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Am nächsten Morgen verließ ich unausgeschlafen um sieben Uhr meine Wohnung, äußerlich auf Business-Frau getrimmt, innerlich ein unglückliches Chaos.

Monsieur Figueredo, der portugiesische Chauffeur meines Chefs, wartete bereits mit der Limousine vor meinem Haus. Er nahm mir Laptop und Koffer ab – ein reichlich großer Koffer für fünf Tage, aber ich brauchte viel Garderobe –, hielt mir die Tür zum Fond auf und schloss sie hinter mir, bevor er mein Gepäck im Kofferraum verstaute.

Ich wohnte im Süden von Paris, ziemlich weit entfernt vom Flughafen Charles de Gaulle. Daher kam ich auch in den Genuss, zu manchen Anlässen von Monsieur Figueredo chauffiert zu werden – es war für die Firma günstiger als ein Taxi. Und mir war der freundliche, diskrete Portugiese bedeutend lieber als die oft rüpelhaften Pariser Taxifahrer.

Ich kuschelte mich in den Rücksitz des Renault Safrane und schloss die Augen, die noch leicht geschwollen waren. Wenn ich die Nacht mit Yves verbracht hätte, wäre mir der Schlafmangel gleichgültig gewesen. Ich wäre trotzdem in fantastischer Form gewesen.

Ich brauchte Yves‘ Nähe dringend und ertrug kaum die Vorstellung, ihn frühestens in einer Woche wiederzusehen. Wie sollte ich in meinem kläglichen Zustand die vielen Details der Konferenz überwachen, intelligente Gespräche führen, lächeln und Kompetenz und Umsicht ausstrahlen?

Als ich in der Nacht eingedöst war, hatte ich geträumt, dass mein Koffer bei Ankunft in Evian leer war und ich ohne passende Kleidung und Make-up dastand. Ein echter Albtraum und womöglich ein schlechtes Omen. Ich befürchtete, dass die Konferenz eine Katastrophe werden könnte. Das Hotel hatte vielleicht nicht genug Zimmer für die vielen Begleitpersonen des Bundeskanzlers, der am Freitag als Gastredner auftreten würde. Da es kein offizielles Staatstreffen war, sondern als private Veranstaltung betrachtet wurde, hatte niemand von uns damit gerechnet, dass Gerhard Schröder mit einem Begleittross von zwölf Leuten anreiste.

Bevor ich mir weitere Katastrophen ausmalen konnte, beschloss ich, lieber wieder an Yves zu denken.

Ich ließ unser erstes Rendezvous Revue passieren und unser zärtlich-leidenschaftliches erstes Mal zwei Wochen später. Nicht zu vergessen dieser romantische Abend Ende August, an dem er in seinem Wohnzimmer für mich Klavier gespielt hatte, bevor wir uns in seinem Whirlpool entspannt hatten. Na schön, im Whirlpool war er dann eingenickt, statt sich mit mir zu beschäftigen, aber er hatte eben einen anstrengenden Tag gehabt.

Ich blinzelte und sah die hässlichen Betontürme der nördlichen Pariser Vorstadt. Bis zum Flughafen war es nun nicht mehr weit.

Drei Stunden später nahm mich in Genf eine andere Limousine in Empfang, um mich nach Evian zu bringen. In Paris hatte es genieselt, doch hier schien die Sonne. Ich sah aufmerksam aus dem Fenster, als wir die Stadt durchquerten, und meine Laune begann sich zu bessern. Genf gefiel mir gut; es verband in meinen Augen französischen Charme mit Schweizer Distinguiertheit.

Während ich die berühmten Wasserspiele betrachtete, machten Nervosität und Beklemmung allmählich einer heiteren Ausgeglichenheit Platz. Ich hielt mir das Handgelenk an die Nase und atmete tief ein. In der Flughafenparfümerie hatte ich mir Habit Rouge von Guerlain aufs Handgelenk gesprüht, Yves‘ Parfüm. So nahm ich wenigstens seinen Geruch mit mir, wenn ich mich schon unaufhaltsam von ihm entfernte.

