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Spät am Vorabend war auch die Dekoration des Konferenzsaals im Ermitage fertiggestellt worden, und bevor wir ins Bett gegangen waren, hatten wir uns vergewissert, dass alles in Ordnung war. Dominique und Agnès waren zufrieden. Prachtvolle Blumenarrangements thronten zwischen den in U-Form aufgebauten Tischen, und an der Wand prangte zwischen der deutschen und der französischen Flagge der Schriftzug „Deutsch-Französisches Treffen 1999“ in beiden Sprachen.

Während am Freitagmorgen das Treffen offiziell begann, trippelte ich hinter Garber und Bugmann her und dolmetschte ihre Gespräche mit der Ortspolizei von Evian, der Gendarmerie, dem Sicherheitspersonal des Hotels und den französischen Geheimdienstagenten, die ebenfalls Quartier bezogen hatten – unauffällig, wie es sich für den Geheimdienst ziemte. Dessen Anwesenheit erklärte sich damit, dass sich an diesem Nachmittag der französische Minister für Wirtschaft, Finanzen und Industrie, Dominique Strauss-Kahn, zu der illustren Runde gesellen würde, zusammen mit seiner Gattin Anne Sinclair, einer in Frankreich sehr bekannten und beliebten Nachrichtensprecherin und Journalistin.

Wir Assistentinnen, zu denen nun auch Frau Michalski und Frau Brückner von der Bosch-Geschäftsleitung gehörten, hatten den Tisch in der Hotelhalle des Royal verlassen und das kleine Büro neben dem Konferenzsaal des Ermitage bezogen. Dort bauten wir unsere Laptops auf, um unsere Unterlagen auf dem neuesten Stand halten zu können, nahmen telefonische Nachrichten für die Teilnehmer auf und gaben ihre diversen Extrawünsche an das Hotelpersonal weiter.

Am Freitagnachmittag wuchs die Spannung von Stunde zu Stunde. Dominique Strauss-Kahn und Anne Sinclair waren mit dem Helikopter auf der Wiese des Hotels gelandet und dort von der Danone-Geschäftsleitung abgeholt und begrüßt worden. Der Minister wurde sofort in den Konferenzsaal geleitet, wo er zum Abschluss des Tagesprogramms eine Ansprache halten würde. Danach konnten sich die Teilnehmer auf ihre Zimmer zurückziehen, um sich für das Konzert um zwanzig Uhr und das anschließende Abendessen frisch zu machen.

Für mich galt das Gleiche. Ich raste ins Ermitage zurück – immerhin würde ich von der gehaltvollen Küche der Savoie nicht zunehmen, so oft, wie ich durch diesen Park rannte –, duschte in aller Schnelle, frischte mein Make-up auf, schlüpfte in mein königsblaues Cocktailkleid und eilte mit schmerzenden Füßen in hochhackigen Abendsandaletten zurück ins Royal.

Während Herr Fischer, Frau Brückner und Dominique im Restaurant hockten und an der Tischordnung feilten – das war eine hochpolitische, heikle Angelegenheit, zu der ich nichts beitragen konnte –, drängten sich die Gäste im Konzertsaal, aus dem klassische Musik erklang. Danach füllte sich die Eingangshalle mehr und mehr mit Neugierigen, die auf die Ankunft des Bundeskanzlers warteten. Auch Geheimdienstagenten und Polizisten in Zivil waren darunter. Garber und Bugmann, jetzt ebenfalls in Anzügen, liefen mit Funkgeräten in der Hand auf und ab.

Gerhard Schröder war vor einer Stunde in Genf gelandet und sollte in Kürze mit seiner polizeibegleiteten Limousine im Hotel eintreffen.

„Der Kanzler ist jetzt auf zwei Kilometer Entfernung“, bekamen wir über Funk durch. „Noch ein Kilometer.“ „Fünfhundert Meter …“ Es war wie das Zählen am Silvesterabend um kurz vor Mitternacht.

Endlich erhellten vor dem Hoteleingang Autoscheinwerfer und grelle Lampen die Dunkelheit.

Dann ging alles sehr schnell. Ich hielt mich im Hintergrund des Menschenauflaufs und fiel fast in einen der riesigen Blumenkübel, als die Menge zurückdrängte, um Platz zu machen.

Schröder rauschte durch die Halle, zwischen seinem Berater, seinem persönlichen Dolmetscher und seinen Bodyguards. Auch auf High Heels war ich nicht groß genug, um alles zu überblicken, und bekam bloß seine Stirn zu sehen. Er zog sich sofort auf seine Suite zurück und bestellte beim Zimmerservice eine Zigarre.

Minuten später kamen Garber und Bugmann auf mich zugeschossen und zogen mich zum Empfang. „Wir brauchen Sie zum Dolmetschen. In der Badewanne liegt eine Frau!“

„In der Wanne des Kanzlers?“, fragte ich mit aufgerissenen Augen. Das Hotel Royal gehörte sicher nicht zu den Etablissements, die männlichen Gästen solche Wünsche erfüllte.

„Nein, in der Wanne einer seiner Bodyguards! Wie konnte das denn passieren, Mensch?!“

Frau Michalski, die neben mir gestanden hatte, folgte uns an die Rezeption. „Sagen Sie das bloß nicht meinem Chef, der geht an die Decke, wenn er von so einem Zwischenfall hört“, sagte sie nervös.

Es stellte sich heraus, dass die BKA-Männer selbst mit ihrer eigenmächtigen Zimmerumverteilung einiges durcheinander gebracht hatten. Und mit ihrem Generalschlüssel hatten sie dem Personenschützer Zutritt zu dem bereits bewohnten Zimmer verschafft.

