Читать книгу Das Zeichen des Ketzers - Sabine Wassermann - Страница 7
KAPITEL 1
ОглавлениеDie Frau gefiel ihm. Sie war hübsch mit ihren schweren, dunkelbraunen Zöpfen, die beim Gehen ihre Brüste streichelten. Mit geschäftiger Miene trug sie Holzbretter voller Wein- und Bierkrüge an die Tische, schenkte den Reisenden ein, kassierte die Heller und rief ihren Vater, den Wirt, wenn etwas von dem großen Schweinsbraten, der am Feuer briet, gewünscht wurde. Keinem Gast gelang es, ihr ein Lächeln zu entlocken, obwohl viele es versuchten.
Martin winkte sie heran. Sie war erst vor kurzem in der Gaststube erschienen, hatte sich eilends eine Schürze umgebunden und mit der Arbeit begonnen. Er verfluchte sich dafür, dass er nicht später mit dem Trinken angefangen hatte, denn dann hätte er noch oft Grund gehabt, sie herbeizurufen. Doch nun waren sein Bauch und seine Blase bereits zum Platzen gefüllt.
Er hoffte nur, dass sie sich nicht an seinem Geruch störte. Wann kam ein Reisender schon dazu, sich zu waschen? Der strähnige Pilgerbart, den zu scheren er noch keine Zeit gefunden hatte, war nicht gerade eine Augenweide und der Überwurf mit dem aufgemalten Kreuz auf der Brust kaum mehr als ein Lumpen. Es war nicht ganz die passende Aufmachung, um ein zartes Frauenherz für sich zu gewinnen. Aber das, so hoffte er, machten seine breiten Schultern, die ansehnlichen Gesichtszüge und das blonde Haar wett. Und das Kurzschwert an seiner Seite. Bislang hatte sich noch jede Frau von seinem Schwert beeindrucken lassen.
Sie kam heran. »Gottes Segen, Pilger. Was möchtet Ihr?«
»Einen großen Krug Einbecker Starkbier«, sagte er in gewichtigem Ton, als sei dies ein äußerst ungewöhnlicher Wunsch.
Mit einem knappen Nicken entfernte sie sich. Hier in der hintersten Ecke hatte er den Raum, erhellt von einem mit Talgkerzen bestückten Wagenrad, das von der verrußten Decke hing, gut im Blick. Die Wirtstochter verschwand durch eine Tür und kehrte kurz darauf mit einem großen Krug zurück. Mit kräftigen Fingernägeln löste sie das Wachs vom Verschluss und füllte seinen Becher.
»Danke.« Er lächelte breit und klopfte neben sich auf die Bank. »Leiste mir ein wenig Gesellschaft.«
»Dazu fehlt mir die Zeit, Herr.«
»Aber, aber! Du plagst dich schon so lange, da wirst du sicherlich ein wenig ausruhen dürfen?«
»Ich bin doch gerade erst gekommen«, meinte sie, aber nach kurzem Zögern setzte sie sich dennoch. Als er dicht an sie heranrückte, machte sie sich steif.
»Mein Aussehen ist mir wirklich unangenehm«, sagte er zerknirscht. »Aber vielleicht gibt es hier ja eine Badestube, und dann ist das Problem schnell gelöst.« Leise lachend zupfte er an seinem Bart. »Ich verspreche dir, wenn ich aus der Wanne steige und dieses Gewächs los bin, hast du einen ansehnlichen Kerl vor dir. Du musst wissen, ich komme gerade von einer Pilgerreise zurück.« Er klopfte auf den Beutel, den er vor sich auf den Tisch gelegt hatte, prall gefüllt mit wertvollen Reliquien. »Ich war im Heiligen Land.«
Noch immer hielt sie Abstand, doch er hatte eindeutig ihr Interesse gewonnen. Er konnte sich ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. Welche Frau hörte nicht gerne aufregende Erzählungen aus fremden Ländern?