Vielleicht würde mir der Tapetenwechsel sogar guttun, mich auf andere Gedanken bringen. Tapetenwechsel und viel Arbeit waren für mich das beste Rezept, um Liebeskummer zu überwinden. Ich hatte auch keine Wahl, denn ich konnte mir Unkonzentriertheit nicht erlauben.

Die einmal jährlich stattfindenden deutsch-französischen Treffen in Evian, die sich um sozialpolitische und wirtschaftliche Fragen in Europa drehten, bedeuteten für uns Assistentinnen vier Tage Sklavenarbeit in goldenen Ketten. Morgens um sechs Uhr aufstehen, frühestens um Mitternacht todmüde ins Bett fallen, den ganzen Tag über unzählige Zwischenfälle managen und dabei unter ständiger Anspannung stehen, ob alles glattging. Topmanager und ihre Ehefrauen waren extrem anspruchsvolle Menschen.

Währenddessen wurde ich vom hervorragend geschulten Hotelpersonal selbst wie ein VIP behandelt – man brachte mir alles, was ich wünschte, auf einem Silbertablett. Umsichtige Zimmermädchen räumten meine Sachen auf, aufmerksame Kellner lasen mir jeden Wunsch von den Augen ab. Ich genoss es, einige Tage lang von vorne bis hinten bedient zu werden, gratis die leckersten Gerichte des Sterne-Kochs zu genießen und dazu ausgezeichnete Weine zu kosten.

Der Weg durch die gewundenen Landstraßen der Haute-Savoie dauerte anderthalb Stunden, aber die liebliche Landschaft entschädigte mich dafür. Alles so grün und friedlich. Ein wohltuender Kontrast zu Asphalt, Beton, Hektik und den vollen Zügen der Hauptstadt.

Vor der Kulisse des Genfer Sees lag Le Domaine du Royal Club Evian, ein wunderschöner Komplex von zwei First-Class-Hotels, dem Royal Evian und dem Ermitage, die durch einen gepflegten privaten Park mit zierlichen Brücken, kleinen Wasserfällen, verschlungenen Wegen und großen Wiesen miteinander verbunden waren. Es gab einen Swimmingpool, Tennisplätze und einen Golfplatz. Ein traumhaftes Fleckchen Noblesse, das – genau wie die Wasserquellen in Evian – dem Nahrungsmittel-Imperium Danone gehörte, dessen Konzernleitung der Hauptorganisator der deutsch-französischen Treffen war.

Dominique, die Assistentin des Konzernvorsitzenden, und ihre Kollegin Agnès waren bereits vor Ort, als ich am späten Vormittag im Hotel eintraf. Die beiden Assistentinnen des Geschäftsführers von Bosch Deutschland würden erst am nächsten Tag gemeinsam mit ihrem Boss anreisen.

Die Prominenz wohnte im Hotel Royal, das arbeitende Volk im Ermitage, wo auch die Konferenz stattfand. Das Ermitage hatte den anheimelnden Charme einer urig-eleganten Jagdhütte, und wir Assistentinnen fanden es viel gemütlicher als das Royal, wo alles sehr pompös war. Zu viele geraffte Vorhänge, Kristalllüster und überladene Dekorationen im Rokokostil.

Die Konferenzteilnehmer würden erst am nächsten Tag ankommen. Der heutige war den organisatorischen Vorbereitungen gewidmet. Bereitstellen der Namensschilder und Broschüren, Zuteilung der Zimmer sowie der Limousinen, die die Gäste vom Genfer Flughafen abholen würden.

Stunden später, nach hastigem Kofferauspacken und einem für französische Verhältnisse schnellen Mittagessen, stürzte ich mich in die letzte Etappe der aufwendigen Konferenzorganisation.

Dominique, Agnès und ich saßen mit dem Rezeptionschef des Hotel Royal auf der Terrasse des Ermitage und studierten die Namenslisten unserer VIPs.