Der Empfangschef Charles stellte fest, dass es sich um eine Mitarbeiterin eines der hochrangigen Teilnehmer handelte.

„Die Dame muss da raus!“, erklärte Bugmann kategorisch.

„Die Dame bleibt da drin!“, sagte Charles energisch.

„Sie muss raus!“

„Unmöglich.“

Ich übersetzte hin und her, und mein Kopf flog wie bei einem Tennismatch von links nach rechts. Eindeutig ging es hier um Frankreich gegen Deutschland.

„Darf die Dame denn wenigstens noch zu Ende baden?“, schaltete sich Frau Michalski mit sanfter Stimme ein.

Garber blickte sie zwei Sekunden lang verblüfft an, dann brach er in schallendes Gelächter aus.

Er entschied, dass die Frau ihr Zimmer behalten durfte, da sie zur Veranstaltung gehörte.

Wie schon einmal zuvor durfte ich mit all dieser Prominenz zu Abend essen. Natürlich saß ich an einem der Tische am Rand, zusammen mit den Dolmetschern, den Siemens-Bodyguards, Dominique und Agnès, aber was machte das schon. Wie alle anderen lauschte ich andächtig der Rede des Bundeskanzlers und unterhielt mich danach mit der österreichischen Dolmetscherin Inge, während ich mir das exzellente Menü schmecken ließ. Die beiden Bodyguards waren hübsche Jungs, aber recht zugeknöpft. Vielleicht waren sie auch nur angespannt, weil sie im Dienst waren und sich keine Nachlässigkeiten erlauben konnten. Ihr Chef saß einen Tisch weiter, man konnte schließlich nie wissen, ob nicht irgendein Verrückter mit einer Waffe oder einer Bombe in den Raum stürmen würde. Sehr unwahrscheinlich bei all dem Sicherheitsaufgebot, aber nicht unmöglich.

*

Es war Nacht, und ich ging mit meiner Mutter über einen Platz in Berlin. Auf einmal schlugen Flammen aus einem Hochhaus und erhellten die Dunkelheit. Wir erschraken und wandten uns in die entgegengesetzte Richtung, aber auch dort versperrte uns ein lichterloh brennendes Haus den Weg …

Mit einem erstickten Schrei fuhr ich hoch und brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass ich mich nicht in Berlin zwischen brennenden Häusern befand, sondern im Bett meines Hotelzimmers in Evian. Schon wieder ein Traum von Feuer! Seit einiger Zeit träumte ich so etwas mindestens einmal pro Woche in unterschiedlichen Varianten. Einmal auch von einem Vulkanausbruch. Langsam fragte ich mich, was das zu bedeuten hatte. Ich warf die Bettdecke heftig von mir, als könnte ich dadurch auch den unangenehmen Traum abschütteln, und stieg aus dem Bett. Dann steckte ich meinen Kopf aus dem Fenster meines Mansardenzimmers, das auf den Park hinausging. Vor dem verriegelten Eingangstor des Parks standen Autos der französischen Gendarmerie. Auf den Wegen patrouillierten uniformierte Gendarme und die Geheimdienstagenten in Zivil. Bugmann lief auf und ab, sprach in sein Walkie-Talkie und winkte mir fröhlich zu, als er mich erblickte. Das Hotel wurde bewacht wie eine Festung. Noch nie hatte ich so sicher geschlafen – und trotzdem einen Albtraum gehabt.

Wie jeden Morgen in Evian nahm ich an dem reichhaltigen Büffet ein üppiges Frühstück zu mir. In diesen vier Tagen gewöhnte ich mich immer so daran, dass man mir Kaffee einschenkte, sobald ich meine leere Tasse auch nur schräg ansah, dass es mir zu Hause richtig komisch vorkam, wenn ich mir meinen Kaffee wieder selbst kochen und eingießen musste.

Im Royal fand ein politisches Frühstück statt, danach ging es zur letzten Runde im Konferenzsaal. Es folgte das Abschluss-Mittagessen, und damit war die Veranstaltung offiziell beendet. Fast alle Teilnehmer rüsteten sich zum Aufbruch; eine Flotte von schwarzen Limousinen verließ die Hotelanlage.

Es blieben nur wenige Gäste, die ein privates Wochenende im Royal reserviert hatten. Ich hatte für meinen höchsten Boss Herrn Scholl einen Shuttle zum Golfplatz organisiert. Jetzt gab es nichts mehr für mich zu tun.

Die Dolmetscherin Inge gab uns eine Flasche Champagner aus. Wir legten uns auf die Terrasse direkt über dem See auf Liegestühle, nippten am Champagner und genossen die Herbstsonne und die Aussicht.

„Warum fahren Sie eigentlich nicht schon heute nach Hause, Nina?“, fragte Dominique. „Es ist doch Quatsch, dass Sie bis morgen hier ausharren. Es sind nur noch zwei deutsche Paare da, und die sprechen obendrein Französisch. Agnès und ich werden mit denen schon klarkommen.“

Ich ließ es mir kurz durch den Kopf gehen. So schön es auch in Evian sein mochte – ich war ausgelaugt und hatte keine Lust mehr auf Besichtigungen. Und das Wellness-Programm des Hotels war mir zu teuer. Mein Gehalt war dieser exquisiten Umgebung in keiner Weise angepasst.

Also buchte ich meinen Flug um, packte in Windeseile meinen Koffer und sprang in ein Taxi mit Inge, die denselben Flug nach Paris nahm wie ich. Natürlich lockte mich vor allem die Aussicht, vielleicht schon morgen Yves sehen zu können.

Ein Diwan für zwei

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