»Ihr wart im Gelobten Land?«, fragte sie. »In Jerusalem?«
»So ist es. Ich könnte dir Geschichten erzählen, so viele, dass es für die ganze Nacht reicht.« Er beschloss, geradewegs anzufangen und dabei nicht zu dick aufzutragen. »Es ist wahrhaftig eine große Herausforderung! Allein die Reise nach Venedig ist voller Gefahren und doch harmlos im Vergleich zu dem, was einen danach erwartet. Zwei Monate dauerte die Überfahrt, durch Stürme, Piratenschiffe und Seeungeheuer hindurch. Aber auch das ist nichts gegen die Gefahren im Land der Türken. Für alles wollen sie dort Geld, selbst dafür, dass sie einen nur ansehen, und kann man nicht zahlen, hat man einen Dolch im Bauch oder findet sich gefesselt irgendwo wieder und muss hoffen, dass jemand Lösegeld zahlt. Aber wer sollte das tun? Verloren und verkauft bist du dort unten, und hast du doch endlich glücklich Jerusalem betreten und stehst in der Grabeskirche Jesu, bist du ein armer, geschlagener und gedemütigter Mann, und du hast keine Ahnung, wie du jemals wieder lebend nach Hause zurückkehren sollst.«
Martin beendete seine Erzählung, von der er sicher war, dass sie ihre Wirkung auch diesmal entfalten würde, doch die Wirtstochter schien unschlüssig: »So recht mag ich Euch nicht glauben.«
»Nicht?« Vielleicht hätte er die Seeungeheuer nicht erwähnen sollen, denn die hatte er nicht gesehen, aber ansonsten entsprach seine Schilderung der Wahrheit. Er versuchte es anders. »Wie heißt du?«
»Gunthild.«
»Gunthild«, wiederholte er genüsslich. »Ich bin Ritter Martin von Thiersreuth.«
»Ihr wollt von Adel sein?«, fragte sie zweifelnd.
»Würde ich sonst ein Schwert tragen?«
»Das besagt doch gar nichts. Könnt Ihr es überhaupt benutzen? Mit dieser Hand?«
Martin folgte ihrem neugierigen Blick. Sie hatte es also bemerkt. An seiner rechten Hand fehlten die beiden äußeren Finger, nur die Stümpfe bis zum ersten Knöchel waren ihm geblieben. Er hasste es, darauf angesprochen zu werden, und natürlich stellte Gunthild die unvermeidliche Frage: »Wie ist das passiert?«
Er seufzte schwer. Nun, wenn er ihr mit jener Geschichte endlich das erhoffte Lächeln abrang, sollte es so sein. Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Krug. Dann zog er mit der Fußspitze den Hocker heran, der unter dem Tisch stand, stützte den Fuß darauf und legte die gesunde Hand aufs Knie, während er die versehrte unter den Pilgerumhang schob. »Das war so ...«
»Gunthild!«, donnerte es durch die Gaststube.
Gunthild fuhr zusammen. »Ich muss weitermachen. Mein Vater sieht es nicht gern, wenn ich bei Gästen sitze«, murmelte sie und wollte aufstehen, doch ihm missfiel es, so kurz vor dem Ziel aufgeben zu müssen. Er legte eine Hand an ihre Hüfte und die andere auf ihren Arm.
»So warte doch, schöne Frau. Versprich mir erst, dass du dich mit mir triffst. Gewähre einem Pilger, der ein Jahr lang nichts als Frömmigkeit im Sinn hatte, einen netten Abend. Ich spiele dir etwas auf der Laute vor und singe dir ein Liebeslied.«
»So lasst mich gehen«, bat sie und versuchte, sich aus seinem Griff zu lösen, doch in ihren Augen lag ein ihm wohlvertrauter Glanz. »Mein Vater wird gleich schimpfen.«
Einige der Gäste hatten inzwischen die Köpfe gehoben. Große Burschen waren darunter, die offensichtlich gewillt waren, einer vermeintlich in Bedrängnis geratenen Frau zu helfen. Finster gab Martin die Blicke zurück, bevor er sich wieder Gunthild zuwandte, doch plötzlich drehte sie sich in seinem Griff, sodass er ihr einen unfreiwilligen Kuss auf die Ohrmuschel gab. Sie stieß einen Schrei aus. Da sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Hart traf eine Faust sein Gesicht. Drei Kerle standen hinter dem Tisch, Bauern oder Knechte, jeder Einzelne eine bullige Erscheinung. Über ihm erhob sich der Wirt; er war es, der die Faust geschwungen hatte. Er beugte sich vor, um den Pilgerüberwurf beiseitezuziehen und Martin die kleine, allzu schlaffe Geldkatze vom Gürtel zu reißen.
