Читать книгу Die Brille im Film - Sabine Walter - Страница 11
Girl Shy
ОглавлениеHarold Meadows (Harold Lloyd) ist beherrscht von einer schier unüberwindlichen Schüchternheit gegenüber Frauen - daher der Filmtitel “Girl Shy”, also ungefähr “Scheu vor Mädchen”. Nur abends, in seiner kleinen Kammer, besiegt Harold seine Schüchternheit. Da schreibt er nämlich ein Buch, in dem er sich selbst als größten und skrupellosesten Liebhaber aller Zeiten darstellt, mit einer Unzahl von Affären - warum auch nicht, die Gedanken sind frei. Hier steht Harold gerade im Büro eines Verlegers, doch der teilt ihm auf grobe Art mit, dass sein Buch ein lächerlicher Witz wäre und er es keinesfalls verlegen würde. Daher der entgeisterte und traurige Blick von Harold, der sich etwas voreilig schon in den schönsten Dichter-Illusionen gewiegt hatte. Harold Lloyd war nicht nur einer der beliebtesten Stummfilmstars, er ist auch immer noch einer der bekanntesten Brillenträger der Filmgeschichte. Er trug nicht nur in den meisten seiner Filme Brille, sondern auch fast immer das gleiche Modell, nämlich eine sogenannte Pex-Brille. Das war ein Brillendesign, das Anfang der 20er Jahre in Mode kam. Die Pex-Brille zeichnete sich durch runde Gläser aus, die in ein relativ breites und meist schwarzes Zellhorngestell eingefasst waren. Durch die breite Einfassung wirkte die Pex-Brille ziemlich auffällig, vor allem bei jemandem, der wie Harold Lloyd in seinen Rollen stets sehr hell geschminkt war. Gerade diesen Kontrast schätzte Harold Lloyd sehr, da er nicht zuletzt dadurch beim Publikum einen hohen Wiedererkennungswert besaß. Harold Lloyd gab in seinen Komödien in der Regel ganz normale Bürger, die allerdings ununterbrochen von Missgeschicken heimgesucht wurden. Er spielte also keine Habenichtse oder Tramps wie Chaplin oder geistig etwas schwerfällige Typen wie Stan Laurel und Oliver Hardy. Und als ganz normaler Bürger konnte er in seinen Filmen auch Brille tragen, was damals für Filmkomiker unüblich war. Die von Harold Lloyd bevorzugte Pex-Brille galt darüberhinaus, in den 1920er Jahren, als die bevorzugte Brille der Intellektuellen. So unterstrich Lloyd also in seinen Filmkomödien mit dem Tragen der Pex-Brille: Seht her, ich bin nicht auf den Kopf gefallen, ich bin ein bürgerlicher Typ und ich will keinen Ärger. Das wiederum unterstrich die Komik der haarsträubenden Situationen, in die er in seinen Filmkomödien ständig geriet, und genau wegen dieser Komik-Verstärkung schätzte er die Pex-Brille sehr. Der Kniff mit der Brille zahlte sich aus: Im Jahr 1928 erzählte Harold Lloyd, dass seine Brille ihm wöchentlich 19.970 Dollar einbringen würde, eine damals nahezu unfassbare Summe. Er meinte, ohne die Pex-Brille würde er nur die übliche Gage eines Schauspielers verdienen, nämlich wöchentlich 30 Dollar. Und dann würde hier wahrscheinlich auch kein Text über Harold Lloyd stehen.
Girl Shy, USA 1924. Regie: Fred C. Newmeyer und Sam Taylor. Darsteller: Harold Lloyd (Harold Meadows), Jobyna Ralston (Mary Buckingham), Richard Daniels (Jerry Meadows), Carlton Griffin (Ronald De Vore) u. a.