Die Zimmervergabe war der kniffligste Teil der Vorbereitung. Wie in jedem guten Hotel gab es die verschiedensten Kategorien, und wir mussten die Entscheidung treffen, welcher VIP wirklich very important genug war, um eine Suite zu erhalten – und ob er Anrecht auf einen Ausblick auf den Genfer See hatte oder nur auf den Park –, und welchen man in ein normales „chambre double de luxe“ stecken durfte, womöglich lediglich mit Blick auf den Pool.

„Die beiden Botschafter bekommen je eine Suite mit Seeblick“, legte Dominique fest.

„Aber der deutsche Botschafter kommt mit seiner Frau und der französische allein“, gab Agnès zu bedenken. „Claude Martin wird sich kaum in seiner Suite aufhalten, das wäre Verschwendung, da kann er auch ein Doppelzimmer haben.“

„Du kannst nicht den deutschen Botschafter in eine Suite stecken und den französischen nicht!“

„Wir sind zu knapp mit Suiten, Dominique!“

„Hm, na schön. Also bekommen Herr und Frau Hartmann eine Suite mit Parkblick, und Claude Martin ein Doppelzimmer mit Seeblick, dann ist das einigermaßen gerecht.“

„Charles, haben wir genug Zimmer mit Seeblick?“

Der Rezeptionschef seufzte. „Mit Verlaub, der deutsche Bundeskanzler mit seinen Begleitern hat unsere Kapazitäten ziemlich geschröpft.“

„Fangen wir von hinten an“, beschloss Dominique. „Wer kommt allein und kann in ein Zimmer mit Blick zum Pool? Nina, wie sieht es mit Ihrem Herrn To-den-’öfer aus?“ Sie verrenkte sich fast die Zunge bei dem Namen.

„Mindestens Parkblick sollte schon drin sein. Er ist immerhin die Nummer Zwei des Konzerns“, meinte ich. „Aber Herrn Fischer, den können Sie in ein kleines Zimmer mit Poolblick stecken.“

Herr Fischer war der ehemalige, inzwischen pensionierte kaufmännische Leiter von Bosch Frankreich, der nur noch eine Beraterfunktion bei Bosch Deutschland ausübte. Er lebte jedoch in Paris, hatte ein Büro gegenüber von meinem und nutzte es schamlos aus, dass ich mit ihm die Treffen von Evian vorbereitete, indem er mir möglichst viel Arbeit aufdrückte, die eigentlich nicht zu meinen Aufgaben gehörte. Er war anstrengend, vom Typ Oberlehrer, und ich konnte ihn nicht besonders gut leiden.

Dominique grinste. „Gut, also die Besenkammer für Herrn Fischer, Charles.“

„Dieser Engländer könnte auch in ein Zimmer mit Poolblick“, meinte Agnès. „Der ist schließlich nur ein Berater von Tony Blair, niemand hat je von ihm gehört.“

So ging es weiter, bis wir allen Gästen eine passende Unterkunft zugeteilt hatten.

Es folgte die Planung, wann welche Limousine wen vom Flughafen abholen und ins Hotel bringen sollte. Genauso heikel, da man wissen musste, welche Personen schlecht aufeinander zu sprechen sowie erbitterte Konkurrenten waren und Ähnliches. Zeitlich musste es natürlich auch passen, man konnte nicht von einem Vorstandsvorsitzenden verlangen, dass er eine Stunde auf das Eintreffen eines anderen Konzernchefs wartete, damit das Auto voll wurde. Dummerweise waren die Ankunftszeiten in Genf quer über den Tag verteilt. Da die Limousinen mit Hin- und Rückweg und etwas Wartezeit am Flughafen drei bis vier Stunden beschäftigt sein würden und wir mit verfügbaren Wagen genauso knapp waren wie mit Hotelsuiten, bereitete auch diese Angelegenheit einiges Kopfzerbrechen.

Mein Handy klingelte. Yves!, durchzuckte es mich.