»He!«, rief Martin empört, während er sich die schmerzende Wange rieb. »Da ist mehr drin, als ich dir schulde!«
»Du schuldest mir vor allem dies.« Erneut schlug ihm der Wirt ins Gesicht, diesmal gegen die Schläfe. Martin stöhnte benommen; fast wäre er von der Bank gerutscht. Das verdammte Bier hatte ihn schwach gemacht. Der Wirt trat zurück. »Werft ihn hinaus.«
Martin biss die Zähne zusammen, stemmte den Fuß gegen den Tisch und stieß ihn um. Krüge, Humpen und eine halbgeleerte Schale mit Grütze fielen polternd zu Boden. Die Männer wichen zurück; er sprang an ihnen vorbei und drehte sich um. Hinter sich hörte er die anderen Gäste aufschreien und Stühle über den Boden kratzen, als sie sich in Sicherheit brachten.
»Wage es ja nicht, dein Schwert zu ziehen!«, rief einer der Männer, wohl der Knecht des Wirts, denn er trug über dem fleckigen Kittel einen Gürtel, in dem ein mit Fleischsaft verklebtes Beil steckte.
»Wie komme ich dazu, deinetwegen Blut zu vergießen?«, höhnte Martin, stürzte vorwärts und hob eine Faust, um den Hieb zu vergelten. Doch bevor ihm das gelang, spürte er einen Schlag im Bauch; ein weiterer Hieb, diesmal von einem der anderen Kerle, traf ihn im Gesicht und ließ ihn herumwirbeln, auf Gunthild zu. Er konnte gerade noch verhindern, auf sie zu fallen, indem er sich auf der Bank abstützte. Ihre Augen schwebten nur eine Handbreit vor seinen.
»Und dabei hatte ich heute Abend gar nicht vor, mich um ein Mädchen zu prügeln.« Er strich sich die Haare aus der Stirn und zwinkerte ihr zu. »Aber du bist es wert, mein Täubchen. Ah!«
Eine Hand hatte sich in seine Haare gekrallt und zog ihn zurück. Er rammte seinen Ellbogen in den Angreifer und taumelte weiter, gegen einen anderen Tisch, der krachend umfiel.
»Schafft das versoffene Schwein endlich hinaus!«, brüllte der Wirt. »Der schlägt ja alles zu Bruch!«
Als Martin herumwirbelte, sah er sich dem gezückten Beil gegenüber. »Wollten wir nicht auf Blutvergießen verzichten? Aber ich passe mich gern an.« Er zerrte den lästigen Überwurf beiseite und zog blank. Der Knecht starrte auf das Schwert, ließ das Beil aber nicht sinken. Martin hob das Schwert, jedoch nur, um das Wagenrad zu sich heranzuziehen. Heißes Kerzenfett tropfte auf den Knecht, der fluchend einen Schritt zurücktrat und sich durch die Haare fuhr. Schnell stieß Martin die Klinge zurück in die Scheide, sprang vor und schlug ihm das Beil aus der Hand. Dann ließ er die Faust vorschnellen, doch wegen seiner fehlenden Finger schrammte sie nur am Kinn entlang; er taumelte dem Schlag hinterher und stieß gegen den nächsten Tisch. Schmerzhaft schlug die Kante gegen seine gefüllte Blase. Er krümmte sich. Zwei kräftige Pranken rissen ihn zurück. Ein erneuter Schlag traf seine Schläfe, und ihm wurde schwarz vor Augen.
Er fand sich auf den Knien wieder, die Arme vor dem Bauch verschränkt, da er fürchtete, die vielen Humpen Bier erbrechen zu müssen. Verloren!, dachte er und sah sich nach Gunthild um. Sie hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und kaute am Daumennagel. »Mädchen, sieh mich nicht so enttäuscht an«, stöhnte er. »Wäre ich nicht so betrunken, hätte ich dir einen besseren Kampf gezeigt. Wirklich – viel besser.«
Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln.
Zwei Männer packten ihn und zerrten ihn auf die Füße. Erstaunt stellte er fest, dass ihm das Stehen schwerfiel. Der Boden der Gaststube schien zu schwanken. »Auf die Straße?«, fragte der Knecht.
