Das Bistro an der Ecke hätte es dann auch getan.

Außerdem ging es natürlich um Zeitersparnis. Diese Karrieremänner waren zu beschäftigt, um geduldig darauf zu warten, dass eine interessante Frau ihren Weg kreuzte, um die sie werben mussten, und womöglich das Risiko einzugehen, dass besagte Frau keine Partnerschaft wünschte.

Ich selbst ließ mich auch nur ungern in der Öffentlichkeit von wildfremden Männern ansprechen. Wusste man denn, an wen man da geriet? Wenn die Bekanntschaft durch Denise zustande kam, flößte mir das mehr Vertrauen ein. Ich wusste, dass sie die Kandidaten bereits auf Herz und Nieren geprüft hatte.

Jean-Pierre wirkte freundlich und aufrichtig. Leider wirkte er auch so, als könnte er der Jahrgang meiner Mutter sein. Offiziell nahm Denise nur Leute bis fünfzig auf. Manche sahen allerdings so aus, als seien sie schon seit zehn Jahren neunundvierzig.

„Wie findest du Jean-Pierre?“, fragte Denise, als wir uns etwas später zufällig im Waschraum trafen.

„Scheint nett zu sein.“

„Ihr solltet mal einen Abend miteinander verbringen. Kann ich ihm deine Telefonnummer geben?“

„Meinetwegen. Aber vorläufig habe ich keine Zeit.“

„Du solltest nicht zu lange zögern. Er ist eine gute Partie, nett und gut aussehend, so einer ist schnell weg.“

Ich zuckte die Schultern und wuschelte mit den Fingern meine überschulterlange blonde Mähne zurecht.

„Wie ist es eigentlich gestern mit Florian gelaufen?“

„Nicht so toll. Schien nicht an mir interessiert zu sein.“

„Vielleicht braucht er ein bisschen, bis er auftaut. Wie hat er dir gefallen? Er sieht fantastisch aus, oder?“

„Er sieht gut aus, aber der Funke ist eben nicht übergesprungen. Du weißt, dass ich in Yves verliebt bin, ich kann mich im Moment nicht für andere Männer erwärmen.“

„Ich habe kein sehr gutes Gefühl bei Yves. Du solltest dich nicht zu sehr auf ihn fixieren, Nina. Wenn er ernsthaft an dir interessiert wäre, hätte er es möglich gemacht, dich heute Abend noch einmal zu treffen, bevor du fast eine Woche verreist!“

Da hatte sie wohl recht. Noch dazu hatte sich Yves nicht einmal die Mühe gemacht, sich eine gute Ausrede einfallen zu lassen, und nur gesagt, er habe viel zu tun. Wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl war, dass er unsere Affäre beenden wollte. Doch ich wollte es nicht wahrhaben und erfand alle möglichen Erklärungen für sein gleichgültiges Verhalten.

„Immerhin hat er versprochen, mich in den nächsten Tagen anzurufen!“

„Vergiss Yves. Er ist ein Typ, der nicht weiß, was er will, und eine Menge Probleme hat. Ich werde für dich jemand anderen finden, jemand Besseren.“

Was wusste sie, was sie mir nicht direkt sagen wollte? Mit wie vielen anderen Frauen hatte sie Yves zusammengebracht, während ich zu Hause wie hypnotisiert auf mein Telefon gestarrt oder bei Verabredungen alle fünf Minuten auf mein Handy-Display geschielt hatte, weil ich auf einen Anruf von ihm hoffte, der nicht erfolgt war? Ich mochte sie nicht fragen. Ich wollte nicht aus meinem Traum gerissen werden.

Ich plauderte ein wenig mit einem fröhlichen Mann in ausgebeulten Cordhosen und kariertem Hemd, den ich am Anfang des Jahres kennengelernt hatte, als wir denselben Freizeitclub besuchten. Denise‘ Büro befand sich in den Räumen dieses Clubs. Sie hatte mich auf einer Veranstaltung im Sommer getroffen und kurz darauf kontaktiert, um mir ihren Vorschlag zu unterbreiten, wie wir uns gegenseitig nützlich sein könnten. Ich war mit Interesse auf ihr Angebot eingegangen, da mir die Vorstellung gefiel, künftig nur noch Männer höheren Niveaus kennenzulernen. Der Freizeitclub hatte wenig später ohnehin Pleite gemacht.

Ich sah verstohlen auf meine Armbanduhr. Es war erst halb elf. Aber egal. Ich langweilte mich, mir taten Füße und Rücken weh, morgen musste ich früh aufstehen und in Form sein, und wenigstens konnte ich um diese Zeit noch mit der Metro nach Hause fahren und sparte mir das Taxi.

Ich blickte mich verstohlen um, und da ich Denise nicht sah, ließ ich mir an der Garderobe meinen Mantel geben und verdrückte mich klammheimlich.

Ein Diwan für zwei

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