„Guten Tag, Nina, hier ist Denise. Wie geht es dir?“

„Ach, hallo.“ Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. „Entschuldige, aber es ist gerade ungünstig. Ich bin mitten in einer Besprechung.“

„Gehen Sie ruhig, Nina“, sagte Dominique großzügig. „Wir machen einen Moment ohne Sie weiter.“

Ich verzog mich auf die elegant geflieste Damentoilette, weil ich sicher war, dass ich mit Denise genau die Sorte von Gespräch führen würde, von dem mein berufliches Umfeld um Himmels willen nichts mitbekommen durfte.

„Ich habe da zwei neue Männer, die ich dir vorstellen möchte“, begann Denise.

Sie fing an mich zu stressen mit ihren vielen Männern. Dafür hatte ich im Moment wirklich nicht den Kopf. Ich beugte mich über das Waschbecken, um mir vor dem großen Spiegel mit einem Kleenex die glänzende Nase abzutupfen, während sie mich mit den Vorzügen eines Art Directors namens Alexandre zutextete.

„Der zweite heißt Christophe, ist dreißig, ein hübscher Kerl, der wirklich eine dauerhafte Bindung sucht und etwas aufbauen will. Er ist im Verkauf tätig, aber ein sehr gutes Niveau. Du weißt ja, meine Männer haben alle ein sehr gutes Niveau.“

„Kannst du mir das nicht erzählen, wenn ich wieder in Paris bin? Bis dahin habe ich es nämlich vergessen, bei allem, was ich hier um die Ohren habe.“ Ich versuchte, meine Haare zu glätten. Einzelne Locken hatten sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst und umrahmten wirr meinen Kopf.

„Ja, natürlich. Ich wollte es dir nur schnell erzählen, damit du dich darauf einstellen kannst.“

„Solange ich noch Hoffnung habe, dass aus dieser Geschichte mit Yves was wird, hab ich keine große Lust, jemand anderen zu daten.“

„Es wäre vielleicht nicht verkehrt, Yves ein bisschen wachzurütteln.“

„Was meinst du?“

„Solange er weiß, dass du abends brav zu Hause vor dem Fernseher hockst, braucht er sich ja keine Mühe zu machen.“

„Du meinst, ich soll ihm unter die Nase reiben, dass ich andere Männer treffe?“

„Genau. Und falls ihm das egal ist, solltest du mal darüber nachdenken.“

„Da hast du wohl recht“, murmelte ich. „Ich weiß ja nicht mal, ob wir in seinen Augen überhaupt zusammen sind.“

War man wirklich mit jemandem zusammen, der andauernd übers Wochenende wegfuhr, um es angeblich bei Freunden zu verbringen?

Und am vergangenen Sonntag, einem wunderschönen Spätsommertag, hatte Yves im Keller gehockt und Regale zusammengebaut. Scheinbar waren seine Finger davon so wund geworden, dass er meine Nummer nicht hatte wählen können, um zu fragen, was ich an diesem Tag machte. War das Zusammenbauen von Kellerregalen wichtiger als das Zusammensein mit einer Frau, mit der man zwei oder drei schöne Abende und Nächte gehabt hatte?

Hätte ich mir nicht mit Gewalt die rosarote Brille auf die Nase gesetzt, hätte ich gemerkt, dass da was faul roch. Mit knapp dreiunddreißig Jahren hatte ich bereits einige schlechte Erfahrungen mit Männern hinter mir.

„Sei nicht zu nachsichtig mit den Männern, Nina“, warnte Denise. „Sie sind es auch nur selten mit uns.“

„Stimmt schon“, gab ich zu. „Du hast recht, es kann vielleicht nicht schaden, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Wir telefonieren Anfang nächster Woche, und dann erzählst du mir mehr über die beiden.“

Ich ging auf die Terrasse zurück, ließ mir ein Perrier bringen und hörte mir die Diskussion darüber an, ob es nach der vor Kurzem gescheiterten Bankfusion eine gute Idee war, zwei deutsche Banker zusammen in eine Limousine zu setzen.

Ein Diwan für zwei

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