»Wie sähe das denn aus, wenn dieser Dreckskerl vor meiner Tür liegt«, antwortete der Wirt. »Nein, schafft ihn in den Pferdestall, der hat sich für solche Fälle stets bewährt. Da kann er seinen Rausch ausschlafen. Die Pferde wird er ja wohl nicht belästigen, obwohl die vom Geruch her besser zu ihm passen.«
Darauf folgte Gelächter, das Martin in den Ohren dröhnte. Harte Finger bohrten sich in seine Arme und zerrten ihn zur Tür. Die eiskalte Abendluft klärte seinen Kopf nur unwesentlich. Immerhin nahm er wahr, wohin ihn die Männer brachten, über einen schlammigen Platz hinweg zum Stall. Das Tor schwang auf, Gestank von Pferdekot und Stroh schlug ihm ins Gesicht. Sie stießen ihn in eine Ecke, wo er bäuchlings ins Stroh fiel. All das war zu viel für ihn, er übergab sich. Danach war er froh, sich im Stroh ausstrecken zu können. Und obwohl es so kalt war, dass sein Atem zu weißen Wölkchen gefror und seine Finger klamm wurden, galt sein letzter Gedanke der Tochter des Wirts. So viel lieber als mit den Resten seines Bieres hätte er mit ihr das Strohbett geteilt.
Leises Schnauben, Wiehern und Rascheln begleiteten seinen unruhigen Schlaf. Ab und zu hörte er jemanden ein Pferd aus einem Verschlag holen oder ein anderes einstellen. Gegen Morgen weckten ihn Stimmen, die offensichtlich ihm galten.
»Das ist er? Grundgütiger! Das muss ein Irrtum sein.«
»Ich fürchte nicht. Der Wirt hat gesagt, dass wir ihn hier finden.«
»Bruder Johannes, mir ist unwohl hier drinnen, lass uns zurückgehen. Er ist es bestimmt nicht.«
Zwei Kuttenträger, dachte Martin verächtlich. Was wollten die von ihm?
Schritte raschelten im Stroh, dann rief einer der Mönche: »So schau doch, seine Hand! Genau wie Pater Alban sie beschrieben hat.«
Alban? Martins Kopf begann sich zu klären. Er setzte sich auf, wobei er ein Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Hatte man ihm den Schädel eingeschlagen? Um sich zu vergewissern, dass es nicht so war, griff er sich an die pochende Stirn. Wenigstens konnte er dem schmerzhaften Druck in seiner Blase abhelfen. Er hob Überwurf und Hemd, band seine Bruche auf und erleichterte sich ins Stroh. Angewidert hielten die Mönche den Atem an.
Langsam drehte er den Kopf nach ihnen. Es waren zwei schwarzgewandete Benediktiner. Ängstlich beobachteten sie jede seiner Bewegungen, als könne er jederzeit aufspringen und sie mit seinem Kurzschwert erschlagen. Besaß er es überhaupt noch? Martin tastete nach seinem Gürtel, es hing daran. Auch der Beutel mit den wertvollen Reliquien war da; achtlos hatte ihn jemand ins Stroh geworfen.
»Nicht!«, rief einer der Mönche. »Es ist nicht nötig, das Schwert gegen uns zu ziehen. Wir wurden geschickt, dir ein Angebot zu unterbreiten. Im Namen Pater Albans aus dem Kloster Steinreuth.«
Martin verschnürte seine Bruche und rieb sich Augen und Schläfen, um dem Kopfschmerz Einhalt zu gebieten. Es half wenig. »Ein Angebot?«
»Ja. Du sollst ... Du mögest bitte mit uns ins Kloster kommen, damit alles besprochen werden kann.«
Allein der Gedanke, jetzt aufzustehen, machte ihn wieder müde. »Euer feiner Pater Alban kann gefälligst herkommen«, brummte er und streckte sich im Stroh aus. Bevor der Schlaf sich erneut über ihn senkte, hörte er noch, wie sie erregt miteinander flüsterten. Was immer sein Bruder von ihm wollte, es konnte nichts Gutes sein.
***
»Bist du wach?«
Ruckartig fuhr Martin hoch, als er die vertraute Stimme vernahm. Wahrhaftig, dort am Tor stand Alban; er hatte die Hände in die Ärmel seiner Kukulle geschoben und maß ihn mit ausdruckslosem Blick. Alban, sein vier Jahre jüngerer Bruder, ihm so unähnlich, wie es nur möglich war. Seine Gesichtszüge waren hager, die Lippen schmal, die Augen dunkel und hochmütig dreinblickend. Seine Haare glänzten fast schwarz, im Gegensatz zu Martins blondem, ungebändigtem Schopf, und man mochte kaum glauben, dass sie nicht nur von derselben Mutter, sondern auch demselben Vater stammten. Diese Gedanken gingen Martin jedes Mal durch den Kopf, wenn er ihn sah, was selten der Fall war. Ihrer beider Leben überschnitten sich kaum.
»Ich bin wach. Jedenfalls bemühe ich mich darum.« Martin blieb im Stroh sitzen, zog die Knie an und legte die Arme darauf. »Wie hast du mich gefunden?«
Alban zog eine Hand aus dem Ärmel und machte eine unbestimmte Geste. »Das war nicht weiter schwierig. Man hat deine Rückkehr aus dem Heiligen Land beobachtet, also schickte ich jemanden auf deine Burg. Der fand dort deinen treuen Hund Sandro, der mir sagte, du würdest die Gaststätten der Gegend unsicher machen. Dass es diese ist, erfuhr ich von einem Ordensbruder, der Zeuge wurde, wie du das Innere der Gaststube zu Kleinholz geschlagen hast.«
»Schön. Und was willst du von mir?«
»Ich?« Alban verdrehte die Augen. »Gott möge mich davor bewahren, dass ich jemals in die Lage komme, etwas von dir zu wollen. Der ehrwürdige Abt benötigt einen Söldnertrupp, der ihn nach Konstanz begleitet.«
»Was, Konstanz?« Noch immer ermattet, rieb sich Martin die Augen.
»Das ist eine Bischofs- und Reichsstadt im Süden, an einem großen See gelegen.«
»Das weiß ich!« Martin funkelte ihn wütend an. »Für wie ungebildet hältst du mich eigentlich?«
Darauf ging Alban nicht ein, was Martin Antwort genug war. »Dort tagt seit einigen Monaten das Konzilium der Heiligen Mutter Kirche, von dem selbst du gehört haben müsstest, denn die ganze Christenheit redet von nichts anderem. Sigismund, der künftige Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, hat es einberufen, um das unerträgliche Schisma zu beenden, das die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert.«
Martin stieß ein verächtliches Schnauben aus. Natürlich hatte er während seiner Reise davon gehört. Er wusste auch, dass es zwei Päpste gab, einen in Rom, einen im französischen Avignon. Solange er lebte, war das schon so. Gab es seit einigen Jahren nicht sogar drei? »Und dafür hast du mich deinem Abt empfohlen? Das kann ich kaum glauben.«
»Ich habe ihm empfohlen, sich wie jeder reisende Mönch allein dem Schutz Gottes anzuvertrauen. Die Wehr des Mönches ist das Wort, aber er besteht auf einer bewaffneten Begleitung. Leider bist du weit und breit der Einzige, von dem ich weiß, dass er dazu taugt. Im Übrigen habe ich ihm nicht gesagt, dass du mein Bruder bist, und es wäre mir recht, wenn du das ebenfalls verschweigen würdest.«
»Wie du willst«, knurrte Martin. Am liebsten hätte er das Angebot seines tugendhaften, gelehrten Bruders, der ihn sogar verleugnete, abgelehnt. Aber er brauchte das Geld. Ohne ein weiteres Wort stemmte er sich hoch und ging zu dem Verschlag hinüber, in dem sein Schecke stand. Er führte ihn heraus, sattelte ihn und schwang sich noch im Stall hinauf. Alban würdigte er keines Blickes, als er an ihm vorbeiritt und das Pferd in Richtung der Abtei lenkte. Hinter sich hörte er Albans Gewand rascheln. Sein Bruder musste schnell gehen, um Schritt zu halten, und das tat er klaglos.
»Wer wird denn reisen?«, fragte Martin, als das nahegelegene Klostergebäude vor ihnen auftauchte. »Nur der Abt?«
»Er und ich als sein Schreiber.«
»Du auch?« Martin lachte, dass seine Stimme bis zur Klosterpforte hallte. »Ein hochnäsiger Mönch und ein gestrenger Abt, welche Freude!«
In den Schenken der Umgebung sprach man von jenem Abt als einem unangenehmen Menschen, streng und aufbrausend. Er schien genau die Sorte von Auftraggeber zu sein, mit der Martin leicht in Streit geriet. Und der Weg nach Konstanz war weit. Er sah zu Alban hinunter. Sein Bruder schaute unter zusammengeschobenen Brauen besorgt drein, als sei er sich dieser Gefahr nur allzu bewusst.